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Bierlein, Maurer, Yvon & der Anbiederungsjournalismus

Veröffentlicht am 31. August 2019

In der aktuellen Ausgabe der Lambda (2/2019) verteidigt Paul Yvon den Verfassungsgerichtshof mit Zähnen und Klauen gegen Kritik und meint, dieser hätte gar keine andere Wahl gehabt, als homophobe Entscheidungen zu fällen. Yvons Anmerkungen zu meinem Gastkommentar sind ziemlich absurd – mit ihnen setze ich mich im Detail jedoch in einem separaten Blog-Beitrag auseinander.

An dieser Stelle möchte ich mich hingegen noch einmal mit Brigitte Bierlein, die ja inzwischen Bundeskanzlerin und in dieser Position – für mich einmal mehr überhaupt nicht nachvollziehbar – sehr populär geworden ist, sowie mit der von Yvon postulierten Unabhängigkeit des VfGH beschäftigen und mich weiter in die Frage vertiefen, warum Yvon, die Lambda und die HOSI Wien jetzt plötzlich den VfGH wider besseres Wissen auf dermaßen groteske Weise verteidigen und dabei einen nicht unwesentlichen Teil jahrzehntelanger Lobby-Arbeit der HOSI Wien (und natürlich auch der gesamten österreichischen LSBT-Bewegung) dermaßen desavouieren. In meinem erwähnten Gastkommentar habe ich allein drei weiterführende Links zu ausführlich begründeter Kritik der HOSI Wien am VfGH angegeben! Diese Kritik ist indes Legion und zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der HOSI Wien – es handelt sich dabei keineswegs um mein Privatvergnügen!

Auslöser der „Kontroverse“ war das Lambda-Interview mit der damaligen VfGH-Präsidentin Brigitte Bierlein in der Lambda 1/2019 (erschienen im Jänner 2019). Als sie im Juni als Bundeskanzlerin angelobt wurde, beschäftigten sich die Medien wieder mit ihrer Biografie und politischen Heimat, die zwar ohnehin bekannt, aber natürlich bald wieder in Vergessenheit geraten waren. Schon bei Bierleins Ernennung zur VfGH-Präsidentin berichtete etwa die Wiener Zeitung am 21. Februar 2018: „Bierlein wurde 2003 von der schwarz-blauen Regierung als [Anm.: Mitglied und zugleich] Vizepräsidentin nominiert; ihre jetzige Beförderung zur Präsidentin soll auf dringenden Wunsch der FPÖ erfolgt sein.“ Dieser Artikel beschreibt übrigens sehr anschaulich, wie die Postenbesetzung am VfGH abläuft. Die Wiener Zeitung fasste den damaligen Stand der Dinge wie folgt zusammen: „Künftig sind neun der 14 Verfassungsrichter auf ÖVP- oder FPÖ-Ticket.“

Natürlich werden die HöchstrichterInnen in der Regel in diesem Amt parteipolitisch unabhängig agieren und sich von ihren „Ticket-Gebern“ emanzipieren – das darf man wohl erwarten. Und es wird auch niemand Bierlein unterstellen wollen, sie hätte als Mitglied des VfGH eine schwarz-blaue Agenda abgearbeitet. Andererseits wäre es eine Illusion zu glauben oder zu erwarten, HöchstrichterInnen könnten bei der Ausübung ihres Amtes völlig über den Schatten ihrer (gesellschafts)politischen Einstellungen springen, ihre Sozialisation komplett außen vor lassen und selbst unbewusste Vorurteile völlig neutralisieren.

Bei aller objektiven Würdigung ihrer Person war doch der Tenor in den Medien, dass Bierlein – wenn schon nicht reaktionär – doch eher (erz)konservativ ist. Warum dann auch so viele fortschrittliche Leute sich so erfreut darüber zeig(t)en, dass Bierlein Kanzlerin wurde, wundert nicht nur mich, sondern auch den Blogger Michael Bonvalot, der in seinem Beitrag „Bierlein und die Linke – ein Missverständnis“ nachweist, dass Bierlein ja alles andere als eine fortschrittliche Persönlichkeit ist.

 

Ernest Maurer, Bierleins berüchtigter Lebensgefährte

Im Rahmen der Berichterstattung über die neue Kanzlerin und ihr Privatleben wurde auch einmal mehr erwähnt, dass ihr Lebensgefährte der berüchtigte, mittlerweile pensionierte „Richter der Rechten“ Ernest Maurer ist. Auch das war bereits Thema bei Bierleins Ernennung zur VfGH-Präsidentin, etwa in der Wiener Zeitung vom 13. April 2018, wo der emeritierte Universitätsprofessor Werner Doralt auf seinen Leserbrief an Die Presse angesprochen wurde, in dem er gemeint hatte, dass Bierlein 2003 nur aufgrund ihres Lebensgefährten, des Haider-Intimus und umstrittenen Richters Ernest Maurer, Verfassungsrichterin geworden wäre. Dieser Artikel ist übrigens ebenfalls sehr lesenswert, denn er beleuchtet den Einfluss der Politik auf den VfGH – und umgekehrt. Bierlein wies naturgemäß Doralts Kritik zurück, etwa in einem Interview in der Presse vom 27. April 2018.

Ernest Maurer war in der Tat berüchtigt, nicht zuletzt in der NGO-Szene. Auch ich habe mich in meinen LN-Kolumnen mehrfach mit ihm beschäftigt. Maurer, der von der blau-schwarzen Regierung auch ins ORF-Kuratorium entsandt wurde, war als Medienrichter williger Vollstrecker einer Einschüchterungspolitik speziell der FPÖ, die schon lange vor ihrer Regierungsbeteiligung im Jahr 2000 KritikerInnen und politische GegnerInnen systematisch mit Klagen eingedeckt hatte, um sie – und viele andere prophylaktisch – mundtot zu machen. Darüber hatte ich in meinem Kommentar in der Ausgabe 4/2000 („Haiders willige Vollstrecker: Europäische Nachhilfe für Österreichs verrottete Justiz“) nach Veröffentlichung des Berichts der drei EU-Weisen geschrieben, die eingesetzt worden waren, um Österreich und seine damals 14 EU-Partner ohne Gesichtsverlust aus der Sanktionen-Bredouille herauszuführen.

Etliche JournalistInnen bzw. Medien, die aufgrund von FPÖ-Klagen von Maurer verurteilt wurden, legten dagegen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein, und noch vor Ende der schwarz-blau-orangen Regierung wurde Österreich in etlichen Fällen wegen Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in Straßburg verurteilt. Siehe dazu meinen ausführlichen Artikel und meinen Kommentar in der Ausgabe 1/2007 („Recht(lich)er Dreck“).

Mag sein, dass Bierlein nur stramm konservativ ist, ihr Lebensgefährte Maurer ist zumindest reaktionär, wobei es natürlich keine Sippenhaftung gibt. Allerdings darf man sich natürlich schon fragen, wie jemand tickt und drauf ist, die einen Menschen wie Ernest Maurer zum Lebensgefährten hat. Denn nicht nur seine willkürlichen Urteile (vgl. LN-Kommentar 1/2007) waren höchst problematisch, sondern auch so manche Formulierungen in seinen Urteilsbegründungen, z. B.: Das Eintreten für Rassenreinheit und Erbgesundheitslehre und gegen die Integration von Ausländern ist per se betrachtet nicht ehrenrührig. Oder: Die Idee vom rassenreinen und erbgesunden Volk an sich ist eine Idealvorstellung, die nicht erst vom Nationalsozialismus erfunden wurde. Alexander Pollak und Ruth Wodak haben eines seiner Urteile wissenschaftlich untersucht und ein Buch über diesen „ausgebliebenen Skandal“ verfasst (siehe LN 1/2007).

Nach der Kritik der drei Weisen (Maurer wurde in ihrem Bericht zwar nicht namentlich genannt, aber ihre Ausführungen in den Punkten 99 und 102 waren offensichtlich an seine Adresse gerichtet) rückte Paul Yvon damals für profil aus, um eine Lanze für Maurer zu brechen. Der Beitrag war so peinlich, dass sich Florian Klenk im Falter Nr. 41/2000 vom 11. Oktober veranlasst sah, heftig zu widersprechen:

Der umstrittene Richter Ernest Maurer wird nicht „hingerichtet“, wie profil vermutet. Er bekommt nur eine notwendige Lektion in Sachen Pressefreiheit.

Ganz nahe an den Fundamenten des Justizpalasts wird seit Wochen alles umgegraben. So laut, dass es ganz oben im Hofratszimmer des Senatspräsidenten dröhnt und wackelt. In diesem Dachgeschoß saß vorvergangene Woche Medienrichter Ernest Maurer bei einem Interview und begann fast zu weinen.

Mit „nassen Augen“ und „stockender Stimme“ klagte Maurer dem profil sein Leid. Kampagnen gegen seine Person seien geritten worden. Freunde hätte er verloren. Selbst Richterkollegen seien „verhetzt“. „Ganz substratlos“ hätte man ihn „mit Dreck beworfen“ und dann mit „Pfui, der stinkt aber“ geächtet.

Das Interview hat zumindest auf den Fragesteller gewirkt: „Eine Hinrichtung auf Raten“, sah der sonst so kritische profil-Justizexperte Paul Yvon. Wahrscheinlich sei Maurer wirklich „zu Unrecht dem Verdacht der FPÖ-Nähe ausgesetzt worden“, grübelte er.

Im Dezember 2000 rückte Paul Yvon in profil Nr. 50 abermals journalistisch zur Unterstützung Maurers aus – auch damals musste ich Paul Yvon widersprechen, und zwar in einem kritischen Beitrag in den LN 1/2001 über die parteiische und willkürliche österreichische Justiz aus Anlass der Verfahren gegen mich im Zuge des Bischofsouting. Ich bezeichnete Yvon damals als jemanden, der sich „als glühender Verteidiger Maurers profilierte“.

Paul Yvon ist also Wiederholungstäter. Ich habe mich daher geirrt, als ich in meinem Blog-Beitrag im April 2019 meinte: Wo bleibt die Professionalität, etwa in Sachen Recherche? Und die kritische Haltung? Die hatte Paul Yvon doch früher auch, als er noch fürs profil schrieb. Oder ist er jetzt altersmilde geworden und will auf seine alten Tage noch unbedingt die Conny Bischofberger oder Barbara Stöckl der Lambda werden?

Paul Yvon hatte offenbar schon 2000 seine kritische Haltung verloren. Entweder er war schon damals altersmilde oder es gibt andere Gründe für sein Verständnis und seine Rücksicht- und Anteilnahme. Vielleicht ja die Gründung seines Beratungsunternehmens, die der Grund für Yvons Entlassung bei profil im Juni 2003 (nach 22 Jahren) war: Yvon pries sich als „Medienberater“ an und warb mit dem Slogan: „Für unsere Kunden bleiben wir gerne die Feuerwehr im Hintergrund.“ Auf der von ihm veröffentlichten Kundenliste standen damals diverse Ministerien und die Erzdiözese Wien. profil-Herausgeber Christian Rainer sah darin eine Unvereinbarkeit. Ein unabhängiger profil-Journalist könne nicht Institutionen beraten, über die sein Blatt kritisch berichtet (vgl. Berichte im Falter Nr. 3/2005 vom 19. 01. 2005 und 49/2005 vom 07. 12. 2005).

Das leuchtet irgendwie ein: Denn selbst wenn man nicht über die eigenen Beratungskunden schreibt, kommt es vielleicht insgesamt nicht gut an, wenn man anderen unbequem auf die Zehen steigt. Paul Yvon hat sich wohl schon damals dem unkritischen, pseudo-objektiven, oberflächlichen PR- und Gefälligkeitsjournalismus verschrieben und mit dem Bierlein-Interview in der Lambda 1/2019 eine billige Kostprobe dieser Form von Anbiederungsjournalismus abgeliefert.

Es steht daher zu vermuten, dass den absurden Versuchen der HOSI-Wien-Zeitschrift, den VfGH vor schwul/lesbischer Kritik zu schützen, keine bestimmte politische Absicht zugrunde liegt, sondern diese Versuche eher amateurhafter Inkompetenz, Ahnungs- und Geschichtslosigkeit geschuldet sind, was indes schlimm genug ist.

 

Anmerkung: Was meine Kritik an den Höchstgerichten betrifft, verweise ich auch auf den Einleitungstext zu meinen LN-Kommentaren zum Thema „Justizschelte“ samt entsprechenden Links zu den einzelnen Kolumnen.

 

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