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Haiders willige Vollstrecker:  Europäische Nachhilfe für Österreichs verrottete Justiz

Erschienen am 17. Oktober 2000

Über drei (!) Seiten hinweg kritisieren die drei Weisen in ihrem Bericht (Randnummern 93–103), daß die FPÖ versucht, politische GegnerInnen und KritikerInnen durch Ehrenbeleidigungsklagen einzuschüchtern und „zum Schweigen zu bringen“, und daß sich die österreichische Justiz zu Jörg Haiders Handlangerin, seiner willigen Vollstreckerin macht: Nicht alle [Gerichte] scheinen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in ausreichender Weise zu berücksichtigen (Randnummer 99). Unter Ziffer 102 erteilen die Weisen dann noch konkrete Nachhilfe und zitieren relevante Textstellen aus dem sog. Lingens-Urteil des EGMR. FPÖ, Justizminister Dieter Böhmdorfer und Teile der österreichischen Justiz werden als Gefahr für die Redefreiheit und Menschenrechte angesehen, die drei Weisen sehen „Anlaß zu ernsthafter Sorge“.

Dieser Teil des Weisenberichts ist nicht nur eine vernichtende Kritik an der Taktik der FPÖ, politische GegnerInnen medienrechtlich zu verfolgen, und an Justizminister Böhmdorfer, früher als Rechtsanwalt ihr federführender Komplize und Vollstrecker, sondern auch eine niederschmetternde Kritik an Österreichs Justiz. Daß hier der Justiz eines vorgeblichen Rechtsstaates Nachhilfeunterricht in Sachen Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention und Judikatur des EGMR gegeben werden muß, ist ein Armutszeugnis der Sonderklasse für diese Justiz und müßte eigentlich Konsequenzen haben. Dieselbe Nachschulung hätten übrigens auch jene Richter dringend gebraucht, die in meinen Bischofs-Outing-Prozessen geurteilt haben – auch sie hatten seinerzeit genau jene im Weisenbericht zitierten Stellen des Lingens-Urteils ignoriert.

Wer aber geglaubt hat, jetzt kommt zumindest endlich eine breite öffentliche Debatte über die reaktionäre Justiz in diesem Land in Gang, die selbstherrlich, außerhalb jeglicher demokratischen Kontrolle, quasi als Staat im Staat tagtäglich über die Schicksale hunderter Menschen entscheidet, der hat sich gewaltig geirrt. Zwar versuchte es der SP-Justizsprecher Johannes Jarolim mit dem durchaus vernünftigen und zutiefst demokratischen Vorschlag, die Urteile in den verschiedenen Verfahren des berüchtigten Medienrichters Ernest Maurer, an dessen Adresse die Nachhilfe in den Ziffern 99 und 102 speziell gerichtet ist, ins Internet zu stellen und damit einer breiten wissenschaftlichen Analyse und Erörterung zuzuführen, aber die Diskussion verebbte alsbald wieder. Österreichs PolitikerInnen sind einfach zu feig, dieses heiße Eisen anzufassen.

Von der angeblichen Unabhängigkeit der Justiz kann jedenfalls keine Rede sein. Österreichs RichterInnen und StaatsanwältInnen sind in ihrer großen Mehrheit konservativ bis reaktionär. Und so schauen dann auch ihre Urteile aus. Das ist nichts Neues. Schon im Dritten Reich waren diese beiden Berufsgruppen neben den ÄrztInnen diejenigen, in denen der Anteil an Nazis am höchsten war. Keine andere Berufsgruppe, deren Wirken mit dermaßen weitreichenden Folgen für andere Menschen verbunden ist und die dermaßen große Verantwortung trägt, hat so freie Hand wie RichterInnen und StaatsanwältInnen. Ob SozialarbeiterInnen oder PsychologInnen, sie alle unterziehen sich professioneller Supervision, um ihre für andere Menschen so bedeutsamen Entscheidungen ebenso zu hinterfragen wie ihr professionelles Tun an sich. Was macht eigentlich RichterInnen und StaatsanwältInnen so zu Übermenschen, daß sie derartiges nicht notwendig haben, nie von Selbstzweifel angekränkelt werden und ihre einsamen Entscheidungen daher nicht zu hinterfragen brauchen? Noch dazu, wenn sie nicht einmal ihr Handwerk anständig gelernt haben.

Gerade wir Lesben und vor allem Schwule können ein Lied singen von der Behandlung, die uns von diesem so „unabhängigen“ Justizpersonal zuteil wurde und wird. Fast tagtäglich werden in Österreichs Gerichtssälen Homosexuelle wie der letzte Dreck, wie Abschaum behandelt (vgl. auch Bericht ab S. 22).

 

Klagt uns!

Die FPÖ und die „ehemalige“ Kanzlei Böhmdorfers (sein Name steht „nur“ mehr auf dem Briefpapier!) haben das Land mit Klagen überzogen. Ausgerechnet die FPÖ, die im Austeilen nicht zimperlich ist, möchte die sensible Mimose spielen, die darauf achten will, daß keine Unsitten einreißen im demokratischen Diskurs, daß Österreichs Politik mädchenpensionatskompatibel wird/bleibt. Wer einen Ruf hat, der rennt nicht wegen jeder Kleinigkeit zum Kadi, den ficht Kritik, mag sie auch als unberechtigt empfunden werden, nicht an. Aber die FPÖ und ihre Politspitzen haben eben keinen Ruf zu verlieren, daher rennen sie ihm umso mehr hinterher und versuchen, durch Gerichtsurteile an einen solchen zu gelangen. „Seelenhygienisch heruntergekommene Politemporkömmlinge“ (© André Heller), die sie sind, haben sie eben nicht die Größe, Kritik einzustecken.

Alles, was Rang und Namen hat in Österreich, ist jedenfalls in letzter Zeit von den SHP geklagt worden. Alles? Nein! Die HOSI Wien und die LAMBDA-Nachrichten noch nicht! Das ist echt eine Schande, die wir nicht auf uns sitzen lassen können, zumal wir doch ausführlich Jörg Haiders Homosexualität breitgetreten haben. Warum werden wir nicht geklagt? Das ist ungerecht. Unser Ruf steht auf dem Spiel! Daß niemand dem Herrn Haider oder der Kanzlei Böhmdorfer die LN zugetragen hätte (abonniert haben sie sie nicht) – das können wir gar nicht glauben. Immerhin steht der Parlamentsklub der Partei der SHP auf unserer Aussendungsliste. Aber möglicherweise schmeißt die Sekretärin die Zeitung, ohne reinzuschauen, ja auch gleich nach dem Öffnen der Post weg.

Vielleicht sollten wir sicherheitshalber die letzten Ausgaben direkt an die ehemalige Kanzlei Böhmdorfer schicken? Ja, das werden wir tun, auf daß wir endlich in den illustren Kreis der von den SHP Geklagten eintreten!

PS: An dieser Stelle habe ich in der letzten Ausgabe darüber spekuliert, ob die LAMBDA-Nachrichten heuer wieder Publizistikförderung bekommen werden, standen wir doch schon in den letzten Jahren auf Andreas Khols Abschußliste – nur dank der SPÖ ist verhindert worden, daß sie den LN gestrichen wird. Jetzt haben FPÖVP freie Bahn. Der zuständige Fachbeirat im Bundeskanzleramt, der über die förderungswürdigen Publikationen befindet, hat jedenfalls die LN auch heuer wieder für die Förderung empfohlen und vorgeschlagen. Wir dürfen dennoch gespannt sein, ob sich die Regierung über diese Entscheidung hinwegsetzt und den LN die Förderung streicht. Demnächst werden wir es erfahren.

 

Kurts Kommentar LN 4/2000