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  2. Kurts Kommentar LN 3/2000

Österreich wird Serbien

Erschienen am 18. Juli 2000

Strolchi und Susi, letztere immer noch an der kurzen Leine ihres Meisters, verwandeln Österreich unter tatkräftiger Mithilfe der Pitbull-Politiker Andreas Khol und Peter Westenthaler, Mädchenname Hojac, sowie unter dem Beifall der Kleinformate und des „Regierungsrundfunks neu“ immer mehr in ein zweites Serbien. Die Parallelen sind in der Tat verblüffend und frappant. Der einzige Unterschied: Das Schüssel-Riess-Passer-Regime versucht noch krampfhaft, das demokratische Gesicht zu wahren.

Milošević läßt grüßen

Kronenzeitung und Täglich alles hetzen die ÖsterreicherInnen in einen nationalistischen Anti-EU-Taumel, auch Die Presse hat sich zu einem völlig unkritischen Jubelblatt des Regimes gewendet. Genauso, stelle ich mir vor, müssen wohl die Milošević-Medien schreiben und berichten. Genauso hat Milošević die nationalistische Karte gespielt, um das Volk hinter sich zu scharren. Während er den uralten Trick, von innenpolitischen Schwierigkeiten durch Krieg mit einem Außenfeind abzulenken, noch schamlos anwenden konnte, kann Schüssel allerdings schwerlich Liechtenstein den Krieg erklären und das Bundesheer in Vaduz einmaschieren lassen. Aber glücklicherweise gibt es die Maßnahmen der EU-14.

Während das serbische Regime die Polizei gegen die unabhängigen Radiosender aufbietet, geht das österreichische (noch) etwas subtiler vor: So wird dem freien Radio Orange einfach die Subvention gestrichen, so beschloß etwa das nunmehr schwarz-blau dominierte ORF-Kuratorium, die Ö1-Sendung Journal Panorama hinsichtlich Themenauswahl, Gesprächspartner und Wertungen untersuchen zu lassen – ein unerhörter, in der Geschichte des ORF bisher einmaliger Einschüchterungsversuch, wohl um prophylaktisch jegliche Regimekritik im ORF zu unterdrücken. Dabei geben die ModeratorInnen der Nachrichtensendungen ohnehin ein denkbar klägliches Bild ab: Sie sind offensichtlich überfordert mit der Dreistigkeit, mit der ihnen VertreterInnen der Regierungsparteien Halb- und Unwahrheiten vorsetzen. Da wird nicht nachgefragt, nicht korrigiert, nicht entgegnet, bloß hingenommen. Ob ZiB 1, 2 oder 3 – die ModeratorInnen sind ihrer Aufgabe nicht gewachsen.

Und naiv sind sie sowieso: Offenbar halten sie die Sanktionen ebenfalls für ungerecht. Da meinte die Moderatorin der ZiB 3 – ganz auf Regierungslinie – fragend an ihren Interviewgast, was brauche man sich denn von einem Bericht bzw. einer Untersuchung durch den von den EU-14 eingesetzten Weisenrat fürchten, Österreich würde in den bisherigen einschlägigen Berichten ohnehin ein gutes Zeugnis ausgestellt. Genauso hilflos bzw. servil Christoph Kotanko und Anneliese Rohrer in der Pressestunde (vom 2. 7.) mit der Vizekanzlerin: Unwidersprochen kann sie behaupten, in Österreich stünde in punkto Menschenrechte ohnehin alles zum besten. Dabei behandeln diese einschlägigen Berichte des Europarats Zeiträume vor dem Regierungsantritt von FPÖVP. Lesen diese JournalistInnen nicht wenigstens kritische Blätter wie den Falter? Die Lektüre der Wiener Stadtzeitung seit dem 4. Februar allein müßte ausreichen, daß der Weisenrat Österreich keine Unbedenklichkeitsbescheinigung mehr ausstellen kann.

Liebt uns, liebt Österreich

Offenbar sind schon alle mit dem Selbstmitleidsvirus infiziert: Wir sind doch alle unschuldig, wie ungerecht von den anderen! Und dem Reflex: In anderen Ländern ist es auch nicht besser. Das stimmt schon: Auch in anderen Ländern gibt es einen Bodensatz an RassistInnen in der Bevölkerung, kommt es immer wieder zu Polizeiübergriffen. Aber in keinem anderen Land sitzt eine Partei wie die FPÖ (rassistisch und den Nationalsozialismus verharmlosend) in der Regierung! Das ist der große und entscheidende Unterschied, der springende Punkt! Es ist doch hanebüchen, sich damit herausreden zu wollen, daß es in anderen Ländern auch rassistische MitbürgerInnen gibt. Kein Land, keine Regierung kann für alle EinwohnerInnen die Hand ins Feuer legen. Hier wird versucht, mit hirnrissigen Argumenten abzulenken von der Tatsache, daß für die EU-Partner das Problem nicht die rassistischen WählerInnen der FPÖ sind, sondern die FPÖ-MinisterInnen in der Regierung.

Schlimm genug, daß es eine Million IdiotInnen gibt, die diese Partei gewählt haben. Ich sage das nicht leichtfertig dahin – ich halte die FPÖ-WählerInnen, ob sie nun diese Partei wegen oder trotz ihres hetzerischen, primitiven Wahlkampfs gewählt haben, wirklich für IdiotInnen. Es ist unentschuldbar, eine derartige Hetze und einen derartig primitiven Wahlkampf mit einer Stimme zu belohnen. Ich denke, man muß der Wahrheit ins Auge blicken: In diesem Land leben überdurchschnittlich viele Kretins – allein die Leserbriefe, die seit Monaten tagtäglich in den Kleinformaten veröffentlicht werden, geben beredtes Zeugnis davon ab.

Lauter Unschuldslämmer

Aber zurück zu unserer „Unschuld“. Die Vorstellung, in Österreich sei in punkto Menschenrechte und Anti-Rassismus ohnehin alles in bester Ordnung, kann nur auf Verdrängung und merkwürdigen Definitionen beruhen. So heißt es immer: In Österreich hätten noch nie Asylantenheime gebrannt. Falsch! Es gab mehrere Anschläge. Und bei der Definition von Diskriminierung und Rassismus sind die ÖsterreicherInnen auf einmal äußerst tolerant. Da kann die FP-Abgeordnete Helene Partik-Pablé in einer Nationalratsdebatte behaupten, Neger seien von Natur aus aggressiver als andere Rassen – nicht einmal ein Aufschrei geht durch das Parlament oder das Land. In jedem anderen Land wäre sie ihr Mandat wegen eines derartigen Ausspruchs los. Aber da solche Sager nicht in die österreichische Definition von Rassismus fallen, gibt es folglich auch keinen Rassismus, schon gar nicht in der FPÖ! So simpel ist das!

Und bei der Definitionsfrage ist die ÖVP ja um nichts besser, wie wir Lesben und Schwule am besten wissen. Seit Jahren behauptet die ÖVP, gegen jegliche Diskriminierung von Lesben und Schwulen zu sein, aber im selben Atemzug spricht sie sich gegen die Aufhebung des § 209 und gegen die rechtliche Anerkennung von gleichgeschlechtlichen PartnerInnenschaften aus. Da muß man sich ja wirklich fragen. Was ist dann für die ÖVP Diskriminierung? Wenn Lesben und Schwule nur wegen ihrer Homosexualität ins Gefängnis geworfen oder im KZ ermordet werden? Derart definiert, gibt es tatsächlich keine Diskriminierung mehr von Lesben und Schwulen. Bloß: Wir definieren Diskriminierung etwas anders!

Die ÖsterreicherInnen sollten sich endlich ihrem Rassismus, Sexismus, ihrer Fremdenfeindlichkeit und Homophobie stellen, in sich gehen und daran arbeiten. Statt beleidigte Leberwurst zu spielen und sich bequem der Gehirnwäsche der Boulevardmedien und des ORF hinzugeben, die ihnen einreden wollen, sie seien ohnehin so toll und müßten sich überhaupt nicht ändern. Schluß mit der anmaßenden Selbstzufriedenheit und Selbstgefälligkeit!

Das Regime hat Dreck am Stecken

Ich fürchte, der Weisenrat wird der neuen Regierung – wenn er seine Aufgabe wirklich ernst nimmt – keinen Persilschein ausstellen können. Man denke bloß an die Forderung Haiders, regimekritischen PolitikerInnen das Mandat zu entziehen und sie strafrechtlich zu verfolgen. Milošević läßt grüßen! Oder an den Versuch von ÖVP und FPÖ, die regimekritischen Donnerstagsdemonstrationen zu verbieten. Milošević läßt grüßen! Oder tue ich hier Slobodan unrecht? Ist der gar nicht so weit gegangen?

Und dann die vielen subtilen low repression-Aktionen des Regimes, die in ihrem Einzelschicksal so unbedeutsam sind, daß sie es nie in die Schlagzeilen machen: die finanzielle Aushungerung von regimekritischen NGOs, KünstlerInnen und DissidentInnen – Khol bekannte sich ja unverfroren dazu, hier die Schafe von den Böcken trennen zu wollen, Westenthaler sprach davon, daß es niemand wagen solle, die Hand, die sie füttert, zu beißen. Kurzum: Eine unabhängige Zivilgesellschaft soll zu einer am Gängelband des Regimes geführten kholschen Bürgergesellschaft umgebaut werden. Stichwörter: Abschaffung des begünstigten Postzeitungsversands, neue Zivildienstregelung usw. usf. Wir sind auch schon sehr gespannt, ob die LAMBDA-Nachrichten auch dieses Jahr Publizistikförderung bekommen wird.

Und was werden die drei EU-Weisen zu den zahlreichen Anschlägen auf die Meinungsfreiheit sagen? Hier besteht nicht der geringste Grund, sich in Sicherheit zu wiegen angesichts der systematischen Verfolgung regime- und haiderkritischer Journalisten und Medien durch die frühere Kanzlei des jetzigen FP-Justizministers, der sich auf einen ohnehin reaktionären Justizapparat stützen kann (auch davon können wir Lesben und Schwule ein Klagelied singen!) – und in dem es Richter gibt, die als willige Vollstrecker der FPÖVP-Ideologie dann mitunter aus Dankbarkeit von der FPÖ in Gremien wie das ORF-Kuratorium gehievt werden. Apropos Dieter Böhmdorfer: Was werden die EU-Weisen dazu sagen, daß der Justizminister Christoph Schlingensief wegen der Verwendung des SS-Spruches „Meine/Unsere Ehre heißt Treue“ bei seiner umstrittenen Container-Kunstaktion Bitte liebt Österreich vor der Wiener Oper im Rahmen der Wiener Festwochen die Staatsanwaltschaft auf den Hals hetzte (wegen Verdachts des Verstoßes gegen das NS-Verbotsgesetz), den Anstoß für diese Persiflage, Böhmdorfers Parteigenossen, den neuen niederösterreichischen FP-Obmann Ernest Windholz, der diesen Spruch auf dem Landesparteitag vor verdienten FP-Veteranen verwendete, ungeschoren davonkommen ließ?

Oder was werden die EU-Weisen wohl zum neuen Sicherheitspolizei- und Militärbefugnisgesetz sagen? Aber die Erleichterung der Bespitzelung der BürgerInnen und potentieller Spione scheint ja momentan besonders dringlich, wo das arme unschuldige Land von lauter Feinden umgeben ist und bald ein neuer Kalter Krieg, diesmal mit den EU-14, ausbrechen wird.

Ganz zu schweigen von den jüngsten Polizei- und Justizskandalen, wofür zwar die Regierung nicht unmittelbar zur Verantwortung zu ziehen ist, aber dann doch, wenn sie es unterläßt, diese Mißstände abzustellen, insbesondere, wenn sich die Übergriffe häufen wie in jüngster Zeit mit dem Polizei-Sondereinsatzkommando SEK. In Belgien wurde unlängst ein Polizist zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er sich weigerte, einen Autounfall aufzunehmen, in den ein Schwarzer verwickelt war. In Österreich laufen die Mörder Marcus Omofumas hingegen immer noch frei herum, es gibt nicht einmal noch eine Anklage gegen sie.

ÖVP total verhaidert

Leider haben es die EU-14 verabsäumt, die drei Weisen auch mit der Durchleuchtung der Natur der ÖVP zu beauftragen. Denn – wie wir immer schon wußten –: Die ÖVP ist in Wirklichkeit nicht viel besser als die FPÖ. Seit 4. Februar haben das auch viele andere endlich kapiert – die ÖVP hat ihre wahre Fratze gezeigt. Überdies ist die ÖVP in den letzten Monaten zusätzlich noch total verhaidert. So meinte etwa Andreas Khol in einer Bemerkung im Parlament, Schüssel-Vorgänger Dollfuß, der Austrofaschist, der 1934 die demokratischen Parteien verboten hatte, sei ein Demokrat gewesen. Endlich entlarven sich Khol & Co, wes Geistes Kind sie in Wahrheit sind. Mit der neuen Regierungskonstellation treten die christlich-sozialen Wurzeln der ÖVP im Austrofaschismus wieder deutlicher ins Bewußtsein. Wurzeln, die man schon fast vergessen hat. Daher muß das Gebot der Stunde heißen: Wachsam sein – auch und gerade gegenüber der ÖVP! Den autoritären Anwandlungen von Khol & Co entschlossenen Widerstand entgegensetzen!

Der Bericht des EU-Weisenrats – wenn er seriös erstellt werden und keine reine Alibiübung sein soll – scheint jedenfalls keine gemähte Wiese zu sein, da könnte es noch allerlei böse Überraschungen geben. Hochgradig lächerlich und unseriös ist es jedenfalls, daß die Regierung meint, der Weisenrat müsse jetzt innerhalb eines Monats den Bericht erstellen (am liebsten im August, wenn die Politik ohnehin Pause macht und daher weniger Fehltritte passieren können) und im September bereits vorlegen, ansonsten die Volksbefragung durchgeführt werde.

Einen seriösen Bericht zu erstellen wird wohl etwas länger dauern. Die HOSI Wien wird jedenfalls ihren Teil an Informationen über die Menschenrechtsverletzungen in Österreich an den Weisenrat übermitteln und auch um einen Gesprächstermin mit den Weisen ersuchen

Kurts Kommentar LN 3/2000

Nachträgliche Anmerkung

Für später Geborene: Mit Susi ist FPÖ-VIzekanzlerin Susanne Riess-Passer, mit Strolchi ÖVP-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gemeint.