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Chronologie des Kampfes und Lobbyings

Strafrechtsreform

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Seit ihrer Gründung im Jahre 1979 war die HOSI Wien federführend gewesen im Kampf gegen die damals noch vier lesben- und schwulendiskriminierenden Sonderstrafbestimmungen (§§ 209, 210, 220 und 221).

Im Folgenden habe ich eine grobe Übersicht über die vielfältigen Aktivitäten und über wichtige Ereignisse im Kampf gegen § 209 zusammengestellt. Detaillierte Informationen bzw. Berichte zu den einzelnen Ereignissen finden sich in der Regel in der jeweils zeitlich folgenden Ausgabe der LN. Auf entsprechende Verweise habe ich daher verzichtet.

 

Für die Geschichte im Kampf gegen die vier Paragraphen wichtige allgemeine Ereignisse werden in kursiver Schrift berichtet. 

 

1980

29. Jänner: HOSI Wien konstituiert sich.

März: Briefe an die Kandidaten zur Bundespräsidentenwahl, Rudolf Kirchschläger und Wilfried Gredler.

14. Mai: Erster Politikerbesuch in der Geschichte der HOSI Wien: bei Frauenstaatssekretärin Johanna Dohnal (SPÖ); 1980 folgen noch Gespräche mit ÖVP-Vizebürgermeister Erhard Busek und ÖVP-Frauenbundvorsitzender Marilies Flemming.

Juni: Gemeinsames Manifest – „Für eine neue Liebesunordnung“ – von rund 35 Alternativgruppen, die an den Wiener Festwochen alternativ teilnehmen; Beginn einer Unterschriftenaktion gegen die vier Paragraphen.

 

1981

28. August: Demo vor der österreichischen Botschaft in Stockholm im Rahmen der schwul/lesbischen Befreiungswoche.

Oktober: Proteste in Göteborg gegen die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Bruno Kreisky.

Dezember: Beginn einer Protestpostkartenaktion an österreichische Politiker: Kreisky, Justizminister Christian Broda (SPÖ), Innenminister Erwin Lanc (SPÖ) und ÖVP-Chef Alois Mock – über 3000 Karten (auch aus dem Ausland) treffen ein.

 

1982

1. Jänner: Legendäre Flitzer-Aktion beim Neujahrskonzert.

18. Februar: Aktionistische Störaktion am Opernball.

21. Mai: Kreisky ersucht aufgrund der Protestkartenaktion (600 sind bis dahin eingelangt) SPÖ-Klubobmann Heinz Fischer, mit den Klubobleuten der anderen Parteien parlamentarische Schritte prüfen zu wollen, und schlägt erstmals eine parlamentarische Enquete vor.

13. Juni: Protest bei Preisverleihung an Kreisky in Malmö.

25. Juni: Gespräch im Bundeskanzleramt mit Klaus Wiesmüller, Leiter des Ministerratsdienstes; Kreiskys Enquete-Idee von ÖVP und FPÖ bereits abgelehnt.

30. Juni: Gespräche mit Sepp Rieder und zwei weiteren Mitarbeitern des Justizministeriums sowie mit Innenminister Lanc.

7. Juli: Gespräch mit Frauenstaatssekretärin Dohnal.

22. September: Besuch bei Wiens Vizebürgermeisterin Gertrude Fröhlich-Sandner (SPÖ).

Herbst: Angesichts der bevorstehenden Nationalratswahl 1983 verschickt die HOSI Wien Fragebögen an die Parteien. Antworten von SPÖ und FPÖ.

 

1983

Februar: Gespräch mit Othmar Karas, damals ÖVP-Jugendfunktionär.

Frühjahr: RUDI KATZER kandidiert als offen Schwuler für die Alternative Liste Österreich, Vorläuferin der Grünen, für den Nationalrat – mit eigener Gloria-Plakatserie „Popolitik ist mehr“. Forderungen nach Streichung der Paragraphen werden ins ALÖ-Programm aufgenommen.

24. April: Kreisky verliert absolute Mehrheit; Fred Sinowatz bildet SP-FP-Regierung mit Norbert Steger.

Juli: ILGA-Jahreskonferenz in Wien – großer medialer Auftrieb für unsere Anliegen; Resolution an die Bundesregierung.

21. November: Gespräch mit Justizminister Harald Ofner (FPÖ).

 

1984

15. März: Gespräch mit Mitgliedern der Kommission, die die Regierungsvorlage zur anstehenden Strafrechtsreform ausarbeitet (Roland Miklau und Rieder vom Justizministerium und SP-Abgeordnetem Reimar Gradischnik).

Frühjahr: Zusammenstellung einer 300 Seiten starken Dokumentation mit Argumentationsunterlagen gegen die Paragraphen – zum Einsatz bei Politikergesprächen. HOSI Wien trifft mit SJÖ-Chef Alfred Gusenbauer, der Jungen ÖVP, Vizebürgermeister Busek (ÖVP) und VP-Frauenchefin Flemming zusammen.

April: Bundeskonferenz der Jungen Generation der SPÖ beschließt Antrag auf ersatzlose Streichung der Paragraphen.

12. Mai: Landeskonferenz der SJ Wien verabschiedet gleichen Antrag.

 

1985

„Die Bemühungen der HOSI Wien, auf politischer Ebene eine Abschaffung der vier Sonderparagraphen zu erreichen, sind an einem toten Punkt angelangt“, schreiben die LAMBDA-Nachrichten 4/1985 (S. 6). Die Idee einer Verfassungsklage („Individualbeschwerde“) gegen § 209 wird ventiliert. Ab 1985 ergibt sich eine neue Priorität, die viele Ressourcen des Vereins bindet: AIDS. Das sollte sich in den nächsten Jahren noch verstärken.

 

1986

Frühjahr: Befragung der KandidatInnen für die Bundespräsidentenwahl. Gespräche mit Freda Meissner-Blau und Kurt Steyrer. Kurt Waldheim verweigert.

12. März: Verfassungsbeschwerde gegen § 209 wird eingereicht. In den nächsten drei Jahren sollte auf ihr das Hauptgewicht der HOSI-Wien-Bemühungen um eine Reform liegen.

23. November: Nationalratswahlen; die Ära der großen Koalition unter Franz Vranitzky beginnt; die Grünen ziehen erstmals in den Nationalrat ein.

 

1987

HOSI-Wien-Jugendgruppe tritt in Kontakt mit 21 relevanten Jugendorganisationen; Besuche bei Udo Jesionek, Präsident des Jugendgerichtshofs in Wien, beim grünen Klub im Parlament und im Justizministerium, bei FP-Justizsprecher Harald Ofner, SPÖ-Zentralsekretär Heinrich Keller sowie einer Mitarbeiterin von Familienministerin Flemming (ÖVP).

November: Nach zehnjähriger Pause liegt dem Nationalrat wieder einmal ein größeres Strafrechtsänderungsgesetz zur Beschlussfassung vor. Die vier Paragraphen stehen nicht zur Debatte. Die HOSI Wien protestiert mit einem offenen Brief an alle Abgeordneten, den Bundeskanzler und die Justiz-, Innen- und FamilienministerInnen. Ausweichende Antworten von SPÖ und FPÖ, keine von der ÖVP.

 

1988

Jänner: Gespräch mit ÖVP-Justizsprecher Michael Graff (1937–2008).

11. März: Der am 14. Oktober 1987 vom Verfassungsgerichtshof gefasste Beschluss, die Individualbeschwerde gegen § 209 aus formalen Gründen zurückzuweisen, langt beim Anwalt der HOSI Wien ein.

Frühjahr: Der Entwurf des Justizministeriums für ein Jugendgerichtsgesetz 1988 sieht die Herabsetzung der Altersgrenze im § 209 auf 16 Jahre und die Aufhebung des § 210 vor; Ministerin Flemming legt, nachdem ein Bischof bei ihr angerufen hatte, ihr Veto im Ministerrat ein; der Entwurf des Justizministeriums, der sogar schon gedruckt worden ist, wird nicht zur Regierungsvorlage, obwohl die Justizsprecher aller Parlamentsparteien in Gesprächen mit der HOSI Wien ihre Zustimmung zu dieser Teilreform erklärt hatten; in der ÖVP konnte sich aber Graff gegen Flemming nicht durchsetzen.

21. September: Gespräch mit der designierten Generalsekretärin der FPÖ, Heide Schmidt.

20. Oktober: Protestaktion des Rosa Wirbels mit Flugblättern und Transparenten auf der Besuchergalerie des Parlaments. Anlass: Debatte über die Novellierung des Jugendgerichtsgesetzes. Das Strafmündigkeitsalter beim § 209 wird auf 19 Jahre hinaufgesetzt. Ein 18-Jähriger macht sich dadurch nach § 209 nicht mehr strafbar.

15. November: Verfassungsbeschwerde gegen § 209 wird neuerlich eingebracht.

1. Dezember, Welt-AIDS-Tag: Rosa Wirbel besetzt Flemmings Ministerbüro und erzwingt nach vier Stunden ein Gespräch mit ihr.

7. Dezember: Offizielles Gespräch zwischen Flemming und HOSI Wien: ÖVP-Bundesparteivorstand habe die Sache inzwischen besprochen: Man werde einer Aufhebung des § 210 zustimmen; sie würde sich auch einer Streichung der §§ 220 und 221 nicht entgegenstellen, diese stünde aber momentan nicht zur Debatte, eine Senkung des Schutzalters wolle sie um jeden Preis verhindern; den anderen Parteien sei das auch gar kein Anliegen, die würden sich jetzt auf sie ausreden; der Justizminister (damals der parteilose Beamte Egmont Foregger), „der feige Hund“ (O-Ton Flemming), möge es doch laut in der Öffentlichkeit sagen, dass er das Schutzalter herabsetzen will!

31. Dezember: ILGA-Konferenz in Amsterdam: Rund 30 AktivistInnen blockieren den Holland-Wien-Express am Zentralbahnhof aus Protest gegen die österreichische Gesetzeslage.

 

1989

28. Februar: Der Österreichische Bundesjugendring verabschiedet einen Aufruf an die Bundesregierung und die Abgeordneten zum Nationalrat zur Reform der Paragraphen.

28. Februar: Die Grünen bringen einen Antrag auf Streichung der Paragraphen im Nationalrat ein; dieser wird dem Justizausschuss zugewiesen; dessen Vorsitzender Graff verhindert, dass der Antrag auf die Tagesordnung gesetzt wird.

27. April: § 210 wird im Zuge einer Novellierung des Sexualstrafrechts aufgehoben. Der ÖVP-Bundesparteivorstand hat dem Justizsprecher verboten, über die §§ 220 und 221 auch nur zu diskutieren; von § 209 ist sowieso längst keine Rede mehr; ein Zusatzantrag der Grünen auf Herabsetzung des Mindestalters auf 16 und Streichung des § 221 wird von SPÖ, ÖVP und FPÖ abgelehnt.

Frühsommer: Das Jubiläum „10 Jahre HOSI Wien“, die „Warme Woche“ sowie der ILGA-Weltjahreskongress bringen die Anliegen der HOSI Wien wieder massiv in die Medien, u. a. in den Club 2.

18. September: Eine von 20 Jugendorganisationen und etlichen anderen Institutionen unterzeichnete Petition für die Streichung der Paragrafphen wird durch die SP-Abgeordnete Waltraud Horvath im Petitionsausschuss des Nationalrats eingebracht.

7. November: Petition wird im zuständigen Ausschuss behandelt und dem Justizausschuss zugewiesen.

14. November: Auf einer Podiumsdiskussion auf der Uni Wien erklärt FP-Justizsprecher Ofner: „In einem Jahr wird es die hier besprochenen drei Bestimmungen nicht mehr geben!“

13. Dezember: Horvath und Genossin Brigitte Ederer bringen im Nationalrat einen Antrag auf ersatzlose Streichung der drei Paragraphen ein. Damit legt sich die SPÖ erstmals definitiv fest.

 

1990

2. Februar: Die schriftliche Ausfertigung des am 3. Oktober 1989 vom Verfassungsgerichtshof getroffenen Erkenntnisses in der Individualbeschwerde gegen § 209 langt beim Anwalt ein: Laut VfGH ist § 209 nicht verfassungswidrig.

19. April: Gespräch mit FPÖ-Justizsprecher Harald Ofner.

Ende Juni: Schreiben der HOSI Wien an alle Abgeordneten mit Kurzinformation über die Rechtslage und die Reformforderungen.

Frühsommer: ÖVP-Justizsprecher Graff hat die Behandlung der Anträge von Grünen und SPÖ sowie der Petition der Jugendorganisationen durch den Justizausschuss erfolgreich verhindert. Durch die Auflösung des Nationalrats verfallen sie. Für die Wahlen am 7. Oktober ruft daher die HOSI Wien zur Nichtwahl der ÖVP auf – die ÖVP wird 17 Mandate verlieren.

18. September: Urteil des Landesgerichts Wien: Mehrere Publikationen der HOSI Wien werden nach dem Mediengesetz wegen Verstoßes gegen § 220 eingezogen. Internationale Flut von Protesten an Justizminister Egmont Foregger und (nach der Regierungsneubildung) Nikolaus Michalek. Diese Verurteilung sollte der Auslöser dafür werden, dass sich die Parteien ernsthaft mit der Streichung zumindest der §§ 220 und 221 befassen.

7. Oktober: ÖVP und FPÖ erringen zwar eine Mehrheit gegenüber SPÖ und Grünen, aufgrund ihrer starken Verluste kann die ÖVP als zweitstärkste Partei jedoch schlecht eine schwarz-blaue Koalition eingehen; die große Koalition wird fortgesetzt.

19. Oktober: HOSI Wien fordert das Koalitions-Verhandlungsteam von SPÖ und ÖVP auf, die Paragraphenreform in die Koalitionsvereinbarung aufzunehmen – vergeblich.

31. Oktober: Gespräch mit Frauenstaatssekretärin Dohnal.

27. November: Podiumsdiskussion auf der Uni Wien mit ParteienvertreterInnen (SP-Abgeordnete Schütz, vormals Horvath; Harald Ofner und Sonja Puntscher-Riekmann von den Grünen).

9. Dezember: Grüne Alternative richtet mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Homosexualität die erste schwul-lesbische Gruppe innerhalb einer Partei ein.

10. Dezember: Gespräch mit Heide Schmidt (FPÖ), später 3. Nationalratspräsidentin.

 

1991

Februar: Dohnal, inzwischen Frauenministerin, spricht sich als erstes Regierungsmitglied für eine Reform aus; die Beschlagnahme der LAMBDA-Nachrichten sieht sie als Anlassfall für Handlungsbedarf; sie nimmt Gespräche mit dem Justizminister und SP-Justizsprecherin Elisabeth Hlavač auf.

6. März: Die Paragraphen stehen auf der Tagesordnung des Justizausschusses; alle vier Parteien scheinen sich einig, die §§ 220 und 221 zu streichen; § 209 bleibt bei der ÖVP umstritten. SPÖ, Grüne und FPÖ bestehen aber darauf, bei einer Reform auch den 209er mitzubehandeln; Fahrplan wird festgelegt: Versand der Gesetzesvorlage im Mai/Juni 1991, Behandlung im Parlament im Herbst 1991; Experten sollen zu § 209 angehört werden.

15. März: SP-Abgeordnete Schütz fordert in einer Nationalratsrede die Abschaffung der Paragraphen.

17. März: Justizminister Michalek erklärt im TV, dass § 220 gestrichen werden soll.

20. März: Gespräch mit ÖVP-Klubobmann Heinrich Neisser. Er selbst spricht sich nicht gegen die Streichung des § 209 aus, hat aber große Zweifel, seine Fraktion davon überzeugen zu können.

29. April: Im Medienverfahren gegen die HOSI Wien findet die Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Wien statt. Das erstinstanzliche Urteil wird in vier von sieben inkriminierten Punkten bestätigt.

16. Mai: Gemeinsame Pressekonferenz aus Anlass der Neueinbringung der Petition der Jugendorganisationen durch Waltraud Schütz (SPÖ) mit dieser sowie Harald Ofner (FPÖ) und Grünen-Justizsprecherin Terezija Stoisits.

24. Mai: Gespräch im Justizministerium (Sektionschef Miklau, Ministerialrat Harald Tiegs); es wird klar, dass das Justizministerium nur eine im Nationalrat konsensfähige Vorlage zur Reform vorschlagen wird.

5. September: Gespräch mit dem Pressesprecher von Gesundheitsminister Harald Ettl (SPÖ). Das Ministerium wird später eine der deutlichsten Stellungnahme pro ersatzlose Streichung aller drei Paragraphen abgeben.

10. Oktober: Gespräch mit Flemmings Nachfolgerin als Familienministerin, Ruth Feldgrill-Zankel (ÖVP); sie werde die Streichung des § 209 von sich aus nicht in den Gesetzesentwurf hineinreklamieren, sich aber im Fall des Falles neutral verhalten.

Oktober: Vizekanzler Busek (ÖVP) verweigert jedes Gespräch. Graff erklärt im Telefongespräch die Position der ÖVP: dass § 209 unverändert bestehen bleibe, sei unverrückbar; man müsse sich mit der Aufhebung der §§ 220 und 221 in dieser Legislaturperiode zufriedengeben; Gespräch mit ÖVP-Generalsekretärin Ingrid Korosec (am 23. ) – sie spricht sich vorbehaltlos für die Streichung des § 209 aus und wolle in diesem Sinn in der ÖVP Überzeugungsarbeit leisten.

10. November: Wiener Gemeinderatswahlen; ein überparteiliches Personenkomitee ruft zur Nichtwahl der ÖVP auf.

November/Dezember: Gespräche mit SP-Justizsprecherin Hlavač (5. 11. ), SP-Abgeordneter Ilona Graenitz und Mitarbeitern Sozialminister Josef Hesouns (SPÖ).

Dezember: Der Entwurf für ein Strafrechtsänderungsgesetz (STRÄG) wird mit halbjähriger Verspätung vom Justizministerium endlich zur Begutachtung ausgeschickt – er sieht in der Tat nur die Streichung der §§ 220 und 221 vor, der § 209 wird dem Parlament zur Diskussion empfohlen; HOSI Wien wird zur Stellungnahme eingeladen – erstmals gibt damit eine Lesben- und Schwulenorganisation offiziell im Begutachtungsverfahren zu einer Gesetzesreform eine Stellungnahme ab; HOSI Wien schreibt an 43 Institutionen, die zur Begutachtung des Entwurfs für das STRÄG 1992 eingeladen wurden, um auch sie zu einer positiven Stellungnahme hinsichtlich der ersatzlosen Streichung des § 209 zu bewegen.

5. Dezember: Debatte im Nationalrat. SPÖ, Grüne und FPÖ urgieren abermals die Reform aller drei Paragraphen.

 

1992

Jänner: HOSI Wien übermittelt ihre Stellungnahme ans Justizministerium. Begutachtungsfrist endet am 31. Jänner. Die Auswertung der Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren zeigt die erwartete Polarisierung. Entgegen ihrer Aussage, sich neutral zu verhalten, hat sich Feldgrill-Zankel vehement gegen die Streichung der Paragraphen ausgesprochen. Die Medien greifen in der Folge das Thema verstärkt und positiv auf.

Frühjahr: Die LN befragen die vier KandidatInnen für die Bundespräsidentenwahl. Rudolf Streicher, Heide Schmidt und Robert Jungk sprechen sich für die ersatzlose Streichung aller drei Paragraphen aus. Thomas Klestil gibt keine konkrete Antwort, meint aber, angesichts der gegebenen Situation könne er sich eine Abschaffung des § 209 nicht vorstellen.

Mai: Eine nicht von der HOSI Wien betreute Beschwerde gegen § 209 bei der Europäischen Menschenrechtskommission wird als nicht zulässig abgewiesen – der Staat übertrete mit dieser Bestimmung seinen ihm durch die Menschenrechtskonvention eingeräumten Ermessensspielraum nicht; damit wird die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs aus 1989 bestätigt; die Lesben- und Schwulenbewegung hat um teures Geld (rund eine halbe Million Schilling, wovon die HOSI Wien im Verfahren bis zum VfGH rund S 350. 000 aufgebracht hat) ihren Gegnern die beste Munition gegen die Streichung des § 209 geliefert – und diese wird in der weiteren Diskussion von ÖVP-PolitikerInnen noch oft gegen dieses Anliegen eingesetzt werden.

22. Mai: ÖVP-Obmann und Wissenschaftsminister Busek präsentiert die Studie „Jugendsexualität und AIDS“; Aktivisten verteilen ein Flugblatt, Die ÖVP hat Blut an den Händen!, auf dem die Streichung aller Paragraphen gefordert wird; ACT UP Wien startet Postkartenaktion an Busek und Korosec und unterstreicht die Wichtigkeit der Streichung des § 209 in Zusammenhang mit der AIDS-Prävention.

Frühjahr/Sommer: Durch die Kontroverse um die zu ändernden Bestimmungen im Verkehrsstrafrecht verzögert sich die Behandlung der Regierungsvorlage für das STRÄG 1992 im Nationalrat; die Ablehnungsfront in der ÖVP gegen eine Änderung beim § 209 bleibt aufrecht und greift auf die §§ 220 und 221 über: Der entsprechende Fachausschuss der ÖVP, in dem die Landesparteien, Bünde und Verbände vertreten sind, spricht sich jetzt sogar mehrheitlich für die Beibehaltung aller drei Paragraphen aus.

23. September: HOSI-Wien-VertreterInnen treffen mit Bundeskanzler Franz Vranitzky zusammen. Erstmals in der Geschichte empfängt ein österreichischer Regierungschef VertreterInnen der Lesben- und Schwulenbewegung.

November: Aufhebung des § 209 wird neuerlich in den Medien diskutiert, Anlass ist die Fertigstellung des Michalek-Entwurfs für das STRÄG (mittlerweile) 1993.

25. November: Maria Rauch-Kallat (ÖVP) löst Feldgrill-Zankel als Familienministerin ab.

 

1993

29. Jänner: Gespräch mit der SP-Abgeordneten Doris Bures.

10. Februar: Gespräch mit Vranitzky-Sekretär Thomas Drozda.

22. März: Gespräch mit SP-Klubobmann Willi Fuhrmann; um die ÖVP-Widerstände zu überwinden, spricht sich Fuhrmann für eine Expertenanhörung im Justizausschuss oder in einem eigenen Unterausschuss aus; ohne ÖVP gehe nichts; SPÖ sei an die Koalitionsvereinbarung gebunden und könne nicht gegen die ÖVP stimmen.

10. Mai: Eine Arbeitsgruppe aus VertreterInnen von Familien-, Justiz- und Gesundheitsministerium lädt zur Expertendiskussion über den § 209 ein. GUDRUN HAUER vertritt die HOSI Wien. Auf Beamtenebene kaum Widerstände gegen die Streichung.

24. August: Dritter „offizieller“ HOSI-Wien-Besuch bei Heide Schmidt – sie ist jetzt Chefin des neugegründeten Liberalen Forums (LiF).

20. September: Gespräch mit einer Mitarbeiterin von Familienministerin Rauch-Kallat.

Oktober/November: Die Diskussion des Entwurfs für ein LiF-Parteiprogramm bringt das Thema Homosexualität wieder massiv in die Medien.

7. Dezember: Gespräch mit Bruno Aigner, Sekretär von Nationalratspräsident Heinz Fischer.

 

1994

24. Februar: Anti-ÖVP-Aktion bei der Gala-Premiere des Films „Philadelphia“ in Wien, bei der Busek den Ehrenschutz übernommen hat. Die ÖVP hat Blut an den Händen-Flugblätter werden verteilt.

22. März: Der Entwurf des Justizministeriums für das STRÄG (jetzt) 1994 passiert endlich den Ministerrat, nachdem die umstrittenen Bestimmungen zum Verkehrsstrafrecht aus dem Entwurf genommen worden waren. Der Inhalt entspricht dem Stand der Dinge der letzten drei Jahre: Streichung der §§ 220 und 221 (Schüssel stimmt als Wirtschaftsminister zu, woran er sich später als ÖVP-Obmann offenbar nicht mehr erinnert; siehe später unter 8. 7. 1995); die Aufhebung des § 209 ist nicht vorgesehen, wird dem Parlament aber deutlich ans Herz gelegt, da sich u. a. die Mehrzahl der begutachtenden Stellen, die interministerielle Arbeitsgruppe sowie die angehörten Sachverständigen (vgl. 10. 5. 1993) einhellig für die ersatzlose Streichung ausgesprochen haben.

7. April: Anti-ÖVP-Aktion im Wiener Schauspielhaus.

12. April: Der Justizausschuss befasst sich erstmals mit der Regierungsvorlage; Fronten sind verhärtet; keine Änderung des § 209 laut ÖVP-Graff.

9. Juni: Justizausschussvorsitzender Graff torpediert erfolgreich eine rechtzeitige Behandlung des STRÄG vor der Sommerpause und damit vor dem Ende der Legislaturperiode. Die SPÖ setzt dem nichts entgegen und scheut sich selbst drei Monate vor den Neuwahlen, die Koalitionsvereinbarung zu brechen und gegen die ÖVP zu stimmen. SPÖ, Grüne und LiF haben seit der Abspaltung des LiF von der FPÖ im Frühjahr 1993 eine Mandatsmehrheit im Nationalrat und hätten in diesem Zeitraum die Paragraphen zu Fall bringen können. Wegen der Koalitionstreue der SPÖ wird diese einmalige Chance nicht genützt; bei den Wahlen im Oktober 1994 wird diese fortschrittliche Mehrheit der Ampelparteien verlorengehen – und bis heute nicht mehr zurückgewonnen.

14. September: Die Enttäuschung über den mangelnden Einsatz der SPÖ und den Verrat schwul/lesbischer Interessen veranlasst die HOSI Wien, in einer Pressekonferenz eine eindeutige Wahlempfehlung contra ÖVP, FPÖ und SPÖ und pro Grüne und LiF abzugeben.

9. Oktober: Das Wahlergebnis ist zwar in Sinne der Wahlempfehlung – LiF und Grüne gewinnen, die ÖVP verliert –, aber es bleibt alles beim alten: keine Ampelmehrheit, die große Koalition wird fortgesetzt, die Reform der drei Paragraphen wird im Koalitionsabkommen nicht erwähnt.

16. November: Aktion Standesamt im Wiener Rathaus. Medien werden wieder für die Anliegen mobilisiert, Politikerkontakte (mit Volker Kier vom LiF und Terezija Stoisits, Grüne) werden auch für die Paragraphenreform genützt.

1. Dezember, Welt-AIDS-Tag: Anti-ÖVP-Aktion bei einer AIDS-Enquete, über die Familienministerin Rauch-Kallat (ÖVP) den Ehrenschutz übernommen hat.

12. Dezember: Gespräch mit SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka.

 

1995

30. Jänner: HOSI Wien und ACT UP Wien fordern einen ÖVP-freien AIDS-Life-Ball am 6. Mai.

9. Februar: Gespräch mit einer Mitarbeiterin von Familienministerin Sonja Moser (ÖVP).

2. März: SP-Staatssekretärin Brigitte Ederer spricht sich für die Streichung der drei Paragraphen aus.

27. März: In einer Presseaussendung zum Fall Groër wird erstmals mit einem Bischofsouting gedroht, sollte die Kirche weiter so massiv gegen die Streichung der Paragraphen intervenieren.

April: Die Neueinbringung der Regierungsvorlage für das STRÄG (nunmehr) 1995 lässt auf sich warten. HOSI Wien und das im Februar 1995 gegründete Österreichische Lesben- und Schwulenforum (ÖLSF) schlagen daher vor, die Parteien, die ohnehin für die Aufhebung der drei Paragraphen eintreten, aufzufordern, nicht aufs Justizministerium zu warten, sondern selbst entsprechende Initiativanträge einzubringen; entsprechendes Lobbying geschieht.

17. Mai: HOSI-Wien-Gespräch mit der neuen ÖVP-Generalsekretärin Rauch-Kallat.

31. Mai: LiF, SPÖ und Grüne bringen eigene, aber idente Anträge für die ersatzlose Streichung der drei Paragraphen ein.

9.–12. Juni: Das ÖLSF veranstaltet in Wien mit HOSI-Wien-Unterstützung ein internationales Menschenrechtstribunal über 50 Jahre Unterdrückung von Lesben und Schwulen.

Juni: ÖVP-Klub beschließt in einer Klubsitzung, einer Streichung des § 209 nicht zuzustimmen; Der WIENER berichtet über das geplante Bischofsouting, was erste Wirkung zeitigt:

4. Juli: Der Sekretär der Bischofskonferenz kündigt an, dass sich die katholische Kirche nicht mehr gegen die Aufhebung der drei Paragraphen stellen und dies auch der ÖVP mitteilen wird.

Anfang Juli: Die Ampel-Anträge stehen auf der Tagesordnung des Justizausschusses am 6. 7.; SPÖ und ÖVP haben sich in einem Vorgespräch auf die Einsetzung eines Unterausschusses – eine klare Verzögerungstaktik – geeinigt, um ExpertInnen anzuhören; konzertiertes Lobbying der Bewegung in der Woche vor der Sitzung des Justizausschusses kann die Einsetzung des Unterausschusses nicht verhindern.

7. Juli: Als Reaktion auf dieses Hinhaltemanöver wird nun das Bischofsouting – allerdings durch eine unabhängige Gruppe und nicht durch die HOSI Wien – definitiv für den 1. August angekündigt.

8. Juli: ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel erklärt laut Wiener Zeitung, dass die ÖVP einer Senkung des Mindestalters ebensowenig zustimmen werde wie einer Freigabe der Werbung im Homosexuellenbereich – und das, bevor noch irgendein Experte überhaupt gehört wird. SP-Abgeordneter Guggenberger bezeichnet das als Frotzelei, Schüssel degradiere die Arbeit des Unterausschusses zur Beschäftigungstherapie; Der Standard berichtet ausführlich über die Outingdrohung.

11. Juli: Ein vom LiF eingebrachter Fristsetzungsantrag zur zeitlichen Begrenzung der diesbezüglichen Arbeit des Unter- und Justizausschusses findet keine Mehrheit im Nationalratsplenum.

1. August: Das Bischofsouting erfolgt unter enormem Interesse in- und ausländischer Massenmedien; die Weltöffentlichkeit erfährt von den drei anti-homosexuellen Sonderparagraphen in Österreich, wo die Berichterstattung mehrere Wochen andauert.

22. August: Justizminister Michalek legt endlich den Entwurf für das STRÄG 1995 dem Ministerrat vor. Die drei Paragraphen fehlen absichtlich darin, weil es ja ohnehin die Initiativanträge der Ampel-Parteien gibt. ÖVP-Abgeordneter Andreas Khol besteht darauf, dass auch die Erläuterungen zu den drei Paragraphen aus der Regierungsvorlage gestrichen werden – darin spricht sich ja das Ministerium für deren Streichung aus. Die ÖVP will keine positive Stellungnahme der gesamten Regierung. Khol setzt sich durch seine Drohung, die ÖVP werde die gesamte Vorlage ablehnen, durch.

29. August: Es wird bekannt, dass die Europäische Menschenrechtskommission in Straßburg eine weitere Beschwerde gegen § 209 abgewiesen hat – weitere Munition für die ÖVP. In einer Presseaussendung kritisiert die HOSI Wien diese Entscheidung scharf. In der Folge schreibt sie dem Präsidenten der Europäischen Menschenrechtskommission, um ihm diese Kritik an der Entscheidung zu übermitteln. Die Urteilsschelte ergeht in Kopie an den damaligen stellvertretenden Generalsekretär des Europarats, den Österreicher Peter Leuprecht. Der Sekretär der Kommission teilt daraufhin mit, dass sowohl der scheidende Präsident, Carl Aage Nørgaard [1924–2009], als auch der neue, Stefan Trechsel, das Schreiben zur Kenntnis genommen haben, aber weder zu diesem noch zur Entscheidung der Kommission Stellung nehmen wollen bzw. können (vgl. LN 4/1995, S.25 ff). Zwei Jahre später sollte es Wirkung zeigen. Siehe späteren Eintrag für den 13. Oktober 1997.

Spätsommer/Herbst: Im ersten Outing-Schock schlagen einige ÖVPler eine Senkung auf 16 vor, z. T. bei gleichzeitiger Anhebung auch für heterosexuelle Handlungen.

2. Oktober: ÖVP-Klub hört sich bei einer klubinternen Sitzung sechs von ihr geladene ExpertInnen an.

9. Oktober: 7-köpfige Delegation der Bewegung, darunter WALTRAUD RIEGLER und ich als VertreterInnen der HOSI Wien, spricht bei Nationalratspräsident Heinz Fischer (SPÖ) vor. Für diese Gelegenheit wurde das Hausverbot aufgehoben, das die Parlamentsdirektion wegen meiner Outing-Aktion gegen Michael Graff über mich verhängt hatte (ich hatte am 20. September 1995 entsprechende Flugblätter von der Besuchergalerie ins Nationalratsplenum geworfen).

10. Oktober: Expertenanhörung im Unterausschuss. HOSI-Wien-Obfrau WALTRAUD RIEGLER ist eine der geladenen Auskunftspersonen – ebenfalls eine Premiere im österreichischen Parlamentarismus. Die ExpertInnen sprechen sich fast einhellig für die ersatzlose Streichung aller drei Paragraphen aus. Vor dem Parlament findet eine „Menschenkette für Menschenrechte“ statt, an der sich auch die HOSI Wien beteiligt.

12. Oktober: Schüssel lässt die große Koalition platzen, der Nationalrat wird aufgelöst, bevor eine Abstimmung möglich ist.

November: Um noch einige wichtige Beschlüsse verabschieden zu können, tritt der Nationalrat zu einer einwöchigen Sondertagung zusammen. Die Ampelparteien versuchen, durch Fristsetzungsanträge die Streichung der Paragraphen auf die Tagesordnung dieser Sondertagung setzen zu lassen. Die Anträge werden aber am 13. November von ÖVP und FPÖ niedergestimmt, sodass es auch in dieser Legislaturperiode zu keiner Abstimmung über die drei Paragraphen kommt.

November/Dezember: Die Reform wird prominentes Thema im Wahlkampf für die Wahlen am 17. Dezember, für die die offene Lesbe ULRIKE LUNACEK bei den Grünen an vorderer Stelle kandidiert; das 5. Österreichische Lesben- und Schwulenforum hatte Ende Oktober in Linz bereits eine Wahlempfehlung verabschiedet: für die Ampel, gegen ÖVP und FPÖ.

1. Dezember: Der traditionelle Fackelzug zum Welt-AIDS-Tag stoppt unterwegs für eine Kundgebung vor der ÖVP-Parteizentrale.

4. Dezember: Die Schrecksekunde der Bischofskonferenz nach der Outing-Drohung (siehe 4. 7. ) ist vorbei. Bischof Küng veröffentlicht eine nur für den Fall der Abstimmung im Parlament bereits im Herbst vorbereitete Erklärung, in der sich die Bischofskonferenz gegen die Streichung der §§ 209 und 220 ausspricht. Da eine Abstimmung nicht ansteht, handelt es sich hier offenbar um schlecht getarnte Wahlkampfunterstützung für die ÖVP.

5. Dezember: Pressekonferenz über die Wahlempfehlung der Bewegung wird zu einer Pressekonferenz zur Kritik an den Bischöfen; HOSI Wien sendet zudem Presseaussendung aus.

17. Dezember: Die Wahlen bringen leider keine andere Parlamentsmehrheit, es bleibt bei der schwarz-blauen Mehrheit, die große Koalition regiert weiter.

 

1996

9. Jänner: Schreiben an SPÖ-Vorsitzenden Franz Vranitzky, die Aufhebung der Paragraphen unbedingt im Koalitionsabkommen zu verankern.

15. Jänner: Der neue Nationalrat wird angelobt, die 20. Gesetzgebungsperiode beginnt; gleich am ersten Tag bringen SPÖ, Grüne und LiF ihre Anträge auf ersatzlose Streichung der §§ 209, 220 und 221 neuerlich ein; die Lesben- und Schwulenbewegung räumt dem Nationalrat eine 100-Tages-Frist ein.

31. Jänner: LiF bringt Antrag ein, die Abstimmung über die Paragraphenreform bis 31. Mai über die Bühne zu bringen; dieser wird von den Regierungsparteien abgelehnt, die einen Antrag verabschieden, der dem Justizausschuss eine Frist zur Berichterstattung bis 1. November einräumt.

7. März: Der neue Koalitionspakt zwischen SPÖ und ÖVP wird geschlossen – die Paragraphenreform wird darin ausdrücklich als Materie für den koalitionsfreien Raum berücksichtigt.

30. März: ULRIKE LUNACEK, die den Einzug in den Nationalrat nicht geschafft hat, wird zur neuen Bundesgeschäftsführerin der Grünen bestellt – als erste offen lesbische Politikerin Österreichs wird sie von den Medien ständig zur Reform befragt.

2. April: HOSI Wien fordert auf einer Pressekonferenz auch dieses Jahr einen ÖVP-freien AIDS-Life-Ball.

21. April: Generalversammlung der HOSI Wien ruft in einer Resolution alle OrganisatorInnen von Benefizveranstaltungen zugunsten von HIV- und AIDS-Betroffenen auf, keine VertreterInnen der ÖVP offiziell einzuladen bzw. ihnen keinen Ehrenschutz oder sonstige offizielle Funktionen anzubieten.

23. April: Andreas Khol (ÖVP) lanciert den Vorschlag, das „Schutzalter“ für lesbische Beziehungen auf 16 hinaufzusetzen.

24. April: 100-Tages-Frist läuft ab; wie angekündigt, organisiert die HOSI Wien eine internationale Protestkampagne; hunderte Proteste treffen in der Folge bei Schüssel, Vranitzky und Fischer ein.

30. April: HOSI Wien schickt einen offenen Brief an alle ÖVP-Abgeordneten und protestiert gegen jegliche Versuche, die Gesetzeslage zu verschärfen – für den 8. Mai ist nämlich eine Klubklausur u. a. zu diesem Thema angesetzt.

8. Mai: Die Klubklausur der ÖVP bringt verhärtete Standpunkte: § 209 bleibt unverändert, für die §§ 220 und 221 sind nur kosmetische Änderungen vorgesehen.

Mai: Die Haltung der ÖVP beschert der Öffentlichkeit eine wochenlange Debatte über Homosexualität und die Paragraphen, wobei die Medien vorwiegend recht eindeutig auf der Seite der ReformerInnen stehen.

29. Juni: Österreichs Lesben- und Schwulenbewegung gibt ein kräftiges Lebenszeichen auf der Regenbogenparade von sich. Die HOSI Wien macht § 209 zu ihrem Schwerpunkt.

17. September: Das Europäische Parlament fordert in seiner Entschließung A4-0223/96 zur Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union 1994 die Mitgliedsstaaten auf, „jede Diskriminierung und Ungleichbehandlung von Homosexuellen zu beseitigen, vor allem in Hinblick auf die unterschiedlichen Altersgrenzen für die Billigung homosexueller Beziehungen und die Diskriminierungen im Bereich des Arbeits-, Straf-, Zivil-, Vertrags- und Wirtschafts- bzw. Sozialrechts“ (Ziffer 84). Es ist die erste derartige Entschließung nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union.

20. November: Der Justizausschuss des Nationalrats beschäftigt sich endlich mit den Anträgen der drei Ampelparteien auf ersatzlose Streichung aller drei Paragraphen; die ÖVP hat Anträge zur Verschärfung der §§ 220 und 221 und zur Beibehaltung des § 209 eingebracht; keiner der Anträge findet die nötige Mehrheit im Ausschuss – Grund: Auf Weisung des FPÖ-Klubobmanns Ewald Stadler darf Abschaffungsbefürworter Harald Ofner nicht in den Ausschuss. Außerdem meint Stadler: „Ich habe den Klub und Jörg Haider überzeugt.“ Keine Rede mehr von freiem Mandat und koalitionsfreiem Raum. Bis dahin haben sich immerhin mehr als zehn ÖVP- und FPÖ-Abgeordnete für eine ersatzlose Streichung ausgesprochen, was für eine Reformmehrheit gereicht hätte.

27. November: Debatte und Abstimmung im Plenum des Nationalrats. Der Abstimmung geht eine mehrstündige Debatte voran. Abgeordnete von ÖVP und FPÖ sprechen sich vehement gegen Streichung, Abgeordnete von SPÖ, LiF und Grünen leidenschaftlich dafür aus. Justizminister Michalek tritt ebenfalls nachdrücklich für die Streichung aller drei Paragraphen ein. Nach der Debatte wird über die Paragraphen einzeln abgestimmt. Der Antrag auf Streichung des § 209 findet mit 91:91 Stimmen keine Mehrheit. Nur Franz Morak (ÖVP) und Harald Ofner (FPÖ) stimmen gegen die Klublinie. § 209 bleibt bestehen. Ein Antrag der FPÖ auf Herabsetzung des Mindestalters im § 209 auf 16 Jahre scheitert ebenfalls.

Der Antrag auf Aufhebung des Werbeverbots (§ 220) findet eine denkbar knappe Mehrheit (90:89), weil zwei FPÖ-Abgeordnete die Abstimmung verpassen. Gegen die Aufhebung des Vereinsverbots (§ 221) stimmt nur die ÖVP, der Antrag wird mit großer Mehrheit (128 Stimmen) angenommen.

Die parlamentarische Auseinandersetzung mit den drei Paragraphen ruft tagelang großes Medienecho hervor.

28. November: Sowohl die Ampelparteien als auch die FPÖ bringen ihre jeweiligen Anträge zu § 209 neuerlich ein, sodass sie ab sofort wieder im Justizausschuss behandelt werden könnten.

29. November: Spontane, nur kurzfristig angekündigte Demonstration gegen § 209 in Wien.

12. Dezember: Auch der Bundesrat stimmt der Aufhebung der §§ 220 und 221 zu. Die Reform tritt am 1. März 1997 in Kraft.

 

1997

Jänner: Die SPÖ bildet ihre Regierungsmannschaft um. Viktor Klima löst Franz Vranitzky als Bundeskanzler ab.  Die HOSI Wien bemüht sich in der Folge um Gesprächstermine bei den neuen Regierungsmitgliedern.

19. Februar: HOSI Wien trifft mit Frauenministerin Barbara Prammer (SPÖ) zusammen.

3. März: Das Außenministerium lädt österreichische NGOs zu einem ersten Informationsgespräch über Aktivitäten anlässlich des von der UNO ausgerufenen Internationalen Menschenrechtsjahres 1998 ein. Die HOSI Wien deponiert ihre Forderung, die Menschenrechte von Lesben und Schwule gerade angesichts ihrer Situation in Österreich zu einem Schwerpunkt zu machen. Parallel dazu beginnt auch die interessierte NGO-Szene mit Vorbereitungstreffen für gemeinsame Aktivitäten. Die HOSI Wien wird an diesen Treffen, die weit über das Jahr 1998 hinausreichen werden, regelmäßig teilnehmen und ihre spezifischen Forderungen in dieser Plattform einbringen. Die Forderung nach Abschaffung des § 209 wird später in den gemeinsamen Forderungskatalog der NGOs aufgenommen.

18. März: Gespräch mit Justizminister Nikolaus Michalek.

3. April: Gespräch mit Sozialministerin Lore Hostasch (SPÖ).

8. April: Das Europäische Parlament stimmt über seine Entschließung A4-0112/97 zur Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union für das Jahr 1995, dem ersten Jahr der Mitgliedschaft Österreichs in der EU, ab. Die HOSI Wien hat im Vorfeld mit der Berichterstatterin, der deutschen Grünen Claudia Roth, Kontakt aufgenommen, sie über die österreichische Gesetzeslage informiert und gebeten, Österreich aufzufordern, die diskriminierenden Paragraphen abzuschaffen. Roth kommt diesem Ansinnen nach. Das EP stimmt mehrheitlich zu. In Punkt 140 der Entschließung wird Österreich namentlich „dringend ersucht“, § 209 aufzuheben. Es ist dies die erste Verurteilung Österreichs durch das EP. Sie wird sich bis zur Aufhebung des § 209 im Jahr 2002 in allen weiteren jährlichen Berichten des EP über die Achtung der Menschenrechte in der EU wiederholen (siehe dazu später bzw. die eigene Zusammenstellung dieser „Blauen Briefe“ an Österreich hier). Die grüne EP-Fraktion erwähnt Österreich in ihrer Presseaussendung ebenso wie Claudia Roth in ihrer Pressekonferenz nach der Abstimmung. Die Verurteilung Österreichs findet daher in vielen europäischen Tageszeitungen ihren Widerhall. Die HOSI Wien sorgt mit zwei Presseaussendungen am 7.  und 9. April für Medienecho im Inland.

9. April: Die Rüge durch das EP löst auch innenpolitische Kontroversen aus. Alle fünf Parlamentsparteien melden sich mit Presseaussendungen zu Wort. Die HOSI Wien nimmt die EP-Resolution zum Anlass, an die Klubobleute Kostelka, Khol und Haider zu schreiben und sie zu einem neuerlichen Anlauf zur Streichung des § 209 aufzufordern.

2. Mai: Die HOSI Wien fordert in einer Presseaussendung abermals einen ÖVP-freien und diesmal – aufgrund des Abstimmungsverhaltens der FPÖ am 27. 11. 1996 – auch FPÖ-freien Life-Ball.

28. Juni: Regenbogen-Parade über die Wiener Ringstraße.

28. Juli: In einem APA-Interview verlangt Justizminister Michalek abermals die Streichung des § 209.

September: Die Grünen bereiten ein neues Grundsatzprogramm vor. Ein erster Entwurf zur Stellungnahme wird ausgesandt. Lesbisch-schwule Anliegen kommen darin nicht vor. Die HOSI Wien übermittelt ihre Forderungen in Kurzform, darunter die Aufhebung des § 209.

13. Oktober: Nachdem die Europäische Menschenrechtskommission in ihrem bereits am 1. Juli erstellten Bericht in der Beschwerde 25186/94, Euan Sutherland gegen das Vereinigte Königreich, eindeutig und generell festgestellt, dass keinerlei objektive und vernünftige Rechtfertigung für die Beibehaltung eines höheren Mindestalters für homosexuelle als für heterosexuelle Handlungen bestehe, einigen sich die Parteienvertreter auf eine gütliche Lösung: Die britische Regierung akzeptiert die Entscheidung und wird dem Parlament eine Gesetzesvorlage zur Aufhebung der diskriminierenden Bestimmung vorlegen  (vgl. Bericht in den LN 1/1998, S. 50 f).

Die HOSI Wien sieht sich in ihrer Haltung, sich auf keinerlei Kompromiss beim § 209 einzulassen, bestärkt und ruft alle nach § 209 Verurteilten auf, den Gang nach Straßburg auf sich zu nehmen. Vgl. auch Aussendung der HOSI Wien vom 15. Oktober 1997.

28. Oktober: HOSI Wien trifft Innenminister Karl Schlögl (SPÖ).

6. November: Justizminister Michalek kündigt im Parlament auf Anfrage Heide Schmidts eine umfassende Reform des Sexualstrafrechts an, die von einer im Ministerium eingerichteten Expertengruppe vorbereitet werde. Die Reform solle auch die Senkung des Mindestalters im § 209 beinhalten. ÖVP-Justizsprecherin Maria Fekter droht daraufhin, die ÖVP werde sich aus dieser Expertengruppe zurückziehen.

10. Dezember: Das Nationalkomitee „Menschenrechtsjahr 1998“ konstituiert sich. Es besteht aus VertreterInnen diverser Ministerien, Landesregierungen, anderer offizieller Stellen sowie nichtstaatlicher Organisationen, darunter der HOSI Wien.

 

1998

20. Jänner: 100 Tage nach Veröffentlichung der Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission in der Beschwerde Sutherland gegen das Vereinigte Königreich fordert die HOSI Wien in einem offenen Brief Justizminister Michalek zum Handeln auf, darunter die sofortige Freilassung aller 209er-Gefangenen. Kopien ergehen an Vranitzky, Schüssel, ÖVP-Generalsekretärin Rauch-Kallat und die fünf Klubobleute.

21. Jänner: Der Standard veröffentlicht den offenen Brief der HOSI Wien im Wortlaut.

22. Jänner: Nationalratsdebatte anlässlich des Antrags der Grünen, gleichgeschlechtliche LebensgefährtInnen als Angehörige bei der Mitversicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung zu berücksichtigen. Grün-Abgeordnete Stoisits erwähnt auch § 209 und die Straßburger Entscheidung. Schon im Dezember zuvor hatte Michalek sie in Beantwortung ihrer parlamentarischen Anfrage auf die Arbeitsgruppe zur Reform des Sexualstrafrechts vertröstet. Die Plenardebatte zeigt einmal mehr die Trennungslinie: ÖVP und FPÖ sind vehement gegen jede Verbesserung, SPÖ, Grüne und LiF unterstützen die Forderungen der HOSI Wien.

17. Februar: Das Europäische Parlament stimmt über seine Entschließung A4-0034/98 zur Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union 1996 ab. Die HOSI Wien hat bereits im Sommer 1997 mit der Berichterstatterin, der französischen Kommunistin Aline Pailler, Kontakt aufgenommen, um sie über die österreichische Gesetzeslage zu informieren und sie aufzufordern, diese in ihrem Bericht anzusprechen. Dies geschieht abermals. In Punkt 69 der Entschließung wird Österreich erneut aufgefordert, § 209 aufzuheben. Diese Menschenrechtsverletzung wird auch in den Redebeiträgen im EP-Plenum angesprochen. Claudia Roth etwa weist in ihrer Wortmeldung die Aussagen ihres ÖVP-Kollegen Hubert Pirker zurück, der § 209 verteidigt. Die HOSI Wien meldet sich mit zwei Presseaussendungen am 16. Februar und am 17. Februar zu Wort.

23. März: Wissenschaftsminister Caspar Einem (SPÖ) ist Gast bei der Rosa Runde im HOSI-Zentrum.

16. April: Die Jugendbroschüre „Einfach Liebe“ wird in Wien präsentiert. § 209 wird u. a. von Jugendgerichtshofspräsident Udo Jesionek scharf kritisiert.

Ende April: Das Justizministerium schickt den Entwurf für das Sexualstrafrechtsänderungsgesetz 1998 zur Begutachtung aus. Anfang Mai gibt die HOSI Wien ihre offizielle Stellungnahme dazu ab und fordert u. a. die ersatzlose Streichung des § 209. Die Klubobleute der Ampelparteien werden aufgefordert, entsprechende Zusatzanträge im Nationalrat einzubringen.

15. Juni: Das finnische Parlament hebt das Gesetz, das ein höheres Mindestalter für lesbische und schwule Beziehungen vorsieht, auf.

17. Juni: Ein Vertreter der bevorstehenden österreichischen EU-Ratspräsidentschaft, Wolfgang Feiel vom Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt, muss sich in Straßburg kritische Fragen der Intergruppe „Gleiche Rechte für Lesben und Schwule“ des Europäischen Parlaments gefallen lassen. Als ILGA-Europa-Vorstandsvorsitzender fordere ich, Österreich möge als Geste des guten Willens wenigstens alle nach § 209 inhaftierten Personen aus Anlass der EU-Präsidentschaft begnadigen und freilassen. Im Hinblick auf die bevorstehende Abstimmung über § 209 am 7. Juli hat die HOSI Wien einen Resolutionsentwurf ausgearbeitet, den die ILGA-Europa in dieser Sitzung der Intergruppe präsentiert. Er soll im Falle einer Nicht-Aufhebung als Dringlichkeitsresolution im EP eingebracht werden, wofür die schwedische Grünabgeordnete MaLou Lindholm ihre Unterstützung zusagt. Die HOSI Wien schickt am nächsten Tag eine entsprechende Presseaussendung aus und appelliert an die ÖVP, am 7. Juli die Abschaffung des § 209 mitzubeschließen.

19. Juni: Eine 7-köpfige Delegation der aus Anlass des Menschenrechtsjahres 1998 gebildeten NGO-Plattform, darunter ich in meiner Funktion als HOSI-Wien-Generalsekretär, überreicht Bundeskanzler Klima ihren Forderungskatalog bei einem Gespräch im Bundeskanzleramt.

22. Juni: Das Unterhaus des britischen Parlaments hebt das Gesetz, das ein höheres Mindestalter für schwule Beziehungen vorsieht, auf. Das Oberhaus bringt die Reform jedoch zu Fall. Das sollte noch zweimal passieren, bis dann beim vierten Anlauf die Reform tatsächlich gelingt – vgl. unter 30. November 2000.

23. Juni: Die HOSI Wien reagiert mit einer Presseaussendung auf die Reformen in Finnland und Großbritannien: Österreich wird zum Schlusslicht in Europa. Die Diskussion um § 209 entflammt neuerlich. Justizminister Michalek unterstützt im Ö1-Mittagsjournal einmal mehr die Forderung nach Abschaffung des § 209.

30. Juni: Presseaussendung der HOSI Wien anlässlich der Übernahme des EU-Ratsvorsitzes durch Österreich. Die Regierung wird abermals aufgefordert, § 209 abzuschaffen.

1. Juli: Österreich übernimmt den EU-Ratsvorsitz. Für die HOSI Wien und die österreichische Lesben- und Schwulenbewegung beginnt unter dem Motto E(U)QUALITY NOW! ein halbes Jahr mit verstärkten Protestaktionen. Beim großen EU-Fest aus diesem Anlass am Wiener Heldenplatz verteilt die Bewegung Flugblätter und weist mit heliumgefüllten Luftballons auf die menschenrechtswidrige Diskriminierung hin. Die HOSI Wien stellt sich mit einem Riesentransparent mit der Aufschrift E(U)QUALITY NOW! Lesbisch/Schwule Menschenrechte auch in Österreich direkt vor die Ehrentribüne, auf der die Mitglieder der Europäischen Kommission und der Bundesregierung sowie Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Platz genommen haben.

3. Juli: Pressekonferenz am Tag vor der Regenbogenparade mit EP-Abgeordneter Lindholm. Presseaussendung über die massive Unterstützung durch das Europa-Parlament: Etliche EP-Abgeordnete schicken Grußadressen, darunter Parlamentspräsident José María Gil-Robles Gil-Delgado (VP/E) und drei VizepräsidentInnen, Magdalene Hoff (SP/D), Renzo Imbeni (SP/I) und Antoni Gutiérrez Díaz (Vereinigte Europäische Linke/E). Gutiérrez Díaz bekundet seine Unterstützung im Kampf gegen § 209, Hoff verleiht ihrer Erwartung Ausdruck, dass Österreich während seiner EU-Ratspräsidentschaft der EP-Resolution vom 17. Februar folgend den § 209 aufheben wird.

4. Juli: Regenbogenparade über den Ring. Lindholm und ihr EP-Kollege Friedhelm Frischenschlager (LiF) nehmen teil.

7. Juli: Der Nationalrat soll über § 209 abstimmen. Angesichts der verhärteten Fronten zwischen den Koalitionsparteien befindet sich die SPÖ in einem großen Dilemma: Entweder dem Antrag des Liberalen Forums auf Aufhebung des § 209 zustimmen und damit einen Koalitionsbruch begehen – der koalitionsfreie Raum für die Frage des § 209 war inzwischen aufgekündigt worden – oder gegen ihn stimmen und sich damit unglaubwürdig machen. Schließlich wählt man die „salomonische“ Lösung: Die gesamte Strafrechtsreform wird von der Tagesordnung des Nationalrats genommen, um der SPÖ aus dem Dilemma zu helfen.

11. Juli: Ab diesem Samstag findet am Michaelerplatz in Wien bis zum Ende des österreichischen EU-Ratsvorsitzes jeden Samstag von 12 bis 13 Uhr eine Mahnwache statt, um auf die Diskriminierung von Lesben und Schwulen in Österreich hinzuweisen.

15. Juli: Da auch das rumänische Parlament am 30. Juni die Reform des Homo-Paragraphen abgelehnt hat, planen drei kleinere Fraktionen im Europa-Parlament (Liberale, Grüne, Vereinigte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke), Dringlichkeitsresolutionen einzubringen, um die Kandidatenländer aufzufordern, alle homosexuellendiskriminierenden Gesetze abzuschaffen. Nach der neuerlichen Verzögerung der Aufhebung des § 209 am 7. 7. soll bei der Gelegenheit auch Österreich nochmals ermahnt werden. Als ILGA-Europa-Vorstandsvorsitzender bin ich in die textliche Ausarbeitung aller drei Resolutionen eingebunden. ILGA-Europa ersucht die deutsche SP-Abgeordnete Hoff, die anlässlich der Regenbogenparade eine Grußbotschaft geschickt hat, um Unterstützung. Doch die beiden großen Fraktionen, SPE und Europäische Volkspartei, stimmen dagegen, die Resolutionen überhaupt auf die Tagesordnung der Sitzung am 16. 7. zu setzen – darunter vier der sechs SPÖ-Abgeordneten, auch Maria Berger, die nur wenige Tage zuvor auf der Regenbogenparade noch ihre Unterstützung für schwul/lesbische Anliegen bekundet hat. In einer Aussendung kritisiert die HOSI Wien die Haltung der SP-Fraktion scharf. Unverständlich ist die Haltung der SP allemal, denn eine dritte Aufforderung durch das EP, § 209 aufzuheben, einen Tag vor der neuerlichen Abstimmung im Nationalrat (siehe 17. 7. 98) hätte doch die SPÖ-Position gestärkt.

15. Juli: Der frischgebackene EU-Ratsvorsitzende Wolfgang Schüssel (Vizekanzler und Außenminister) gibt eine Pressekonferenz im Europäischen Parlament in Straßburg. Als LAMBDA-Nachrichten-Redakteur spreche ich ihn vor der internationalen Presse auf den menschenrechtswidrigen Paragraphen 209 an. Benita Ferrero-Waldner, Staatssekretärin im Außenamt, muss sich am selben Tag im EP-Plenum im Rahmen der Fragestunde an den Rat Kritik an der Situation von Lesben und Schwulen in Österreich durch Outi Ojala (NGL/FIN), die Vorsitzende der Intergruppe „Gleiche Rechte für Lesben und Schwule“, gefallen lassen.

17. Juli: Die Koalition sieht sich gezwungen, die Strafrechtsreform doch noch am letzten Sitzungstag vor den Parlamentsferien auf die Tagesordnung zu setzen. Da es bei der geplanten Strafrechtsreform in erster Linie um die Verschärfung der Strafen für Kindesmissbrauch geht und zur gleichen Zeit in den Niederlanden ein Internet-Kinderpornoring aufgeflogen ist, hat Jörg Haider die Koalition in bewährt populistischer Manier wieder einmal vor sich hergetrieben. Der Zusatzantrag auf Streichung des § 209 stürzt die SPÖ in große Gewissenskonflikte, die sie auf peinlichste Weise löst: Ihre Abgeordneten stürmen bei der Abstimmung geschlossen zu den Türen des Plenarsaals. Ein unwürdiges Schauspiel! Letzte Überredungsversuche der Bewegung, ÖVP und SPÖ in den Tagen vor der Abstimmung umzustimmen, sind erfolglos geblieben. Die ÖVP bleibt stur. Sie ist vollzählig versammelt (51 Abgeordnete). Gemeinsam mit den 30 FPÖ-Stimmen – diesmal stimmt auch Harald Ofner gegen die Aufhebung des § 209! – wird der Antrag zu Fall gebracht – in voller Kenntnis der Sutherland-Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission (siehe Oktober 1997) und der beiden EP-Resolutionen (siehe 8. April 1997 und 17. Februar 1998). Nur 12 Abgeordnete von LiF und Grünen sind anwesend und stimmen für den Antrag. Wären alle 71 SPÖ-Abgeordneten anwesend gewesen und hätten sie alle für die Aufhebung votiert, hätte es wegen abwesender FPÖ-Abgeordneter eine Mehrheit für die Streichung des § 209 gegeben!

24. Juli: Ein Aktivistengrüppchen protestiert vor dem Treffen der EU-GesundheitsministerInnen im burgenländischen Stadtschlaining.

Sommer: Die HOSI Wien will sich mit der Abstimmungsniederlage im EP nicht abfinden und nutzt den Sommer, einen zweiten Anlauf vorzubereiten. Die drei gescheiterten Resolutionsentwürfe werden zu einem einzigen zusammengefasst und dem ILGA-Europa-Vorstand für eine weitere Lobbyingkampagne vorgeschlagen. Dieser ist einverstanden. Ende August wird der neue Entwurf (fast) allen 214 SP-Abgeordneten zugemailt. ILGA-Europa bedauert das Abstimmungsverhalten der SPE vom Juli, appelliert an die SP-Abgeordneten, im Herbst das Thema wieder aufzugreifen, nicht zuletzt auch aufgrund der Weigerung des österreichischen Parlaments am 17. Juli, § 209 aufzuheben. Gleichzeitig wird der neue Entwurf für einen Entschließungsantrag an wohlgesinnte Abgeordnete anderer Fraktionen, speziell aus der Intergruppe „Gleiche Rechte für Lesben und Schwule“, übermittelt. Frischenschlager reagiert als erster und zeigt sich bereit, den Antrag trotz des Flops vom Juli nochmals einzubringen. Die Grünen bringen ihren Antrag vom Juli ebenfalls wieder ein. EU-weit betreiben Lesben- und Schwulenorganisationen Lobbying bei den SP-Abgeordneten ihrer Länder, um sie zu einer Haltungsänderung zu bewegen.

20. August: Die Bundesregierung beschließt – mit den Stimmen der SP-Mitglieder! –, den ÖVP-Abgeordneten Walter Schwimmer für den Posten des Generalsekretärs des Europarats zu nominieren. Die HOSI Wien ist entsetzt darüber, dass ein Abgeordneter, der u. a. zweimal gegen die Aufhebung des menschenrechtswidrigen Paragraphen 209 gestimmt und damit die Umsetzung einer Entscheidung der Menschenrechtskommission, immerhin eines Organs des Europarats, blockiert hat, diese Funktion bekleiden soll. In einer Presseaussendung am 22. August kündigt die HOSI Wien eine europaweite Kampagne gegen Schwimmers Kandidatur an, sollte diese nicht zurückgezogen werden. Sie sollte die größte Kampagne in der Geschichte der ILGA-Europa werden. Obwohl zwischen der Europäischen Volkspartei und den Liberalen in der Parlamentarischen Versammlung vereinbart ist, dass diesmal ein christdemokratischer Kandidat gewählt wird, und Schwimmer dadurch eine Mehrheit von rund 50 Stimmen hinter sich hat, gelingt es durch die großangelegte europaweite Kampagne, die Liberalen zur Aufkündigung ihres Pakts mit der EVP zu bewegen. Schwimmer sollte schließlich im Juni 1999 bloß mit der denkbar knappsten Mehrheit von zwei Stimmen gewählt werden.

16. September: Das Europa-Parlament stimmt mehrheitlich zu, die beiden Dringlichkeitsanträge über die Lage der Homosexuellen auf die Tagesordnung der Plenardebatte am folgenden Tag zu setzen. Die Grünen schließen sich dem Textentwurf der Liberalen an, ebenso die SPE und zwei andere Fraktionen, sodass der Antrag schließlich von fünf Fraktionen gemeinsam eingebracht wird. Die ÖVP gerät in Panik, Rauch-Kallat kritisiert Frischenschlager in einer Aussendung und bezeichnet die Einbringung der Resolution als „Missachtung einer Mehrheitsentscheidung des österreichischen Gesetzgebers“.

17. September: Als bekannt wird, dass die SPÖ-Abgeordneten Hannes Swoboda und Maria Berger MiteinbringerInnen des Entschließungsantrags sind, rasten die ÖVP-Delegationsleiterin Ursula Stenzel und der FPÖ-Abgeordnete Gerhard Hager aus. Noch vor der Abstimmung senden sie Presseerklärungen aus, in denen sie von einem Ampel-Probeleuchten und von Netzbeschmutzung sprechen. Stenzel meldet sich neben fünf anderen für die Debatte zu Wort. Paranoid behauptet sie, es gehe nur um die Diskreditierung der österreichischen Ratspräsidentschaft, das Schutzalter sei keine europäische Rechtsmaterie. Dem widerspricht die französische Abgeordnete Aline Pailler, die meint, Subsidiarität solle hier bloß Homophobie zudecken, diese sei indes ein Verbrechen an den Menschenrechten, und sich wundert: „Sind die österreichischen Männer im Vergleich zu den Frauen dermaßen infantil und in ihrer Entwicklung zurückgeblieben?“ Der Antrag (B4-0824/98 und 0852-/98) wird schließlich mit 110 gegen 89 Stimmen bei sechs Enthaltungen angenommen. Das EP drückt darin sein Bedauern über die Abstimmung im Nationalrat am 17. 7. aus und „fordert die österreichische Bundesregierung und das österreichische Parlament auf, Paragraph 209 des Strafgesetzbuchs unverzüglich aufzuheben und alle Personen, die aufgrund dieses Artikels Gefängnisstrafen verbüßen, unverzüglich zu begnadigen und freizulassen“. (Siehe Aussendung der HOSI Wien vom 18. 9. 1998).

25. September: Die HOSI Wien übermittelt dem Ausschuss für Menschenrechte der Vereinten Nationen in Genf ihren Alternativ-Bericht zur Lage der Menschenrechte von Schwulen und Lesben in Österreich (vgl. Medienaussendung) und weist darin auf § 209 hin. Im Oktober soll sich der Ausschuss mit dem dritten periodischen Bericht Österreichs über die Fortschritte bei der Umsetzung der UNO-Menschenrechtskonvention befassen. Diese Berichte sind laut Artikel 40 der Konvention von den Vertragsstaaten regelmäßig vorzulegen.

9.–10. Oktober: Auf einer hochkarätigen Menschenrechtskonferenz in Wien anlässlich der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft bringt die HOSI Wien die Menschenrechtsverletzung durch § 209 aufs Tapet.

29.–30. Oktober: Die EU-JustizministerInnen tagen in Wien. Die HOSI Wien schreibt im Namen der E(U)QUALITY NOW!-Plattform an Michaleks 14 AmtskollegInnen und fordert sie auf, bei diesem auf die Aufhebung des menschenrechtswidrigen Paragraphen 209 zu drängen. Am Vorabend des Treffens fordert die HOSI Wien in einer Presseaussendung die sofortige Freilassung aller 209er-Gefangenen.

30. Oktober: Der UNO-Ausschuss für Menschenrechte hört drei Vertreter Österreichs zu Österreichs drittem periodischen Bericht (Dokument CCPR/C/83/Add. 3). Sie müssen sich auch zu § 209 rechtfertigen. Noch in der mündlichen Zusammenfassung der dreistündigen Anhörung führt die Ausschussvorsitzende als einen Hauptkritikpunkt die strafrechtliche Diskriminierung Homosexueller an (Randnummer 68 des Protokolls).

5. November: Der UNO-Ausschuss verabschiedet seine „abschließenden Bemerkungen“ (Dokument CCPR/C/79/Add. 103), die am 11. November veröffentlicht werden. In Ziffer 13 heißt es: „Der Ausschuss ist der Ansicht, dass das bestehende Gesetz über das Mindestalter für sexuelle Handlungen von männlichen Homosexuellen eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung darstellt. Er fordert auf, das Gesetz zu ändern, um solche diskriminierenden Bestimmungen zu beseitigen.“

11. November: HOSI Wien trifft mit einer Mitarbeiterin Familienminister Martin Bartensteins (ÖVP) zusammen.

24. November: Der Ausschuss für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten des Europäischen Parlaments debattiert den Bericht und die Entschließung zur Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union für das Jahr 1997 (Dokument A4-0468/98). Berichterstatterin ist die konservative französische Abgeordnete Anne-Marie Schaffner. In der vom Ausschuss verabschiedeten Entschließung werden zwar abermals alle Mitgliedsstaaten aufgefordert, einheitliche Mindestaltersgrenzen für alle sexuellen Orientierungen festzulegen, aber die Nennung der betroffenen Länder findet keine Mehrheit. ÖVP-Abgeordneter Pirker triumphiert: „Eine namentliche Erwähnung und Verurteilung Österreichs konnte aber durch die EVP verhindert werden.“ ILGA-Europa formuliert daraufhin Abänderungsvorschläge und betreibt dafür intensives Lobbying bei den wohlgesinnten Fraktionen.

10. Dezember: In der Hofburg organisiert das Außenministerium einen pompösen Festakt zum Menschenrechtsjahr 1998 und zum 50-Jahr-Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen am Vorabend des Wiener EU-Gipfels. Der Versuch, die HOSI Wien von einer Teilnahme auszuschließen, wird durch die Solidarität der anderen NGOs vereitelt. Die HOSI Wien betont in ihrer Presseaussendung, dass für Österreichs Homosexuelle wenig Grund zum Feiern besteht.

12. Dezember: Wegen des EU-Gipfels in der Hofburg wird die Mahnwache am Michaelerplatz untersagt. Die HOSI Wien nahm stattdessen am Euro-Marsch durch Wien teil.

17. Dezember: Der Schaffner-Bericht wird im EP-Plenum abgestimmt. Die Vorschläge der ILGA-Europa sind von verschiedenen Fraktionen aufgegriffen worden. Deren Abänderungsanträge werden zum Teil angenommen. Österreich wird auch in dieser Entschließung namentlich aufgefordert, die unterschiedliche Altersgrenze im § 209 zu beseitigen (Randnummer 53). Dies geschieht nunmehr zum insgesamt vierten Mal. Es ist auch das zweite Mal, dass Österreich während seiner EU-Präsidentschaft vom EP wegen dieser Menschenrechtsverletzung verurteilt wird! (Vgl. Medienaussendung vom 18. 12. 1998)

 

1999

Jänner: Die Kampagne gegen Walter Schwimmer läuft voll an. Hauptkritikpunkt in dem ihm zur Last gelegten Sündenregister ist sein Abstimmungsverhalten in Sachen § 209 im Nationalrat (vgl. Medienausssendung vom 11. 1. 1999).

Mai: Die Internationale Helsinki-Föderation für Menschenrechte kritisiert in ihrem Jahresbericht die Diskriminierung Homosexueller durch § 209.

19. Juni: Regenbogenparade in Wien. Am Vortag fordert HOSI Wien einmal mehr die Aufhebung des § 209 in ihrer Medienaussendung.  Die HOSI Wien beginnt damit auch die Aktivitäten zu ihrem 20-Jahr-Jubiläum.

23. Juni: Die ILGA-Europa-Kampagne gegen Walter Schwimmers Kandidatur für das Amt des Europarats-Generalsekretärs, die offiziell auf ihrer Jahreskonferenz in Linz im Oktober 1998 beschlossen und in nie dagewesener Vehemenz und Konsequenz geführt worden ist, erlebt ihren krönenden Abschluss: Der haushohe Favorit muss um die Wahl zittern und wird mit nur zwei Stimmen Mehrheit gewählt.

29. Juni: HOSI Wien führt ein Gespräch mit SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas. Am 3. Oktober stehen Nationalratswahlen an.

September: Die Ampelparteien – LiF, Grüne und SPÖ – entdecken endgültig Lesben und Schwule als interessantes Wählerpotential. Bei Veranstaltungen, in Inseraten, auf Flyern und sogar eigenen Plakaten (SPÖ) wird versucht, diese Klientel zu erreichen. Das stößt auch auf das Interesse der Medien und bringt das Thema Menschenrechte für Lesben und Schwule wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit.

14. September: Kanzler Klima tritt wahlkämpfend beim Fest anlässlich des 5. Geburtstags der SoHo, der Arbeitsgemeinschaft Sozialismus und Homosexualität innerhalb der SPÖ, auf und erklärt, die Aufhebung des § 209 zu einer Priorität machen zu wollen. Dafür wird er zwei Tage später von ÖVP-Minister Werner Fasslabend heftig angegriffen. In der ZiB 3, die über Klimas Auftritt berichtet, diskutiert HOSI-Wien-Obmann CHRISTIAN HÖGL mit den Abgeordneten Volker Kier (LiF) und Brigitte Povysil (FPÖ).

22. September: HOSI Wien gibt in einer Presseaussendung ihre Wahlempfehlung ab: auf keinen Fall ÖVP und FPÖ wählen; keine bestimmte Präferenz für eine der Ampelparteien.

3. Oktober: Bei den Nationalratswahlen verlieren SPÖ und ÖVP, die gar nur drittstärkste Partei wird, die FPÖ gewinnt. Die ÖVP konnte mit ihren anti-homosexuellen Parolen im Wahlkampf nicht reüssieren. Österreichs Lesben und Schwule haben sich keine rot-grüne Reformmehrheit gewählt! ULRIKE LUNACEK von den Grünen zieht als erste offen lesbische Abgeordnete in den Nationalrat ein.

14. Oktober: In einer Presseaussendung erinnert die HOSI Wien die SPÖ an ihr Wahlprogramm und an ihre Wahlversprechen und fordert sie auf, bei den bevorstehenden Regierungsverhandlungen darauf zu bestehen, dass u. a. die Aufhebung des § 209 in ein gemeinsames Regierungsprogramm mit der ÖVP aufgenommen wird.

18. November: ULRIKE LUNACEK hält ihre erste Rede im Nationalrat aus Anlass der Neueinbringung sämtlicher einschlägiger Anträge, darunter auf Aufhebung des § 209.

22. Dezember: HOSI Wien trifft mit Minister Werner Fasslabend (ÖVP) zu einem Gespräch zusammen.

 

2000

Nach der Nationalratswahl 1999: Nachdem Schüssel – offenbar ohnehin nie in der wirklichen Absicht, nochmals eine Koalition mit der SPÖ einzugehen – der SPÖ in den Scheinverhandlungen ein Zugeständnis nach dem anderen abgequält hat – und dabei als einen der ersten Punkte den Verzicht darauf, die Aufhebung des § 209 in die Koalitionsvereinbarung aufzunehmen –, treibt er es schließlich dermaßen auf die Spitze, dass selbst die SPÖ an die Grenze ihrer Selbstverleugnung stößt. Die Verhandlungen platzen. ÖVP und FPÖ beschließen, gemeinsam zu regieren. Der Rest ist bekannt.

3. Februar: Die HOSI Wien zögert keine Sekunde, sich dem breiten Widerstand gegen Blau-schwarz anzuschließen. Sie ist die einzige Lesben- und Schwulenorganisation Österreichs, die sich kompromisslos gegen die FPÖVP-Regierung ausspricht. Wie aus der voranstehenden Chronologie zweifelsfrei hervorgeht, haben Lesben und Schwule von dieser Regierung nichts zu erwarten. In den 17 Jahren der schwarz-blauen Mehrheit im Nationalrat (seit 1983) und den 14 Jahren der Regierungsbeteiligung der ÖVP (seit 1986) ist jede Reform und jede Verbesserung der rechtlichen Lage von Lesben und Schwulen verhindert worden. Österreich ist auf diesem Gebiet zum Schlusslicht in ganz Europa geworden. Nun hat die ÖVP freie Hand, es gibt keine Regierungspartnerin SPÖ, die das Ärgste abmildern und verhindern könnte. In ganz Europa gibt es, vielleicht mit Ausnahme der CSU, keine Partei, die in vergleichbarer Weise wie die ÖVP die Homosexuellenunterdrückung zu ihrem Programm gemacht hat. Aus diesem Grund bekennt die HOSI Wien eindeutig Farbe und präsentiert in einer Medienaussendung an diesem Tag, an dem Schüssel und Haider das Koalitionsprogramm der Öffentlichkeit vorstellen, ihre geplanten Aktivitäten gegen die Regierung.

Da 20 Jahre Lobbying- und Überzeugungsarbeit im Inland nichts gefruchtet haben, beschließt die HOSI Wien, den Kampf gegen § 209 verstärkt auf die europäische Ebene zu verlagern. Dem kommt auch entgegen, dass Österreichs 14 EU-Partner nach Bildung der FPÖVP-Regierung Maßnahmen gegen diese verhängt haben.

4. Februar: Die neue Regierung muss unterirdisch zur Angelobung durch den Bundespräsidenten schleichen. Auf dem Ballhausplatz wird gegen die Regierung demonstriert. Eine Regenbogenfahne weht hinter der Absperrung am Volksgarten. Ich werfe Eier auf die geparkten Polizeiautos.

5.–6. Februar: Wie am 3. 2. 2000 angekündigt, schickt die HOSI Wien per Fax Briefe an die Premierminister, Außen- und EuropaministerInnen aller 14 EU-Länder sowie an die 20 Mitglieder der Europäischen Kommission, an die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Nicole Fontaine, und die Vorsitzenden der fünf größten EP-Fraktionen. Die HOSI Wien fordert, wegen der Menschenrechtsverletzung durch § 209 ein Verfahren nach Artikel 7 EU-Vertrag gegen Österreich einzuleiten. Ein solches Verfahren kann auf Antrag eines Drittels der Mitgliedsstaaten (also fünf) bzw. der Europäischen Kommission angestrengt werden. Die HOSI Wien fordert: Keine Aufhebung der von Österreichs 14 EU-Partnern gegen die FPÖVP-Regierung verhängten Maßnahmen ohne vorherige Aufhebung des § 209!

Zugleich schreibt die HOSI Wien auch an befreundete Lesben- und Schwulenorganisationen in ganz Europa, dieses Anliegen durch Briefe an ihre Regierungen zu unterstützen. Auf ihrem Website richtet die HOSI Wien eine eigene Abteilung ein, auf der alle Dokumente und Informationen über den schwul/lesbischen Kampf gegen die lesben- und schwulenfeindliche FPÖVP-Regierung (auch in englischer Sprache) zusammengestellt werden.

Ein Basistext zur Information der besorgten und alarmierten schwul/lesbischen Community im Ausland wird zusammengestellt, um die vielen Anfragen an die HOSI Wien zu bewältigen und ausländische AktivistInnen zu mobilisieren. HOSI-Wien-MitarbeiterInnen geben unzählige Interviews für schwul/lesbische und auch Mainstreammedien in aller Welt. Die HOSI-Wien-Informationen landen später in Übersetzung auch auf französischen und italienischen Websites der Bewegung.

7. Februar: In einer Medienaussendung meldet die HOSI Wien den Vollzug der Aktion „Österreichs Lesben und Schwule wenden sich an die Europäische Union um Hilfe“. Es folgt diverser Schriftverkehr mit Staatskanzleien und Außenministerien.

8. Februar: Die Regierung schaltet ihre berühmt-berüchtigte Präambel zum Regierungsübereinkommen zwischen FPÖ und ÖVP als bezahltes ganzseitiges Inserat in der International Herald Tribune auf Kosten der SteuerzahlerInnen und kündigt weitere Inserate an. Die HOSI Wien droht in einer Medienaussendung am 9. Februar, gemeinsam mit ihren ausländischen Schwesterorganisationen Leserbrief-Gegenkampagnen zu initiieren, sollten tatsächlich weitere Inserate geschaltet werden. Es erscheinen keine weiteren Inserate, doch manche AktivistInnen im Ausland schreiben aus eigenem Antrieb Leserbriefe an Zeitungen, um auf die Menschenrechtsverletzungen an Schwulen in Österreich aufmerksam zu machen.

19. Februar: Beeindruckender schwul/lesbischer Block auf der ersten großen Anti-Regierungsdemonstration, an der rund eine Viertel Million Menschen teilnehmen. Auf der Pressekonferenz der RegierungsgegnerInnen im Burgtheater verteilt die HOSI Wien Informationsmaterial an die zahlreich erschienenen internationalen Medien.

8. März: Bundespräsident Thomas Klestil besucht die EU-Kommission in Brüssel. HOSI Wien schickt nochmals ein Fax an Kommissionspräsident Romano Prodi, um ihn an ihre Forderung zu erinnern.

13. März: Portugal hat den EU-Ratsvorsitz im ersten Halbjahr 2000 inne. Ministerpräsident António Guterres weigert sich, auf seiner Hauptstädtetour in Vorbereitung des EU-Gipfels auch nach Wien zu kommen. Schüssel muss nach Brüssel. Die HOSI Wien faxt auch an Guterres ein Erinnerungsschreiben.

16. März: Das Europäische Parlament stimmt über seine Entschließung A5-0050/2000 zur Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union 1998 und 1999 ab. Sie kam gerade recht zur Debatte um die EU-Maßnahmen gegen die FPÖVP-Regierung. Die ILGA-Europa war bereits im Vorfeld der Berichtserstellung durch den liberalen dänischen Abgeordneten Bertel Haarder äußerst aktiv, um eine Verurteilung Österreichs wegen § 209 abermals zu erwirken. Dieser hatte in seinem Berichtsentwurf eine solche Passage nicht aufgenommen, aber bereits für die Abstimmung am 24. Februar im Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten wurden die entsprechenden Abänderungsvorschläge der ILGA-Europa von verschiedenen Fraktionen eingebracht. Allerdings fiel die namentliche Erwähnung Österreichs Kompromissen zum Opfer. Die ILGA-Europa lobbyierte daher weiter und erreichte, dass für die Abstimmung im Plenum ein entsprechender Antrag eingebracht wurde. Dieser wurde dann auch angenommen. Im Punkt 60 der Resolution wird Österreich zum fünften Mal aufgefordert, § 209 abzuschaffen, und zum zweiten Mal, „alle Personen, die aufgrund dieser Bestimmung inhaftiert sind, zu amnestieren und freizulassen“.

17. März: Ich treffe als ILGA-Europa-Vorstandsvorsitzender im Außenministerium in Lissabon mit VertreterInnen der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft zusammen und appelliere an diese, gegen die Menschenrechtsverletzungen in Österreich aufzutreten, notfalls eben ein Verfahren nach Artikel 7 EU-Vertrag einzuleiten.

18. März: Die HOSI Wien feiert ihr großes Fest zum Abschluss der 20-Jahr-Feiern im Wiener Rathaus.

20. März: Die Chefs der Oppositionsparteien, Alfred Gusenbauer (SPÖ) und Alexander van der Bellen (Grüne), treffen mit Kanzler und Vizekanzlerin zusammen, um über eine mögliche gemeinsame Vorgangsweise gegen die EU-Maßnahmen zu beraten. In einer Medienaussendung appelliert die HOSI Wien dringend an Gusenbauer und van der Bellen, keinen Schulterschluss mit den Menschenrechtsverletzern einzugehen und keiner gemeinsamen Stellungnahme zuzustimmen, sollten sich ÖVP und FPÖ nicht zu einer sofortigen Aufhebung des § 209 verpflichten.

23. März: Anlässlich des EU-Gipfels in Lissabon besetzen HOSI-Wien-AktivistInnen die portugiesische Botschaft in Wien und erzwingen ein Gespräch mit dem Botschafter. Portugiesische und österreichische Medien berichten.

7. April: In Wien wird die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit offiziell eröffnet. Auf der anschließenden Pressekonferenz von Nicole Fontaine, der Präsidentin des Europa-Parlaments, erklärt diese auf die Frage der LAMDBA-Nachrichten, dass es sich bei § 209 um eine Menschenrechtsverletzung handle. Das müsse man der Regierung in Wien klarmachen, hier gehe es nicht um die Einmischung in innere Angelegenheiten Österreichs. Die HOSI Wien begrüßt die klaren Worte Fontaines in einer Medienaussendung. Eine ZiB 3-Studiodiskussion, zu der HOSI-Wien-Obmann CHRISTIAN HÖGL bereits eingeladen worden ist, kann in Ermangelung teilnahmewilliger VertreterInnen von ÖVP oder FPÖ nicht stattfinden.

12. Mai: Am Tag vor dem Life-Ball schickt die HOSI Wien eine Medienaussendung aus, in der sie die Entscheidung der BallorganisatorInnen, keine Regierungsmitglieder einzuladen, mit Jubel und später Genugtuung begrüßt, hatte die HOSI Wien doch bereits seit 1995 einen ÖVP- und ab 1997 einen FPÖ-freien Life-Ball gefordert. Angesichts der weltweiten Ablehnung der Regierungsbeteiligung einer laut grünem EP-Abgeordneten Johannes Voggenhuber „faschistischen“ Partei bleibt dem Life-Ball auch gar nichts anderes übrig, als PolitikerInnen von ÖVP und FPÖ als zu auf dem Ball unerwünschte Personen zu erklären, um nicht die Absage prominenter ausländischer Ballgäste zu riskieren. Der im Jahr davor begonnene Usus, den Ball vom Kanzler eröffnen zu lassen, kann daher nicht zur Tradition werden.

19. Mai: Als sich Mitte Mai ein Einlenken der EU-14 bei ihren bilateralen Maßnahmen gegen die österreichische Bundesregierung abzeichnet, richtet die HOSI Wien neuerlich Schreiben an alle Regierungschefs und AußenministerInnen der 14 EU-Staaten, um sie einmal mehr aufzufordern, die Maßnahmen nur unter der Bedingung aufzuheben, dass § 209 abgeschafft wird. Die Aktion wird wieder europaweit publik gemacht. Wieder gibt es Schriftverkehr mit einzelnen AußenministerInnen und Regierungschefs. Dänische Tageszeitungen berichten am 25. Mai über den Appell der HOSI Wien.

24. Mai: Der Justizausschuss des Nationalrats beschäftigt sich mit dem von den Grünen im Oktober 1999 eingebrachten Antrag auf ersatzlose Streichung des § 209. Um sich nicht inhaltlich damit auseinandersetzen zu müssen, verfällt FPÖVP darauf, einen Unterausschuss einzusetzen, der sich mit der Frage beschäftigen und ExpertInnen dazu anhören soll.

Mai: Die 47. Vollversammlung des Österreichischen Bundesjugendrings nimmt einen Initiativantrag der Evangelischen Jugend auf Abschaffung des § 209 mehrheitlich an.

27. Mai: Die HOSI Wien beteiligt sich mit einem Stand am Großkampftag der Widerstandsbewegung gegen Blau-Schwarz am Ballhausplatz.

17. Juni: Die Wiener Regenbogenparade steht im Zeichen des Widerstands gegen Blau-Schwarz. Auch die HOSI Wien stellt ihre Teilnahme unter das Motto „Gegen ÖVP und FPÖ!“. Nochmals ruft die HOSI Wien in einer Medienaussendung am Tag vor der Parade dazu auf, die EU-Maßnahmen gegen die Regierung nur bei Abschaffung des § 209 aufzuheben.

1.–9. Juli: Der World Pride in Rom wendet sich ebenfalls gegen § 209. Amnesty international initiiert eine Unterschriftenkampagne zur Abschaffung des § 209. Die HOSI Wien hat am 30. Juni die Öffentlichkeit im voraus informiert. Die AI-Petition wird auf einer Pressekonferenz am 2. Juli präsentiert, an der auch die italienische Gleichstellungsministerin Katia Bellillo teilnimmt. AI wird im übrigen in Hinkunft wegen § 209 inhaftierte Personen als Gewissensgefangene adoptieren und sich für ihre Freilassung einsetzen.

28. Juli: Die EU-14 haben einen sogenannten Weisenrat eingesetzt, dessen Mandat es ist, „auf der Grundlage einer eingehenden Untersuchung einen Bericht vorzulegen über das Eintreten der österreichischen Regierung für die gemeinsamen europäischen Werte, insbesondere hinsichtlich der Rechte von Minderheiten, Flüchtlingen und Einwanderern und die Entwicklung der politischen Natur der FPÖ“. Ende Juli kommen die drei Weisen – Martti Ahtisaari, Jochen Frowein und Marcelino Oreja – nach Wien, um VertreterInnen des offiziellen Österreichs zu treffen. Am 28. Juli empfängt Grünen-Chef van der Bellen VertreterInnen von NGOs, um sich und ULRIKE LUNACEK für ihr Gespräch mit den drei Weisen am nächsten Tag über die Anliegen der NGOs briefen zu lassen. Van der Bellen erklärt sich auch bereit, als Briefträger für die NGOs zu fungieren und deren Unterlagen an die drei Weisen zu übergeben. Die HOSI Wien nimmt an der Besprechung teil. Sie hat Briefe an die drei Weisen mit der Bitte um einen Gesprächstermin sowie ein entsprechendes Dossier vorbereitet und nimmt van der Bellens Angebot an, die Briefe weiterzuleiten. Die Weisen reagieren jedoch nicht und reisen am 30. Juli aus Wien wieder ab, ohne mit NGO-VertreterInnen gesprochen zu haben (vgl. Aussendung der HOSI Wien).

Das rief die Plattform europäischer Sozial-NGOs in Brüssel auf den Plan, in der die ILGA-Europa Mitglied ist. Auf Intervention der Plattform lenkt der Weisenrat am 9. August ein und erklärt sich zu einer fünfstündigen Anhörung von NGO-VertreterInnen am 29. August in Heidelberg bereit. Es gelingt der Plattform auch, die drei Weisen von ihrer anfänglichen Absicht, keine VertreterInnen von Behinderten, SeniorInnen und Lesben und Schwulen zu empfangen, abzubringen. Die drei Weisen sind nämlich der Auffassung, diese Minderheiten seien von ihrem Mandat nicht erfasst, da sich dieses bloß auf ethnische Minderheiten, also Volksgruppen und AusländerInnen, beziehe.

Die Plattform übernimmt pro Mitgliedsverband die Reise- und Aufenthaltskosten für eine Person. Ich werde für die HOSI Wien auf dem ILGA-Europa-Ticket nach Heidelberg fahren. Da Plattform-Präsident Giampiero Alhadeff schließlich nicht selbst zur Anhörung fährt, beauftragt er mich, auch die Plattform offiziell zu vertreten, da ich der einzige Teilnehmer in der Plattformdelegation bin, der – als Vertreter der ILGA-Europa – dem Leitungsgremium der Plattform angehört.

11. August: Obwohl die drei Weisen gebeten haben, kein allzu großes mediales Aufsehen um die NGO-Anhörung zu machen, fällt im Ö1-Abendjournal der Startschuss für einen wochenlangen, sicherlich auch sommerlochbedingten Medienhype um die NGO-Anhörung durch die drei Weisen, wobei auch meist die Teilnahme der HOSI Wien erwähnt wird.

26. August: Die Mitglieder der Plattformdelegation treffen sich in Linz zur Vorbereitung der Heidelberg-Mission.

27. August: Die HOSI Wien gibt in einer Medienaussendung die wichtigsten Punkte ihres Vorbringens bekannt und kündigt an, am Vormittag der Anhörung das 22-seitige Dossier, das sie den drei Weisen überreichen wird, auf ihrem Website zu veröffentlichen.

29. August: Die Plattformdelegation verwendet genau zweieinhalb Stunden darauf, über die Lage der einzelnen Minderheiten in Österreich Auskunft zu geben. Ich berichte ausführlich über den menschenrechtswidrigen Paragraphen 209, aber auch über die nicht erfolgte Wiedergutmachung für homosexuelle NS-Opfer (vgl. Aussendung). Nach dem Zusammentreffen mit den drei Weisen geht die Berichterstattung über § 209 in Zusammenhang mit der Aufhebung der Maßnahmen weiter – auch nach der unmittelbaren Berichterstattung am selben und am nächsten Tag –, so etwa bei Headline-Talk auf ATV am 4. 9. oder in der Nachrichtensendung von arte am 7. September.

5. September: Nach der NGO-Anhörung bleibt die Skepsis, ob die drei Weisen die Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen in ihrem Bericht überhaupt berücksichtigen werden. Die HOSI Wien schickt daher vorsichtshalber an den französischen Ratsvorsitz (Staatspräsident Jacques Chirac, Premierminister Lionel Jospin, Außenminister Hubert Védrine und Europastaatssekretär Pierre Moscovici) sowie an die kommende schwedische Ratspräsidentschaft (Ministerpräsident Göran Persson und Außenministerin Anna Lindh (1957–2003)) nochmals Briefe, um dieser Besorgnis Ausdruck zu verleihen. Die HOSI Wien legt ihr Dossier bei und appelliert einmal mehr, die Aufhebung des § 209 zur Bedingung für die Aufhebung der Maßnahmen zu machen.

8. September: Die drei Weisen übergeben in Paris ihren Bericht an Präsident Chirac. Durch eine gezielte Indiskretion wird die spanische Fassung den Medien zugespielt, ab Mittag ist sie im vollen Wortlaut im Internet nachzulesen. Die Befürchtungen der HOSI Wien bewahrheiten sich: Die Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen werden darin völlig ignoriert. Noch am selben Nachmittag veröffentlicht die HOSI Wien eine Medienaussendung, in der sie das Fehlen jeglicher Erwähnung des § 209, der nicht erfolgten Wiedergutmachung und der homophoben Hetze der FPÖ scharf kritisiert. Eine letzte Hoffnung sieht die HOSI Wien darin, dass die EU-14 von sich aus noch auf der Aufhebung des § 209 als Voraussetzung für die Aufhebung der Maßnahmen gegen die FPÖVP-Regierung bestehen.

10. September: Da die dänische Regierung – zwecks Rettung ihres Euro-Referendums am 28. September, die aber ohnehin illusorisch ist – zu den vehementesten Befürwortern einer Aufhebung der Maßnahmen zählt, wendet sich die HOSI Wien an die dänische Nachrichtenagentur Ritzaus Bureau. In einem von der Agentur veröffentlichten Interview appelliere ich als HOSI-Wien-Generalsekretär: „Wenn Dänemark die Maßnahmen nach all dem, was in dieser Angelegenheit passiert ist, aufhebt, dann billigt Dänemark die Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen und gibt der Regierung in Wien grünes Licht, sie fortzusetzen. “ Außerdem wird der Weisenbericht heftig kritisiert. Auch an Medien in Schweden, Finnland, Irland und Frankreich werden noch entsprechende Presseerklärungen geschickt.

12. September: Die HOSI Wien sendet nochmals E-Mails an Persson und Lindh sowie an das finnische Außenministerium und die finnische Staatspräsidentin. Doch vergebens. Am Abend dieses Tages gibt die französische EU-Ratspräsidentschaft die Aufhebung der Maßnahmen gegen die österreichische Bundesregierung bekannt.

15. September: Die dänische Tageszeitung Politiken ist offenbar der Kritik der HOSI Wien am Weisenbericht nachgegangen und hat Experten der Universität Århus gebeten, den Weisenbericht zu analysieren. Deren Einschätzung fällt niederschmetternd aus. Sie zerpflücken den Weisenbericht. Dazu scheibt Politiken: Nur die größte österreichische Lesben- und Schwulenorganisation hat aufgeschrien und die EU-14 zur Fortsetzung der Maßnahmen aufgerufen. „Die drei Weisen haben eindeutige Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen völlig ignoriert“, erklärt der Obmann des Verbandes HOSI.  (Vgl. Aussendung der HOSI Wien vom 16. 9. 2000)

18. September: Die HOSI Wien reagiert in einer Medienaussendung positiv auf den Vorschlag von Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (ÖVP), in der EU eine eigene Menschenrechtsagentur und einen Menschenrechtskommissar zu installieren – § 209 würde einen ersten potentiellen Fall für diese darstellen.

26. September: Die Parlamentarische Versammlung des Europarats in Straßburg verabschiedet eine Entschließung, mit der die Mitgliedsstaaten u. a. aufgefordert werden, ungleiche Mindestaltersgrenzen für hetero- und homosexuelle Handlungen aufzuheben. Die HOSI Wien begrüßt die historische Resolution in einer Aussendung.

23. Oktober: In seinem Statement beim Implementierungstreffen der menschlichen Dimension der OSZE in Warschau übe ich als ILGA-Europa-Vertreter heftige Kritik am menschenrechtswidrigen § 209. Ein Dossier wird an die Delegationen aller Mitgliedsstaaten verteilt.

29. November: Gespräch zwischen HOSI Wien und ÖVP-Menschenrechtssprecher Matthias Ellmauer.

30. November: Die britische Regierung löst ihr Wahlversprechen ein und kommt der Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission nach (vgl. Oktober 1997): Das unterschiedliche Mindestalter für schwule Beziehungen von 18 Jahren wird dem allgemeinen Mindestalter von 16 Jahren angeglichen. Die HOSI Wien fordert einmal mehr in einer Medienaussendung, dass auch Österreich der Entscheidung Straßburgs Rechnung trägt und § 209 abschafft.

13. Dezember: Auch beim 2. Menschenrechtsforum der Europäischen Union in Paris kritisiere, dass die EU Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedsstaaten untätig zusieht, während sie von den Beitrittsländern die strikte Einhaltung der Menschenrechte einfordert. Die Aufhebung der Maßnahmen, ohne auf der Abschaffung des § 209 zu bestehen, wird kritisiert.

13. Dezember: Liechtenstein schafft alle vier 1988 aus dem österreichischen Strafrecht übernommenen anti-schwulen und anti-lesbischen Bestimmungen ab, darunter auch das höhere Mindestalter. Aus diesem Anlass beklagt die HOSI Wien in einer Medienaussendung am 20. Dezember, dass sich Österreich mit § 209 in Europa immer mehr isoliert.

14. Dezember: Das Problem mit der eigenen Glaubwürdigkeit der EU wird auch in einem Gespräch zwischen ILGA-Europa-VertreterInnen, darunter mir als Vorstandsvorsitzendem, und VertreterInnen der französischen EU-Ratspräsidentschaft im Pariser Außenministerium thematisiert.

21. Dezember: HOSI Wien trifft mit SPÖ-Bundesparteivorsitzendem Alfred Gusenbauer zu einem Gespräch zusammen.

 

2001

22. Jänner: Da Schweden am 1. Jänner den EU-Ratsvorsitz übernommen hat, ersucht die HOSI Wien um einen Gesprächstermin bei der schwedischen Botschafterin in Wien. Bei dem Treffen mit Gabriella Lindholm wird ausführlich über § 209 gesprochen (vgl. Medienaussendung).

24. Jänner: HOSI Wien trifft mit einem Mitarbeiter Bundeskanzler Schüssels zu einem ausführlichen Gespräch zusammen.

1. Februar: Als Folge des Gesprächs mit der schwedischen Botschafterin bringt TASSO STAFILIDIS, Abgeordneter der Linkspartei (Vänsterpartiet), im schwedischen Reichstag eine schriftliche Anfrage an Außenministerin Anna Lindh ein (vgl. Medienaussendung vom 3. 2. ), um zu erfahren, welche Maßnahmen Schweden während seines EU-Ratsvorsitzes zu setzen gedenkt, um Österreich zur Aufhebung des § 209 zu bewegen. Am 9. Februar antwortet Lindh: Diskriminierung und Bestrafung von Menschen ausschließlich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung stehen im Widerspruch zum grundlegenden Prinzip der Gleichheit und Gleichberechtigung aller Menschen. (…) Gesetze, die Homosexuelle diskriminieren, sind klarerweise inakzeptabel. (…) Selbstverständlich muss die gleiche Altersgrenze für homosexuelle, lesbische und heterosexuelle Beziehungen gelten.  Schweden werde weiterhin in jenen Zusammenhängen, wo es aktuell und der Sache am besten dienlich ist, Diskriminierungen, wie sie beispielsweise im österreichischen Strafgesetz bestehen, zur Sprache bringen.

3. Februar: HOSI Wien nimmt an der großen Anti-Regierungskundgebung anlässlich des Jahrestags der Angelobung von Blau-Schwarz teil und zählt auch zu den offiziellen MitaufruferInnen der Demo.

8. Februar: HOSI Wien trifft mit Georg Mautner-Markhof, dem Leiter der Abteilung für Menschenrechte, Humanitäres Völkerrecht und Volksgruppenangelegenheiten, im Außenministerium zusammen. Anlass war das Schreiben der HOSI Wien an Außenministerin Benito Ferrero-Waldner (ÖVP) mit der Aufforderung, sich für die Umsetzung der Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vom 26. September 2000 durch Österreich einzusetzen.

13. Februar: HOSI Wien trifft mit ÖVP-Justizsprecherin Maria Fekter zu einem Gespräch zusammen.

14. Februar: STAFILIDES bringt eine weitere Anfrage ein (vgl. 1. 2. 01), diesmal an die für Asyl und Einwanderung zuständige Ministerin Maj-Inger Klingvall. Er möchte wissen, ob 209er-Verfolgte in Schweden Asyl erhalten können. Am 23. Februar antwortet Klingvall positiv: Asylanträge von österreichischen StaatsbürgerInnen werden auf individueller Basis von Schweden geprüft. Ist die betreffende Person ein Flüchtling gemäß der Genfer Konvention oder in sonstiger Weise schutzbedürftig, dann wird eine Aufenthaltserlaubnis gemäß denselben Grundsätzen gewährt, wie sie für andere Nationalitäten gelten.  Am 8. März berichtet die HOSI Wien in einer Medienaussendung darüber und empfiehlt Betroffenen, in Schweden um Asyl anzusuchen.

26. Februar: Das Londoner Sekretariat von amnesty international gibt in einer Presseerklärung bekannt, dass ein aufgrund von § 209 in U-Haft genommener Österreicher von AI als Gewissensgefangener betrachtet wird. Die Richterin setzt den Betroffenen daraufhin in der Haftprüfungsverhandlung am 27. 2. auf freien Fuß.

10. März: Die Ankündigung Frauenminister Herbert Haupts (FPÖ), die von ihm eingerichtete Männer-Abteilung in seinem Ministerium sei auch Anlaufstelle für Homosexuelle, provoziert die HOSI Wien zu einer kritischen Medienaussendung.

21. März: Österreich steht einmal mehr wegen § 209 am Pranger des Europäischen Parlaments, wie die HOSI Wien in einer Medienaussendung am nächsten Tag berichtet.

22. März: Die beiden Vorstandsvorsitzenden der ILGA-Europa, JACKIE LEWIS und ich, treffen im Stockholmer Außenministerium mit einer Vertreterin des schwedischen EU-Ratsvorsitzes zusammen und schildern dabei auch ausführlich die Menschenrechtssituation Homosexueller in Österreich.

23. April: Die LAMBDA-Nachrichten 2/2001 erscheinen. Die HOSI Wien lanciert ihre Selbstbezichtigungsaktion „Auch ich habe gegen § 209 verstoßen!“.

In einem Beitrag wünschen sich die LN mehr Zivilcourage von RichterInnen, die gezwungen sind, § 209 anzuwenden, und verweisen auf das Beispiel eines ungarischen Richters, der sich 1998 in einem Verfahren nach § 199 des ungarischen Strafgesetzes, einer ähnlichen Bestimmung wie § 209, die aber auch für lesbische Beziehungen gilt, geweigert hat, ein Urteil zu fällen und die Sache an den Verfassungsgerichtshof verwiesen hat.

4. Mai: Cecilia Malmström, liberale Abgeordnete zum Europa-Parlament aus Schweden, will in einer mündlichen Anfrage an die EU-Kommission wissen, welche Maßnahmen diese gegen die Diskriminierung von Homosexuellen in Österreich durch § 209 zu unternehmen gedenke. Die HOSI Wien berichtet darüber in einer Medienaussendung am 7. Mai.

21. Mai: Siehe da: Das Oberlandesgericht Innsbruck gibt bekannt, dass sie in einem 209er-Verfahren kein Urteil fällt, sondern gemäß Artikel 89 Absatz 2 Bundesverfassung einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung des § 209 gestellt hat, weil es gegen die Anwendung dieses Gesetzes Bedenken bezüglich seiner Verfassungsmäßigkeit hat. Medien und OppositionspolitikerInnen begrüßen den Schritt.

Ende Mai: Amnesty international präsentiert ihren Jahresbericht 2001. § 209 findet sich als ein wesentlicher Kritikpunkt in Sachen Menschenrechtsverletzungen im Kapitel über Österreich. Die AI-Kritik findet nicht nur Widerhall in den Medien, sondern löst auch Stellungnahmen diverser PolitikerInnen aus. Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (FPÖ) hält eine völlige Streichung des § 209 für „diskutierbar, aber schwierig durchzusetzen“; vorstellbar sei für sie das Kompromissmodell eines Mindestalters von 16 Jahren. FP-Abgeordneter Eduard Mainoni fordert mehr Respekt bei der Einhaltung von Menschenrechten durch die ÖVP ein: Die Aussage des Koalitionspartners, wonach eine ÖVP-interne Arbeitsgruppe erst die Haltung und weitere Vorgangsweise für kommenden Herbst bestimmen soll, ist angesichts der nunmehr über ein Jahrzehnt stattfindenden Diskussion geradezu grotesk.  Am selben Tag (31. 5. ) hat ÖVP-Justizsprecherin Maria Fekter mitgeteilt, die besagte Arbeitsgruppe berate nicht in Richtung ersatzlose Streichung. FP-Klubobmann Peter Westenthaler meinte ebenfalls, es müsse nicht gleich die Abschaffung sein. Er hoffe auf einen Kompromiss mit der ÖVP im Herbst. Ähnlich FP-Generalsekretärin Theresia Zierler: Änderung, aber keine Angleichung, d. h. nur Absenkung auf 16 für schwule Beziehungen. FP-Justizminister Dieter Böhmdorfer meint hingegen, er könne sich eine Aufhebung vorstellen. Ex-Justizminister Harald Ofner spricht sich, wie schon seit 1989, uneingeschränkt für die ersatzlose Streichung aus. Die HOSI Wien wendet sich in einer Medienaussendung am 31. Mai vehement gegen jeglichen Kompromiss, der eine Rekriminalisierung bestimmter lesbischer (und auch heterosexueller) Beziehungen bedeuten würde.

1.–30. Juni: EuroPride in Wien sorgt für enorme Medienberichterstattung über schwul/lesbische Anliegen im allgemeinen und über § 209 im besonderen. Es sind wahre massenmediale Festwochen, die noch weit in den Sommer hineinreichen sollten. Die HOSI Wien weist in diesem Zusammenhang abermals auf den Kampf gegen § 209 hin, und zwar in Medienaussendungen am 1. Juni und am 29. Juni.

6. Juni: Kanzler Schüssel erklärt nach dem Ministerrat auf Journalistenfragen, dass es in der ÖVP derzeit keine Diskussion über § 209 gebe – offenbar, um die Debatte, die längst eingesetzt hat, abzuwürgen. Schüssel erreicht das Gegenteil: Die Diskussion kommt jetzt erst so richtig in Fahrt. Etliche der späteren – sicherlich auch sommerlochbedingten – Wortmeldungen von ÖVP-PolitikerInnen scheinen indes nur den Zweck zu haben, Schüssel zu ärgern.

7. Juni: Der zukünftige Volksanwalt Peter Kostelka wählt für seine Abschiedsrede als SPÖ-Klubobmann im Plenum des Nationalrats das Thema § 209 und appelliert einmal mehr für dessen Abschaffung. Gleichzeitig bringen die SPÖ und die Grünen Fristsetzungsanträge ein: Bis 3. Juli soll der Justizausschuss über die Streichung des § 209 beraten. Die Anträge werden – wie schon die früheren Fristsetzungsanträge der Grünen vom 27. April 2000 und 3. April 2001 – von FPÖVP abgeschmettert.

8. Juni: Die beiden ILGA-Vorstandsvorsitzenden JACKIE LEWIS und ich treffen in Brüssel mit Vertretern der kommenden belgischen EU-Ratspräsidentschaft zusammen und sprechen auch über das durch Österreich und seinen § 209 ausgelöste Glaubwürdigkeitsproblem der EU in Sachen Achtung der Menschenrechte.

13. Juni: Die EU-Kommission beantwortet die Anfrage der liberalen schwedischen EP-Abgeordneten Cecilia Malmström vom 4. Mai. Die Kommission verschanzt sich hinter der mangelnden Kompetenz der EU in Sachen Strafrecht. Auf den Umstand, dass sie gegen eine schwerwiegende und anhaltende Menschenrechtsverletzung, wie sie § 209 darstellt, sehr wohl gemäß Artikel 7 EU-Vertrag vorgehen könnte, geht sie nicht ein.

27. Juni: Der Wiener Gemeinderat verabschiedet eine Resolution an Nationalrat und Bundesrat, in der diese u. a. aufgefordert werden, § 209 umgehend ersatzlos zu streichen. Die Wiener ÖVP stimmt zwar nicht dafür, ihr Obmann Bernhard Görg erklärt indes bei dieser Gelegenheit, § 209 sei in dieser Form nicht mehr zu halten.

27. Juni: Hermes Phettberg schließt sich der HOSI-Wien-Selbstbezichtigungsaktion an und bekennt im Falter: „Auch ich habe gegen § 209 verstoßen!“ Diese Unterstützung präsentiert die HOSI Wien in ihrer Medienaussendung am Vortag der EuroPride-Regenbogen-Parade, am 29. 6.

5. Juli: Das Europäische Parlament verabschiedet den Bericht und die Entschließung über die Lage der Grundrechte in der EU für das Jahr 2000 (Dokument A5-0223/2001). In Ziffer 80 der Entschließung fordert das EP zum sechsten Mal Österreich namentlich auf, § 209 aufzuheben, und zum dritten Mal, alle nach dieser Bestimmung inhaftierten Personen freizulassen. Berichterstatter ist der konservative französische Abgeordnete Thierry Cornillet. Die ILGA-Europa hat wie schon in den Vorjahren eifriges Lobbying betrieben, damit die schwul/lesbischen Aspekte entsprechend aufgegriffen werden (vgl. Medienaussendung).

5. Juli: Der steirische ÖVP-Landesrat Gerhard Hirschmann spricht sich im NEWS-Interview für die Streichung des § 209 aus.

10. Juli: Der Ministerrat beschließt mit den Stimmen der FPÖ-Regierungsmitglieder, darunter jener der Vizekanzlerin, die offizielle Äußerung der Bundesregierung zum Antrag des OLG Innsbruck an den VfGH. Die Stellungnahme der Regierung fällt negativ aus. Die Regierung stellt ihrerseits den Antrag, das Ansinnen des OLG formal als unzulässig zurückzuweisen (weil der VfGH über diese Sache bereits 1989 entschieden hat), ansonsten den Antrag aus inhaltlichen Gründen abzuweisen, d. h. , die Verfassungskonformität des § 209 zu bestätigen.

4. August: Nach der Wiener ÖVP-Landespartei meldet sich die steirische zu Wort. Reinhold Lopatka, ÖVP-Landtagsklubobmann, spricht sich für die Streichung des § 209 aus. Fekter bringt gleich wieder den Kompromiss bei 16 Jahren ins Spiel. Die HOSI Wien lehnt dies in einer Presseaussendung am 7. August abermals entschieden ab. Die Landesparteichefs der ÖVP in Kärnten und Vorarlberg unterstützen die Fekter-Variante bei 16 Jahren. Auch die steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic will sich im sommerlichen profil-Interview nicht auf eine ersatzlose Streichung festlegen. Insgesamt ziemlich konfuse und unkoordinierte Stellungnahmen – eine wilde Mischung aus Sommerloch-Stopfen und Desinformation ohne jegliche wirkliche Substanz.

8. August: Peter Karner, Superintendent der evangelisch-reformierten Kirche, und Robert Kauer, lutherischer Oberkirchenrat, sprechen sich in einer Pressekonferenz für die Streichung des § 209 aus.

10. August: Auf ihrer Bilanzpressekonferenz wird die blau-schwarze Regierungsspitze auch auf § 209 angesprochen. Schüssel wehrt ab, Riess-Passer spricht sich für eine rasche Änderung aus.

19. August: Die Vizekanzlerin macht einen Rückzieher: Man solle das Urteil des Verfassungsgerichtshofs abwarten. Die HOSI Wien kritisiert dieses taktische Lavieren in einer Medienaussendung am 20. August und sieht keinen Grund für die Politik, das VfGH-Urteil abzuwarten. Sie kann § 209 jederzeit abschaffen. In diesem Sinne gibt die HOSI Wien im August ihre Stellungnahme im Rahmen des Begutachtungsverfahrens für den Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes 2001 ab und fordert darin routinemäßig die ersatzlose Streichung des § 209.

23. August: Konsequenter ist hingegen Schüssel. Im NEWS-Interview erklärt er: Ich bin jedenfalls nicht bereit, den Kinder- und Jugendlichenschutz am Altar des Zeitgeistes zu opfern.

28. August: Die HOSI Wien nimmt zwei 209er-Fälle, die Ende August und Anfang September großes Medienecho auslösen, darunter ein skandalöses Urteil, zum Anlass, ihre Selbstbezichtigungsaktion wieder publik zu machen.  Wieder starke Medienpräsenz von HOSI-Wien-MitarbeiterInnen.

3. September: Heftige Kritik an Riess-Passers Vorstoß durch FP-Politiker Ewald Stadler. Er spricht sich entschieden gegen eine Änderung der Gesetzeslage aus.

20. September: Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs erklärt, dass die 209er-Beschwerde sich nicht auf der Tagesordnung der Herbstsession im Oktober befinde. Eine Entscheidung könne daher frühestens in der Dezember-Session fallen.

10. Oktober: Der Petitionsausschuss des Parlaments befasst sich mit einer Petition zur Abschaffung des § 209. Sie wird dem Justizausschuss zugewiesen, wo ohnehin bereits entsprechende Anträge unbehandelt liegen. Vorschläge von Grünen und SPÖ, Stellungnahmen von Schüssel, Riess-Passer und Böhmdorfer einzuholen, werden von Blau-Schwarz abgelehnt.

16. Oktober: Im Zusammenhang mit der Diskussion des sogenannten „Europäischen Haftbefehls“ wird auch die Frage des § 209 akut. Die HOSI Wien berichtet in einer Medienaussendung über die diesbezügliche Forderung der ILGA-Europa.

30. Oktober: Bei einem Festakt anlässlich des evangelischen Reformationstags fordert Bischof Herwig Sturm in Anwesenheit Bundeskanzler Schüssels die Aufhebung des § 209. Schüssel geht in seiner Rede darauf ein und verteidigt die Bestimmung mit dem bekannten Stehsatz über den Schutz der Jugend.

Anfang November: Die österreichische Bischofskonferenz der röm. -kath. Kirche spricht sich für die Beibehaltung des § 209 sowie die Anhebung des allgemeinen Mindestalters auf 16 Jahre aus.

9. November: Die HOSI Wien trifft mit SPÖ-Nationalratsabgeordneter Elisabeth Hlavač zu einem Gespräch zusammen.

4. Dezember: Der VfGH gibt seine bereits am 29. November getroffene Entscheidung bekannt, den Antrag des OLG Innsbruck auf Aufhebung des § 209 zurückzuweisen.

6. Dezember: Der Standard veröffentlicht einen Kommentar von mir, in dem ich die Entscheidung des VfGH heftig kritisiere. Das VfGH habe sich damit aus dem unangenehmen Dilemma befreit, entweder sein skandalöses Fehlurteil aus 1989 selbst korrigieren zu müssen oder bei neuerlicher Bestätigung dieses Fehlurteils eine peinliche Korrektur in absehbarer Zeit durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu riskieren, bei dem bereits einige 209er-Beschwerden anhängig sind.

10. Dezember: Anlässlich des Internationalen Tags der Menschenrechte kritisieren die österreichische Sektion von amnesty international und die Österreichische Liga für Menschenrechte § 209 als einen Bereich, in dem die Menschenrechte in Österreich noch im argen liegen.

 

2002

15. Jänner: In Wien steht wieder ein Mann wegen § 209 vor Gericht. Die Grünen organisieren eine Demonstration vor der ÖVP-Zentrale, an der sich die HOSI Wien beteiligt. In ihrer Medienaussendung weist die HOSI Wien darauf hin, dass die Aufhebung des § 209 allein vom Verhalten der FPÖ abhängt, die aber offenbar am Gängelband der ÖVP hängt. Im Gegensatz zur SPÖ in der großen Koalition bräuchte die FPÖ indes gar keinen Koalitionsbruch zu begehen, um § 209 zu Fall zu bringen – ihre Abgeordneten müssten sich bloß bei einer Abstimmung der Stimme enthalten, dann könnte die Opposition die ÖVP einfach überstimmen.

21. Jänner: Die HOSI Wien gibt in einer Medienaussendung bekannt, dass sie zur Großkundgebung zum 2. Jahrestag der Bildung der FPÖVP-Regierung mit aufruft.

2. Februar: HOSI Wien nimmt an der Großdemo gegen Blau-Schwarz teil. Ich halte als Generalsekretär eine Rede auf der Abschlusskundgebung am Ballhausplatz.

22. Februar: VfGH-Präsident Ludwig Adamovich und Vizepräsident Karl Korinek stellen in einer Pressekonferenz die Fälle vor, mit denen sich der VfGH in seiner beginnenden Frühjahrssession beschäftigen wird. Das OLG Innsbruck hat einen neuen Antrag auf Aufhebung des § 209 eingebracht, der ebenfalls auf der Tagesordnung steht. Da die beiden Höchstrichter andeuten, dass mit einer Entscheidung in der kommenden Session noch nicht zu rechnen sei, stelle ich ihnen als LAMBDA-Nachrichten-Chefredakteur kritische Fragen, warum diese Entscheidung so lange hinausgezögert wird, wo sie doch ohnehin längst klar ist, immerhin gehe es hier um massive Menschenrechtsverletzungen. In ihrer Medienaussendung wendet sich die HOSI Wien scharf gegen diese skandalöse und menschenverachtende Verzögerungstaktik und fordert den VfGH auf, § 209 noch in der Frühjahrssession aufzuheben.

3. März: Auf ihrer Generalversammlung verabschiedet die HOSI Wien für den Tag X, an dem § 209 endlich aufgehoben und die letzte strafrechtliche Diskriminierung Homosexueller beseitigt sein wird (womit noch vor der nächsten Generalversammlung im Jahre 2003 gerechnet wird), eine umfassende Resolution, in der eine Entschuldigung des offiziellen Österreichs für die Kriminalisierung von Lesben und Schwulen im 20. Jahrhundert und eine Entschädigung für die Opfer dieser staatlichen Verfolgung gefordert wird.

4. März: In einer Pressekonferenz und einer Aussendung wird die Resolution der Generalversammlung vom Vortag der Öffentlichkeit präsentiert. Die Resolution wird den vier Klubobleuten, dem Bundeskanzler, der Vizekanzlerin, dem Nationalratspräsidenten, der SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Andrea Kuntzl und dem Präsidenten des VfGH übermittelt.

15. März: Die Frühjahrssession des VfGH endet ohne Entscheidung über den Antrag des OLG Innsbruck. Es ist offensichtlich, dass der VfGH noch nach dem Ausweg mit dem geringsten Gesichtsverlust aus seinem Dilemma (siehe 6. 12. 2001) sucht.

16. März: Die HOSI Wien kritisiert in einer Medienaussendung diese weitere Verzögerung und fordert von Justizminister Böhmdorfer, für ein sofortiges Verurteilungsmoratorium zu sorgen. An Österreichs RichterInnen appelliert die HOSI Wien, sich der Haltung des OLG Innsbruck anzuschließen und unter Hinweis auf das beim VfGH anhängige Verfahren keine Urteile mehr zu fällen: „Wer jetzt noch neue Opfer produziert, macht sich doppelt schuldig!“ heißt es in der Aussendung.

1. April: Nachdem Riess-Passer im profil den Umgang der (röm. -kath. ) Kirche mit Homosexuellen kritisiert hat, meldet sich die HOSI Wien mit einer Aussendung zu Wort, um festzuhalten, dass der Umgang der FPÖ mit Homosexuellen um keinen Deut besser ist, und einmal mehr zu betonen, dass es allein an der FPÖ liegt, ob § 209 weiterbesteht oder nicht.

5. April: Die HOSI Wien trifft mit SPÖ-Abgeordnetem Peter Schieder, der seit Jänner 2002 auch Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ist, zu einem Gespräch zusammen.

17. April: Im Europäischen Parlament in Brüssel findet eine Anhörung über die Achtung der Grundfreiheiten und deren Situation in der Europäischen Union im Jahr 2001 statt. Auf Anregung der HOSI Wien weist die ILGA-Europa in einer Medienaussendung auf die fortdauernde Geltung und Anwendung des § 209 hin und ruft das EP auf, diesbezüglich eine deutliche Botschaft an Österreichs Regierung und Parlament zu senden und den VfGH einzuladen, seine Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 209 zu beschleunigen.

18. April: Da Böhmdorfer nach einem Monat immer noch keine Stellungnahme zum geforderten Verurteilungsmoratorium abgegeben hat und auch telefonische Anfragen im Ministerium kein Ergebnis bringen, interpretiert die HOSI Wien diese Untätigkeit des Ministers in einer Medienaussendung als Ablehnung. Dabei bräuchte Böhmdorfer beispielsweise bloß alle 209er-Verfahren generell berichtspflichtig machen. Allein durch die dadurch verursachte Verzögerung käme es zu keiner neuen Verurteilung bis zur Entscheidung Straßburgs oder des VfGH. Die HOSI Wien ruft daher alle von 209er-Verfahren akut Betroffenen auf, ihre Verfahren selber möglichst in die Länge zu ziehen, etwa indem sie selber Anträge auf Überprüfung der gegen sie erhobenen Anklage an das Ministerium und die Oberstaatsanwaltschaft richten und sich dabei auf die beim VfGH anhängige Beschwerde berufen. Auch krankheitsbedingtes Nichterscheinen bei Gericht könne Verfahren verzögern.

27. April: Die FPÖ-Oberösterreich hält in Bad Ischl ihren Landesparteitag ab. Riess-Passer spricht von der Notwendigkeit, das derzeitige Schutzalter von 14 Jahren deutlich anzuheben. Die HOSI Wien spricht sich am 30. April in einer Aussendung gegen eine Kriminalisierung von freiwilligen Beziehungen aus, die im heterosexuellen Bereich seit 200 Jahren und im lesbischen Bereich seit 1971 straffrei sind und für deren Strafbarkeit weder eine aktuelle forensische noch sexualwissenschaftliche Erfordernis besteht.

Mai: Auch in diesem Jahr kritisieren amnesty international und die Internationale Helsinki-Föderation für Menschenrechte in ihren Jahresberichten § 209 als Menschenrechtsverletzung.

17. Mai: Die HOSI Wien gratuliert Gery Keszler in einer Medienaussendung zu seiner konsequenten Haltung, den Life-Ball frei von ÖVP- und FPÖ-PolitikerInnen zu halten.

22. Mai: ILGA-Europa-VertreterInnen, darunter ich als Vorstandsvorsitzender, treffen in Kopenhagen mit VertreterInnen der am 1. Juli 2002 beginnenden dänischen EU-Ratspräsidentschaft zusammen. Auch bei dieser Gelegenheit wird § 209 zur Sprache gebracht.

31. Mai: Gespräch zwischen ILGA-Europa (ich nehme als Vorstandsvorsitzender daran teil) und einem Vertreter der spanischen EU-Ratspräsidentschaft in Brüssel. Auch dabei wird das Glaubwürdigkeitsproblem angesprochen, das die EU mit § 209 hat, wenn sie gegenüber den Beitrittsländern auf der Einhaltung der Menschenrechte besteht.

5. Juni: Alfred Finz, Finanzstaatssekretär und neuer designierter Obmann der Wiener ÖVP, tritt in der Presse für die strafrechtliche Gleichbehandlung homo- und heterosexueller Beziehungen ein. Am 3. Juni hat sich der VP-Landesparteivorstand für eine Modifizierung des § 209 ausgesprochen. Seit längerem hat sich die Wiener ÖVP mit § 209 beschäftigt. Wie es aussieht, läuft ihr Vorschlag darauf hinaus, die allgemeine Mindestaltersgrenze für alle zwar bei 14 Jahren festzulegen, darüber hinaus aber freiwillige sexuelle Beziehungen eines Erwachsenen mit einer/einem 14- bis 18- Jährigen zu einem Antragsdelikt zu machen (offiziell vorgestellt wurde der Vorschlag nicht). Die HOSI Wien ist jedoch äußerst skeptisch, da dies bedeuten würde, dass die Jugendlichen (und insbesondere ihre erwachsenen PartnerInnen) völlig der Willkür der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten der Jugendlichen ausgeliefert wären.

6. Juni: Anlässlich der am 11. Juni beginnenden Sommersession des VfGH, in der sich dieser wieder mit dem § 209 beschäftigen wird, schickt die HOSI Wien eine Medienaussendung aus, in der sie den VfGH neuerlich zur sofortigen Aufhebung des § 209 auffordert: Angesichts der internationalen Entwicklungen und der zahlreichen Aufforderungen internationaler Menschenrechtsorgane wird ihm „ohnehin nichts anderes übrigbleiben, als die Verfassungswidrigkeit des § 209 festzustellen“, heißt es darin.

7. Juni: Die Salzburger Nachrichten berichten über die telefonische Fragestunde für ihre LeserInnen mit Kanzler Schüssel am Vortag. Von einem Anrufer darauf angesprochen, dass Österreich mit § 209 Schlusslicht in Europa ist, meinte Schüssel: Wenn wir das letzte Land wären, wäre es mir auch gleich.

24. Juni: Der Verfassungsgerichtshof gibt seine Entscheidung bekannt, § 209 wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes aufzuheben. Dem Gesetzgeber wird allerdings für die Schaffung einer verfassungskonformen Ersatzbestimmung eine Frist bis Ende Februar 2003 eingeräumt. Die HOSI Wien meldet sich mit eine Medienaussendung zu Wort.

In der Folge kritisiert die HOSI Wien die späte Aufhebung des § 209 – immerhin hat es dafür fünf Anträge gebraucht und 16 Jahre gedauert – in einer ausführlichen Analyse der diesbezüglichen VfGH-Entscheidungen und ihrer Begründungen.

Weitere Medienaussendungen zu diesem Thema folgen:

am 27. Juni 2002
am 28. Juni 2002
am 2. Juli 2002
am 3. Juli 2002
am 3. Juli 2002 (zweite Aussendung)
am 18. Juli 2002
am 2. Oktober 2002