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35 Jahre AIDS-Hilfe in Österreich

LOSE SERIE: AUS DEM ARCHIV

Veröffentlicht am 28. November 2020

Am 29. August 1985 wurde die Österreichische AIDS-Hilfe (ÖAH) aus der Taufe gehoben (vgl. LN 4/1985, S. 5 f), bereits drei Monate später – am 28. November – eröffnete sie ihre erste Beratungsstelle in Wien (vgl. LN 1/1986, S. 24 ff).

Die AIDS-Krise erwies sich ab 1983 als ziemliche Herausforderung und Bewährungsprobe für die HOSI Wien, die damals erst ein paar Jahre alt war. Doch sie bestand diese Probe mit Bravour. Die Gründung und der Aufbau der ÖAH wurden – trotz aller Widerstände und Probleme – zu einer echten Erfolgsgeschichte, die von vielen engagierten Menschen mitgeschrieben wurde.

Dass Vertreter der Schwulen- und Lesbenbewegung und Beamtinnen des Gesundheitsministeriums zur Prävention und Bekämpfung von HIV/AIDS gemeinsam einen Verein gründen, war damals auf jeden Fall sehr innovativ, ja unerhört und auf jeden Fall sehr mutig.

Die GesundheitsministerInnen wurden in jener Zeit in aller Regel von der SPÖ gestellt. Bei der Gründung der ÖAH war es Kurt Steyrer (1920–2007). Ihm folgte bald, im Dezember 1985, Franz Kreuzer (1929–2015) nach, der allerdings diese Funktion nur dreizehn Monate ausfüllen sollte. In seine Amtszeit fiel die Katastrophe von Tschornobyl (wie der Ort auf ukrainisch heißt) am 26. April 1986. Meine „Theorie“ in diesem Zusammenhang ist übrigens, dass das Gesundheitsministerium, das alle Hände voll zu tun hatte mit den Folgen und Auswirkungen des AKW-Unfalls auf Österreich, eigentlich froh war, dass die ÖAH sich so intensiv und verlässlich um die AIDS-Aufklärung und AIDS-Prävention kümmerte. Das Ministerium ließ der ÖAH dadurch wohl viel freiere Hand, als das vielleicht ohne Tschornobyl der Fall gewesen wäre.

Es folgten Franz Löschnak und Harald Ettl als Gesundheitsminister, wobei letzterer die Zerschlagung der ÖAH Ende Juni 1991 verantwortete. Die professionelle Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsministerium und Lesben- und Schwulenbewegung sollte auch einigen „Kollateralnutzen“ zeitigen: Im September 1991 ließ Ettl durch schriftliche Weisung die Krankheitsdiagnose „Homosexualität“ aus dem in Österreich verwendeten Diagnoseschlüssel offiziell streichen. Homosexualität war damit offiziell keine Krankheit mehr (vgl. LN 4/1991, S. 14). Unter Löschnak, der dann von 1989 bis 1995 Innenminister war, wurde im neuen Asylgesetz bestimmt, dass Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung einen Asylgrund gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention darstellt (vgl. LN 1/1992, S. 14 f ).

Allerdings blieb die Homosexuellenbewegung für ihren herausragenden Einsatz im Kampf gegen HIV/AIDS von der Bundespolitik weitgehend unbedankt. Die ÖVP, die im Nationalrat alles blockieren konnte, weigerte sich vehement und brutal, rechtliche Verbesserungen für Schwule und Lesben zu ermöglichen.

 

Parallelen zu heute

In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre habe ich regelmäßig Beiträge zu AIDS in den LAMBDA-Nachrichten veröffentlicht. Sie heute inmitten der Corona-Krise wieder zu lesen bereitet einige Déjà-vu- bzw. „Déjà-lu“-Erlebnisse. Manche Dinge haben sich nicht geändert: die Hysterie der Medien, die wenig faktenbasierten Spekulationen vieler ExpertInnen und WissenschaftlerInnen oder die Hilflosigkeit der PolitikerInnen. Persönlich finde ich daher meine Erfahrungen aus der Zeit der AIDS-Krise Ende der 1980er, Anfang der 1990er sehr wertvoll, festigend und beruhigend, um die aktuelle Coronavirus-Pandemie und den politischen, medialen und gesellschaftlichen Umgang mit ihr einzuordnen. Da kann einen so bald nichts erschüttern oder verrückt machen.

Leider habe ich für diesen Website das Kapitel über mein Engagement im AIDS-Bereich immer noch nicht geschrieben – ja, die Prokrastination ist ein Hund! Hintergrundinformationen über die AIDS-Arbeit der HOSI Wien finden sich aber auch in den biografischen Beiträgen über HOSI-Wien- und ÖAH-Mitbegründer Reinhardt Brandstätter.

 

Offizielle Eröffnung der ersten Beratungsstelle der ÖAH in Wien am 28. November 1985 – v. l. n. r.: Helga Halbich, Gunter Liebeswar, Verena Baustädter, Reinhardt Brandstätter (1952–1992), Judith Hutterer, Nina Arzberger, Otto Presslich (1937–2018), Ingried Erlacher und Henning Dopsch