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Homosexualität ist in Österreich keine Krankheit mehr

Veröffentlicht am 22. Oktober 1991
Per 6. September 1991 war in Österreich Homosexualität offiziell keine Krankheit mehr. Dies war ein weiterer großer Erfolg des jahrelangen konsequenten und kontinuierlichen Lobbying der HOSI Wien, wie ich in den LN 4/1991 berichtete.

Gesundheitsminister Harald Ettl (SPÖ) ordnete im September 1991 per Weisung die Eliminierung der Diagnose „302.0 – Homosexualität“ aus dem österreichischen Diagnoseschlüssel an.

Die WHO beschloss offiziell am 17. Mai 1990 die Version ICD-10. Darin fand sich die Krankheitsdiagnose Homosexualität nicht mehr. Offiziell trat die ICD-10 am 1. Jänner 1993 in Kraft.

Am 1. Jänner 1989 wurde für alle österreichischen Krankenanstalten eine bundeseinheitliche Codierung der Entlassungsdiagnosen eingeführt, wobei diese auf Grundlage des WHO-Diagnoseschlüssels ICD (International Classification of Diseases) erfolgt. Die ICD kategorisiert Homosexualität unter der Codenummer 302.0 als „Geisteskrankheit“. Bereits im August 1988 hatte sich die HOSI Wien erstmals ans Gesundheitsministerium gewandt, um ihre Bedenken gegen die unveränderte Übernahme des WHO-Krankheitenkatalogs vorzubringen. Nunmehr sind unsere langjährigen Bemühungen von Erfolg gekrönt worden: Gesundheitsminister Harald Ettl (SPÖ) hat per Weisung die Eliminierung der Diagnose „302.0 – Homosexualität“ aus dem österreichischen Diagnoseschlüssel angeordnet.

Treue und aufmerksame LN-LeserInnen kennen die Vorgeschichte ja (vgl. LN 4/1988, S.11 f, und 3/1990, S. 21): Als ruchbar wurde, daß im Zuge der Computerisierung des Spitalswesens (und damit der Umstellung auf EDV-mäßige Erfassung der individuellen Krankengeschichten der PatientInnen) an die Übernahme der ICD der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gedacht war, wurden wir beim damaligen Gesundheitsminister Franz Löschnak (SPÖ) vorstellig. Damals wurden wir vertröstet: In der momentanen Einführungsphase sei eine Änderung nicht möglich, dazu müßten erst ärztliche Meinungen eingeholt werden. Man wolle die Anfangsschwierigkeiten abwarten – und auch, ob die Codierung „302.0“ überhaupt verwendet werden würde. Man würde unsere Wünsche in Evidenz halten.

Eineinhalb Jahre später, im April 1990, meldeten wir uns wieder. In seiner Antwort informierte uns das Gesundheitsministerium über die bisherigen Erfahrungen: Auf Grundlage der nunmehr vorliegenden Diagnoseberichte ICD-9 VESKA kann festgestellt werden, daß im Rahmen des Diagnosendokumentationssystems von der Codierungsmöglichkeit für Homosexualität nur in äußerst seltenen Fällen Gebrauch gemacht wurde. Laut AZ vom 7./8 September 1991, die im übrigen als einziges Medium über die Entfernung der Codierung „302.0 Homosexualität“ berichtete, geschah dies im Jahre 1989 sechzehnmal – bei insgesamt 1,2 Millionen ausgewerteten Diagnosestellungen.

Im Mai 1990 war man jedoch immer noch mit der Überarbeitung und den Änderungs- und Ergänzungswünschen beschäftigt, die im Laufe des Probebetriebs 1989 von der Ärzteschaft vorgebracht worden waren. Die HOSI Wien wurde weiter vertröstet…

Abermals eineinhalb Jahre später stießen wir neuerlich nach. Und zwar im Zuge eines Gesprächstermins mit dem Pressesprecher von Bundesminister Ettl, Reinhold Oblak. Er reagierte auch prompt auf unsere Forderung, jetzt endlich ein Machtwort zu sprechen. Am Tag nach unserem Gespräch, am 6. September, erging eine schriftliche Weisung, die Codierung für Homosexualität aus dem österreichischen Diagnoseschlüssel zu entfernen bzw. nicht mehr anzuwenden.

Darüber hinaus forderte der österreichische Gesundheitsminister in einem Schreiben an die Weltgesundheitsorganisation, daß auch diese die Klassifizierung der Homosexualität als Krankheit aus ihrem Krankheitenkatalog streichen möge.

Dieser Schritt ist eigentlich schon beschlossene Sache, nur wird die definitive Neufassung der ICD noch voraussichtlich bis 1993 auf sich warten lassen. Eigentlich sollte die ICD alle zehn Jahre routinemäßig in einer überarbeiteten Fassung neu herausgegeben werden. Die längst überfällige Ausgabe der ICD-10 hat sich jedoch bis heute verzögert.

Daß in Österreich Homosexualität ab jetzt offiziell nicht mehr als Krankheit gilt, ist jedenfalls ein weiterer großer Erfolg der jahrelangen konsequenten und kontinuierlichen Arbeit der HOSI Wien.

 

Nachträgliche Anmerkungen:

Als Datum, an dem die WHO offiziell Homosexualität aus ihrem Krankheitenkatalog ICD gestrichen hat, gilt der 17. Mai 1990 – heute wird ja bekanntlich aus diesem Grund an diesem Datum der IDAHOBIT, der internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Intersex- und Transphobie, begangen. Am 17. Mai 1990 bestätigte die Weltgesundheitsversammlung (WHA, World Health Assembly), das höchste Entscheidungsgremium der WHO, das jedes Jahr in Genf zusammentritt, mit der Verabschiedung ihrer Resolution 43.24 die Neufassung der ICD, wie sie von der „vorgeschalteten“ International Conference for the Tenth Revision of the International Classification of Diseases vorgeschlagen worden war. Die Entscheidung, die Krankheitsdiagnose Homosexualität aus der ICD-9 nicht mehr in die revidierte ICD-10-Fassung zu übernehmen, wurde also schon früher getroffen. Offiziell trat die ICD-10 dann am 1. Jänner 1993 in Kraft.