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Modernes Hofschranzentum oder Gery Keszler, die Christiane Hörbiger der LSBT-Community

LOSE SERIE: AUS DEM ARCHIV

Veröffentlicht am 2. März 2020

Gery Keszler hier mit Lilo Wanders auf dem Regenbogenball 2011 in der Wiener Hofburg

ACT UP Wien: FRIEDL NUSSBAUMER und ich fordern einen ÖVP-freien Life Ball, der am 11. Mai 1996 im Wiener Rathaus über die Bühne geht.

„Ganz besonders die ÖVP hat nie Intentionen gehabt, dass sich bei den Rechten der Homosexuellen irgendwas zum Positiven wendet. Bei der Schwulen- und AIDS-Thematik hat die ÖVP absolut das Schlusslicht und ist viel negativer einzuschätzen als die Freiheitlichen.“ – GERY KESZLER begründet im Jahr 2000 die Entscheidung, keine VertreterInnen der gerade angelobten blau-schwarzen Regierung zum Life Ball einzuladen.

20 Jahre später nun ein totaler Gesinnungswandel. An der ÖVP kann’s nicht liegen, die hat sich in diesen Jahren keinen Millimeter in LSBT-Angelegenheit bewegt und blockiert auch heute noch, wo es nur geht (vgl. Blog-Beiträge vom 12. Jänner 2020 bzw. 3. Februar 2020). Keszler lobte jedenfalls die ÖVP auf deren Wiener Parteitag am 29. Februar 2020.

Es ist wirklich nur mehr peinlich, wie sich Österreichs Prominente an die Türkisen anbiedern. Das hat ja leider Tradition. Auch unter den wenigen offen schwulen Promis. Nach ALFONS HAIDER (vgl. meinen Blog-Beitrag vom 3. Mai 2019) jetzt eben Life-Ball-Vater Keszler.

Leider sind die Begründungen für seine plötzliche schwarz/türkise Begeisterung nicht wirklich überzeugend, sondern inhaltlose Plattitüden, wie etwa Keszlers wenig tiefschürfende Aussage: „Eine neue Regierung ist eine Chance, dass Mut zur Veränderung nicht nur eine leere Phrase ist“ (zitiert nach Die Presse vom 1. März 2020). Heute spricht einen Tag später von „leeren Worten“ und ergänzt den O-Ton um das Bekenntnis, die neue Regierung habe „erfolgreich erstarrte Bündnisse aufgelöst. Das ist angewandte Demokratie, und dazu stehe ich.“

Offenbar erinnert er sich nicht mehr an seine eigenen Worte 2000 und hat vergessen, dass ÖVP und FPÖ 40 Jahre lang erbitterten Widerstand gegen jeden rechtlichen Fortschritt für Homosexuelle geleistet und sogar bis zum Schluss überlegt haben, wie sie das VfGH-Urteil zur Öffnung der Ehe noch torpedieren könnten. Es gelang ihnen nicht. Nur weil jetzt die Grünen das Feigenblatt für den ÖVP-Machtrausch abgeben, sind 40 Jahre LSBT-Unterdrückung etc. vergessen und vergeben? Aber wenn 37 Prozent der ÖsterreicherInnen so verblendet sind, warum nicht auch Haider oder Keszler?

Der Grund für dieses unkritische Ranschmeißen an die gerade Mächtigen liegt natürlich auf der Hand, die die andere wäscht – da braucht es keine wilden Spekulationen.

 

Blick in die Vergangenheit

Die Spezialität dieses Website ist es ja, im Archiv zu stöbern und in Vergessenheit Geratenes bei passender Gelegenheit wieder in Erinnerung zu rufen. Und das will ich hier jetzt auch mit Keszlers Haltung zur ÖVP während der Life-Ball-Ära tun, als er die Rolle und Verantwortung von ÖVP und FPÖ bei der jahrzehntelangen Unterdrückung von Homosexuellen durchaus kritisch gesehen und entsprechend gehandelt hat.

Bereits am 30. Jänner 1995 hatten die HOSI Wien und ACT UP Wien gemeinsam in einem Schreiben an Keszler und in einer Presseaussendung diesen aufgefordert, für einen ÖVP-freien Life Ball zu sorgen (vgl. LN 2/1995, S. 26 f, sowie meinen Kommentar in den LN 3/1995). Bei der Life-Ball-Pressekonferenz am 7. April 1995 stellte ich übrigens Modeschöpfer Jean-Paul Gaultier die Frage, ob die Anwesenheit von ÖVP-PolitikerInnen mit dem Anliegen des Balls vereinbar sei – was dieser bejahte: Man wolle auch jene nicht ausgrenzen, die selbst Lesben und Schwule ausgrenzen (vgl. LN 3/1995, S. 25 f). Noch war Keszler nicht bereit, unserer Forderung nachzugeben.

Der ÖVP-kritischen Haltung der HOSI Wien hat sich die große Mehrheit der Bewegung ein Jahr später angeschlossen. Leider konnte sich Keszler nicht dazu aufraffen, die zum Life Ball am 11. Mai 1996 eingeladenen ÖVP-PolitikerInnen wieder auszuladen, wiewohl der Druck der Lesben- und Schwulenbewegung immer größer wurde: Am 20. April 1996 etwa hatte der Bundesländerrat des (heute nicht mehr existierenden) Österreichischen Lesben- und Schwulenforums (ÖLSF) einen Antrag angenommen, mit dem alle Veranstalter von Benefizveranstaltungen zugunsten HIV- und AIDS-Betroffener aufgefordert wurden, VertreterInnen der ÖVP keine offiziellen bzw. Ehrenschutz-Funktionen anzubieten. Und auch die HOSI Wien verabschiedete eine entsprechende Resolution auf ihrer 17. ordentlichen Generalversammlung am 21. April 1996 (vgl. LN 3/1996, S. 22 f). ACT UP Wien protestierte am Tag des Life Ball vor dem Rathaus (vgl. meinen Kommentar in den LN 2/1996).

Ein Jahr später probierte es die HOSI Wien mit einem Appell direkt an ÖVP- und FPÖ-PolitikerInnen, den Life Ball nicht durch ihre Anwesenheit zu schänden. Ob sie sich daran gehalten haben, ist nicht überliefert. In der Medienberichterstattung kamen jedenfalls keine vor.

Aus den Jahren 1998 und 1999 sind keine Aktionen überliefert.

Als die schwarz-blaue Regierung 2000 antrat, kam es bei Gery Keszler zu einem Umdenken. In diesem Jahr erklärte er die Regierungsmitglieder zu unerwünschten Personen auf dem Life Ball (siehe Zitat oben sowie LN 3/2000, S. 13 f). Die HOSI Wien begrüßte den Schritt in einer Presseaussendung am 12. Mai 2000.

2001 war Schwarz-Blau ebenfalls offiziell unerwünscht. Die HOSI Wien gratulierte Gery Keszler zu seiner konsequenten Haltung in einer Presseaussendung am 15. Juni. Allein FPÖ-Finanzminister Karl-Heinz Grasser hielt sich nicht daran, vgl. Zeitreise-Eintrag für den 16. Juni 2001.

Zum 10. Life Ball am 17. Mai 2002 gratulierte die HOSI Wien in einer Medienaussendung wieder Ball-Vater Gery Keszler zu seiner konsequenten Haltung, keine PolitikerInnen von ÖVP und FPÖ zu diesem Fest gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und das „soziale AIDS“ offiziell einzuladen. Ich berichtete darin über meine Begegnung mit FPÖ-Finanzminister Karl-Heinz Grasser im Vorjahr, die mir die Freude am Event total vergällte, und verlieh meiner Hoffnung Ausdruck, dass mir diesmal unerfreuliche Zusammentreffen mit Heuchlern wie ihm erspart blieben (vgl. auch Bericht in den LN Special 3/2002, S. XIII). Am 21. Mai 2002 berichteten sogar ausländische Medien über die über FPÖVP verhängte Life-Ball-Quarantäne, etwa die französische Libération, die Tribune de Genève, La Libre Belgique und das Luxemburger Tageblatt.

Spätestens nach Ende der schwarz-blau-orangen Ära 2006 (die letzten Jahre wurde ohnehin nicht mehr so penibel kontrolliert) wurde die offizielle Quarantäne gegen die ÖVP aufgehoben, und 2007 tanzte bereits Andrea Kdolsky, ÖVP-Gesundheitsministerin in der rot-schwarzen großen Koalition, auf dem Life-Ball an. Die mittlerweile eingetretene Wurschtigkeit der Bewegung, wer sich dort tummelt, hatte natürlich auch mit dem Bedeutungsverlust des Life-Balls als Spektakel mit politischer Haltung und Botschaft insgesamt zu tun.

Nach Amtsantritt der türkis-blauen Regierung 2017 interessierte es offenbar keine Sau mehr, dass ÖVP-Minister Gernot Blümel und FPÖ-Ministerin Beate Hartinger-Klein Eröffnungsreden am Life Ball 2018 halten durften, wobei letztere ohnehin ziemlich peinlich war.

Ein Appell an Gery Keszler im Vorjahr wurde nicht einmal ignoriert.

 

Blümels Wirken für die LSBT-Sache

Blümel wurde vergangenen Samstag als Wiener ÖVP-Obmann wiedergewählt und ist Spitzenkandidat für die Wiener Landtagswahlen dieses Jahr. Weil er auch im Vorjahr von Alfons Haider völlig grundlos in Sachen Unterstützung für LSBT-Rechte über den grünen Klee gelobt wurde (vgl. erwähnten Blog-Beitrag), sei hier nochmals Blümels „record“ in dieser Hinsicht wiederholt, der indes eher einem Sündenregister gleicht:

In seiner Zeit als ÖVP-Generalsekretär 2013–2015 ist Blümel jedenfalls nicht gerade als Vorkämpfer für die schwul/lesbische Sache aufgefallen, und danach als Wiener Landesparteiobmann bloß dadurch, dass er die bis dahin gängige ÖVP-Praxis, im Wiener Gemeinderat für die jährliche Basisförderung von € 21.000,– an die HOSI Wien zu stimmen, beendet hat. Im Jänner 2016 stimmte die ÖVP unter seiner Führung gegen diese Subvention (vgl. Aussendung der HOSI Wien vom 29. Jänner 2016). Und als Minister hat Blümel ebenfalls nichts getan, was eine Huldigung durch Keszler oder Dankbarkeit seitens der LSBT-Bewegung rechtfertigen würde.