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„Ostreport“ und „DIK Fagazine“

Veröffentlicht am 23. November 2023

Zu später Würdigung kam dieser Tage wieder einmal die Osteuropa-Arbeit der HOSI Wien, die ihre Auslandsgruppe in den 1980er und frühen 1990er geleistet hat. Bekanntermaßen betreute die HOSI Wien von 1982 bis 1990 den Eastern Europe Information Pool (EEIP) im Auftrag der ILGA (heute steht das Akronym für International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association).

Diesmal war es der polnische Künstler Karol Radziszewski, der sich für diese Aktivitäten interessierte. Er gibt seit 2005 das DIK Fagazine in englischer Sprache heraus. Es handelt sich dabei um das erste Kunstmagazin aus Mittel- und Osteuropa mit Schwerpunkt Homosexualität und Maskulinität. Für die Beiträge in seinem Magazin betreibt Radziszewski aufwendige Archivforschung, aus der er dann die Inspiration für seine eigenen künstlerischen Werke schöpft, die im Zusammenhang mit der Magazinproduktion entstehen.

Einzelne Ausgaben befassen sich schwerpunktmäßig mit bestimmten Ländern oder Städten, z. B. Zagreb (# 10), Weißrussland (# 12) oder der Ukraine (# 13). Das aktuelle Heft, Nr. 14, das Radziszewski gemeinsam mit der Wiener Kunsthistorikerin und Kuratorin Fanny Hauser herausgegeben hat, widmet sich Wien und der Rolle, die die Stadt aufgrund ihrer geografischen, historischen und politischen Lage als Relaisstation zwischen Ost und West gespielt hat und immer noch spielt.

 

Wien gewidmet

Im Zuge seiner Recherchearbeit führte Radziszewski Interviews mit Andrzej Selerowicz, John Clark und mir, da wir Hauptprotagonisten des EEIP waren, der in der Tat ein wichtiger Umschlagplatz für den Austausch von Informationen, Kontakten, Begegnungs- und Kooperationsmöglichkeiten war. Wir kommen in der Publikation ausführlich zu Wort. Das Interview mit mir ist übrigens auch hier nachzulesen.

Ein spannender Beitrag beschäftigt sich mit der Stricherszene in Wien Anfang der 1990er Jahre, die sehr stark von jungen Männern aus Osteuropa dominiert war. Neuralgische Punkte dafür waren das legendäre Lokal Alfis Goldener Spiegel und die nicht weniger berühmt-berüchtigte Espresso-Bar Rondo in der Karlsplatz-Passage. Beide existieren heute nicht mehr. Zu diesem Thema hat Stefan Ingvarsson den polnischen Schriftsteller und Journalisten Michał Witkowski befragt, der selbst Anfang der 1990er Jahre Geld in diesem Milieu verdient hatte. Er steuert auch einen Text darüber bei – einen Auszug aus seiner soeben auf polnisch erschienenen Autobiografie. Darin beschreibt er die „traurige, anrüchige und tuntige Welt der Sexarbeiter aus dem ehemaligen Ostblock in Wien der frühen 1990er Jahre – ein Ort und eine Zeit, die kein anderer auf so unvergleichliche und unterhaltsame Weise eingefangen hat“, wie Ingvarsson in seiner Einleitung schwärmt. Und es stimmt!

Von Witkowski liegen übrigens zwei Romane in deutscher Übersetzung vor: Lubiewo (Suhrkamp 2007) und Queen Barbara (Suhrkamp 2010).

 

Spannende Beiträge

Ein weiteres Interview führten Hauser und Radziszewski mit Sabrina Andersrum, die 2005 die ebenfalls legendären BallCanCan-Partys ins Leben rief und bis 2011 organisierte. Sie gibt Einblick in die Balkan-Communitys in Wien und spart dabei nicht mit Kritik, speziell was die Zeit der Kriege in Ex-Jugoslawien in den 1990er Jahren anbelangt (das Stonewall in Wien-Interview mit ihr kann man hier nachschauen).

Am faszinierendsten fand ich indes den Beitrag von Gyula Muskovics über den ungarischen Baron Ferenc Nopcsa von Felső-Szilvás (1877–1933) und seinen albanischen Langzeitpartner Bajazid Elmaz Doda (1888–1933) – nicht zuletzt, weil mir die beiden und ihre Geschichte bisher völlig unbekannt waren. Dabei finden sich im Internet umfangreiche Informationen über ihr Leben und Wirken. Sie waren in der Tat ein schillerndes Paar.

Nopcsa war u. a. Paläontologe, fand die ersten Dinosaurierknochen in Ungarn, betätigte sich als österreich-ungarischer Spion in Rumänien und wäre fast König von Albanien geworden. Eine ausgestorbene Schildkrötenart benannte er nach seinem Lebenspartner bzw. – angeblich – dessen Hinterteil: Kallokibotion bajazidi, auf deutsch etwa: „Bajazids schöne Kiste“.

Doda wurde in Štirovica, damals Osmanisches Reich, heute Nordmazedonien, geboren. Auf der Suche nach Arbeit war er als 18-Jähriger nach Bukarest gekommen – und fand dort 1906 auch die Liebe seines Lebens. Er wurde Nopcsas Sekretär und Begleiter, wirkte aber auch als Fotograf, Ethnograf und Buchautor und hinterließ wichtige ethnografische Sammlungen mit Fotografien und Beschreibungen seiner albanischen Heimat.

Nach dem Ersten Weltkrieg lebte das Paar vorwiegend in Wien. Nopcsa hatte das Familienschloss und Gut in Szacsal (rumän. Săcel) in Siebenbürgen (nunmehr Rumänien) verloren. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesundheitlich ging es mit dem verarmten Aristokraten in der Zwischenkriegszeit bergab. Schließlich endete das Leben der beiden auf tragische Weise in ihrer Wohnung in der Singerstraße 12: Am 25. April 1933 erschoss Nopcsa seinen schlafenden Freund und danach sich selbst. Ihre letzte Ruhestätte fanden sie am Wiener Zentralfriedhof, allerdings in verschiedenen Grabstellen – Doda wurde im muslimischen Teil begraben, Nopcsas Asche in einem Urnenhain beigesetzt.

 

Präsentation des Magazins

Im Rahmen der Vienna Art Week wurde am 16. November 2023 das Heft # 14 des DIK Fagazine bei einer Veranstaltung in der Kunsthalle Wien Karlsplatz präsentiert. Das Herausgeber-Duo und das „EEIP-Trio“ sprachen bei dieser Gelegenheit über ihre Arbeit und erzählten dabei die eine oder andere launige Anekdote. Obwohl kaum 30 Jahre her, war es doch eine veritable Zeitreise für Andrzej, John und mich – in eine Epoche ohne Internet, Handy, E-Mail oder grenzenloses Reisen in Mitteleuropa.

Wie erwähnt, verbindet Radziszewski, der ein Master-Studium an der Akademie der bildenden Künste in Warschau absolviert hat, seine intensiven Archivrecherchen für die DIK Fagazine-Ausgaben mit seiner eigenen künstlerischen Produktion – dies ist quasi sein Markenzeichen; Archivfunde sind seine Inspirationsquelle.

 

Begleit-Ausstellung mit „Blood Transport“

So hat ihn im Interview mit mir die Erwähnung, dass ich 1986 auf meinem Motorrad Blutproben zur anonymen HIV-Testung von Budapest nach Wien brachte, dermaßen beeindruckt, dass er dazu ein großformatiges Gemälde („Blood Transport“, Acryl auf Leinwand, 200 x 150 cm) schuf.

Positiver Nebeneffekt in Wien: Dieses und andere Werke (u. a. Porträts von Nopcsa und Doda), die in Verbindung mit dem Wien-Heft des DIK Fagazine entstanden sind, sind in einer kleinen, aber feinen Solo-Ausstellung mit dem Titel Ostreport in der Wiener Galerie EXILE zu sehen, wobei auch hier die Archivforschung des Künstlers anhand von einschlägigen Materialien, die er als Ergänzung der Ausstellung in zwei Vitrinen zusammengestellt hat, dokumentiert wird.

Die Vernissage fand am 28. Oktober statt, die Ausstellung läuft noch bis 16. Dezember 2023.

 

 

Karol Radziszewski

Titelblätter früherer „DIK Fagazine“-Ausgaben

Präsentation von Heft # 14 des „DIK Fagazine" in der Kunsthalle Wien am Karlsplatz am 16. November 2023 mit dem EEIP-Trio (links) und dem Herausgeber-Duo (rechts)

Cover von Heft # 14 des „DIK Fagazine"

Karol Radziszewski: „Blood Transport“, Acryl auf Leinwand, 200 x 150 cm

Geschmeichelt und stolz posiere ich bei der Vernissage vor Karol Radziszewskis Bild.

Karol Radziszewski: „Ferenc Nopcsa“ und „Bajazid Elmaz Doda“, Acryl auf Leinwand, jeweils 50 x 60 cm

Karol Radziszewski: „Ferenc Nopcsa in albanischer Krieger-Tracht", Acryl auf Leinwand, 120 x 170 cm

Karol Radziszewski: „Kallokibotion bajazidi“, auf deutsch etwa: „Bajazids schöne Kiste“, Acryl auf Leinwand, 100 x 80 cm

Vitrine mit Archivmaterial im Rahmen der Ausstellung „Ostreport“ in der Galerie EXILE

Vitrine mit Archivmaterial im Rahmen der Ausstellung „Ostreport“ in der Galerie EXILE

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