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Warum ich nach Jahrzehnten mit dem „Gendern“ aufhöre

Veröffentlicht am 10. März 2024

Seit rund vier Jahrzehnten wird geschlechtergerechte Sprache diskutiert und angewendet – vor allem durch Schreibung mit Binnen-I. Als dieses Thema aufkam, ging es darum, Frauen (in der Sprache) sichtbar(er) zu machen. Nach 40 Jahren darf man Bilanz ziehen und sich die Frage stellen: Hat es etwas gebracht? Ich würde meinen, ja, teilweise: Das allgemeine Bewusstsein für geschlechtergerechte Sprache wurde sicherlich nachhaltig geschärft, aber für die konkrete Gleichstellung und Verbesserung der gesellschaftlichen Lage von Frauen waren und sind wohl andere Faktoren maßgeblich. Die Grenzen und das beschränkte Potential dafür, was geschlechtergerechte Sprache leisten kann, sind inzwischen deutlich geworden.

Diese Ernüchterung ist vermutlich ein Grund, warum – gerade auch von Frauen – mehr oder weniger widerstandslos zugeschaut wurde, wie dieses Anliegen von anderen Gruppen gekapert und zum Teil pervertiert und in sein Gegenteil verkehrt wurde. Denn die Erweiterung geschlechtergerechter Sprache hin zu „gendergerechter“ Sprache, um auch subjektiv empfundener Geschlechtsidentität – also Geschlechtsrollen und dem „sozialen Geschlecht“ (was immer das auch sein mag) – sprachliche Sichtbarkeit zu verleihen, hat dazu geführt, dass Frauen wieder zurück in die Unsichtbarkeit gestoßen werden – etwa durch die krampfhaften und meist völlig lächerlichen Versuche, flächendeckend geschlechtsneutrale Begriffe zu verwenden, wie z. B. Forschende, Arbeitnehmende, Fremdenführende, Denkende und Dichtende etc.; momentan im ORF eine veritable Pest.

Wenn also der ursprüngliche Hauptgrund für geschlechtergerechte Sprache, die Sichtbarkeit von Frauen, eliminiert wird, stellt sich die Frage, ob man sich „das Gendern“ nicht gänzlich sparen kann. Zur Sichtbarmachung anderer Gruppen bzw. eigentlich Grüppchen steht sich der Aufwand wohl nicht dafür. Denn für wen stehen Asterisk, Unterstrich oder Doppelpunkt (z. B. statt Binnen-I) konkret? Strenggenommen nur für Intergeschlechtliche, die in der Tat biologisch nicht eindeutig männlich oder weiblich sind. Alle anderen haben ein eindeutiges (biologisches) Geschlecht – auch wenn sie die Kategorie Geschlecht für sich ablehnen. Hier wird biologisches Geschlecht mit Geschlechterrolle vermischt. Dass indes jede subjektive Selbstwahrnehmung – egal, ob nun als non-binär, genderqueer, androgyn, cisgenderfluid, a-, demi-, libra-, neuro-, pan- und xenogender oder was auch immer – ihre sprachliche Umsetzung findet, ist unmöglich; so viele Sonderzeichen hat keine Tastatur! Jedenfalls bewegt sich die Gesamtgröße dieser Grüppchen wohl im Promillebereich. Und da muss man schon sagen: Manchmal hat man halt Pech im Leben; aber zum Trost: Es gibt hunderte andere Minderheiten, die ebenfalls in der Sprache nicht ausdrücklich sichtbar gemacht werden (können).

Oft wird auch argumentiert, mit dem erweiterten Gendern mit Sternchen & Co werde die starre Kategorie Geschlecht subversiv bekämpft oder zumindest das Konzept der Geschlechterbinarität unterminiert. Abgesehen davon, dass es eine Illusion ist, dass Sprache das überhaupt leisten könnte, stellt sich hier die Frage: Wer hat den Auftrag dazu gegeben, und warum sollte man die Geschlechterbinarität überhaupt überwinden? Als schwuler Mann würde ich zudem die Abschaffung der Geschlechter gar nicht befürworten – immerhin „lebt“ die Homosexualität davon, dass es zwei Geschlechter gibt. Deren Abschaffung wäre wohl eine Art „Endlösung der Homosexuellenfrage“ – möglicherweise für einige ein reizvoller Gedanke, aber dafür hat die Schwulen- und Lesbenbewegung sicher nicht 45 Jahre gekämpft.

 

Gequeerlte Schei*e

Darüber hinaus werden neuerdings beim „erweiterten Gendern“ Grammatik und Rechtschreibung bewusst ignoriert. Eine Entwicklung, die schleichend und von der breiteren Öffentlichkeit unbemerkt vor sich geht. Während seinerzeit in den einschlägigen Leitfäden aus dem „Hause“ der Frauenministerinnen Johanna Dohnal und Barbara Prammer sprachliche Anforderungen, wie die sogenannte Weglassprobe hochgehalten wurden, gelten diese heute nicht mehr – offenbar, weil es mit Sternchen & Co zu kompliziert wird. Als ich mich etwa bei der Österreichischen Post AG über die in mehrfacher Hinsicht missglückte Anrede „Lieber*liebe Kund*in“ beschwerte und ersuchte, als „Kunde“ angesprochen zu werden, wurde mir vom Pressesprecher und von der Diversity-Abteilung mitgeteilt, man habe sich für diese Form „inklusiver“ (sic!) Sprache entschieden, denn diese sei „wertschätzend“, „respektvoll“ und „diskriminierungsfrei“ allen (sic!) Geschlechtern gegenüber – ich möge mich doch gefälligst im Gendersternchen wiederfinden. Für mich ist das „gequeerlte Schei*e“ und Verarschung.

Ähnlich schlimm, wenn diverse Hilfsorganisationen dazu aufrufen, „Pat*in“ zu werden. Dafür keinen Cent von mir! In einem Infotext im Belvedere-Museum in Wien heißt es etwa „inmitten antiker (…) Gött*innen“. „Götter“ muss man sich offenbar dazudenken. Oder wenn die Überschrift zur Autorenzeile einfach „Über die Autor:in“ heißt, selbst wenn es sich um einen Autor handelt. Diese Formen setzen sich, wie gesagt, schleichend fest, den meisten fällt es vermutlich gar nicht auf. 

Korrekte Genitiv- und Dativformen werden ebenfalls bewusst ignoriert, etwa „des*der Mitarbeiter*in“ (statt „des Mitarbeiters/der Mitarbeiterin“) – gesehen u. a. in Texten von Billa, ERSTE Bank, ÖBB usw. Oder (gesehen auf der Homepage des Parlaments): „zum Verhältnis des Parlaments zum/zur Bundespräsident:in“ (statt „zum Bundespräsidenten/zur Bundespräsidentin“).

Anfangs dachte ich, die können es einfach nicht besser – hochmotiviert und bemüht, aber intellektuell überfordert (soll ja vorkommen) – bzw. das seien Schlampigkeitsfehler. Doch nein: Die meinen das tatsächlich ernst!

 

Monströse Anmaßung

Das sind indes nur einige von vielen Folgeproblemen „gendergerechter“ Sprache, deretwegen der Rat für deutsche Rechtschreibung, die einzig zuständige Instanz in dieser Frage, Formen mit Sonderzeichen ablehnt. Zudem lassen sich diese nicht sprechen. Es mutet in der Tat monströs an, dass sich staatliche Institutionen vom österreichischen Parlament abwärts bis hin zu Landes- und Stadtverwaltungen über derartige Empfehlungen hinwegsetzen. Wenn man ohnehin nicht daran denkt, sich an die Vorgaben dieses Gremiums zu halten, sollte man es konsequenterweise auflösen.

Ebenso inakzeptabel ist die Anmaßung diverser Diversity-Abteilungen großer Konzerne, neue Grammatik- und Sprachstandards etablieren zu wollen. Niemand hat ihnen dafür ein Mandat erteilt. Es ist schlimm genug, dass das eigene Firmenpersonal damit drangsaliert wird: Alle, die nach den offiziellen Empfehlungen des Rechtschreibrats schreiben wollen und das Gender-Geschwurbel, es gebe mehr als zwei biologische Geschlechter (was ja stets im Doppelpack daherkommt), ketzerisch ablehnen, werden hinausgemobbt oder zum Schweigen gebracht – man braucht ja den Job, hat man doch einen Kredit zurückzuzahlen oder eine Familie zu ernähren. Es muss die Hölle sein in diesen Firmen. Aber kann man bitte wenigstens uns Kunden verschonen!

Nicht weniger problematisch ist es, dass man in Österreich offenbar kaum mehr einen akademischen Grad erwerben kann, ohne sich diesem Diktat zu unterwerfen. Völlig schleierhaft ist mir, dass Studentinnen und Studenten nicht dagegen auf die Barrikaden steigen. Meine Generation war da definitiv rebellischer. Selbst wenn man sich mit dem Inhalt identifiziert, sollte man doch zumindest gegen diese autoritären Methoden sektoider und dogmatischer Gehirnwäsche aufbegehren.

Jedenfalls können wir gerade in Echtzeit miterleben, mit welcher Dynamik sich autoritäre Gesinnung und Ideologie undemokratisch Bahn brechen können: Missionarisches Sendungsbewusstsein – unterstützt durch verblendeten Altruismus, toleriert von opportunistischem Mitläufertum und befeuert durch apathische Gleichgültigkeit – erstickt jeden potentiellen Widerstand. Ein perfektes Lehrbeispiel dafür, wie sich totalitäre Ideologien durchsetzen (können). Man kann sich vorstellen, wie diese Fanatiker erst wüten würden, wären sie an der Macht.

Derartige dystopische Anwandlungen Orwell’schen Ausmaßes, die deutsche Sprache für ideologische Zwecke zu instrumentalisieren, gab es jedenfalls zuletzt in der DDR und davor im Deutschen Reich – beide sind zum Glück Geschichte. Ich denke nicht, dass ich als akademisch ausgebildeter Übersetzer, Journalist, Lektor, Redakteur, Herausgeber und Blogger, der sich sein gesamtes Studien- und Arbeitsleben fast ausschließlich mit Sprache beschäftigt hat, in dieser Sache bloß linguistisch übersensibel bin.

Nein, die politisch-ideologische Dimension ist unübersehbar. Kritiker und Kritikerinnen wie Susanne Schröter machen darauf aufmerksam. In ihrem Buch Der neue Kulturkampf – Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht beschreibt sie diese Mechanismen und gelangt zu einem deprimierenden Befund: Ausgehend von den Universitäten wird über den Umweg staatlich geförderter Organisationen diese Ideologie in die Politik eingespeist und durch „Handlungsvorgaben und Regularien“ letztlich zum Instrument „einer totalitären Zurichtung der Gesellschaft“.

 

Wegbereiter des Faschismus

Kritiker werden indes belächelt. Das Gendersternchen sei doch nicht so wichtig, störe doch niemanden, tue niemandem weh, heißt es verharmlosend, es gebe doch viel drängendere Probleme. Wer sich dem „neuen Zeitgeist“ widersetzt und über Gendersternchen diskutieren will, muss sich rechtfertigen. Typisch für diese oberflächliche Haltung, die natürlich zeigt, dass man sich gar nicht ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt hat, ist die Reaktion des SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler auf die Äußerungen seines Tiroler Parteikollegen Georg Dornauer, der zu Recht findet, mit dem Thema Gendersternchen werde die SPÖ wohl keinen Blumentopf gewinnen. Babler schasselte ihn einfach ab – vgl. KURIER-Interview vom 3. März 2024; Debatte unerwünscht.

Ich fürchte, hier ist Babler, der auch sonst enttäuscht, am falschen Dampfer und schätzt die Stimmung in der Bevölkerung falsch ein. Genauso rätselhaft war für mich, dass die SPÖ sofort total ablehnend auf den – ich sage es nur ungern – grundvernünftigen Vorschlag der ÖVP reagierte, die Paarform (männlich/weiblich) zu verwenden. Die Mehrheit der Menschen will „nicht zum Gendern oder zu anderen absurden Sprachspielen genötigt werden“, meint Schröter in ihrem Buch, und das belegen auch alle Umfragen. Mit dem Festhalten am Gendersternchen und dem damit zwangsläufig verbundenen unwissenschaftlichen Geschwurbel, es gebe mehr als zwei biologische Geschlechter, wird die SPÖ viele Wähler und noch mehr Wählerinnen vertreiben. Mich auch: Ich werde sicher keine Partei mehr wählen, die mit Sonderzeichen „gendert“.

Die SPÖ und die anderen Parteien, die diese hanebüchene Form „gendergerechter“ Sprache verwenden und folglich amtlich umsetzen wollen, müssen sich daher den Vorwurf gefallen lassen, Wegbereiter des Faschismus zu sein – indem sie ohne Not, aber aus ideologischer Verbohrtheit der FPÖ und ÖVP massiv Wähler und Wählerinnen zutreiben.

Ich selber habe jetzt rund 35 Jahre lang das Binnen-I verwendet – allerdings ohne groteske Auswüchse, wie etwa „FeindInnenschaft“ oder „FührerInscheinbesitzerIn“. Angesichts der aktuellen Diskussion und der Bilanz darüber, was durch 40 Jahre Gendern mit Binnen-I letztlich (nicht) bewirkt wurde, habe ich mich entschlossen, zum generischen Maskulinum, das Frauen und Männer gleichermaßen umfasst bzw. miteinschließt, zurückzukehren, speziell wenn das Geschlecht der angesprochenen Personen unbekannt oder irrelevant ist. Wenn es inhaltlich angezeigt ist, Frauen und Männer explizit zu erwähnen, werde ich in Zukunft auf ÖVP-Linie umschwenken (hätte ich mir nie träumen lassen) und die Paarform verwenden.

 

Anmerkung: Zu diesem Thema habe ich schon seinerzeit einige Kommentare in den LAMBDA-Nachrichten verfasst. Hier eine Zusammenfassung samt Verlinkung zu den einzelnen Glossen.

 

 

6 Kommentare

  1. R

    Vielen Dank! Sie sprechen mir aus der Seele!

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  2. T

    Das Grundmissverständnis ist, Genus und Sexus (einschließlich Gender) gleichzusetzen bzw. zu verwechseln. Damit fängt alles an.

    Für jede Geschlechts- und Genderdefinition existieren entsprechende Adjektive, die dem generischen Substantiv beigeordnet werden können. Das wäre doch die sachgerechteste Lösung.

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    • K

      Den zweiten Satz verstehe ich, ehrlich gesagt, nicht.

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  3. A

    Wie recht du hast!

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  4. A

    Guten Tag, wieso erschien im „Falter“ der Artikel gekürzt?

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    • K

      Weil ich im „Falter“ nur 6000 Zeichen zur Verfügung hatte. (Entschuldige, bitte, die späte Freischaltung Deines Kommentars und meine Antwort darauf; früher bekam ich immer automatisch eine E-Mail-Nachricht, wenn jemand einen Kommentar geschrieben hatte; jetzt sah ich Deinen Kommentar erst, als ich wieder in den „Arbeitsmodus“ meines Website-Programms eingestiegen war. Ich werde das sofort von meinem Webmaster Christian Högl richten lassen.)

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