„Inklusiver Feminismus“: Kritik wird lauter
Der sogenannte „inklusive Feminismus“ hat sich in Österreich eher schleichend ausgebreitet. Teilweise muten seine Grundlagen und Forderungen so abstrus und hanebüchen an, dass die meisten, ich eingeschlossen, die Sache – leider – lange Zeit bloß belächelten, die Augen rollten oder den Kopf schüttelten, statt gleich vehement den Anfängen argumentativ zu wehren. Die wenigsten haben das wirklich ernstgenommen. Wobei man anmerken muss, dass es sich beim inklusiven Feminismus um keine breite Volksbewegung handelt, sondern dieser in einer sehr kleinen identitätspolitischen Blase diskutiert wird. Dennoch sieht sich sowohl die Frauen- als auch die LSBT-Bewegung gezwungen, sich dazu zu verhalten und Stellung zu beziehen.
Außerhalb dieser Blase poppt die Sache jedenfalls höchstens dann auf, wenn die von ihr ausgelöste Hexen- und Ketzerverfolgung Berühmtheiten wie J. K. Rowling oder Alice Schwarzer trifft und dadurch etwas höhere Wellen schlägt. Aber man kann wohl getrost davon ausgehen, dass diese Debatte von 95 oder mehr Prozent der Menschheit überhaupt nicht wahrgenommen wird.
Wer mit den Inhalten und der Bedeutung des inklusiven Feminismus nicht vertraut ist, dem/der seien zwei kritische Texte von Gertraud Klemm ans Herz gelegt, die zum Weltfrauentag 2022 im Standard und 2023 in der Presse veröffentlicht wurden. Kurz zusammengefasst geht es darum, Frauen und Feminismus nicht exklusiv aufgrund des biologischen Geschlechts zu definieren, sondern auch andere Kategorien miteinzubeziehen, was allerdings letztlich zur Entsorgung der Kategorie „Frau“ führt, wie Klemm, die überdies dem Falter (# 9 vom 28. Februar 2023) ein wunderbares Interview gegeben hat, sehr überzeugend darlegt.
Diese Auslöschung der Kategorie „Frau“ merkt man u. a. an den sprachlichen Begleiterscheinungen. Etwa daran, dass Frauen in der Sprache systematisch wieder unsichtbar gemacht werden – nachdem man jahrzehntelang durch entsprechendes Gendern Frauen sichtbar machen wollte. Geschlechtsneutrale Formen (z. B. „Studierende“) sollen Binnen-I oder die Verwendung von Doppelformen („Studenten und Studentinnen“) flächendeckend ersetzen. Dazu kommt der Versuch, geschlechtsspezifische Wörter, wie „Mutter“ oder „Vater“ systematisch auszumerzen, also etwa durch „Elternteil 1“ und „Elternteil 2“ zu substituieren. Das Wort „Frau“ darf ohne Sternchen (Asterisk) gar nicht mehr verwendet werden, will man sich nicht den Zorn der inklusiven FeministInnen zuziehen – wobei man ohnehin am besten nur mehr das Akronym FLINTA* oder die Bezeichnung „weiblich gelesene Menschen“ verwenden sollte!
Nun sind Konflikte und politische wie inhaltliche Auseinandersetzungen weder in der Frauen- noch in der LSBT-Bewegung etwas Neues; die ältere Generation erinnert sich etwa an den sogenannten Hetera-Lesben-Konflikt. Meinungsverschiedenheiten betrafen und betreffen grundsätzliche Fragen, wie etwa die Haltung zu Prostitution, Pornografie oder Leihmutterschaft, wobei man trotz intensiver Diskussion auf keinen gemeinsamen grünen Zweig gekommen ist. Und so vertritt halt jede ihren eigenen Standpunkt und nimmt den jeweils anderen – wenn auch zähneknirschend – zur Kenntnis.
Was am aktuellen Diskurs indes anders und verstörend ist, ist die Intransigenz der VertreterInnen des inklusiven oder Queer-Feminismus. Widerspruch bzw. andere Standpunkte werden nicht mehr geduldet, Kritikerinnen werden mit übelsten Methoden zum Schweigen und Verstummen gebracht – bzw. es wird zumindest versucht. Da schlägt offenbar bei einigen Transfrauen bzw. – aus diesem Grund wohl – männlich zu lesenden Transaktivisten noch ein ziemliches Macho-Gehabe durch, das auch ihren Verbündeten (cis, weiß, hetero, LSB und was noch alles), die aus Schuldgefühl und schlechtem Gewissen über ihre eigene privilegierte Position offenbar eine toxische Mischung aus Helfer- und Stockholmsyndrom entwickelt haben, nicht fremd ist.
Diese starrsinnige Ablehnung von Argumenten und diese Unfähigkeit, sich mit Kritik auseinanderzusetzen, sind insofern noch problematischer, als hier teilweise unwissenschaftliche und esoterische Standpunkte und Ansichten vertreten werden, gegen die etwa die Corona-Schwurbelei geradezu seriös wirkt. Wenn da behauptet wird, etwa von Markus/Tessa Ganserer, einem grünen Mitglied des Bundestags, ein Penis sei per se gar kein männliches Genital, und erwartet wird, dass dies von aufgeklärten und rationalen Menschen widerspruchslos als Faktum akzeptiert wird, ja dann empfinde wohl nicht nur ich dies als arge Zumutung. Oder wenn gefordert wird, „nicht-binär“ müsse im Personenstandsregister – ähnlich wie Intersexualität – neben „männlich“ und „weiblich“ als eigene neue Geschlechtskategorie vorgesehen werden. Wobei „nicht-binär“ absolut nichts mit Zwischengeschlechtlichkeit zu tun hat, sondern bloß eine individuell und subjektiv gefühlte Überzeugung ist, die nun von Staat und Gesellschaft anerkannt werden soll – mit all den daraus abzuleitenden Folgen und Forderungen im Sinne der Gleichbehandlung und Antidiskriminierung. Das ist einfach nur hanebüchen.
Je bizarrer die Ansichten und Forderungen und je weniger sie daher breite Unterstützung finden, desto mehr müssen sie anscheinend mit anderen Methoden jenseits argumentativer Überzeugungskraft durchgesetzt werden – und die fallen dann mitunter recht brutal aus. Auch dem muss mit Vehemenz entgegengetreten werden. Im Vergleich zu den autoritären, schon faschistoide Züge tragenden Anwandlungen mancher queerer AktivistInnen und der mit ihnen „solidarischen“ inklusiven FeministInnen mutet das wilde „Lügenpresse“-Gegröle der Covid-LeugnerInnen fast schon wie Dialogbereitschaft an.
Fatwa gegen Faika El-Nagashi
In Österreich bekam als erste die grüne Nationalratsabgeordnete Faika El-Nagashi diese brutalen Methoden zu spüren, als ein von der HOSI Wien mitinitiierter Lynchmob eine Fatwa gegen sie aussprach. Dieser unsägliche Angriff auf Faika, weil sie es wagte, anderer Meinung zu sein, war damals Anlass für mich, mich zu Wort zu melden und einzumischen, was ich mit einem Blog-Beitrag am 28. Oktober 2022 tat. Eine Kurzfassung davon erschien am 6. Februar als Gastkommentar in der Presse.
Ein anderer höchst problematischer Ansatz, genderkritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, ist deren Kriminalisierung. Andere Meinungen, ja selbst Aussagen, die objektiv wissenschaftliche Tatsachen wiedergeben, werden als Hassreden denunziert. Auch dieses Phänomen hat eine Dimension angenommen, die Gegenwehr dringend notwendig macht. In diesem Bereich treffen ja grundsätzlich das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung und der Schutz vor Diskriminierung und Verhetzung aufeinander. Diese beiden Rechte gilt es in diesem Spannungsfeld auszutarieren, ohne dabei das Kind mit dem Bade auszuschütten. Nicht umsonst werden sogenannte SLAPP-Klagen zur Einschüchterung von KritikerInnen in einer freien Gesellschaft abgelehnt. Der Meinungsstreit innerhalb der LSBT-Bewegung sollte jedenfalls von solchen Einschüchterungsklagen verschont bleiben. Faika El-Nagashi hat zu diesem Thema für das Magazin Schweizer Monat einen ausgezeichneten Hintergrundbericht verfasst.
Widerstand regt sich
Zum Glück platzt immer mehr Leuten der Kragen angesichts dieser Entwicklungen. Immer mehr Widerstand regt sich, Kritik wird immer lauter. Am 7. März 2023 meldete sich etwa Andrea Schurian in einem Quergeschrieben-Beitrag in der Presse zu den ideologischen Auswüchsen des inklusiven Feminismus zu Wort. Am selben Tag organisierte die Europäische Gesellschaft für Geschlechtergerechtigkeit Österreich (EGGö) eine Podiumsdiskussion in Wien zum Thema Geschlechtergerechtigkeit – Quo vadis?. Dabei ging es um eine genderkritische Auseinandersetzung mit dem „inklusiven Feminismus“. Nach einem brillanten Einleitungsreferat der Psychoanalytikerin und Psychiaterin Bettina Reiter diskutierten Faika El-Nagashi, die Studentin Hannah, die Autorin und Podcasterin Regula Stämpfli und der Autor dieser Zeilen unter der Moderation von Elfi Rometsch, der Obfrau der EGGö. (Die Videoaufzeichnung der Veranstaltung kann auf YouTube angesehen werden.)
Die Keynote-Rede von Bettina Reiter ist hier in vollem Wortlaut nachzulesen. Identität, also auch Genderidentität, so Reiter, stehe im Widerspruch zum universalistischen Anspruch, den Demokratie, Aufklärung und Vernunft kennzeichnen. Hier schlage das Gefühl die Vernunft. Und dies sei, politisch gesehen, ein rechtes Framing: Das Beharren auf Identität, dem scheinbar Unveränderlichen, dem Vorgängigen, Immer-schon-so-Gewesenen ist das Erkennungsmerkmal der gesellschaftlichen Charaktermaske des Reaktionärs. So sei es auch kein Zufall, dass die Rechtsradikalen sich „Identitäre“ nennen: ein Begriff zur Kenntlichkeit entstellt. Diese Abkehr vom Universalismus hin zu einem vor-historischen Tribalismus sei natürlich ganz im Sinne des vorherrschenden neoliberalen, entfalteten – und narzisstisch organisierten – Kapitalismus. Und das Thema „Geschlechtergerechtigkeit“ sei in einem Identitätsdschungel gekidnappt worden. Hat eine Fairness zwischen den Geschlechtern bislang schon real nicht existiert (…), so ist die Gerechtigkeit, wie wir sie verstehen wollen, als faktische, materielle, biologische, reale Tatsache inzwischen gar nicht mehr gewünscht. Und das mit einem scheinbar banalen Trick: Geschlecht ist nicht mehr Geschlecht. Frauen sind nicht mehr Frauen, weil jetzt ja alle Männer auch Frauen sein können (natürlich gilt auch die andere Richtung, aber – warum wohl? – kommt diese Richtung im „Culture War“ nie vor?). Eine absolut lesenswerte Analyse.
Am 12. März veröffentlichte Die Presse einen weiteren Beitrag, diesmal von Michael Prüller, der sich auf rechtliche Aspekte konzentriert und u. a. schreibt: Aber mit der freien Wählbarkeit der amtlichen Geschlechtsidentität kommt ein fremdes Element in unser Rechtswesen: das Gefühl. Bisher waren Angaben in Pass und Personenstandsregister ausnahmslos überprüfbare Tatsachen: Ob sich jemand als Weltbürger begriff, hat bei „Nationalität“ genauso keine Rolle gespielt wie bei „Geburtsdatum“ die Frage, wie alt sich jemand fühlt.
Politische Parteien am Holzweg
Was mich in diesem Zusammenhang ebenfalls umtreibt, sind die Uneinsichtigkeit der Grünen und der SPÖ und die Vehemenz, mit der beide Parteien an diesem sektoiden Gender-Geschwurbel festhalten. Dabei müsste ihnen doch klar sein, dass sie damit bei Wahlen keinen Blumentopf gewinnen werden. Im Gegenteil: Diese irrationalen dogmatischen Haltungen erweisen sich doch als massive Vertreibung von Wählern und vor allem Wählerinnen. Und zwar nicht nur, weil einer großen Mehrheit diese Diskurse am Arsch vorbeigehen, sondern auch, weil sich die Menschen verarscht fühlen, wenn sich eine Partei so prominent um derartige „Orchideenthemen“ statt um die viel dringenderen Alltagsprobleme wie Teuerung, Armut und explodierende Mieten kümmert.
Das hat man gerade in Kärnten wieder gesehen. Dass die SPÖ bei den Landtagswahlen derart massiv verloren hat, lag sicherlich auch an der „Affäre“ um den Genderleitfaden der Landesregierung, dem die bürgerlichen Medien rechtzeitig vor den Wahlen größtmögliche Aufmerksamkeit zuteilwerden ließen. Der Leitfaden war ein monströser, an Orwell gemahnender Versuch sprachlicher Säuberung. Das ging so weit, dass etwa vorgeschlagen wurde, „Gast“ durch „Besuchsperson“ oder „Bauer“ und „Bäuerin“ durch „landwirtschaftlich Beschäftigte“ zu ersetzen. Letzteres ist nicht nur inhaltlich falsch und holprig, sondern auch – typisch für die SPÖ! – halbherzig und inkonsequent, denn wenn man schon angeblich gendergerechte Sprache auf die lächerliche Spitze treibt, muss es natürlich „landwirt:innenschaftlich Beschäftigte“ heißen!
Jedenfalls musste die FPÖ dann nur mehr laut „Genderwahn!“ schreien, was sie natürlich prompt tat, um gleich wieder einen Prozentpunkt mehr an Wählerstimmen einsammeln zu können. Ich begreife nicht, warum SPÖ und Grüne immer noch nicht kapiert haben, dass die bürgerlichen Medien diese kontroversiellen Themen nicht aus Sympathie und ihrer ehrlichen Unterstützung willen so gerne aufgreifen und ihnen viel Spaltenplatz einräumen. Es geht ihnen dabei doch bloß darum, die Anliegen unmöglich zu machen und die Parteien, die sie vertreten, zu desavouieren – und den konservativen und rechten Parteien damit in die Hände zu spielen.
SPÖ-Versagen bei historischer Aufgabe
Bei der SPÖ kommt aktuell ja erschwerend hinzu, dass sie eigentlich im Bund derzeit eine historische Aufgabe zu erfüllen hätte, nämlich dafür zu sorgen, die ÖVP nach 37 Jahren in der Bundesregierung endlich daraus zu vertreiben, indem sie eine Mehrheit von ÖVP und FPÖ bei den nächsten Nationalratswahlen verhindert. Aufgrund des korruptionsbedingten Tiefstands der ÖVP standen die Chancen dafür zumindest bis vor kurzem so gut wie schon lange nicht mehr. Durch das verantwortungslose Agieren der Partei, ihre internen Debatten um den Parteivorsitz, hat die SPÖ diese Chance vielleicht eh schon wieder vergeigt. Aber selbst wenn es gelingen sollte, doch noch aus dem Schlamassl die Kurve zu kratzen, wird es auf alle Fälle knapp werden. Und das letzte, was die SPÖ da braucht, sind unnötige offene Flanken wegen irgendwelcher Orchideenthemen. Spätestens nächstes Jahr werden wir sehen, ob es hier zu einem historischen Versagen der SPÖ kommen wird.
Danke, danke für diesen tollen Beitrag!!!
Die Problematik super auf den Punkt gebracht!
Hab ihn mehrfach verschickt!
LG RT