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Dringliche Anfrage an die Grünen: Was ist mit den schwul/lesbischen Forderungen?

Veröffentlicht am 21. November 2019

Liebe Grüne!

Wenig hört man aus den Koalitionsverhandlungen. Totale Funkstille auch in Hinblick auf die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender- und Intersexpersonen, die Euch ja in den letzten drei Jahrzehnten glaubwürdig ein großes Anliegen gewesen ist.

Niemand erwartet, dass die Koalitionsverhandlungen mittels Live-Stream im Internet übertragen werden, aber Eure Geheimniskrämerei geht doch etwas zu weit. Warum unterwerft Ihr Euch hier den Wünschen der ÖVP und ihrer Message-Control? Transparenz schaut anders aus.

Die LSBTI-Öffentlichkeit würde jedenfalls gerne jetzt schon wissen (und nicht erst nach Ende der Koalitionsgespräche), wie es mit diesen Anliegen weitergeht. Werden sie von Euch überhaupt in die Verhandlungen eingebracht werden? Und wenn ja, nur als Verhandlungsmasse, die man beim großen Feilschen dann auf dem Altar einer Regierungsbeteiligung opfern kann, oder werdet Ihr wenigstens die Umsetzung von zwei Eurer langjährigen Forderungen zur Koalitionsbedingung machen?

Bitte, meldet Euch, kommuniziert mit Euren WählerInnen, AnhängerInnen und SympathisantInnen! Sie haben ein Recht darauf, über solche entscheidenden Fragen informiert zu werden. Vor den Wahlen bekam ich ja auch ständig E-Mails von Euch!

Zur Erinnerung: Eine dieser offenen Forderungen betrifft das sogenannte Levelling-up im Gleichbehandlungsrecht. Derzeit wird ausgerechnet – und menschenrechtswidrig – beim Schutz vor Diskriminierung diskriminiert, indem manche Gruppen in weniger Bereichen geschützt werden als andere. Unter Rot-Schwarz sind entsprechende Initiativen für ein solches Levelling-up bisher dreimal – auf Druck der katholischen Kirche – an der ÖVP gescheitert. Zuletzt war sogar schon die Wirtschaft mit an Bord, um ihre Diversity-Anstrengungen nicht zu konterkarieren. (Hoffentlich müsst Ihr das nicht mit ÖVP-Abgeordneter Gudrun Kugler diskutieren! Da hättet Ihr mein vollstes Mitgefühl.)

Die zweite Forderung betrifft eine Entschuldigung des Nationalrats und die Entschädigung für die Opfer der jahrzehntelangen – ebenfalls menschenrechtswidrigen – strafrechtlichen Verfolgung von Lesben und Schwulen in Österreich (gemäß § 129 I b StG bis 1971, gemäß §§ 209, 210, 220 und 221 StGB danach). Die ÖVP hat hier in den letzten vier Jahrzehnten riesige Schuld auf sich geladen, wie Ihr alle wisst. Auch wenn die heutige Führungsriege der ÖVP teilweise dafür nicht persönlich verantwortlich ist, muss sie sich dafür entschuldigen. Selbst die Päpste Johannes Paul II und Franziskus haben sich für die Verbrechen der römisch-katholischen Kirche in der Vergangenheit (Inquisition, Hexenverbrennung, Judenverfolgung, Kreuzzüge etc.) entschuldigt, ohne für diese persönlich verantwortlich zu sein. Es fiele auch der türkisen ÖVP kein Stein aus der Krone, entschuldigte sie sich bei Lesben und Schwulen für das Unrecht der schwarzen ÖVP. Dass viele der TäterInnen wie u. a. Andreas Khol oder Maria Rauch-Kallat noch unter uns sind, würde der Sache sogar noch mehr Bedeutsamkeit und Glaubwürdigkeit verleihen.

Die Umsetzung beider Forderungen würde auch kaum etwas kosten, eine Ausrede auf die Konsolidierung des Staatshaushalts fällt daher weg. Und ja: Die Junge ÖVP darf dann meinetwegen gerne an der nächsten Regenbogenparade offiziell teilnehmen – vielleicht kann das ja der ÖVP die Zustimmung schmackhaft machen! Siehe dazu meinen Blog-Beitrag vom 10. Juni 2019.

 

Kein koalitionsfreier Raum

Ich hoffe, Ihr kommt nicht auf die Idee, diese – oder andere Fragen – in einen koalitionsfreien Raum auszulagern. Davon würde bloß die ÖVP profitieren, die dann mit der FPÖ einfach eine Parallelregierung führen könnte, während Ihr ja nie eine alternative Mehrheit für Eure Projekte hättet – ich kann mir zumindest nicht vorstellen, dass Euch die FPÖ bei irgendeinem Projekt unterstützen würde. Und macht Euch bloß nicht davon abhängig, dass die ÖVP für ihre Abgeordneten den Klubzwang aufhebt – das könnt ihr wohl gleich wieder vergessen! Bedenkt: Ihr wurdet gewählt, um im Fall einer Regierungsbeteiligung u. a. türkis-blaue Scheußlichkeiten zu verhindern – und nicht, um diese durch Eure Selbstkastration im koalitionsfreien Raum möglich zu machen.

Der koalitionsfreie Raum hat schon früher schwul/lesbische Anliegen blockiert, etwa im November 1996 die Abschaffung des § 209 StGB. Denn ÖVP-Klubobmann Khol setzte damals den Klubzwang mit eiserner Hand und ohne Rücksicht auf das Gewissen mancher ÖVP-Abgeordneter durch, wovon etwa Franz Morak und Ridi Steibl seinerzeit ein garstig’ Lied singen konnten.

Bitte, erinnert Euch an bzw. informiert Euch über „unsere“ Geschichte. Der ÖVP kann man nicht über den Weg trauen, in ihrem Machtrausch ist sie zu allem fähig. Zur Auffrischung Eurer Erinnerung habe ich ein paar Fälle aus der Vergangenheit in einem separaten Blog-Beitrag detailliert zusammengestellt.

Die SPÖ wurde damals heftig dafür kritisiert, sich in Sachen Aufhebung des § 209 auf einen koalitionsfreien Raum eingelassen, statt sie zur Koalitionsbedingung gemacht zu haben. Denn was nicht in eine Koalitionsvereinbarung aufgenommen wird, wird nicht umgesetzt. Die SPÖ hat daraus gelernt und 2008 unter Werner Faymann das Projekt „eingetragene Partnerschaft“ ins Koalitionsübereinkommen mit der ÖVP hineinreklamiert. Ohne diese Grundlage wäre das EP-Gesetz im Dezember 2009 wohl kaum verabschiedet worden!

Liebe Grüne, ich hoffe, Euch ist bewusst, dass es ein Totalverrat an der LSBTI-Community wäre, wenn Ihr die Umsetzung dieser beiden Anliegen, die ja nun wirklich keine „großen Sachen“ mehr sind, nicht zur Bedingung für ein Koalitionsabkommen machtet.

Ich freue mich, bald von Euch zu hören.

Euer Kurt Krickler

PS: In diesem Zusammenhang wäre es sicherlich auch zweckmäßig, sich an die gescheiterten Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und Grünen im Jahr 2003 zu erinnern – siehe dazu meinen Beitrag in den LN 2/2003.