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Huren für die Türkisen?

Veröffentlicht am 27. Dezember 2021

Gehörigen Wirbel löste diese Foto-Collage in „Best of Böse (BoB)“, der satirischen „Falter“-Beilage zum Jahreswechsel, aus.

Das Original-Gemälde aus dem Jahr 1616 von Jacob Jordaens (1593–1678)

Dieser Beitrag ist nach dem Beitrag über das unglaubliche Versagen der Tiroler und österreichischen Behörden in Ischgl im März 2020 übrigens erst mein zweiter zu einem nicht schwul-lesbischen Thema. Aber diese Sache hat mich wieder besonders aufgeregt: Vor Weihnachten sorgte Best of Böse (BoB), die satirische Falter-Beilage zum Jahreswechsel, für großen Wirbel – nicht zuletzt dank der massenmedialen Konkurrenz, die sich redlich anstrengte, die Werbetrommel für BoB zu rühren. Losgetreten wurde der „Skandal“ von den grünen Nationalratsabgeordneten Meri Disoski und Eva Blimlinger, die sich beim Presserat wegen nebenstehender BoB-Fotocollage der Familie Kurz beschwerten. Auf die im Gemälde Die Heilige Familie mit Hirten dargestellten Personen wurden Gesichter von Protagonisten der aktuellen Polit-Szene Österreichs einkopiert – das Original schuf 1616 der flämische Maler Jacob Jordaens (1593–1678).

 

Beschwerde an den Presserat

Der Standard berichtete am 22. Dezember online über die Empörung der Grünen und veröffentlichte besagte Beschwerde im Wortlaut, den ich hier übernehme (orthografische Fehler, die möglicherweise dem Standard geschuldet sind, habe ich im folgenden nicht ausgebessert; ein paar Kommas mehr hätten dem Text übrigens gutgetan und etwas lesbarer gemacht):

Die Frauensprecherin der Grünen Mag. Meri Disoski und die Mediensprecherin der Grünen Mag. Eva Blimlinger ersuchen um die Einleitung eines Verfahrens gegen den Medieninhaber Falter betreffend untenstehende Abbildung in Falter 51-52/21 in der Beilage Best of Böse.

Diese Abbildung ist in hohem Maße sexistisch, herabwürdigend, ja geradezu empörend. Gezeigt wird mutmaßlich die Bundesministerin für Frauen, Medien und Integration MMag. Dr. Susanne Raab oder die Lebensgefährtin des Bundeskanzler a.D. Sebastian Kurz Susanne Thier mit entblößter Brust mit einem Baby in den Armen in der Vorbereitung, dieses zu stillen. Die Zeichnung lässt die Frau nicht eindeutig erkennen. Das Ganze ist in einem Setting beschrieben mit Die liebe Familie, in dem auch Politiker abgebildet sind und auf Susanne Raab oder Susanne Thier blicken. Susanne Raab/Susanne Thier ist die einzige Frau in dieser Abbildung und wird hier auf eine Mutterrolle festgelegt noch dazu in einem sexualisierten Zusammenhang. Abgesehen davon ist, wenn es Susanne Thier ist, eine Privatperson betroffen.

Aus unserer Sicht liegt hier ein Verstoß gegen Punk 7.2 des Ehrenkodex vor, wonach jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts unzulässig ist.

Zuerst dachte ich ja an ein komplettes Fake, dann an eine abgekartete gemeinsame Kunst- oder PR-Aktion, die man später als solche enthüllen würde. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass diese Beschwerde tatsächlich von Disoski und Blimlinger stammt und ernst gemeint ist: Allein der Umstand, dass sie nicht klar erkennen konnten (wollten), dass es sich bei der Jungfrau Maria um Susanne Thier handelt, machte mich misstrauisch, da dies eindeutig ist! Andererseits: Dass die Grünen auch nicht so genau hingeschaut haben, mit wem sie sich da ins Regierungsbett gelegt haben, erweist sich ja schon länger als großes Problem.

Und zusätzlich ist die Beschwerde auch völlig ungegendert: z. B. „Mag.“ statt „Magª“, „Frau*“ und „Mutter*rolle“ ohne Gender-Sternchen! Das hieße ja, dass die Wokeness der Grünen bloß aufgesetzt und reines Lippenbekenntnis ist, sie sich in der Praxis jedoch einen Dreck darum scheren. Meine Skepsis wurde daher immer größer, denn das traute ich den Grünen einfach nicht zu! Wenn dem so wäre, würde mich das echt schockieren.

Was auch immer letztlich das Motiv für diese Aktion war, sie schlug hohe Wellen. Die bürgerlichen Medien lasen dem Falter ordentlich die Leviten; ÖVP-PolitikerInnen nutzten die Chance, der kritischen Zeitschrift eins auszuwischen; von „Grenzüberschreitung“ und „Herabwürdigung“ war die Rede. Die Argumente und Phrasen beleidigten allerdings mitunter sogar die Intelligenz jener, deren IQ an der Nachweisbarkeitsgrenze schrammt. Während bei der Fellner-Presse, der Kronen-Zeitung und ÖVP-PolitikerInnen die gekünstelte oder meinetwegen auch aufrechte Empörung wenig überraschte, haben mich Leute wie Justizministerin Alma Zadić hingegen sehr enttäuscht.

 

Grüner Hass auf das Christentum

Jedenfalls haben die KritikerInnen offenkundig keine Sekunde nachgedacht, bevor sie da ihrer verlogenen und heuchlerischen Empörung freien Lauf ließen. Denn wodurch wird Thier hier konkret herabgewürdigt? Es bleibt eigentlich nur die Darstellung als Jungfrau Maria. Ich könnte die Aufregung nachvollziehen, hätte man Thiers Gesicht auf die Abbildung einer Hexe oder einer Pornodarstellerin bei der Arbeit montiert. Aber so? Okay, man kann diese Foto-Collage als blasphemisch einstufen, aber dann wäre sie höchstens eine Beleidigung der Jungfrau Maria. Die Ansicht, eine Person werde durch die Darstellung als Mutter Gottes verunglimpft und herabgewürdigt, kann wohl nur Ausdruck von fanatischem und blindwütigem Hass auf das Christentum sein.

Für ziemlich problematisch halte ich auch die Aussage in der Beschwerde, die dargestellte Person – Susanne Raab/Susanne Thier – ist die einzige Frau in dieser Abbildung und wird hier auf eine Mutterrolle festgelegt noch dazu in einem sexualisierten Zusammenhang. – Wenn jetzt jedes Mal der Presserat angerufen wird, wenn in einem Medium eine Frau in Text oder Bild auf eine Mutterrolle festgelegt wird, wird der Presserat in Hinkunft in Permanenz tagen müssen. Und das Stillen eines Babys ist ein sexualisierter Zusammenhang? Echt jetzt? Geht’s noch? Dabei war es doch eine grüne Abgeordnete, Christine Heindl, die vor mehr als 30 Jahren großes Aufsehen erregte, als sie im Parlament ihr Baby stillte. Kennen die Grünen ihre eigene Geschichte nicht? Oder werden sie immer spießiger und verzopfter und blasen nun zum finalen Bildersturm? Alle Darstellungen stillender Frauen werden als sexistisch gebrandmarkt und müssen verschwinden, alle Gemälde mit dem Bildmotiv der stillenden Maria („Maria lactans“) aus den Kirchen und Museen entfernt werden!

Ich gehe ja nicht davon aus, dass die Beschwerde an den Presserat bloß als eine Art SLAPP-Klage gemeint ist, denn dass sich der Falter dadurch beeindrucken ließe, werden ja nicht einmal Disoski und Blümlinger annehmen. Wobei: Wo ist eigentlich Amnesty, wenn man sie wirklich einmal braucht? Im Sinne von „Wehret den Anfängen!“ wär’s.

Angesichts der vorgetäuschten und echten Schwierigkeiten vieler Menschen, den BoB-Cartoon zu verstehen und zu interpretieren, hat sich Armin Thurnher bemüßigt gefühlt, einige Erklärungen nachzuliefern.

 

Öffentliche Person

Ein weiteres Argument, das nicht nur Disoski und Blimlinger, sondern die meisten der BoB-KritikerInnen ins Treffen führen, ist die Behauptung, bei Kurz-Partnerin Thier handle es sich ja um keine Person des öffentlichen Lebens, sondern rein um eine Privatperson. Wie bitte? Darüber kann man ebenfalls nur den Kopf schütteln. Am 23. Dezember erklärte dazu der Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell im Standard: „Beispielsweise kann eine öffentliche Person daran erkannt werden, wie oft sie in Medien vorkommt.“ Thier sei in den vergangenen vier Jahren in über 600 Artikeln vorgekommen, weil sie Kurz im Wahlkampf und bei Parteiveranstaltungen begleitete: „Sie war auch optisch stark präsent.“ Es gebe allein 238 verschiedene Pressefotos auf APA-Picture-Desk zur Auswahl. „Privatpersonen verhalten sich gegenüber der Medienöffentlichkeit gemeinhin rarer.“

Das würde ich auch meinen. Als Privatpersonen, die die Öffentlichkeit „scheuen“, kann man vielleicht Sabine Jungwirth, Joachim Sauer oder Petra Kickl bezeichnen, aber sicherlich nicht Susanne Thier.

Die ganze Aktion ergibt jedenfalls überhaupt keinen Sinn. Das ist ein bizarres Framing auf Andreas-Hanger-Niveau. Aber wozu? Ich komme beim besten Willen nur auf zwei plausible Erklärungen: Entweder ist diese Beschwerde tatsächlich Teil eines größeren Kunstprojekts – ich warte ja immer noch stündlich darauf, dass die Grünen bekanntgeben, es handle sich bei dieser Geschichte um eine Provokation, und „Ätsch!“ rufen, „wir haben euch reingelegt, denn wir wollten eure Reaktionen testen“  – oder es handelt sich um eine Wiedergutmachung oder Unterwerfungsgeste der Grünen in Richtung ÖVP in Abwandlung eines bekannten Mottos von Thomas Schmid: „Als ÖVP-Koalitionspartnerinnen seid ihr Huren für die Türkisen!“

 

1 Kommentar

  1. g

    Ich finde deine Zusammenfassungen mit Links großartig. Wichtig – nach einiger Zeit das Thema nachzulesen, um das Spießertum zu erkennen und nicht zu vergessen.
    Gerade die Familie ist doch ein schwul-lesbisches Thema und passt doch so schön zur „Kurz-Familie“. Ich hätte beim Bild anstelle des Kickls den weiteren Familienvater Blümel genommen…

    Bitte mach weiter so!!

    Antworten

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