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Beleidigt

Erschienen am 5. Mai 2006

Nach dem ersten Freispruch in erster Instanz am 28. April 2005: Rechtsanwalt Thomas Höhne, CHRISTIAN HÖGL und ich

Sicher: Es schmeichelt natürlich, von einem Abgeordneten geklagt zu werden. Bedeutet es doch, ernst und wichtig genommen zu werden. Aber die Sache hat natürlich viel bedeutsamere Aspekte: Wie ist es wirklich um die Meinungsfreiheit im Land bestellt? Sinkt Österreich unter das Niveau der Ukraine auf den Level Weißrusslands? Soll man den Zensuranwandlungen autoritärer PolitikerInnen und Gerichte nachgeben? Klares Nein, denn damit erwiese man der Demokratie einen schlechten Dienst. Besonders faszinierend macht die Sache jedoch, dass man durch sie so viel über die handelnden PolitikerInnen und andere Personen sowie das (politische) System erfährt.

Was treibt Tancsits an? Kein Hahn hätte zwei Tage nach unserer Aussendung mehr danach gekräht. Mittlerweile wurden die inkriminierten Äußerungen bei etlichen Gelegenheiten wiederholt, was seiner Ehre nicht wirklich zuträglich sein kann, selbst wenn er vor Gericht obsiegt. Für mich gibt es zwei Ursachen: Homophobie und tatsächliche Kränkung, weil wir – ohne es zu wissen – einen wunden Punkt bei ihm getroffen haben. Homophobie: T. lässt sich nicht von zwei Schwuchteln „beleidigen“! 1995 hatte eine SPÖ-Abgeordnete bei der Parlamentsdebatte zur Novelle des Opferfürsorgegesetzes (OFG) unterstellt, jeder, der dieser nicht zustimme, mache sich zum Täter. Niemand hat sich aufgeregt. Das viel harmlosere „geistiger Nachfahre“ wird dann plötzlich zum Wertungsexzess! Weil es ein Schwuler sagt!

Nicht unwesentlich ist wohl auch der Umstand, dass Tancsits mit einer Enkeltochter des austrofaschistischen Kanzlers Engelbert Dollfuß verheiratet ist, was wahrscheinlich der eigentliche – wenn auch möglicherweise unbewusste – Auslöser dieser Klagsflut ist. Denn in der inkriminierten Medienaussendung der HOSI Wien vom 4. März 2005 heißt es: Mit der ÖVP ist kein moderner demokratischer Staat zu machen. Die ÖVP lebt in Wirklichkeit geistig noch in den Zeiten des klerikalen Austrofaschismus, wie ja auch ihre ungebrochene Dollfuß-Verehrung beweist. Damals wussten wir nicht, dass Tancsits in die Dollfuß-Familie eingeheiratet hat.

Dass Tancsits tatsächlich eher autoritär veranlagt ist, zeigt folgender Zwischenfall: Im Mai 2005 hatte er sich furchtbar über unseren Freispruch aufgeregt: „Ich gönne einem Staat, in dem ich straflos ‚geistiger Nachfahre der braunen Nazi-Schergen‘ genannt werden darf, einen Bundesrat Kampl.“ Sein ganzes Leben lang habe er hart gearbeitet – dann brauche er einmal etwas von diesem Staat, und dann gebe es solch ein Urteil. Allein diese Aussagen zeigen, welch Geistes Kind er ist.

Und wie unreflektiert er ist (er könnte einem wegen soviel Stumpfheit fast leid tun), zeigt allein schon, dass er sich überhaupt nichts dabei zu denken scheint, welchen Eindruck es machen muss, wenn er die HOSI Wien unerbittlich und in existenzbedrohender Manier durch Sonne und Mond klagt, weil er um seine Ehre besorgt ist. Dass es ihm nicht peinlich ist, so totalitär und autoritär aufzutreten! Jemand wegen einer Meinungsäußerung zu kriminalisieren, eine kritische NGO vernichten zu wollen! Ja, dieser offensichtliche krasse Mangel an Selbstbewusstsein ist fast schon wieder mitleidserregend. Und wenn man dann wieder die Parallele zu den Nazis zieht, die, als sie 1933 an die Macht kamen, auch zu allererst die Lesben- und Schwulenbewegung brutal zerschlagen haben, dann fühlt er sich wahrscheinlich auch gleich wieder beleidigt… Null reflektiert – keine Frage! Er bemerkt seinen Machtrausch und den seiner Partei gar nicht, obwohl immer mehr KommentatorInnen speziell letzteren kritisieren – oder er hat kein Problem damit.

Politisch haben wir die Sache auf jeden Fall gewonnen – und das ist mir Trost genug –, denn mit dem Anerkennungsgesetz 2005 wurde das OFG novelliert und die wegen ihrer sexuellen Orientierung vom NS-Regime Verfolgten endlich in den Kreis der Anspruchsberechtigten aufgenommen.

Und auch der ursprüngliche Freispruch ist mir Genugtuung. Er zeigt, dass man auch eine andere Rechtsmeinung vertreten kann. Dass die höheren Instanzen nicht immer das bessere Personal haben und sakrosankt sind, zeigt nicht nur der Weisenbericht (vgl. Bericht ab S. 6), sondern auch der „legendäre“ Mietrechtsfall Karner: Da hat auch 1996 ein Richter am Bezirksgericht Favoriten die bis dahin etablierte diskriminierende Judikatur über den Haufen geworfen. Die „höheren“ Richter am OLG und OGH kassierten diese mutige Entscheidung wieder, aber sieben Jahre später hat der EGMR in Straßburg die Rechtsauffassung des Favoritner Bezirksrichters, der damit Rechtsgeschichte geschrieben hat, bestätigt. Ich erlaube mir daher, die Verurteilung durch das OLG nicht zu akzeptieren!

Que(e)rschuss LN 3/2006

Nachträgliche Anmerkungen

Tancsits hatte zivil- und strafrechtlich geklagt. Das zivilrechtliche Verfahren haben wir uns wegen des Prozesskostenrisikos durch einen Vergleich vom Hals geschafft (vgl. LN 4/2006, S. 14,  sowie meinen Kommentar in den LN 4/2006).

 

Was Tancsits damit meinte, er gönne einem Staat, in dem er straflos ‚geistiger Nachfahre der braunen Nazi-Schergen‘ genannt werden dürfe, einen Bundesrat Kampl, blieb unklar: Siegfried Kampl (FPÖ bzw. BZÖ) hatte Wehrmachtsdeserteure als „Kameradenmörder“ bezeichnet und davon gesprochen, dass es nach dem Krieg eine brutale „Naziverfolgung“, also Verfolgung von „ehemaligen“ Nazi, durch die Alliierten gegeben habe.

Das strafrechtliche Verfahren haben wir überraschenderweise dann im Juli 2007 in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht Wien schließlich doch noch gewonnen.

Informationen über beide Verfahren habe ich in einer eigenen Sektion auf dieser Website zusammengestellt. 

Beim erwähnten „Favoritner Bezirksrichter“ handelte es sich wahrscheinlich um eine Bezirksrichterin.