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ÖVP vertrat NS-Gedankengut

Erschienen am 7. Juli 2006

Aula des Justizpalastes in Wien

Ich habe also die Aussage, Tancsits sei ein geistiger Nachfahre der braunen Nazi-Schergen und vertrete nationalsozialistisches Gedankengut, als unwahr widerrufen. Zwar habe ich Österreich nie wirklich für einen Rechtsstaat gehalten, aber jetzt bin selbst ich um eine Erfahrung reicher: Verfügt man nicht über ausreichende finanzielle Mittel, können österreichische Gerichte einen sogar zum Affen machen und zwingen, Aussagen zu widerrufen, die man gar nicht getätigt hat. Denn ich habe nie behauptet, Tancsits habe NS-Gedankengut vertreten. Diese Aussage bezog sich eindeutig und ausschließlich auf die ÖVP – und das werde ich auch niemals widerrufen: Mit ihrer Haltung, homosexuellen NS-Opfern im Gegensatz zu anderen Opfergruppen einen Rechtsanspruch auf Entschädigung nach dem Opferfürsorgegesetz zu verweigern, hat die ÖVP die Wertungen der Nazis weitergeführt und damit nationalsozialistisches Gedankengut vertreten.

Dass das Gericht von mir verlangt, eine Aussage zu widerrufen, die ich gar nicht getätigt habe, ist für mich Beweis dafür, dass es sich hier um willkürliche Gefälligkeitsentscheidungen zugunsten des ÖVP-Abgeordneten handelt. Wenn Tancsits meint, mit diesem mir abgepressten Widerruf sei seine Ehre wiederhergestellt, soll es mir aber auch recht sein. Ich hoffe jedoch, ich habe niemanden enttäuscht, dass ich hier nachgegeben habe. Ich schäme mich dafür – aber ich habe es wirklich nur aus finanzieller Not getan. Man möge mir verzeihen! Das Strafverfahren geht indes weiter (vgl. Bericht auf S. 14). Wer uns in unserem Kampf gegen die ÖVP und die österreichische Willkürjustiz unterstützen will, kann uns mit Spenden für die Vorfinanzierung des Strafverfahrens unter die Arme greifen. Auf Wunsch betrachten wir die Spende auch als Darlehen, das wir gerne wieder zurückzahlen, sollten wir in Straßburg schließlich obsiegen.

Entlarvend waren einmal mehr die Reaktionen von Teilen der „Bewegung“. Da wird uns quasi zum Vorwurf gemacht, unser Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nehmen zu wollen, ohne uns das finanziell leisten zu können (XTRA! # 5/06) – eine sehr merkwürdige Auffassung von Menschenrechten! Das PRIDE (# 92) behauptet gar, ich hätte den Prozess „angestrebt“ und die Verurteilung sei „voraussehbar gewesen“, und ignoriert dabei völlig, dass wir in der ersten Verhandlung in allen Punkten freigesprochen wurden!

Hier wird systematisch die Mär kultiviert, wir hätten das Verfahren provoziert und es darauf angelegt, von Tancsits geklagt zu werden. Das ist indes völliger Schwachsinn. Wir hatten mit einer Klage überhaupt nie gerechnet. Einerseits, weil wir die Aussage, die ÖVP (und die FPÖ) vertrete nationalsozialistisches Gedankengut, zwischen 2001 und 2005 in mindestens einem halben Dutzend Aussendungen getätigt hatten (sind alle auf dem HOSI-Wien-Website nachzulesen). Zwar hatte sich FPÖ-Abgeordneter Eduard Mainoni sogar in der Nationalratsdebatte am 4. Juni 2003 über diese Kritik furchtbar aufgeregt (vgl. LN 4/2003, S. 27 f), aber geklagt hat uns deswegen weder die FPÖ noch die ÖVP.

Andererseits kennen wir die einschlägige Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sehr genau und wissen daher, was wir wie sagen dürfen. Wenn Politiker, Journalisten oder Universitätsprofessoren straflos jemanden z. B. als „Trottel“, „Kellernazi“, „geistigen Ziehvater des Rechtsextremismus“ oder als Betreiber „rassistischer Hetze“ bezeichnen dürfen, dann darf wohl auch ein Schwulenaktivist aus gegebenem Anlass einen Politiker als „geistigen Nachfahren der braunen Nazi-Schergen“ – was ja wohl weitaus harmloser ist – bezeichnen.

Tatsache ist jedenfalls, dass Tancsits uns geklagt hat – und nicht wir ihn. Was hätten wir tun sollen: einfach klein beigeben und den Schwanz einziehen? Wir sind doch keine Weicheier, die vor der ÖVP sofort in die Knie gehen! Im übrigen haben wir Tancsits eine Ehrenerklärung angeboten (es ging uns ja tatsächlich nicht darum, ihn persönlich zu beleidigen), wenn er die Verfahrenskosten (in dem Prozessstadium ein halbes Monatsgehalt für ihn!) trägt. Er ist darauf nicht eingestiegen. Dass wir aber auch noch zahlen, kam für uns nicht in Frage. Wir haben kein Geld zu verschenken. Und wir haben keine Angst vor dem Verfahren. Wir lassen uns sicher nicht von jedem dahergelaufenen Abgeordneten oder der ÖVP und ihren willigen Vollstreckern in der Justiz einschüchtern.

An XTRA! und PRIDE sei jedenfalls appelliert: Bevor ihr über mich bzw. die HOSI Wien herfällt, wartet doch wenigstens das Urteil in Straßburg ab!

 

 

Que(e)rschuss LN 4/2006

Nachträgliche Anmerkungen

In dieser Angelegenheiten mussten wir indes gar nicht bis Straßburg gehen. Wir haben das strafrechtliche Verfahren schließlich in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht Wien dann doch noch gewonnen – vor jenem OLG, das den ursprünglichen erstinstanzlichen Freispruch vom April 2005 aufhob. In der Folge wurden wir in erster Instanz verurteilt, wogegen wir in Berufung gingen. Überraschenderweise endete das Verfahren dann im Juli 2007 endgültig mit einem Freispruch – aber da war der schwarz-blau-orange Spuk mit seiner Klagsflut zur Einschüchterung von KritikerInnen schon wieder Geschichte – und die willigen Vollstrecker in der Justiz wurden durch eine Reihe von in Straßburg gewonnenen Beschwerden in die Schranken gewiesen (vgl. meine nachträglichen Anmerkungen zu meinem Kommentar in den LN 1/2007).

Über die beiden Tancsits-Verfahren gibt es eine eigene Abteilung auf dieser Website.