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Sozialpornografie

Erschienen am 2. Mai 2014

In dem ihr eigenen Gutmenschen-Tränendrüsen-Stil tischte uns Irene Brickner im Standard am 12. April 2014 einmal mehr ohne Rücksicht auf Fakten einen ziemlich einseitigen Sozialporno erster Güte auf. Die Story: Ein in den Niederlanden verheiratetes schwules Paar, das erfolgreich sein Recht auf Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU in Anspruch genommen hat, nach Tirol übersiedelt ist und dort eine Ferienwohnungsvermietung betreibt, wollte in Österreich – unter Berufung auf die österreichische Verordnung über die Vereinheitlichung des Rechts auf Eheschließung, die solche Zweitheiraten erlaubt – noch einmal heiraten; denn ihre in den Niederlanden geschlossene Ehe wird hier nicht als solche anerkannt. Doch dieser Kunstgriff war aufgrund der eindeutigen Gesetzeslage, auch was EU-Recht betrifft, von Haus aus zum Scheitern verurteilt. Dem Ansinnen wurde wenig überraschend von den Behörden in Tirol nicht stattgegeben, und auch der von den beiden Niederländern in der Folge angerufene Verfassungsgerichtshof konnte in der Weigerung der Eheschließung keine Verletzung der Verfassung bzw. der Menschenrechte erkennen, zumal bekanntlich bisher nach keiner einzigen Menschenrechtskonvention überhaupt ein Menschenrecht auf Homo-Ehe etabliert ist.

Bei Brickner wurde dieser Fall jedoch zu einem schlimmster Diskriminierung hochstilisiert. Die beiden Männer behaupten da etwa, im beruflichen Kontakt mit Behörden immer wieder Probleme zu haben, weil unklar sei, ob ihre niederländische Ehe in Österreich gelte, wobei sie diese Probleme nicht näher ausführen. Dabei sollte darüber nicht die geringste Unklarheit bestehen: Ihre Ehe gilt hier nicht wie eine Ehe, sondern entspricht bei uns eben einer eingetragenen Partnerschaft (EP), die jedoch im wesentlichen einer Ehe gleichgestellt ist. Es sind daher kaum gröbere Probleme im beruflichen Kontakt mit den Behörden vorstellbar, jedenfalls keine größeren als jene, die andere Firmeninhaber aus welchen sonstigen Gründen auch immer mit Behörden haben mögen. Unwidersprochen werden die beiden Niederländer zitiert, dies sei „ein inakzeptabler Zustand“, denn als EU-Bürger, die ihre Niederlassungsfreiheit in der Union in Anspruch genommen haben, müssten für sie EU-weit gleiche Rechte gelten.

Das ist natürlich kompletter Unsinn. Abgesehen davon, dass ihre Ehe natürlich auch außerhalb der Niederlande nicht ungültig wird – sie werden ja beim Grenzübertritt oder bei Einwanderung in ein Land ohne Homo-Ehe nicht automatisch zwangsgeschieden –, gibt es jedoch kein EU-Recht, das einen Mitgliedsstaat, der dieses Rechtsinstitut nicht kennt, dazu zwingen würde, Paare, die in einem anderen Mitgliedsstaat eine Homo-Ehe (oder eine EP) eingegangen sind, den heterosexuellen Ehepaaren im Inland gleichzustellen. Dies hätte ja dann zur Folge, dass auch die eigenen BürgerInnen dieses Staates im Ausland eine gleichgeschlechtliche Ehe (oder EP) eingehen und nach der Rückkehr ins Heimatland die Gleichstellung mit heterosexuellen Ehepaaren einfordern könnten. Damit würden souveräne Staaten – unter Ausschaltung der nationalen Parlamente – ihr Selbstbestimmungsrecht im Bereich des Familien- und Eherechts verlieren, der ja ausdrücklich nicht in die Zuständigkeit der EU fällt, weshalb in diesem Fall auch die EU-Grundrechtscharta nicht zur Anwendung kommt (vgl. LN 4/2010, S. 14 ff)! Die nationalstaatliche Kompetenz in Sachen Eherecht hat indes nichts mit dem Recht auf Niederlassungsfreiheit zu tun. Dieses ist auch für gleichgeschlechtliche PartnerInnen in den entsprechenden EU-Richtlinien geregelt (vgl. LN 4/2006, S. 30) – und konnte vom betroffenen Paar offenbar auch problemlos in Anspruch genommen werden. Denn nach Einführung der EP in Österreich gibt es in Sachen Niederlassungsfreiheit und Familienzusammenführung auch für gleichgeschlechtliche PartnerInnen „nur“ jene Probleme, mit denen sich auch heterosexuelle (Ehe-)Paare herumschlagen müssen.

Natürlich gelten für alle EU-BürgerInnen EU-weit dieselben EU-Rechte. Aber es ist völliger Quatsch zu behaupten, jede/r könne bei einer Übersiedlung ins Ausland unter Berufung auf das Recht auf Niederlassungsfreiheit im gesamten EU-Raum bestimmte nationale Rechte in die neue Heimat mitnehmen. Das gibt es ja auch auf anderen Gebieten nicht – und das sollten eigentlich auch Nicht-EU-ExpertInnen wissen. Alle, die innerhalb der EU das Wohnsitzland wechseln, müssen die Vor- und Nachteile abwägen. Es kommt daher sicher nicht gut an, wenn ausgerechnet Homosexuelle hier schon wieder Sonderrechte und Privilegien einfordern.

Oder hat jemand je gehört, dass ein Slowake darauf bestanden hätte, seinen 19-%-Flattax-Einkommenssteuersatz seinerzeit, als dieser in der Slowakei noch galt, bei einer Übersiedlung nach Belgien mitzunehmen, weil er dort den landesüblichen Lohnsteuersatz von über 50 % nicht zahlen wollte? Wer nicht auf die kostenlosen staatlichen Kinderbetreuungseinrichtungen daheim verzichten will, wird halt nicht in Länder ziehen können, wo es solche Einrichtungen nicht gibt. Ein deutsches Ehe- oder eingetragenes Paar, das nicht auf das steuerlich günstige Ehegattensplitting verzichten will, kann auch nicht nach Österreich übersiedeln! Und puritanische skandinavische Kleinunternehmer, die Korruption, Bestechung oder Schutzgeldzahlung an die Mafia ablehnen, sollten ebenfalls lieber nicht nach Bulgarien bzw. Sizilien auswandern, um dort ein Geschäft zu eröffnen. Und müssen jetzt alle Polen kollektiv umerzogen werden, damit deren streng katholische Mentalität dem Recht auf Niederlassungsfreiheit libertinärer niederländischer Schwuler nicht länger entgegensteht? Ganz zu schweigen von anderen, sicherlich ebenfalls ausschlaggebenden Faktoren bei der Entscheidung für Umzug oder Nichtumzug in ein bestimmtes Land: Leute, die ohne Meer nicht leben können, werden nicht nach Ungarn ziehen können, für jene wiederum, die Berge brauchen, ist wohl Dänemark ein absolutes No-Go, und wer das andalusische Klima nicht missen will, wird auf sein Recht auf Niederlassungsfreiheit in Finnland ebenfalls verzichten müssen. Es wird übrigens niemand gezwungen, dieses Recht in Anspruch zu nehmen.

Seien wir also vielmehr froh, dass Europa so vielfältig und unterschiedlich ist – und nicht überall derselbe Einheitsbrei vorherrscht, damit sich alle überall gleich (un-)wohl fühlen! Der EU tut man mit solchen Aktionen und derartigen wehleidigen unseriösen Berichten jedenfalls nichts Gutes. Die BefürworterInnen, die in der EU die ersehnte Heilsbringerin gegen alle – letztlich subjektiv empfundenen – nationalen Unzulänglichkeiten wähnen, werden von der Realität frustriert eingeholt, und die EU-GegnerInnen werden, obwohl in diesem Fall ausnahmsweise keine Gefahr droht, der EU einmal mehr nicht über den Weg trauen und ihren Beteuerungen, den Mitgliedsstaaten ohnehin größtmögliche Subsidiarität einräumen zu wollen, keinen Glauben schenken. Und auf diese Art kann die EU zwischen unerfüllbaren Erwartungen und misstrauischer Skepsis nur zerrieben werden.

 

Que(e)rschuss LN 2/2014

Nachträgliche Anmerkung

Es ist wirklich ärgerlich, dass bei jeder unpassenden Gelegenheit die EU ins Spiel gebracht wird – wenn gar keine Zuständigkeit für die EU besteht. Ein weiteres Beispiel bringe ich in meinem Kommentar in den LN 4/2010.