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Little Vienna

Erschienen am 24. September 2010

Es wäre gelogen, behauptete ich, ein schlechtes Wahlergebnis der Grünen, wie es wohl demnächst in Wien zu erwarten ist, würde mir schlaflose Nächte bereiten. Nicht, dass mich etwa die internen Querelen bei den Wiener Grünen störten. Im Gegenteil – diese Streitereien machen die Partei ja noch vergleichsweise sympathisch. Was mir aber nachhaltig den Magen umdreht, ist ihr absolut verbürgerlichter Zugang in Sachen Partnerschafts- und Familienpolitik, der sich total an der Heteronorm orientiert. Da kann man ja gleich die ÖVP wählen! – Wobei: Da sind ja die Schwarzen noch fortschrittlicher und moderner als die Grünen! Denn als nichts anderes als total reaktionär muss man es bezeichnen, wenn die heterosexuelle Ehe als das Maß aller Dinge hingestellt und unter dem Deckmantel der Gleichberechtigung und Menschenrechte genau dieselbe Norm auf Punkt und Bindestrich für Lesben und Schwule eingefordert wird. Doch wo, bitte, steht geschrieben, dass wir nur gleichgestellt sind, wenn wir die Heteronorm übernehmen dürfen? In der Bibel? In den Menschenrechtskonventionen? Wieso können wir nicht für uns eine eigene Homo-Norm aufstellen und einfordern? Dann sollen sich meinetwegen die Heteros diskriminiert fühlen…

Doch es besteht in überschaubarer Zukunft ohnehin keine Gefahr, dass die Grünen eine größere politische Rolle – etwa in Regierungsfunktion – spielen werden. Daher kann einem ihr ideologischer Zustand relativ wurscht sein. Nicht wurscht können – und sollten – einem allerdings die Haltungen und Aktivitäten der offen lesbischen und schwulen ExponentInnen der Grünen sein – insbesondere dann nicht, wenn sie dadurch unseren Anliegen, der schwul-lesbischen Sache und damit letztlich auch der parteipolitisch unabhängigen Bewegung schaden, was man leider immer öfter konstatieren muss und was daher immer mehr zum Problem wird.

An dieser Stelle habe ich mich ja schon in der letzten Ausgabe (S. 22) über MARCO SCHREUDERs kontraproduktive anti-emanzipatorische Rhetorik lustig gemacht. Er erinnert mich immer stärker an die Figur des Dafydd Thomas in der britischen Kult-Serie Little Britain (auch meine Lieblingssendung seit Jahren), der seine Umgebung im walisischen Dorf Llanddewi-Brefi regelmäßig damit nervt, dass er sich ständig in pathetische Opferpose wirft und jammert, wie schwer er doch darunter zu leiden habe, als „der einzige Schwule“ im Dorf von seiner Umwelt ach so unterdrückt und diskriminiert zu werden, obwohl im Gegenteil ausnahmslos alle im Dorf längst gleichgültig bis – oft mehr als – wohlwollend seiner Homosexualität gegenüberstehen. Ein bisschen erinnert Schreuder auch an Bischof Laun, der unverdrossen und ohne Rücksicht auf Verluste und die Veränderungen, die die Welt nun einmal in den letzten Jahrzehnten erlebt hat, intransigent seine extremen Dogmen vertritt, wobei er für die katholische Kirche die Wirkung einer Neutronenbombe entfaltet (man sieht, auch ich bemühe mich um bescheuerte Vergleiche, zumal diese doch in jüngster Zeit so in Mode gekommen sind).

Auch ULRIKE LUNACEK, die ich ja nun wirklich sehr schätze, hat mich jüngst ziemlich enttäuscht, nämlich durch ihre Reaktion auf die verweigerte Witwenpension für Annemarie Aufreiter. Statt dieses anachronistische heterosexuelle Privileg, das mit der eingetragenen Partnerschaft auch auf Lesben und Schwule, die ihre Zweierbeziehung staatlich absegnen lassen, ausgeweitet wurde, überhaupt und prinzipiell in Frage zu stellen (wie generell jegliche gesetzliche Diskriminierung bzw. Privilegisierung aufgrund des Familienstands), fällt Ulrike nichts Besseres ein, als die Bundesregierung aufzufordern, nach Gutsherrenart eine gesetzlich nicht gedeckte Willkürentscheidung zugunsten einer ohnehin privilegierten Promi-Witwe zu setzen (vgl. auch Bericht ab S. 14).

Hier zeigt sich auf fatale Weise, wie tief und fest die Grünen mittlerweile in der Heteronormativitäts-Falle sitzen. Dazu kommt, dass nach längerer Zeit im politischen Geschäft selbst jemand wie Ulrike mitunter jegliches Gespür dafür verliert, welche verheerende Optik so etwas medial und vor allem in der breiten Öffentlichkeit haben muss. Und ziemlich kontraproduktiv aus Ulrikes Sicht ist wohl auch (mich als EU-Gegner allerdings freut es), dass sie wieder einmal mit der EU droht (was in diesem Zusammenhang übrigens völlig abstrus ist): Denn das wird die Zustimmungswerte zur EU, die im Beliebtheitsranking hierzulande ohnehin nur knapp vor der nicht behandelten Syphilis im dritten Stadium rangiert, sicher nicht massiv in die Höhe schnellen lassen!

Die Lesben- und Schwulenbewegung muss indes aufpassen, dass das Bild der Community bzw. der gewöhnlichen Lesben und Schwulen in der Öffentlichkeit nicht durch solche Attitüden offenkundig beratungsresistenter GrünpolitikerInnen geprägt wird.

Que(e)rschuss LN 4/2010