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VfGH: Lesbische Paare müssen Zugang zu künstlicher Befruchtung haben

Veröffentlicht am 21. Februar 2014
Am 17. Jänner 2014 veröffentlichte der Verfassungsgerichtshof sein Erkenntnis, wonach der Ausschluss von Frauen in lesbischen Partnerinnenschaften vom Zugang zur Fortpflanzungsmedizin verfassungswidrig ist. In meinem Artikel in den LN 1/2014 beleuchtete ich auch die dem Erkenntnis zugrundeliegende Rechtsprechung des EGMR aufgrund zweier von der HOSI Wien unterstützter Beschwerden.

Am 17. Jänner 2014 veröffentlichte der Verfassungsgerichtshof sein bereits im Dezember 2013 gefälltes Erkenntnis, mit dem jene Bestimmungen im Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG), die Frauen in lesbischen Partnerinnenschaften von einer künstlichen Befruchtung durch Samenspende bisher ausgeschlossen haben, als verfassungswidrig aufgehoben werden.

Die HOSI Wien zeigte sich in einer Medienaussendung am selben Tag höchst erfreut über dieses Erkenntnis, das die Erfüllung einer langjährigen Forderung der HOSI Wien bedeute. Der VfGH habe damit dem Umstand Rechnung getragen, dass der Gesetzgeber es ohnehin nicht verhindern kann, dass Frauen, die schwanger werden können und es wollen, es auch werden. Nun wird der bisherige unsägliche Zustand beseitigt, dass Frauen zur Erfüllung ihres Kinderwunsches Samenbanken im Ausland in Anspruch nehmen oder sich die Insemination im Freundeskreis organisieren müssen. Bedauerlich ist indes, dass einmal mehr die Gerichte für eine Entscheidung bemüht werden mussten, die eigentlich im Verantwortungsbereich der Politik liegt.

Hier die relevanten Gesetzespassagen, die von der Entscheidung des VfGH betroffen sind:

Im § 2 Abs. 1 – „Eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung ist nur in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts zulässig“ – wird die Wortfolge „von Personen verschiedenen Geschlechts“ aufgehoben.

§ 2 Abs. 2 sowie § 3 Abs. 1 und 2 werden zur Gänze aufgehoben:

§ 2. (2) Sie ist ferner nur zulässig, wenn nach dem Stand der Wissenschaft und Erfahrung alle anderen möglichen und zumutbaren Behandlungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft durch Geschlechtsverkehr erfolglos gewesen oder aussichtslos sind oder ein Geschlechtsverkehr zur Herbeiführung einer Schwangerschaft den Ehegatten oder Lebensgefährten wegen der ernsten Gefahr der Übertragung einer schweren Infektionskrankheit auf Dauer nicht zumutbar ist.

§ 3. (1) Für eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung dürfen nur die Eizellen und der Samen der Ehegatten oder Lebensgefährten verwendet werden.

(2) Für die Methode nach § 1 Abs. 2 Z 1 darf jedoch der Samen eines Dritten verwendet werden, wenn der des Ehegatten oder Lebensgefährten nicht fortpflanzungsfähig ist.

Das nunmehrige Erkenntnis des VfGH hat uns überrascht, da wir nach seiner letzten, im November 2012 veröffentlichten Entscheidung in dieser Frage sehr skeptisch waren (vgl. LN 5/2012, S. 17). Aber vielleicht haben sich die VerfassungsrichterInnen ja unsere Kritik an ihrer willkürlichen Rechtsprechungspraxis zu Herzen genommen (z. B. LN 1/2013, S. 14 ff). Jedenfalls haben sie sich diesmal an wichtiger Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg nicht nur orientiert, sondern diese in den Vordergrund für ihre Entscheidung gestellt.

 

Grundlegende Prinzipien

Es gibt nämlich zwei wichtige Grundsätze, die der EGMR in zwei „historischen“, übrigens von der HOSI Wien federführend unterstützten Präzedenzfällen erstmals formuliert hat und die seither für etliche einschlägige – nicht nur österreichische – Beschwerden bedeutsam und entscheidend gewesen sind und auch in Hinkunft sein werden:

Im Fall Karner gegen Österreich (Beschwerde Nr. 40016/98, veröffentlicht am 24. 7. 2003) hat der EGMR festgestellt, dass „besonders überzeugende und schwerwiegende Gründe“ vorliegen müssen, damit eine am Geschlecht oder an der sexuellen Orientierung anknüpfende Differenzierung keine Diskriminierung und damit Verletzung des Artikels 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) darstellt (vgl. LN 4/2003, S. 6 ff) [und Aussendung der HOSI Wien vom 24. Juli 2003]. Dieser Fall betraf die Ungleichbehandlung von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften gegenüber verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaften. Die erwähnte Grundsatzfeststellung hat in der Folge dazu geführt, dass etliche ähnlich gelagerte Beschwerden von Straßburg positiv entschieden wurden, so u. a. etwa aus Polen und Griechenland (vgl. LN 5/2013, S. 36), aber auch jene von X und andere gegen Österreich (Nr. 19010/07) betreffend die Stiefkindadoption bei einem lesbischen Paar (vgl. LN 2/2013, S. 9 ff).

In der Beschwerde Schalk und Kopf gegen Österreich (Nr. 30141/04, entschieden am 24. 6. 2010) hat der EGMR schließlich festgestellt, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht nur unter den Begriff des „Privatlebens“, sondern, wenn die Personen in einer gleichgeschlechtlichen De-facto-Partnerschaft in einem gemeinsamen Haushalt leben, auch unter den Schutz des „Familienlebens“ nach Art. 8 Abs. 1 EMRK fallen [vgl. LN 3/2010, S. 19 f]. Der EGMR geht also davon aus, dass Paare gleichen Geschlechts ebenso wie Paare verschiedenen Geschlechts in der Lage sind, stabile, bindende Beziehungen einzugehen. Sie sind also „Familie“ im verfassungsrechtlichen Sinn. Im Fall Karner, bei dem es um den Eintritt in den Mietvertrag des verstorbenen Hauptmieters durch den hinterbliebenen Lebensgefährten ging, hatte der EGMR bekanntlich ja nur eine Verletzung des Rechts auf Achtung der Wohnung, nicht aber des Rechts auf Achtung des Privat- bzw. Familienlebens gemäß Artikel 8 Abs. 1 EMRK festgestellt, der wie folgt lautet: Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Artikel 14 (Nichtdiskriminierung) ist ja immer in Verbindung zu einem anderen konkreten Menschenrecht anzuwenden.

 

Angleichung sicher

Angesichts dieser Grundsatzjudikatur des EGMR in diesen beiden von der HOSI Wien unterstützten bzw. betreuten Fällen hatten wir – wie wir immer betont haben – nie Zweifel daran, dass die Höchstgerichte früher oder später die von uns abgelehnten Diskriminierungen, die das Gesetz über die eingetragene Partnerschaft im Vergleich zum Eherecht bereithält, aufheben müssen – quasi eine „g’mahte Wies’n“ dank Karner und Schalk & Kopf. Sobald sich Paare finden, die diese Unterschiede einklagen, ist die jeweilige Sache gegessen. Dazu braucht es weder einen LSBT-Verein noch irgendwelche spezialisierte RechtsanwältInnen. Das kann im Prinzip jede Kanzlei übernehmen. Dass der VfGH die Aufhebung dieser Unterschiede anscheinend jetzt auch selbst erledigen und nicht dem EGMR überlassen will, ist erfreulich, weil es die Sache beschleunigt. Bekanntlich hat der VfGH im Oktober 2012 den Unterschied zwischen EP-Schließung bei der Bezirksverwaltungsbehörde und Heirat am Standesamt noch als verfassungskonform bestätigt (vgl. LN 5/2012, S. 17). Es wird sich zeigen, wie der VfGH in solchen Verfahren in Zukunft entscheiden wird…

 

Breitere Umsetzung

Die Politik hat jedenfalls bis Jahresende Zeit, das Fortpflanzungsmedizingesetz zu reparieren. Dabei wird es für die HOSI Wien darum gehen, dafür zu sorgen, dass eine solche Reparatur umfassend erfolgt. Das Recht auf künstliche Insemination sollte etwa auch für alleinstehende Frauen möglich werden, denn für sie ändert sich durch das gegenständliche Erkenntnis nichts, denn diese Frage war nicht Gegenstand der Überprüfung durch den VfGH.

Der Ansatz der HOSI Wien ist ja stets gewesen, die Privilegien, die verschiedengeschlechtliche Paare genießen, nicht einfach bloß auf gleichgeschlechtliche Paare auszudehnen, sondern Rechte zu individualisieren, wenn immer dies möglich ist, und keine neuen Diskriminierung aufgrund des Familienstands oder des Umstands, dass man in keiner Zweierbeziehung lebt, zu schaffen.

Und in diesem Sinne heißt es ja im neuen, im Vorjahr verabschiedeten Forderungsprogramm der HOSI Wien wie folgt: Weiters fordern wir uneingeschränkten Zugang für Frauen zur künstlichen Befruchtung im Rahmen der Fortpflanzungsmedizin (z. B. Samenbanken) – egal, ob sie alleinstehend, in einer Lebensgemeinschaft, EP oder Ehe leben.

Die HOSI Wien vertritt schließlich nicht nur die Anliegen und Interessen von Lesben und Schwulen in Paarbeziehungen, sondern von allen, auch Singles.