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Olympische Winterspiele in Sotschi – Putins gigantisches PR-Desaster

Veröffentlicht am 21. Februar 2014
Im Vorfeld der Winter-Olympiade in Sotschi 2014 formierte sich eine weltweite Protest- und Solidaritätsbewegung gegen die Unterdrückung von LSBT-Personen in Russland. In Wien bildete sich die Plattform ToRussiaWithLove, die Kundgebungen und Proteste organisierte. In meinem Beitrag in den LN 1/2014 berichtete ich über Putins gigantisches PR-Desaster und die Haltung österreichischer Politiker.

Die HOSI-Wien-Obleute CHRISTIAN HÖGL und CÉCILE BALBOUS auf der Kundgebung am 31. Jänner 2014

Bundeskanzler Werner Faymann verurteilte in seiner Rede vor dem Europarat in Straßburg am 30. Jänner 2014 die Diskriminierung von Homosexuellen.

Die Berichterstattung über das sogenannte Anti-Propaganda-Gesetz und die triste Lage von LSBT-Personen in Russland im Vorfeld der Olympischen Winterspiele war enorm. Das lag einerseits an der Mobilisierung der LSBT-Bewegung, die an zahlreichen Orten der Welt unglaublich viele und vielfältige, kreative Aktionen und Initiativen startete, und andererseits an der Unterstützung vieler Prominenter, auch PolitikerInnen.

Die Sache hat eine ungeheure und ungeahnte Dynamik entwickelt, die sich wohl weder IOC, ÖOC noch die russische Regierung in ihren schlimmsten Alpträumen ausgemalt haben. Aber das ist solchen Dinosaurier-Institutionen wohl immanent: In ihrer absoluten Arroganz der Macht ist eine globale Bewegung für LSBT-Menschenrechte jenseits ihrer Vorstellungskraft.

Und natürlich sind auch die Medien „schuld“, die wirklich flächendeckend berichtet haben. Selbst in Österreich wurde keine Gelegenheit ausgelassen, die Unterdrückung von Lesben und Schwulen in Russland zu erwähnen. Es gab wohl kein/e Leitartikler/in, der/die sich nicht dem Thema widmete. Die Diskussion, ob die offen lesbische Skispringerin Daniela Iraschko-Stolz die österreichische Fahne bei der Eröffnung tragen soll, war dazu ebenso Anlass wie die Umarmung zwischen Putin und der bisexuellen Olympiasiegerin im Eisschnelllauf Ireen Wüst aus den Niederlanden. Es war gigantisch – einfach sensationell.

Man erinnert sich kaum an eine andere LSBT-Sache in den letzten 30 Jahren, die ein dermaßen langanhaltendes weltweites massenmediales Interesse hervorgerufen hat, immerhin zieht es sich schon über mehrere Monate, ohne wirklich abzuflauen. Selbst die Befürchtung, mit Beginn der Spiele würde sich die mediale Aufmerksamkeit ausschließlich auf die sportliche Seite konzentrieren und die LSBT-Frage in Vergessenheit geraten, trat nicht ein. Die Thematisierung der LSBT-Situation und des „Propagandaverbots“ ist auch zur schreibenden Stunde, zehn Tage nach der pompösen Eröffnungsfeier, immer noch nicht eingeschlafen.

Und dieses weltweite Medienecho wird à la longue nachhaltige Folgen haben, die heute allerdings noch nicht greifbar sind. Falls das IOC und das ÖOC nicht völlig von allen guten Geistern verlassen sind, werden sie die Vergabe der Austragungsorte in Zukunft entsprechend ändern. Kein Land – und auch kein Zar wie Putin – wird sich wegen eines eigentlich völlig lächerlichen Gesetzes ein solches Imageproblem dauerhaft leisten wollen. Zumal sich ja längst die Frage nach dem Nutzen stellt, denn längst überwiegen die negativen Aspekte. [Vgl. auch meinen Kommentar im Standard vom 18. November 2013.]

Und für die LSBT-Bewegung hat die ganze Angelegenheit sicherlich unterm Strich mehr Vor- als Nachteile gebracht. Viele russische Lesben und Schwule wurden motiviert, sich zu engagieren. Ihnen ist klar geworden, dass sie für ihre Rechte eintreten und kämpfen müssen. Und frei nach dem Motto, negative Werbung ist besser als keine, waren die Debatten, auch wenn sie unter negativen Vorzeichen standen, letztlich für die Enttabuisierung der Homosexualität in Russland (und darüber hinaus) ein großes Glück. Eigentlich muss man Putin & Co dankbar sein – ohne ihre repressive Haltung wären viele Lesben und Schwule vermutlich immer noch nicht aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Und dass ein paar Sportfunktionäre und Politiker bei uns sich mit ihrer wahren Geisteshaltung geoutet haben (siehe Que(e)rschuss auf S. 19), ist ein kleiner, aber feiner Kollateralnutzen.

 

HOSI Wien aktiv

Die Ereignisse dieser letzten Monate in Sachen Russland und Winterspiele sind jedenfalls zu zahlreich, als dass wir sie hier auch nur annähernd vollständig aufzählen könnten. Einen Überblick gibt die tolle Facebook-Seite der Plattform ToRussiaWithLoveAustria, die u. a. eine Demonstration am 31. Jänner in Wien organisierte, zu der die HOSI Wien mit aufgerufen hatte: Rund 300 AktivistInnen zogen bei fast sibirischen Temperaturen von der Staatsoper über den Sitz des ÖOC am Rennweg zur russischen Botschaft. Wir wollen aber kurz die Aktivitäten der HOSI Wien zusammenfassen, die ja nicht ganz unbedeutend waren, die Medienaufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken:

Am 9. Dezember 2013 begrüßten wir in einer Aussendung die mutige Entscheidung des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck, nicht nach Sotschi zu reisen, um gegen die katastrophale Lage der Menschenrechte im Reich Putins zu protestieren. Als hätten wir dies geahnt, hatten wir in der Woche davor ein Schreiben an Bundespräsident Heinz Fischer gerichtet, in dem wir ihn aufforderten, eine möglicherweise geplante offizielle Reise nach Sotschi zu überdenken und sie unter Hinweis auf die Situation der Menschenrechte im allgemeinen und von Homosexuellen im besonderen abzusagen. Fischer hat uns bis heute nicht geantwortet, aber er ist zumindest nicht nach Sotschi gereist.

Als dann Sportminister Gerald Klug bekanntgab, nach Sotschi zu fahren, bedauerten wir dies in einer Aussendung am 19. Dezember: „Nach den prominenten offiziellen Absagen aus Deutschland und den USA kann Klugs Entscheidung, als offizieller Vertreter Österreichs zu den Olympischen Winterspielen zu fahren, von russischer Seite nur als Signal interpretiert werden, dass Österreich die Menschenrechtslage in Russland ziemlich egal ist.“

Wir forderten Klug auf, seine Entscheidung zu überdenken, denn es „erschiene uns äußerst bedenklich und bedauerlich, wenn ausgerechnet ein SPÖ-Minister nicht bereit wäre, ein deutliches Zeichen gegen Menschenrechtsverletzungen zu setzen. Ihm und seiner Partei muss bewusst sein, dass die SPÖ hier ein Glaubwürdigkeitsproblem hat: Sich für die Menschenrechte im allgemeinen und jene von Lesben und Schwulen im besonderen einsetzen zu wollen muss mehr sein als ein bloßes Lippenbekenntnis. Den Worten müssen auch Taten folgen, will die SPÖ hier glaubwürdig bleiben.“

Als dann zum Jahreswechsel Bundeskanzler Werner Faymanns Absicht, nach Sotschi zu fahren, bekannt wurde, zeigte sich die HOSI Wien in einer Medienmitteilung am 2. Jänner „zutiefst entsetzt“: „Selbst wenn Faymann in Sotschi Gelegenheit und die Courage hätte, gegenüber dem russischen Präsidenten einige kritische Äußerungen anzubringen, würde sich Putin wohl kaum davon beeindrucken lassen.“

Und weiter: „Sollten sich nach der Winterolympiade, wie von den meisten politischen BeobachterInnen erwartet, die Unterdrückung der Opposition und der Zivilgesellschaft sowie die Pogromstimmung gegen Homosexuelle weiter verschärfen, wird sich Faymann den Vorwurf gefallen lassen müssen, durch seine Haltung und Anwesenheit in Sotschi Putin in dessen antidemokratischer und menschenrechtsfeindlicher Politik bestärkt und damit diese Verschärfung befördert zu haben.“

Am 13. Jänner legten wir noch einmal nach: In einem Schreiben an Faymann ersuchten wir um einen Gesprächstermin, um nach seiner Rückkehr aus Sotschi aus erster Hand über die Ergebnisse und Erfolge seiner Bemühungen während seines Aufenthalts in Sotschi informiert zu werden. Außerdem wollten wir mit ihm über weitere Schritte gegenüber Russland sprechen, sollte sich die Situation nach Ende der Spiele verschlechtern. Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche haben ja bereits eine Volksabstimmung über die Wiedereinführung des Totalverbots homosexueller Handlungen in Russland gefordert. Für uns stellt sich die Frage, ob Faymann, sollte es dazu kommen, sich dann im Namen Österreichs umgehend dafür einsetzen werde, dass Russland sofort aus dem Europarat ausgeschlossen wird. Denn ein solches Totalverbot ist unvereinbar mit einer Mitgliedschaft im Europarat, weil es der Europäischen Menschenrechtskonvention widerspricht.

Weiters wollten wir mit Faymann auch besprechen, wie Lesben und Schwulen geholfen werden kann, die Russland aus nachvollziehbaren Gründen verlassen möchten. Das Putin-Regime hat ja weitere Maßnahmen in den Raum gestellt, etwa homosexuellen Eltern ihre leiblichen Kinder behördlicherseits abzunehmen. Schon heute planen viele betroffene Eltern ihre Flucht und Emigration, weil sie nicht warten wollen, bis es zu spät ist. Wir erwarten für diese Fälle eine unbürokratische Ausstellung von Visa durch die österreichische Botschaft in Moskau, damit verfolgte Lesben und Schwule in Österreich Asyl beantragen können. [Vgl. Aussendung der HOSI Wien vom 14. Jänner 2014.]

Mittlerweile hat uns Faymann wissen lassen, dass er uns nicht empfangen will. Eine HOSI-Wien-Abordnung wird jedoch am 27. Februar mit seiner außenpolitischen Beraterin zu einem Gespräch zusammentreffen.

Ganz umsonst scheinen unsere Aufforderungen nicht gewesen zu sein. Schon am 30. Jänner 2014 sprach Faymann bei seiner Rede vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg prominent u. a. die rechtliche Diskriminierung von Homosexuellen in einigen Mitgliedsstaaten des Europarats an und betonte, dass dies eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention darstelle. Sportminister Gerhard Klug wiederum hat laut Aussendung seines Ministeriums bei einem Gespräch mit seinem russischen Amtskollegen Witalij Mutko am 11. Februar deutlich thematisiert, „dass die Einhaltung der Menschenrechte und der respektvolle Umgang mit Minderheiten für Österreich ein sehr wichtiges Anliegen ist und es in Österreich im Vorfeld der Winterspiele intensive Diskussionen, auch über die Gesetzgebung in Bezug auf Homosexualität, gab.“

 

Nachträgliche Anmerkungen:

Artikel von mir über die prekäre und sich verschlimmernde Lage von Schwulen und Lesben in Russland waren in folgenden LN-Ausgaben erschienen: 4/2014 (S. 24), 5/2013 (S. 15 f), 4/2013 (S. 27 ff) und 3/2013 (S. 33).