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Helga Pankratz 1959–2014 – Ein Leben für die Sichtbarkeit

Veröffentlicht am 21. Februar 2014
Am 27. Jänner 2014 starb HELGA PANKRATZ, die sich über 30 Jahre unermüdlich für die HOSI Wien engagiert hatte, an Krebs. Sie hatte u. a. die HOSI-Wien-Lesbengruppe 1981 mitgegründet, ebenso die Jugendgruppe zwei Jahre später. Für die ausführliche Würdigung von Helgas Verdiensten in der LN-Ausgabe 1/2014 habe ich einen Nachruf verfasst.

Am 14. Oktober 2000 erhielt Helga den allerersten „Gay and Lesbian Award (G.A.L.A.)“ der HOSI Linz – überreicht von Vereinssprecher RAINER BARTEL.

In der HOSI Wien gab es kaum ein größeres Projekt oder einen Tätigkeitsbereich, bei dem Helga nicht mitgearbeitet hätte – vieles hat sie auch selbst initiiert. Ihr Name steht indes auch für eine ganz frühe und grundlegende Weichenstellung in der HOSI Wien – denn im wesentlichen ist es Helga und ihrer langjährigen Partnerin, Lebensgefährtin und Freundin DORIS HAUBERGER – und einigen wenigen anderen Frauen – zu verdanken, dass der reine Männerverein ab 1981 zu einem Schwulen- und Lesbenverband wurde. Und das war damals keine Selbstverständlichkeit. Abgesehen davon, dass es unter den schwulen Männern Widerstand dagegen gab (einige kehrten der HOSI Wien aus diesem Grund sogar den Rücken), wurden Helga und ihre Mitstreiterinnen für ihre Zusammenarbeit mit Schwulen in der autonomen Lesbenbewegung scheel angeschaut, mitunter sogar angefeindet.

Begonnen hatte alles bereits 1980, als Helga durch die erste spektakuläre öffentliche Aktion der HOSI Wien, die Teilnahme an den legendären „Wiener Festwochen alternativ“ am Reumannplatz im Mai und Juni jenes Jahres, auf den Verein und die LAMBDA-Nachrichten aufmerksam wurde. Sie schickte den LN ein Gedicht, in dem sie die damaligen Vorfälle – für uns damals so eine Art Mini-„Stonewall“-Ereignis auf wienerisch – in Gedichtform literarisch verarbeitete. Wir druckten es auf der Rückseite der Ausgabe 2/1980 ab. Später kam es zu weiteren Treffen, und 1981 gründeten Helga und Doris die Lesbengruppe in der HOSI Wien, zu der sie in der LN-Ausgabe 3-4/1981 (S. 4) aufriefen und die sich dann am 4. November zum erstenmal im HOSI-Zentrum traf. Der Rest ist Geschichte, der Mittwochabend der Lesbengruppe seither, über 32 Jahre, Fixpunkt im wöchentlichen HOSI-Wien-Kalender. Von 1981 bis 1983 war Helga die erste Lesbensekretärin der HOSI Wien.

Über den Start der Lesbengruppe und ihre und Doris’ Motivation, sie zu gründen, und wie es weiterging, berichten und reflektieren die beiden Gründerinnen übrigens fünf Jahre später in einem Interview in den LN 2/1987 (S. 10 ff). Darin schildert Helga in ihrer witzig-trockenen, lakonisch-messerscharfen Art die Umstände und Widrigkeiten dieser Gründung bzw. der ersten fünf Jahre der Lesbengruppe. Dieses Interview stellt ebenfalls ein spannendes „historisches“ Dokument dar, das es verdiente, wieder einmal nachgedruckt zu werden (weitere Fundstelle für Interessierte: „Aus lesbischer Sicht“, LN Special 2/2004, S. XX).

Schon damals war das Schreiben, sowohl journalistischer als auch literarischer Texte, eine wichtige Ausdrucksform Helgas. Und so lag es nahe, dass sie sofort auch bei den LN andockte: Ab der Ausgabe 1/1982 war sie ständige Mitarbeiterin der LN, wurde auch im Impressum als Redaktionsmitglied genannt – und hat mehr als drei Jahrzehnte Berichte, Beiträge und ab der Ausgabe 2/1992 auch die Kolumne Aus lesbischer Sicht mehr oder weniger regelmäßig verfasst (zuvor gab es eine einmalige Glosse unter diesem Titel von Helga in der Ausgabe 3/1990).

Wie ein roter Faden zog sich dabei durch ihre publizistische – wie auch bewegungspolitische – Tätigkeit ein ihr besonders wichtiges Anliegen: die Stärkung der Sichtbarkeit von Lesben, die in der öffentlichen Wahrnehmung durch die Dominanz der Schwulen nicht nur in den Anfangszeiten der Bewegung, als ohnehin in den Medien kaum über Homosexualität berichtet wurde, gelitten hat, sondern es auch heute noch tut. Wie frustrierend Helga diese Sisyphusarbeit 20 Jahre später immer noch empfand, brachte sie in ihrer „lesbischen Sicht“ in den LN 2/2000 (S. 49) zu Papier. Wir haben diese Kolumne zum Nachdruck in dieser Ausgabe (Seite X) ausgewählt, weil sie so paradigmatisch für eines von Helgas Hauptanliegen steht – und wohl heute, 14 Jahre später, kaum etwas an Aktualität eingebüßt hat. Im Gegenteil – noch in ihrer letzten LN-Kolumne vor zwei Ausgaben (4/2013, S. 17) beklagte sie, dass „der Blick, den Medien und die Politik nach langem Einfordern der lesbischen Sichtbarkeit endlich auf Lesben werfen“ sich jetzt nur auf deren traditionelle Frauenrolle als potentielle Mütter richtet, „denen die Befruchtung verwehrt, gewährt oder aufgezwungen werden kann“. Das war nicht in Helgas Sinn, dafür hatte sie nicht mehr als 30 Jahre gekämpft. Natürlich hat sie immer private und persönliche Entscheidungen und Lebensentwürfe jeder und jedes einzelnen respektiert und war da überhaupt nicht dogmatisch – sie selber hat sich ja mit Doris im Dezember 2011 auch verpartnert (vgl. LN 1/2012, S. 11) –, aber über diesen Spin, diese Wendung, die in der öffentlichen Wahrnehmung lesbische Sichtbarkeit genommen hat, konnte Helga nicht froh sein.

Diese „undogmatische“ Haltung war für mich übrigens ein für Helga sehr charakteristischer Zug: Sie war in ihren Grundhaltungen – gegen Sexismus, Faschismus, Ausbeutung sowie Solidarität grundsätzlich mit den Schwachen, um nur einige zu nennen – total konsequent und in ihren gesellschaftlichen Analysen scharfsinnig. Und sie unterwarf diese keinerlei Moden oder dem Zeitgeist. Sie verurteilte aber niemanden, der/die andere Vorstellungen hatte. Sie lebte die ihren einfach vor, trat für ihre Ansichten und Wertvorstellungen ein, warb dafür, war dabei jedoch fast unmissionarisch bescheiden und drängte sie niemandem auf.

Und Helga war überhaupt nicht nachtragend. Meinungsverschiedenheiten oder (ideologische) Auseinandersetzungen nahm sie nicht persönlich, sondern betrachtete sie eher als intellektuell bereichernd und befruchtend. Und so richtete sie z. B. zum 10-Jahres-Jubiläum der HOSI Wien dem Vereinsgründer WOLFGANG FÖRSTER – „meiner tapferen Widersacherin in unzähligen Verbalschlachten um ‚die Bedeutung des Kitzlers im Schwulenverein‘“ – ihre „besondere Verehrung“ aus (LN 3/1989, S. 4). Vielen dieser köstlichen Miniaturen, die Helga in ihrem umfassenden und vielfältigen publizistischen Schaffen hinterlassen hat, entströmt diese Abgeklärtheit, die in ihren Haltungen gefestigte ZeitgenossInnen auszeichnet.

Diese konziliante, ja milde, andere Meinungen respektierende Einstellung ließ Helga umso mehr mit der Rechthaberei um des Rechthabens willen und den Hahnen- und Revierkämpfe mancher ihrer schwulen Mitaktivisten hadern – ebenfalls Gegenstand vieler spitzzüngig-lakonischer Kommentare.

Ein anderer typischer Zug Helgas war wohl auch diese unglaubliche Geduld, die sie beim Durchsetzen ihrer Forderungen und Ansprüche an den Tag legte. Diese ist wohl einerseits dem realistischen Wissen darüber geschuldet, was bzw. wie wenig man als einzelne/r in dieser heutigen Welt ohnehin bewirken kann, und andererseits vermutlich dem Drang oder Zwang von AtheistInnen, wie Helga auch im Angesichts des Todes eine blieb, mit diesem Leben etwas Sinnvolles anzufangen, weil es kein anderes geben wird – und dabei eben den eigenen Überzeugungen zu folgen, wenn die relevanten Korrektive bzw. „Kontrollorgane“ das eigene Gewissen und der eigene Spiegel sind, in den man sich noch schauen können will.

Aber zurück zur langen Liste der Aktivitäten, in die Helga involviert war: 1983 war sie, wieder gemeinsam mit Doris, an der Gründung der gemischten, schwul/lesbischen Jugendgruppe maßgeblich beteiligt – auch diese Gruppe trifft sich bis heute – natürlich in sich ständig erneuernder Zusammensetzung – wöchentlich in der HOSI Wien.

Von Beginn ihres Engagements in der HOSI Wien an hatte sich Helga, wie gesagt, in fast alle Projekte und Tätigkeitsbereiche eingeklinkt: ob in die NS-Gedenkarbeit, ob ins politische Lobbying, ob in die internationale Arbeit – schon im Dezember 1982 trafen Helga und Doris etwa Lesben in Budapest (vgl. LN 1/1983, S. 27 f), arbeiteten bei der I(L)GA-Weltkonferenz 1983 mit, die von der HOSI Wien ausgerichtet wurde, vertraten die HOSI Wien im selben Jahr in Paris beispielsweise bei der Konferenz des „International Lesbian Information Service (ILIS)“ (vgl. LN 2-3/1983, S. 26 f), den es schon lange nicht mehr gibt –; ob in die Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit – viele Veranstaltungen in und außerhalb der HOSI Wien wurde von Helga mitorganisiert, z. B. die „Warmen Wochen“ 1984 (LN 3/1984) samt Demozug durch die Kärntnerstraße. Eine von Helgas besonderen Fähigkeiten war, mit ihrer Kreativität junge Lesben und Schwule, die neu in die HOSI kamen, zum Mitmachen bei künstlerischen Projekten zu motivieren; legendär das Filmprojekt Der HOSI-Clan (2000), Görls Cultures oder Drag-King-Aktionen.

Eines der letzten Projekte, die Helga – abermals gemeinsam mit Doris sowie Mädchen und Burschen aus der Jugendgruppe – initiierte und das heute eines der wichtigsten Projekte der HOSI Wien ist, ist die Peerconnexion, das Schulbesuchsprojekt, das 2002 aus der Taufe gehoben wurde (vgl. LN Special 2/2003, S. IV).

Natürlich hat Helga in diesen über drei Jahrzehnten nicht in allen Bereichen ständig in gleicher Intensität mitgearbeitet – soviel Ressourcen könnte ein einzelner Mensch gar nicht haben –; es gab Perioden, in denen sie sich aufgrund anderer – beruflicher wie ehrenamtlicher – Tätigkeiten aus der vordersten Linie in der HOSI Wien zurückgezogen hatte, aber es gab in diesen über 30 Jahren keine Phase, in der sie der HOSI Wien nicht loyal verbunden gewesen wäre.

Und vor allem hat Helga sehr viel im Hintergrund gearbeitet, sehr viel Zeit und Energie aufgewandt, ohne dass dies von vielen besonders bemerkt wurde, weil sie eben nicht unbedingt im Rampenlicht stehen wollte und musste und sich nie in den Vordergrund drängte. Sie wirkte und werkte lieber an der Basis, machte die mühsame, unbedankte Knochenarbeit, die es braucht, eine Idee, ein Projekt zu verwirklichen und am Leben zu erhalten.

HOSI-Linz-Vereinssprecher RAINER BARTEL würdigte genau diese Seite Helgas, als ihr 2000 als erster Preisträgerin der von der HOSI Linz gestiftete Gay and Lesbian Award (G.A.L.A) verliehen wurde: Mit Helga sei jemand ausgezeichnet worden, „die sonst immer eher im Hintergrund agiert und deren Arbeit oftmals zu wenig gesehen wird. Wenn die österreichische Lesben- und Schwulenbewegung heute da steht, wo sie steht, dann nicht zuletzt auch wegen des Engagements von Menschen wie Helga Pankratz.“ Die sehr treffende Jurybegründung für die Verleihung des G.A.L.A. ist in den LN (Special) # 1/2001 (S. XIV) im vollen Wortlaut nachzulesen.

Dieser Umstand zeigte sich am deutlichsten daran, dass sich Helga trotz ihres jahrelangen Einsatzes erst 2001 dazu überreden ließ, für den gewählten Vorstand zu kandidieren: Damals wurde sie zur Obfrau der HOSI Wien gewählt. Drei Jahre übte sie diese Funktion aus. Ihre „Amtszeit“ als Vorstandsmitglied fiel zwar einerseits in jene dunklen Jahre der schwarz-blauen Regierung, deren MinisterInnen sich geschlossen dem persönlichen Gespräch mit VertreterInnen der Lesben- und Schwulenbewegung verweigerten, andererseits konnte sie in dieser Zeit verdienterweise bedeutsame Erfolge auch ihres jahrzehntelangen Einsatzes ernten, etwa 2002 die Abschaffung des § 209, der letzten diskriminierenden Strafrechtsbestimmung. Und auch ohne Gespräche mit Regierungsmitgliedern gab’s viele Gelegenheiten, die HOSI Wien zu repräsentieren, etwa im Dezember 2003 bei der Anhörung von NGO-VertreterInnen im Nationalrat vor dem sogenannten Österreich-Konvent betreffend unsere Forderungen und Anliegen in Hinblick auf eine neue Verfassung (ein Projekt, das im übrigen bekanntlich bis heute nicht umgesetzt worden ist). Mit Antritt der großen Koalition 2007 sollte Helga dann aber doch noch mehrfach Gelegenheit haben, die HOSI Wien bei Politikerbesuchen zu vertreten, etwa bei Gesprächsterminen mit Justizministerin Maria Berger und Unterrichtsministerin Claudia Schmied.

Übrigens kehrte Helga 2010, als wieder einmal Not an der Frau war, als Schriftführerin in den Vorstand der HOSI Wien zurück. Sie füllte diese Funktion bis zur Generalversammlung im April 2012 aus, als sie schon schwer erkrankt war.

Helga wirkte aber nicht nur in der HOSI Wien – sie war zudem eine engagierte und überzeugte Netzwerkerin, die auch in anderen LSBT-Organisationen Initiativen setzte und sich für die Vernetzung der Community einsetzte. Als wir Helgas Einsatz in den LN (2/2004, S. 7 f) anlässlich des Endes ihrer Obfrauschaft würdigten – bei dieser Gelegenheit wurde ihr übrigens die Ehrenmitgliedschaft der HOSI Wien verliehen –, schrieben wir schon damals: „Wenn man Helgas Tätigkeit mit einem einzigen Wort charakterisieren müsste, dann wäre dieses Wort wohl ‚Vernetzung‘“.

Dies stellen auch die vielen Würdigungen anläßlich ihres Todes von außerhalb der HOSI Wien unter Beweis (siehe u. a. die neue „Villa“-Kolumne auf S. 22). Diese Vernetzungsarbeit zog sich ebenfalls von Anfang an durch Helgas gesamte bewegungspolitische Laufbahn und begann noch vor ihrem Engagement in der HOSI Wien innerhalb der autonomen Lesbenbewegung, die in den 1980er Jahren noch regelmäßig österreichweite Lesbentreffen organisiert hatte.

Zu erwähnen ist auch ihr Einsatz ab 1998 für die Vernetzung der lesbisch-schwulen Sportinitiativen, denen sie durch ihre regelmäßige, umfassende und aufwendig recherchierte Berichterstattung in den LAMBDA Sport News über etliche Jahre hinweg eine wichtige Plattform bereitstellte. Und nicht zu vergessen: das Tanzen. 1995 und 1996 nahm Helga selbst an EuroGames-Tanztournieren teil, ab 1997 war sie im Frauentanzklub Resis.danse aktiv – und auch hier ist die bis heute bestehende enge Verbindung zwischen Resis.danse und HOSI Wien nicht zuletzt Helgas Networking zu verdanken.

Helgas unermüdliches Netzwerken beschränkte sich aber nicht nur auf die LSBT-Bewegung, sondern erstreckte sich auch auf andere Bereiche der Alternativbewegung bzw. Zivilgesellschaft. Sie war u. a. ab 2002 Vorstandsmitglied der Initiative Minderheiten und veröffentlichte auch in deren Zeitschrift STIMME regelmäßig Beiträge. Vielen ist Helga auch durch ihre Widerstandslesungen im Rahmen der Donnerstagsdemonstrationen gegen die schwarz-blaue Regierung zu Beginn der Nullerjahre in Erinnerung.

Allein wenn man die 35 Jahrgänge der LN durchblättert, ist es einfach unglaublich zu lesen, wie vielfältig Helga in diesen mehr als 30 Jahren in der HOSI Wien und in der Bewegung engagiert war. Selbst als Insider und langjähriger Weggefährte hat man viele Dinge und Details schon wieder vergessen… Es ist schier beeindruckend, und die HOSI Wien und die Bewegung hat mit Helga in der Tat eine der verdienstvollsten AktivistInnen verloren.

Helga in der Säulenhalle des Parlaments nach der Anhörung im Österreich-Konvent am 15. Dezember 2003

FOTO: CHRISTIAN HÖGL