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5. IGA-Kongress in Wien

Veröffentlicht am 23. September 1983
Vom 11. bis 16. Juli 1983 fand in Wien die 5. Jahreskonferenz der International Gay Association (IGA) statt. Wohlwissend, dass sie dadurch bis zu einem halben Jahr Gefängnis riskierten, kamen 150 VertreterInnen von 55 Organisationen aus 25 Ländern nach Wien, um in 20 Arbeitskreisen und auf fünf Plenarsitzungen verschiedenste Themen und Aktionen zu diskutieren und zu beschließen. Ich berichtete in den LN 4/1983.

Das von Anna Prankl entworfene Konferenzplakat

Konferenzvorsitz/Plenum

Im Rahmen der Konferenzeröffnung brachten die HOSIsters „Die Fledermaus" zur Aufführung – v. l. n. r.: GEORG NAGELE, WERNER TAIBON, WOLFGANG FÖRSTER und MANFRED LANG.

Publikum beim Fest im Amerlinghaus, wo die HOSIsters nochmals auftraten: „There‘s no business like show business". Ganz links in der dritten Reihe, hinter dem Fensterflügel: PETER SCHEUCHER. In der ersten Reihe in der Mitte sitzend von l. n. r.: JOSEF KERSCHBERGER und JULIUS ZECHNER (1958–1992), beide HOSI Linz, und JÜRGEN TIEDGE (1928–1998) von der HOSI Wien.

Im Garten des Amerlingshauses...

...feierten die Delegierten. Der augenscheinliche Männerüberschuss erklärt sich durch den Umstand, dass zeitgleich ein Frauenfest im HOSI-Zentrum stattfand.

Manfred Deix (1949–2016) widmete der Tagung einen Cartoon, der in „profil“ Nr. 33 vom 16. August 1983 erschien.

Die IGA-5 in Wien war das erste Treffen der International Gay Association in einem deutschsprachigen Land überhaupt. Vielleicht war dies auch der Grund, warum so viele Teilnehmer aus der BRD (22) zur Tagung gekommen waren. Sie waren – zumindest zahlenmäßig – sogar stärker vertreten als die Niederlande (20), deren Vertreter üblicherweise IGA-Konferenzen dominieren. „Prominentester“ Vertreter war übrigens der hessische Bundestagsabgeordnete HERBERT RUSCHE, der bei den letzten Wahlen als offen schwuler Kandidat von den Grünen aufgestellt worden war und zur Halbzeit der Legislaturperiode ins BRD-Parlament hineinrotieren wird. Hingegen war aus der benachbarten Schweiz kein einziger Teilnehmer, weder privat noch als Gruppenvertreter, nach Wien gereist. Sehr wenige Vertreter kamen auch aus den romanischen Ländern: aus Italien drei, aus Frankreich zwei, aus Spanien und Portugal keine. Aus Übersee und der genannten dritten Welt kamen wesentlich mehr; vertreten waren Brasilien, Venezuela, Kolumbien, Surinam, Indonesien, Israel, Kanada, USA, Australien und Neuseeland – erstmals nahmen auch Vertreter aus Osteuropa an einer IGA-Jahreskonferenz teil, und zwar JAN aus Prag und ein Pole.

Aus dem 150 Seiten starken Konferenzbericht, der inzwischen vom IGA-Informationssekretariat in Stockholm fertiggestellt und ausgeschickt wurde, wollen wir hier die wichtigsten Ergebnisse und Fragen aufgreifen.

 

Homosexuell ist gesund

Eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre für die internationale Lesben- und Schwulenbewegung wird darin bestehen, auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Einfluß und nötigenfalls Druck auszuüben, damit sie bei der nächsten Revision ihres „internationalen Diagnoseschlüssels (ICD)“ Homosexualität aus der Liste der Geisteskrankheiten streicht. Da gleichzeitig mit der IGA auch die World Psychiatric Association (WPA), der Weltverband für Psychiatrie, in Wien tagte, nutzten wir die Gelegenheit, dem 7. WPA-Weltkongreß eine Resolution zu überbringen – wir übergaben sie persönlich dem Generalsekretär Peter Berner [1924–2012] (siehe Kasten Seite 4). Wir führten auch ein Gespräch mit Hans Strotzka [1917–1994], der für die tägliche Kongreßzeitung verantwortlich war, doch er war nicht zu überreden, die IGA-Resolution darin zu veröffentlichen. Hingegen wurde uns versprochen, diese auf der nächsten Sitzung des WPA-Exekutivausschusses zu diskutieren. Am Donnerstag, den 14. Juli, nahmen auch rund 60 IGA-Delegierte und Wiener Lesben und Schwule am Anti-Psychiatrie-Schweigemarsch teil und formten zum Abschluß der Kundgebung die Zahl 302 vor der Wiener Hofburg, wo die 5000 Psychiater tagten – 302 ist jene Zahl in der ICD, mit der die WHO Homosexualität bezeichnet. Ein anderer Schwerpunkt der IGA-Tagung waren die Vorbereitungen für:

 

Das Internationale Jahr der lesbischen und schwulen Aktion 1984

In Stockholm wird im August nächsten Jahres ein internationales Tribunal abgehalten, das sich mit der Diskriminierung von Lesben und Schwulen und mit der Verletzung ihrer Menschenrechte durch Regierungen beschäftigen wird. In New York wird im Juni 1984 ein internationaler Marsch auf die Vereinten Nationen stattfinden. Darüber hinaus wird es eine Reihe lokaler und nationaler Aktivitäten geben, etwa Gedenkkundgebungen in ehemaligen KZ-Lagern, kulturelle Veranstaltungen, Demonstrationen und Sternmärsche, schwule und lesbische Sommercamps u. a. m. Im Juni 1984 soll in New York auch die erste internationale schwul/lesbische Gesundheitskonferenz veranstaltet werden. Schwule Kommunisten planen ebenfalls eine internationale Tagung. Und in Holland wird ein schwul/lesbisches Jugendfestival organisiert werden. Für die Direktwahl des Europa-Parlaments im nächsten Jahr wollen die deutschen Grünen einen offen schwulen Kandidaten aufstellen. In Amsterdam wird das sogenannte Homomonument enthüllt werden, ein Denkmal, das an die Unterdrückung und den Kampf der Lesben und Schwulen gestern, heute und in der Zukunft erinnern soll. Eingeleitet wird das Internationale Jahr der lesbischen und schwulen Aktion in der Silvesternacht durch ein Spektakel während der nächsten informellen Europakonferenz der IGA in Köln.

 

AI u. a.

Amnesty international soll weiter bearbeitet werden, damit sie endlich um ihres eigenen Ansehens willen aufhört, Homosexuelle als Menschen zweiter Klasse zu betrachten, und sie als Gewissensgefangene anerkennt.

Die Geschlechterparität wurde definitiv für die IGA eingeführt. Leider war die Teilnahme von Frauen an der Wiener Tagung sehr gering.

Die südafrikanische Gruppe GASA wurde vorläufig nicht aufgenommen, weil man zuwenig über ihre Haltung zur Apartheid wußte, woraufhin die israelische Organisation SPPR die IGA unter Protest verließ, womit eine weitere heiße Kartoffel vom Tisch war, hatte sich SPPR doch um die Ausrichtung der 7. Jahrestagung 1985 beworben gehabt, wodurch IGA-Mitglieder sich wieder mit der Weltpolitik auseinandersetzen hätten müssen.

Der Arbeitskreis „Lesben, Schwule und Frieden“ forderte zu verstärktem Engagement in der Friedensbewegung auf (Pershing-Raketen, Marschflugkörper und SS-20 verschonen auch die Homosexuellen nicht). Am 22. Oktober darf die Friedensbewegung wieder mit der Unterstützung der schwul/lesbischen Bewegung rechnen.

Die HOSI Wien leitete den Osteuropa-Workshop und stellte ihren zweiten Jahresbericht des Osteuropa-Informationspools (EEIP) vor. Die erst zwei Jahre alte Schwulen- und  Lesbenbewegung der DDR übermittelte der Wiener IGA-Konferenz beste Wünsche. Am 2. Juli beging der Arbeitskreis Homosexualität in der Evangelischen Studentengemeinde Leipzig zum erstenmal den internationalen Gay-Liberation-Day mit einer Kranzniederlegung im ehemaligen KZ Buchenwald und einer Lesung aus Tagebüchern schwuler KZ-Häftlinge. Am 3. Juli beteiligte er sich mit eigenem Info-Stand an der Friedenswerkstatt der Erlösergemeinde in Berlin-Rummelsburg (DDR).

AIDS dominierte den Gesundheitsworkshop – natürlich. Man formulierte ein zweiseitiges Statement, in dem man vor Hysterie und Panik warnte und sich gegen die Bezeichnung „Schwulenkrankheit“ verwehrte. Für Österreich ist das aber ohnehin schon längst gelaufen. Während die HOSI Wien schon im März der mit AIDS von den Medien initiierten Schwulenhatz durch die Herausgabe einer Informationsbroschüre entgegentrat, folgten ausländische Organisationen unserem Beispiel erst viel später (COC in den Niederlanden im Juni, RFSL in Schweden und Berliner Gruppen im August). In Amsterdam wird noch heuer die erste europäische Schwulenkonferenz zu AIDS stattfinden. Vom 19. bis 20. Oktober wird im übrigen auch die Weltgesundheitsorganisation WHO in Århus (Dänemark) eine AIDS-Konferenz abhalten, zu der auch die dänische Homosexuellenorganisation Forbundet af 1948 offiziell eingeladen wurde.

 

Tourismusboykott gegen Österreich

Die 5. Jahreskonferenz der IGA verabschiedete auch eine Protestresolution an die österreichische Bundesregierung wegen der gesetzlichen Diskriminierung in unserem Land (genauer Wortlaut siehe Seite 6). Als Reaktion auf diese Resolution teilte uns das Bundeskanzleramt am 9. August mit:

Der Herr Bundeskanzler hat die Mitglieder der Bundesregierung in der Sitzung des Ministerrats am 2. August 1983 von dieser Eingabe in Kenntnis gesetzt. Je eine Ablichtung der Eingabe wird den zuständigen Zentralstellen des Bundes zur Kenntnisnahme und Prüfung übermittelt.

In diesem Zusammenhang machten die Schweden den Vorschlag, einen Fremdenverkehrsboykott gegen Österreich zu organisieren. RFSL hat nämlich schon von sich aus diese Aktion in Schweden für diesen Herbst vorbereitet. RFSL wird ein (rosa) Weißbuch über Österreich herausgeben, das alle von uns gesammelten Fälle von Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen an österreichischen Homosexuellen enthalten wird. Und RFSL plant, mittels Flugblattaktionen, Demos und Anzeigenkampagnen in der schwedischen Tagespresse ihre Landsleute aufzufordern, nicht nach Österreich zu reisen. Diese Aktion kommt gerade rechtzeitig, wenn tausende Schweden ihren Skiurlaub in Österreich zu buchen beabsichtigen.

Die 6. Jahreskonferenz der IGA wird nächsten Juli in Helsinki stattfinden. Die übernächste, 1985, wurde an Toronto vergeben. Für die informelle Europakonferenz dazwischen haben sich Linz und Bologna beworben.

 

Nachträgliche Anmerkungen:

Mehr Fotos zur Konferenz finden sich in der Bildergalerie hier.

Dieser Beitrag erschien in leicht veränderter bzw. gekürzter Fassung auch im Falter # 15 vom 28. Juli 1983 sowie im Rosa Flieder (Nürnberg) # 32 vom 20. Oktober 1983. Im Falter # 13 vom 1. Juli war ein ganzseitiger Vorbericht („Schwule Internationale“) von mir zur Tagung erschienen.

Im LN-Heft 4/1983 finden sich weitere Beiträge über die Tagung. DIETER SCHMUTZER berichtete ausführlich („Der Kongreß tanzt“) über das vielfältige Rahmenprogramm (u. a. Kunstausstellung im HOSI-Zentrum, Konferenzauftakt der HOSIsters mit der „Fledermaus“, Fest im Amerlinghaus, Konferenzdinner beim Heurigen) und las in seinen „Konferenzsplittern“ (S. 12 f) den Konferenztratsch auf.

Einer dieser Konferenzsplitter betraf PETER SCHEUCHER, den ich erst zehn Jahre später kennenlernen sollte. Als Reminiszenz sei dieser Splitter hier zitiert:

„Sollte es dem Initiator der HOSI Graz, Herrn (?) Peter Sch., gelingen, sämtliche Eroberungen als Mitglieder für seine Organisation zu gewinnen, könnte die Grazer Gruppe in Bälde zu einer der mächtigsten Schwulengruppierungen Mitteleuropas werden.“