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  2. Que(e)rschuss LN 5/2014

Gequeerlte Scheiße*

Erschienen am 27. November 2014

Schon vor über zwei Jahren (LN 2/2012, S. 10) habe ich an dieser Stelle geschrieben, „Gendern“ durch unterstrichene Leerstelle (_) oder Asteriskus (*) kommt uns nicht in die LAMBDA-Nachrichten. Zur Definition dieses „gender gap“ siehe Jugendstil auf S. 20. Je länger ich dieses Phänomen (und die bisher grandios gescheiterten Versuche, dies auch sprachlich konsequent umzusetzen) beobachte und je mehr Argumente und Erklärungen, was damit alles bezweckt und erreicht werden soll, ich höre, desto radikaler und entschlossener wird meine Ablehnungshaltung dagegen.

Ich kann ja nachvollziehen, dass es intersexuelle Menschen gibt, die weder weiblich noch männlich sind bzw. sein wollen – aber gerade sie sind doch bestens bedient mit dem Binnen-I, das aus jedem personenbezogenen Hauptwort ohnehin ein total hermaphroditisches macht (das einzige Argument übrigens, das ich gegen das Binnen-I gelten lassen würde!) – genauso wie jene, die für sich jede Einteilung in die Geschlechterkategorien „männlich“ und „weiblich“ ablehnen, sondern beides zugleich sein oder einfach nach Lust und Laune und jeweiliger Stimmung zwischen diesen hin- und herwechseln wollen, auch wenn ihr Chromosomensatz und ihre primären und sekundären Geschlechtsmerkmale eindeutig weiblich bzw. eindeutig männlich sind. Das Binnen-I deckt das doch in geradezu perfekter Weise und Form sprachlich ab.

Die einzigen, die sich zugegebenermaßen durch das Binnen-I nicht repräsentiert fühlen könnten, sind jene, die für sich jedes Geschlecht und jede diesbezügliche Zuordnung und das Konzept von Geschlechtern überhaupt grundsätzlich ablehnen. Abgesehen davon, dass sie biologisch dennoch immer ein Geschlecht haben werden (oder meinetwegen eine Mischung aus beiden Geschlechtern) und folglich also vom Binnen-I trotzdem erfasst sind, sehe ich überhaupt nicht ein, warum der Rest der Menschheit auf diesen ideologischen Spleen einer winzigen Minderheit (vermutlich nicht einmal ein Prozent der Menschheit) in seiner sprachlichen Performanz und Kompetenz, wie das sprachwissenschaftlich so schön heißt, Rücksicht nehmen soll.

Apropos Sprachwissenschaft: Die VertreterInnen der Unterstricherln und Sternderln scheinen ja überhaupt ziemlich unbeleckt von Linguistik zu sein. Da ist der erbsündliche Irrtum, grammatikalisches und biologisches Geschlecht seien (im Deutschen) stets ident. Aber nicht einmal das trifft zu: Manche Wörter sind grammatikalisch immer weiblich, unabhängig vom tatsächlichen biologischen Geschlecht der bezeichneten Person: eben die Person, Figur, Geisel, Waise, Ikone etc.; andere wiederum sind immer sächlich: das Mädchen – wie alle auf „-chen“ endenden Wörter (Söhnchen, Bürschchen etc.) –, das Mitglied, das Kind usw.; und manche sind grammatikalisch eben ausschließlich männlich – der Gast, der Star, der Mensch etc. –, auch wenn es sich um eine Frau handelt.

Wer also biologisch weder Frau noch Mann sein will, soll diesen Wunsch daher nicht auf die Sprache projizieren – oder ein durchkomponiertes Regelwerk präsentieren, wie dieses dritte bzw. dieses Nichtgeschlecht konsequent und durchgängig sprachlich realisiert werden könnte, und da reicht es sicher nicht, bloß bei jedem personenbezogenen Hauptwort ein Sternderl anzuhängen oder jede ein bestimmtes Geschlecht verratende Endung durch ein „x“ zu ersetzen, sondern dann müsste man wohl auch neue persönliche und besitzanzeigende Fürwörter (er/sie – es?) und entsprechende neue Bezeichnungen für ansonsten eindeutig weibliche (Frau, Schwester etc.) und männliche (Mann, Bruder usw.) kreieren. Denn wie soll man die Tante bzw. den Onkel bezeichnen, die/der weder Mann noch Frau ist bzw. sein will – „Onte“ oder „Tonkel“? Und welchen Artikel, also welches grammatikalische Geschlecht bekommt dann dieses Gebilde? Das neutrale „das“ oder vielleicht sogar ein ganz neues, viertes grammatikalisches Geschlecht, das noch zu erfinden wäre?

Auch eine Vermeidungsstrategie kann nicht zielführend sein: Denn etwa „Sohn“ und „Tochter“ einfach durch „Kind“ zu ersetzen geht ja auch nicht (immer). Die Bedeutungsinhalte sind nicht immer dieselben, die Sprache hat halt nun einmal viele Nuancen. Oder soll die Bundeshymne jetzt umgetextet werden auf „Heimat bist du großer Kinder“? – Na eben! Ich kann mir jedenfalls beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein solches Unterfangen, nämlich ein neues (grammatikalisches) Nichtgeschlecht samt allen damit verbundenen neuen Begriffen in eine gewachsene Sprache überzeugend einzufügen, gelingen kann – geschweige denn, dass dies jemals allgemein angenommen und sich durchsetzen würde.

Anti-feministisch

Obiges Beispiel zeigt auch eine weitere Problematik des Bemühens auf, neutrale Begriffe einzusetzen, um eine eindeutige (wenn auch nur grammatikalische) Zuordnung zu einem bestimmten Geschlecht bzw. die durch das Binnen-I vermeintlich verstärkte Dichotomie weiblich/männlich zu vermeiden. „StudentInnen“ durch „Studierende“, „LehrerInnen“ durch „Lehrende“ usw. ersetzen zu wollen stellt eindeutig einen anti-feministischen Rückschlag dar: Kaum ist es gelungen, Frauen in der Sprache sichtbarer zu machen, gibt es offenbar eine Gegenbewegung, um sie wieder aus der Sprache zu eliminieren!

Ja, ich weiß: Auch den VerfechterInnen von Stricherln und Sternderln geht es um die Sichtbarmachung – neben der Botschaft, dass es außer weiblich und männlich auch noch etwas anderes gibt. Ja, die Botschaft haben wir eh verstanden! Aber bei den Frauen handelt es sich immerhin um die Hälfte der Menschheit – und sie können ohne gröbere Probleme in der deutschen Sprache auch durchgängig sichtbar gemacht werden. Wie oben dargestellt, betrifft ersteres, also das Nichtgeschlecht, aber nur eine winzige Minderheit, und letzteres, also dessen konsequente Realisierung in der geschriebenen oder gar gesprochenen Sprache, funktioniert nicht, weil die deutsche Sprache weder über die entsprechende Grammatik noch Lexik verfügt und diese ihr auch nicht zwangsweise aufgepfropft werden kann.

Spätestens in dieser Phase der Debatte kommt dann immer der Hinweis, es gehe ja nicht nur um das Sichtbarmachen von Gruppen, die für sich die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ ablehnen und sich lieber als „genderfluid“, „neutrois“ oder sonst etwas bezeichnen, sondern das übergeordnete Ziel sei ja vielmehr, die fixen Schubladen und Kategorien überhaupt abzuschaffen, die damit verbundenen Geschlechterrollen zu überwinden und die Heteronormativität zu bekämpfen.

Natürlich gehören die traditionellen Geschlechterrollen, die Zuschreibungen, was „weiblich“ und was „männlich“ zu sein hat, samt der Heteronormativität überwunden – daran wird eh tagtäglich gearbeitet –, aber warum soll man deshalb gleich die Geschlechter an sich abschaffen? Also dafür sehe ich nicht den geringsten Grund, denn das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun. Mich stört es nicht die Bohne, dass es zwei Geschlechter gibt. Aber abgesehen davon – die Sprache kann das sowieso nicht leisten. Jeder Versuch, sie damit befrachten zu wollen, kann nur kläglich scheitern.

Kontraproduktiv

Diese aufdringliche und anmaßende Penetranz („Ihr müsst bei allem, was ihr schreibt und lest, an uns denken, die weder weiblich noch männlich sind bzw. sein wollen!“), mit der diese Grüppchen ihre Sichtbarkeit in der Sprache einfordern, hat schon etwas abstoßend Diktatorisches. Ich befasse mich ja gerne immer wieder mit diesen Themen, lese queere oder andere Texte, finde die akademische Diskussion darüber, auch wenn sie oft lächerlich hochgestochen und grotesk hirnwixerisch daherkommt, sowie viele der Denkansätze spannend und anregend, ich verstehe auch die dahinterstehenden Anliegen und sympathisiere sogar mit den meisten, aber ich sehe dennoch überhaupt nicht ein, warum ausgerechnet diese Gruppen extra in der Sprache sichtbar sein sollen. Es gibt ja tausende andere ideologisch oder sonst wie definierte Gruppen, die auch nicht als solche in jedem personenbezogenen Hauptwort vorkommen – und auch nicht vorkommen könnten, denn so viele Sonderzeichen hat keine Tastatur.

Diese Penetranz gilt übrigens auch für die neue Mode, die Sammelbezeichnung „Transgender“ bzw. „trans“ jetzt auch noch mit einem Sternderl zu versehen, weil es ja nicht nur eine Form der Transsexualität gebe. Ja, und? Alle, die sich länger als eine Sekunde mit dem Thema befasst haben, wissen das. Und daher müssen sie nicht jedes Mal aufs neue mit dem Sternchen darauf gestoßen werden. Ausgerechnet jene, die vorgeben, gegen das Schubladendenken anzukämpfen, schaffen ständig immer neue Unter-Schubladen!

Diese Zwangsbeglückung ist letztlich kontraproduktiv, weil diese Bevormundung auf die Nerven geht. Wir tun dies als Lesben und Schwule – Göttin sei Dank – auch nicht. Und das ist gut so! Man stelle sich bloß vor, wir würden verlangen, Lesben und Schwule müssten in jedem Text ausnahmslos immer extra erwähnt und verbalisiert werden, um uns sichtbar zu machen und die vorherrschende Heteronormativität zu unterminieren. Oder dass zu diesem Zweck der erste Buchstabe jedes personenbezogenen Hauptworts in Regenbogenfarben geschrieben bzw. gedruckt werden müsse. Aber nicht nur das: Da es ja nicht nur die typische Lesbe (= von einem Mann geschieden und Mutter zweier Kinder) und den gewöhnlichen Schwulen (= mit einer Frau verheiratet und Vater zweier Kinder), sondern viele Untergruppen (Lipstick-Lesben, Butches, Lederkerle, effeminierte Tunten etc.) gibt, reiche es nicht aus, jedesmal Lesben und Schwule ausdrücklich anzuführen, sondern man müsse jedesmal „Lesben*“ und „Schwule*“ (also mit Sternderl) schreiben, damit gefälligst alle LeserInnen jedesmal diese Vielfalt unter den Homosexuellen auch wirklich und verlässlich mitdenken – wo kämen wir denn sonst auch hin?!

Sprach-Stalking

Die Leute würden uns ob eines solchen Ansinnens – zu Recht – fragen, ob wir irgendwo „ang’rennt“ seien. Mit derartigem Sprach-Stalking würde man sich zwangsläufig (und unnötig) viele FeindInnen schaffen, denn auch das Wohlwollen der Verständnisvollsten hat irgendwo seine Grenzen. Liebe geschlechtslose, genderfluide und andere Sternchen-KriegerInnen: Ich unterstütze solidarisch vernünftige Forderungen, etwa dass intersexuell geborene Kinder keinen Zwangsoperationen unterzogen werden dürfen, sondern bei Volljährigkeit bzw. Selbstentscheidungsfähigkeit selber über ihr Geschlecht oder Nichtgeschlecht bestimmen sollen; gerne auch jene nach Abschaffung der Geschlechtsangabe in Dokumenten etc. Ich nehme auch vorbehaltlos persönliche Befindlichkeiten zur Kenntnis, etwa wenn jemand die Kategorie „Geschlecht“ für sich kategorisch ablehnt, selbst wenn es sich dabei nur um ein gesellschaftskritisches Protest-Statement Spätpubertierender handeln sollte.

Aber man möge mich bitte mit diesem kindischen Stricherl- und Sternderl-Unfug verschonen! Die Sprache, die wir alle benützen, für Partikularinteressen und Privilegien in Beschlag und Geiselhaft nehmen zu wollen ist nicht nur anti-egalitär (wie hieß doch die Europarats-Kampagne so treffend: „alle anders – alle gleich“), sondern kommt einem terroristischen Akt gleich. Und die Forderung, dass andere – bei sonstiger Brandmarkung als reaktionäre Arschlöcher – diesen unausgegorenen Schmarrn mitmachen, kann ich nur als inakzeptable autoritär-faschistoide Zumutung zurückweisen. Und weil bei solchen totalitären Anwandlungen die alte Losung „Wehret den Anfängen!“ gilt, habt ihr es euch mit mir verscherzt: Ich habe für mich daher beschlossen, beim Auftauchen des ersten Unterstrichs oder Sternderls sofort zu lesen aufzuhören – egal, wie wichtig und gut der Text auch sein mag.

***

Diese Kolumne und der vorhin erwähnte Jugendstil von LUI FIDELSBERGER haben nicht zuletzt im Vorstand der HOSI Wien zu einer kontroversiellen Debatte über das richtige „Gendern“ geführt, denn klarerweise gab es auch im Verein BefürworterInnen des Genderns mit Unterstrich (_) und/oder Asteriskus (*). In den LN 1/2015 erschien dann eine Replik (S. 22 f):

Weil queer nicht „Scheiße“ ist! – Es geht um mehr als „nur“ Sprache

Wie aus Diskussionen um das Binnen-I schon hinreichend bekannt ist, wurde unter anderem in unzähligen Studien festgestellt, dass jene Personengruppen, die sprachlich nicht genannt werden, auch nicht mitgedacht werden. Trotz dieser Erkenntnis wird die Macht von Sprache oft heruntergespielt. So werden in Diskussionen um einen antidiskriminierenden Sprachgebrauch oft Fragen wie „Habt ihr denn nichts Besseres zu tun?“ und „Wollen wir uns nicht lieber mit richtigen Problemen auseinandersetzen?“ laut.

Dabei wird außer Acht gelassen, dass strukturelle Diskriminierung gerade durch Sprache getragen und fortgesetzt wird. Das heißt der Kampf gegen Diskriminierung lässt sich auf keinen Fall von einer intensiven Auseinandersetzung mit sprachlichen Handlungen entkoppeln. Dass Sprache also häufig als „nicht so wichtig“ gesehen wird, führt gerade dazu, dass bestehende gesellschaftliche Machtverhältnisse aufrechtbleiben, da durch sie Normen und Wahrnehmungen geschaffen werden. Wenn Personen, die sich scheinbar mit von Ungleichbehandlungen betroffenen Menschen solidarisieren, gleichzeitig aber eine sprachliche Sichtbarmachung dieser Personen nicht für relevant halten, kann dies wohl nur als halbherziger Pseudoversuch, gegen Diskriminierung einzutreten, verstanden werden.

Weil der Chromosomensatz nicht das Geschlecht bestimmt!

Starre Rollenbilder von Männern und Frauen werden zunehmend hinterfragt und entsprechen schon lange nicht mehr der Lebensrealität vieler Menschen. Obwohl Vorstellungen von typisch „männlichen“ und „weiblichen“ Eigenschaften zunehmend aufgelöst werden, glauben noch immer viele Menschen, dass die Biologie Männer und Frauen als zwei eindeutig voneinander abgrenzbare und unveränderbare Geschlechter hervorbringt. Doch auch das sogenannte „biologische Geschlecht“ ist nicht so klar bestimmbar. So besteht Geschlecht nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen aus einer Vielzahl von Eigenschaften und wird von der Biologie und der Medizin unter anderem über Chromosomen, äußere Genitalien, Keimdrüsen (Eierstöcke und Hoden), Hormone (Östrogen und Testosteron) sowie Gene definiert.

Davon unabhängig entwickelt sich die Geschlechtsidentität eines Menschen. In all diesen Aspekten ist eine eindeutige Zuteilung aller Menschen in die Kategorien „Mann“ und „Frau“ nicht möglich. So wissen wir beispielsweise, dass Geschlechtsmerkmale, die als männlich und weiblich gesehen werden, bei einem Menschen nicht immer übereinstimmen, dass sowohl Männer als auch Frauen individuell unterschiedliche Levels der Geschlechtshormone Östrogen und Testosteron aufweisen oder dass über 60 verschiedene Gene für die Geschlechtsentwicklung verantwortlich sind.

Kennst du eigentlich deine Geschlechtschromosomen? Vermutlich nicht. Denn bei den meisten Menschen wird der Chromosomensatz gar nicht festgestellt. Ob dieser dann aus XX-, XY-, XXY-, X0 oder einer anderen Chromosomen-Kombination besteht, können wir somit nur vermuten. Auch das Geschlecht unseres Gegenübers können wir nur erraten. Denn wir wissen meist nichts über dessen Hormonhaushalt, dessen Gene oder darüber, „was die Person zwischen den Beinen hat“ oder deren Selbstdefinition. Was wollen wir damit sagen? Geschlecht ist ein komplexes Phänomen und kann nicht auf einzelne Aspekte wie den Chromosomensatz reduziert werden. Welches Geschlecht du hast und wie du es auslebst, kannst nur du definieren. Unser gesellschaftspolitisches Anliegen ist es, Raum für vielfältige Geschlechter und Geschlechtsidentitäten zu schaffen.

Geschlecht betrifft uns alle und nicht nur eine „kleine Minderheit“. Doch selbst wenn es anders wäre, drängt sich uns beim Lesen der betreffenden Artikel in den letzten LAMBDA-Nachrichten unweigerlich eine Frage auf: Seit wann ist es in der HOSI Wien ein legitimes Argument, sich für politische Anliegen nicht einzusetzen, weil es angeblich nur eine kleine Minderheit betrifft? Wurde diese Argumentation nicht früher gerne gegen die Lesben- und Schwulenbewegung verwendet? Anscheinend haben manche AktivistInnen das Gefühl, sich auf ihren Lorbeeren ausruhen zu können. Liegt es daran, dass sie sich der heteronormativen Gesellschaft soweit angepasst haben, um sich das Privileg herausnehmen zu können, nicht mehr gegen gesellschaftliche Machtstrukturen – die natürlich besonders Minderheiten hart treffen – aufbegehren zu müssen?

Aus privilegierten Positionen heraus ist auch oft die Aussage zu vernehmen, dass Sprachformen wie der Unterstrich oder der Stern doch viel zu kompliziert, unverständlich und deshalb nicht praktikabel seien. Dieses Unverständnis ist allerdings keine allgemeingültige Wahrheit. Im Gegenteil: In zahlreichen Medien und literarischen Werken sowie in den an.schlägen, der ältesten feministischen Zeitschrift Österreichs, oder dem queer-feministischen Blog sugarbox.at werden Schreibformen mit Unterstrich oder Stern bereits seit langem praktiziert. Und wisst ihr was: Es ändert nichts an der Verständlichkeit und Qualität der Texte! Außerdem ist es von anderen, weniger privilegierten Positionen heraus eher unverständlich und wird überdies als diskriminierend empfunden, wenn lediglich binäre Vorstellungen von Geschlecht sichtbar gemacht werden und die eigene Identität als in der Gesellschaft nicht existent wahrgenommen wird. Für all jene, die diverse antidiskriminierende Sprachformen als zu verworren sehen, könnte es also ein spannender Impuls sein, sich mit eigenen Normvorstellungen und Privilegien auseinanderzusetzen.

Weil die HOSI Wien vielfältig ist!

In der HOSI Wien gibt es viele unterschiedliche Meinungen. Das ist gut so, auch wenn es manchmal schwierig ist, gemeinsame Positionen zu finden. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass sich manche Menschen mehr Raum nehmen als andere und ihre Vorstellungen lautstark und medienwirksam nach außen tragen. Die Vielfalt der Menschen, die sich in unseren Projekten engagieren, wird dadurch unsichtbar gemacht. Es soll um Inhalte und die gemeinsame Sache gehen!

Wir wollen uns solidarisieren und aktiv mit Selbstvertretungsorganisationen von Transgender- und intersexuellen Menschen zusammenarbeiten. Wir wollen gemeinsam mit anderen Community-Organisationen etwas weiterbringen, weil Heteronormativität uns alle betrifft – frei nach dem Motto: „Der Kampf einer entrechteten Minderheit ist unweigerlich mit dem Kampf aller entrechteten Minderheiten verbunden.“

CÉCILE BALBOUS, PAUL HALLER

Anmerkung: Natürlich wurde der Text anders gegendert, da aber in den LN nur das Binnen-I verwendet wird, ist unsere Schreibweise unsichtbar.

 

***

Auf diese Replik antwortete ich in derselben Ausgabe der LN (1/2015; S. 24)

Die Illusion von der Macht der Sprache

Der Beitrag auf S. 22 erfordert ein paar Richtigstellungen. Auf einem Missverständnis scheint die Frage zu beruhen, seit wann es in der HOSI Wien ein legitimes Argument sei, „sich für politische Anliegen nicht einzusetzen, weil es angeblich nur eine kleine Minderheit betrifft?“ Die Kernfrage ist doch, um welches Anliegen es sich handelt. Nur weil ein Anliegen eine kleine Minderheit betrifft, muss es ja noch nicht automatisch unterstützenswert sein. Und wenn ein Anliegen nicht überzeugt, wird man sich dafür auch nicht einsetzen, selbst wenn es von einer größeren Minderheit oder gar der Mehrheit gepuscht wird. Und ich habe in meinem Que(e)rschuss in diesem Zusammenhang nur von jener Gruppe gesprochen, die aus einem ideologischen Spleen heraus das Konzept von Geschlecht grundsätzlich ablehnt – damit waren die vom Binnen-I ohnehin umfassten trans- und intersexuellen Menschen nicht gemeint.

Genauso unsinnig ist der Vorwurf, nicht mehr gegen „gesellschaftliche Machtstrukturen“ aufzubegehren. Da dies kein reiner Selbstzweck sein kann, muss es dabei ebenfalls darum gehen, gegen welche Machtstrukturen man aufbegehrt. Denn sie wird es immer geben – wenn die einen überwunden sind, entsteht ja höchstens nur ganz kurz ein Vakuum. In dieses – ehrlich gesagt schon etwas peinliche – unreflektierte Pathos passt auch der letzte Satz. Ich bin mir jedenfalls nicht sicher, ob ich den Kampf jeder „entrechteten Minderheit“ unterstützen würde. Abgesehen davon, dass „diskriminiert“ vielleicht doch etwas anderes ist als „entrechtet“, weiß man ja nie, wer sich da noch dazuzählt.

Mit dem Vorwurf, es sei nur eine halbherzige Pseudosolidarität, wenn man die sprachliche Sichtbarmachung von diskriminierten Menschen für nicht relevant hält, können LUI und ich sicher leben – meingott, soll sein. Aber er bringt genau diese totalitär-faschistoide erpresserische Anmaßung zum Ausdruck, die ich in meinem Beitrag angekreidet habe: Wer nicht hundertprozentig einer Meinung mit uns ist, ist gar nicht für uns.

Wobei es eben einen Unterschied gibt zwischen flächendeckender permanenter sprachlicher Sichtbarkeit einer bestimmten Gruppe – gegen eine solche bin ich bei jeder Gruppe, wie ich ausführlich dargelegt habe – und ihrer Nennung, wenn es geboten ist. Natürlich stimmt es, dass Personengruppen, die sprachlich nicht genannt werden, in der Regel auch nicht mitgedacht werden. Daher sollen natürlich alle relevanten Gruppen bei „einschlägigen“ Themen und wann immer es naheliegend ist, angeführt und ausdrücklich genannt werden – no na. Wenn Menschen es aber als diskriminierend empfinden, „wenn lediglich binäre Vorstellungen von Geschlecht sichtbar gemacht werden und die eigene Identität als in der Gesellschaft nicht existent wahrgenommen wird“, weil dies nicht flächendeckend und permanent passiert, dann kann ich das nur mit Bedauern zur Kenntnis nehmen. Aber ich möchte trotzdem (und da bin ich sicher nicht der/die einzige!) selber entscheiden, wann ich bestimmte Personengruppen mitdenken will und wann nicht. Und ich will nicht bei jedem Zeitungsartikel zu irgendeinem allgemeinen Thema gezwungen werden, mir über die Keimdrüsen, den Hormonspiegel, die Geschlechtsidentität – und auch nicht die sexuelle Orientierung! – der darin erwähnten AkteurInnen Gedanken zu machen. Sorry, das geht zu weit, das ist mir zu viel der Gehirnwäsche!

Mich erinnern diese Argumente stark an so manche aktuelle Religionsdebatte. Mich stört es auch maßlos, wenn etwa aus dem Titel der Religionsfreiheit bzw. der Nichtdiskriminierung von MuslimInnen Forderungen an die Gesellschaft abgeleitet werden, die auf Sonderrechte und Privilegien und darauf hinauslaufen, dass sich die Gesellschaft (unser aller Leben) den Religionen anpassen muss und nicht umgekehrt – etwa dass SchülerInnen vom Schwimm- oder Sexualkundeunterricht abgemeldet werden dürfen (oder dieser gleich überhaupt abgeschafft wird) oder dass in allen öffentlichen Kantinen verpflichtend halal gekocht werden müsse etc. Ja, so ähnlich kommt mir die Forderung vor, wir alle müssten jetzt unsere Sprache den Forderungen einer bestimmten Gruppe anpassen, weil sie sich sonst diskriminiert und entrechtet fühlt.

Im übrigen bestreite ich aber einen allzu großen Einfluss der Sprache auf das Denken oder gar „die Machtverhältnisse“, wie immer behauptet wird. Dazu gibt es ja viele Beispiele. Wenn sich das Image der Roma und Sinti in den letzten Jahren verbessert haben sollte, lag es sicherlich am allerwenigsten daran, dass man nicht mehr Zigeuner zu ihnen sagt. Und wenn heute die Situation von Lesben und Schwulen eine bedeutend bessere ist als vor 30 Jahren, dann muss es in erster Linie am Denken liegen, denn an der sprachlichen Benennung hat sich ja nichts geändert.

Wenn in dem Beitrag in diesem Sinne behauptet wird, dass strukturelle Diskriminierung gerade durch Sprache getragen und perpetuiert werde, dann frage ich mich: Warum unterscheidet sich dann die gesellschaftliche Diskriminierung von Frauen in Ländern, wo die Sprache den Personen gar kein (grammatikalisches) Geschlecht zuweist und ein entsprechendes Gendern daher gar nicht möglich ist, überhaupt nicht von der Diskriminierung im deutschsprachigen Raum? An der Sprache kann’s in dem Fall ja nicht liegen, also wird wohl doch eher das Denken schuld sein. (Ich meine etwa die englische Sprache, in der personenbezogene Hauptwörter total geschlechtsneutral sind, z. B. „a worker, the worker“ und „the workers“.)

Ich fürchte, diese sprachliche Nabelschau ist in der Tat eine Beschäftigungstherapie, die Ressourcen bindet, die man viel effektiver für andere Dinge einsetzen könnte. Ich bin jedenfalls felsenfest davon überzeugt, dass die Sprache diese angestrebte Entdiskriminierung bzw. Sichtbarkeit nicht leisten kann. Und es widerstrebt mir, gegen meine Überzeugung dabei mitzutun, wenn sich jene, die eh schon das Bewusstsein für geschlechtliche Vielfalt haben, sich mit dem Setzen von Sternchen und Unterstrichen in ihren Elfenbeintürmen und auf ihren Spielwiesen auf die Schulter klopfen und sich gegenseitig ihrer Fortschrittlichkeit und ihrer Existenz als vermeintliche Avantgarde versichern. Das ist mir einfach zu billig.

 

Que(e)rschuss LN 5/2014