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Minderheitenprogramm

Erschienen am 15. Dezember 2011

Es hat sich also bewahrheitet, was ich immer – auch schon vor Einführung der eingetragenen Partnerschaft (EP) – gesagt habe (etwa an dieser Stelle in den LN 2/2006, S. 17, oder LN 2/2009, S. 22 f): Die EP ist ein absolutes Minderheitenprogramm unter Lesben und Schwulen, was indes angesichts der ausländischen Erfahrungswerte alles andere als eine gewagte Prognose war. Im ersten Halbjahr 2011 ist die Zahl der Verpartnerungen in Österreich im Vergleich zum selben Zeitraum 2010 um 53 % zurückgegangen. Haben sich 2010 erwartungsgemäß überdurchschnittlich viele Paare verpartnert, weil eben viele schon lange auf die neue Möglichkeit gewartet hatten, scheint sich 2011 die Zahl der Verpartnerungen normalisiert zu haben. Insgesamt haben sich in diesen zwei Jahren rund 2400 Personen verpartnert (2010 rund 800 Paare, 2011 rund 400) – das sind nicht einmal ein halbes Prozent (!) der in Österreich in Frage kommenden Lesben und Schwulen, geht man von – konservativ geschätzten – rund einer halben Million im heiratsfähigen Alter aus.

Und es sage jetzt niemand, die EP werde nicht angenommen, weil sie keine vollständige Gleichstellung mit der Ehe bringe oder weil man sich – im Gegensatz zur Ehe – mit einer EP als Lesbe oder Schwuler outen müsse! Dieses defensive und zutiefst irrationale, ja schizophrene Argument, wie wir sie vom fehlenden Bindestrich beim Doppelnamen kennen und gegen die wir mehrfach gewettert haben (etwa GUDRUN HAUER in den LN 1/2010, S. 3, oder CHRISTIAN HÖGL auf S. 5 in diesem Heft), ist eine exklusiv österreichische. In keinem anderen Land der Welt hat man die EP von schwul-lesbischer Seite mit der hirnrissigen und kranken Argumentation abgelehnt, sie zwinge Lesben und Schwule zu einem Outing und nehme ihnen die Möglichkeit, sich zu verstecken.

Nichts für Lulus

Mittlerweile müssen uns auch die wohlmeinendsten Heteros in der Tat für völlig durchgeknallt halten – und zu Recht! Da wollen wir einerseits eine rechtliche Anerkennung unserer Partnerschaft und offiziell den Bund fürs Leben schließen – aber kaum draußen aus dem Standesamt, soll’s keiner wissen dürfen? Geht’s noch? Und dass uns manche Medien wohlwollend recht geben, sollte uns nicht bestärken, sondern misstrauisch machen: Natürlich wäre es vielen in der Gesellschaft lieber, dass wir nach einer diskreten Verpartnerung, wenn eine solche schon unbedingt sein muss, wieder unsichtbar werden und niemanden mit unserem Anderssein weiter belästigen. Das würde den meisten Leuten so passen! Aber dafür haben wir sicher nicht über 30 Jahre gekämpft! Wer im Schrank bleiben will, der/die soll gefälligst keine EP eingehen! Offen homosexuell zu leben ist halt nichts für Lulus, um mit Maria Vassilakou zu sprechen. Von jemandem, der/die jetzt die Früchte des jahrzehntelangen Kampfes anderer ernten möchte, kann man wohl ein Mindestmaß an Solidarität verlangen – nämlich die schwul-lesbische Sache wenigstens dadurch zu unterstützen, dass man sich nach einer Verpartnerung nicht mehr versteckt und als Lesbe und als Schwuler weiterhin das Signal aussendet, Homosexualität sei immer noch etwas total Negatives, wofür man sich dermaßen geniert, dass man selbst nach einer Verpartnerung nicht offen dazu stehen will. Heteros führen in der Regel ja auch keine Geheimehe und schämen sich auch nicht für ihr Verheiratetsein – und sei es bei einer läppischen Ausweiskontrolle durch die Polizei!

Für die anderen noch offenen Punkte wie künstliche Befruchtung und Adoption muss ebenfalls gelten: Ja, eine Gleichstellung ist aus prinzipiellen Gründen anzustreben und zu erkämpfen, aber mit redlichen und emanzipatorischen Argumenten und nicht mit wehleidiger selbststigmatisierender Rhetorik (vgl. Beitrag ab S. 9)! Und sowohl bei der massenmedialen Präsenz der Themen, den politischen Lobbyingbemühungen und nicht zuletzt auch beim Einsatz unserer Ressourcen sollten wir stets die Relevanz der einzelnen Fragen für die Gesamtheit der Community im Auge behalten.

Es ist eine totale Verzerrung schwul-lesbischer Realität, wenn die öffentliche Wahrnehmung unserer Anliegen fast nur mehr um absolute Minderheitenthemen in der Community kreist – wie staatlicher Sanctus für Zweierbeziehungen oder Kinderwunsch, also um die Einübung und Nachahmung der Hetero-Norm. Wie wichtig für die einzelnen Betroffenen diese Themen auch sein mögen – sie sollten im öffentlichen Diskurs andere wichtige Fragestellungen nicht völlig zudecken.

Que(e)rschuss LN 5/2011