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EU: Neue Initiativen zur Bekämpfung von Diskriminierung und Homophobie

Veröffentlicht am 24. Juli 2008
Im Juli 2008 präsentierte die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine neue „horizontale“ Richtlinie, um die Hierarchisierung beim Schutz vor Diskriminierung zu beseitigen. Sie wird bis heute im Rat, also von den Mitgliedsstaaten torpediert (siehe dazu auch meinen Blog-Beitrag vom 3. Februar 2020). Die in Wien ansässige Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) begann 2008 hingegen ihre intensive und erfolgreiche Arbeit im Kampf gegen Homophobie, wie ich in den LN 4/2008 berichtete.

FRA-Bericht „Homophobia and Discrimination on Grounds of Sexual Orientation in the EU Member States (Part I – Legal Analysis)“ aus 2008

Am 2. Juli 2008 präsentierte die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine neue „Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“ (Dokument KOM(2008) 426). Damit soll der Diskriminierungsschutz für die darin angeführten Gründe jenem Niveau angeglichen werden, das mit der Antirassismus-Richtlinie 43/2000 für das Merkmal ethnische Herkunft bereits geschaffen worden ist. Die in der letzten LN-Ausgabe an dieser Stelle (S. 28) geäußerte Befürchtung, die EU-Kommission könnte aufgrund des Widerstands mancher Mitgliedsstaaten die Hierarchie beim Schutz vor Diskriminierung perpetuieren wollen, erfüllte sich erfreulicherweise nicht.

Daher begrüßte die HOSI Wien in einer Medienaussendung am 2. Juli diesen Vorschlag, denn, so Obmann CHRISTIAN HÖGL: „Die bestehenden diesbezüglichen EU-Richtlinien aus dem Jahr 2000 haben ja eine Diskriminierung ausgerechnet beim Schutz vor Diskriminierung geschaffen. Leider haben etliche Mitgliedsstaaten – darunter auch Österreich im Jahr 2004 unter der schwarz-blau/orangen Regierung – nur die von der EU vorgegebenen Mindeststandards in nationales Recht umgesetzt. In Österreich besteht ein rechtlicher Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung nur in Beschäftigung und Beruf – im Gegensatz zur Diskriminierung aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit, Behinderung und Geschlecht. Für diese Gründe besteht ein Diskriminierungsverbot auch in Bereichen wie Zugang zu Waren und Dienstleistungen, Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste, soziale Vergünstigungen sowie Bildung.“

„Dass bestimmte Gruppen im Gegensatz zu anderen Gruppen schlechter bzw. in manchen Bereichen überhaupt nicht vor Diskriminierung gesetzlich geschützt werden, ist ein inakzeptabler Zustand und verstößt auch gegen die Menschenrechte“, ergänzte HOSI-Wien-Vorstandsmitglied JONA SOLOMON. „Im Oktober 2007 wurde Österreich vom UNO-Ausschuss für Menschenrechte genau wegen dieses unterschiedlichen Diskriminierungsschutzes kritisiert [vgl. LN 6/2007, S. 14]. Gegen diese Hierarchisierung sind auch viele Nichtregierungsorganisationen und die Zivilgesellschaft sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene stets vehement aufgetreten. Offenbar hat jetzt auch die EU-Kommission – wohl nicht zuletzt durch die Kritik der UNO an Österreich – eingesehen, dass die EU-Rechtsvorschriften die Menschenrechte verletzen.“

Die jetzt von der EU-Kommission vorgeschlagene, sogenannte horizontale Antidiskriminierungsrichtlinie muss allerdings von allen 27 Mitgliedsstaaten einstimmig beschlossen werden. Die HOSI Wien fordert daher die österreichische Bundesregierung auf, sich auf EU-Ebene für die Verabschiedung dieses neuen Richtlinienvorschlags einzusetzen. Allerdings muss Österreich nicht auf die Beschlussfassung warten, um die menschenrechtswidrige Diskriminierung beim Schutz vor Diskriminierung zu beseitigen. Regierung und Nationalrat könnten auch jetzt schon unabhängig davon durch entsprechende Novellierung der einschlägigen Gleichbehandlungsgesetze in diesem Sinne tätig werden.

Das Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz hat jedenfalls bereits interessierte AkteurInnen, darunter auch die HOSI Wien, eingeladen, Stellungnahmen zum Richtlinienentwurf der EU-Kommission abzugeben. Dieser Aufforderung wird die HOSI Wien selbstverständlich nachkommen.

 

Homophobie-Schwerpunkt

Seit die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) am 1. März des Vorjahrs zur Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) wurde (vgl. LN 2/2007, S. 15), gehört auch die Beobachtung und Untersuchung von Phänomenen wie Homophobie zu ihren Aufgaben. Und dass sie diese neue Aufgabe ernst nimmt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der neue Direktor der Agentur, der Däne Morten Kjærum, das Thema Homophobie und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung sowohl bei seiner Vorstellungspressekonferenz in Wien am 7. März  dieses Jahres als auch in Interviews in Medien, wie etwa im Nachrichtenmagazin profil, stets als einen Arbeitsschwerpunkt der Agentur genannt hat.

Überdies hat die Agentur eine großangelegte EU-weite Studie in Auftrag gegeben, die – wie berichtet (vgl. LN 3/2008, S. 19) – vom dänischen Institut für Menschenrechte (IMR) und der Beraterfirma COWI durchgeführt wird. Der erste Teil dieser Untersuchung Homophobia and Discrimination on Grounds of Sexual Orientation in the EU Member States (Part I – Legal Analysis) umfasst mehr als 160 Seiten und wurde zwei Tage vor dem oben erwähnten Kommissionsvorschlag – am 30. Juni 2008 – veröffentlicht. Der Landesbericht zu Österreich über die rechtliche Situation wurde von Manfred Nowak vom Wiener Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte verfasst. Beide Berichte (auf englisch) sowie eine deutsche Zusammenfassung des Berichts können auf dem Website der Grundrechteagentur heruntergeladen werden.

Der zweite – soziologische – Teil dieser EU-weiten Studie wird im Herbst veröffentlicht. Den Österreich-Bericht dazu haben die beiden LN-Chefredakteure GUDRUN HAUER und Kurt Krickler verfasst. Letzterer nahm am 28. und 29. Juni gemeinsam mit HOSI-Wien-Vorstandsmitglied GERHARD LIEDL auch an einem der beiden runden Tische teil, zu denen das IMR VertreterInnen der LSBT-Bewegung aus allen EU-Mitgliedsstaaten nach Kopenhagen eingeladen hatte, um im Rahmen dieses Projekts die Bekämpfung von Homophobie und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung zu diskutieren, insbesondere Modelle vorbildlicher Praxis sowie Empfehlungen.

 

Eurobarometer-Umfrage

Ebenfalls Anfang Juli veröffentlichte die EU-Kommission eine neue Eurobarometerumfrage (Nr. 296) über Diskriminierung in der Europäischen Union. Dabei wurden EU-weit die Wahrnehmung, Erfahrung und Haltungen von Menschen im Zusammenhang mit Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, der Rasse oder ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, Alter und sexueller Orientierung erhoben. Die Feldarbeit wurde im Februar und März 2008 durchgeführt. Dabei zeigt sich, dass Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung von den europäischen Befragten als zweithäufigste Form der Diskriminierung nach jener aufgrund der ethnischen Herkunft angesehen wird.