Homosexuelle NS-Opfer im Opferfürsorgegesetz anerkannt
Bei der großen 60-Jahr-Befreiungsfeier in Mauthausen am 8. Mai 2005 hielt die HOSI Wien ihr großes Transparent nicht nur Bundeskanzler Schüssel und vielen seiner ParteigenossInnen unübersehbar vor die Nase, sondern auch medienwirksam in die Kameras des ORF, der die Veranstaltung live übertrug.
FOTO: ULRIKA WESTERLUND
Am 7. Juli 2005 hat der Nationalrat schließlich doch noch durch eine Novelle des Opferfürsorgegesetzes (OFG) die wegen ihrer Homosexualität verfolgten NS-Opfer anerkannt, rehabilitiert und ihnen einen Rechtsanspruch auf Entschädigung zuerkannt. Der Wermutstropfen dabei ist natürlich, dass die zynische Rechnung der Regierenden, die Sache möglichst so lange hinauszuzögern, bis keine Betroffenen mehr leben, voll aufgegangen ist . Denn es ist wohl davon auszugehen, dass heute nur mehr – wenn überhaupt – einige wenige Betroffene, die nun einen Antrag stellen könnten, noch leben. Umso wichtiger wäre es, Betroffene rasch über diese Gesetzesänderung zu informieren.
„Die jetzige Gesetzesänderung kann daher“, wie Obfrau BETTINA NEMETH in einer Aussendung der HOSI Wien am 7. Juli feststellte „auch die enorme Schuld nicht ungeschehen machen, die ÖVP-PolitikerInnen, allen voran Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, die Nationalratsabgeordneten Andreas Khol und Wilhelm Molterer und viele andere durch ihre bisherige Haltung, Lesben und Schwule wären zu Recht verfolgt und im KZ inhaftiert gewesen, auf sich geladen haben. Aber wir rechnen ohnehin nicht, dass solche Leute von schlechtem Gewissen geplagt werden. Dennoch wäre eine öffentliche Entschuldigung für ihr Verhalten und Versagen in dieser Sache das Mindeste, was sie den von ihnen bisher verhöhnten Opfern schuldig wären, ein Rücktritt indes die moralisch einzig adäquate Reaktion, aber soviel Anstand werden wir bei diesen Politikern wohl nie erleben.“
Mit der Novellierung des OFG ist eine weitere jahrzehntelange Forderung der HOSI Wien erfüllt worden. Seit über 20 Jahren hat sie sich federführend und vehement für die Aufnahme der wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgten NS-Opfer ins OFG eingesetzt. Seit 1995 ist für das Scheitern dieses Vorhabens nur mehr die ÖVP verantwortlich gewesen. Sie hatte (ebenso wie die FPÖ) alle diesbezüglichen Anträge der Grünen und der SPÖ, die seit damals in allen Legislaturperioden im Nationalrat eingebracht worden sind, abgelehnt. (Ein ausführlicher Beitrag über die Bemühungen, das OFG entsprechend zu novellieren, findet sich in der Online-Ausstellung „Aus dem Leben“ bzw. hier.)
Erfolg der HOSI Wien
Mit der jetzigen Haltungsänderung der Regierungsparteien hat sich auch die Strategie der HOSI Wien, die Gangart im heurigen Gedankenjahr zu verschärfen, als richtig erwiesen: Dieser lag folgende Überlegung zugrunde: Entweder wir schaffen es heuer, 60 Jahre nach Kriegsende – oder nie, denn dann wäre wohl „der Zug endgültig abgefahren“. Und so haben wir – wie berichtet – seit Anfang des Jahres unseren Druck verstärkt: Zum Auftakt des Gedankenjahres riefen wir am 12. Jänner zur Änderung des OFG auf, am 27. Jänner setzten wir der Bundesregierung dann ein Ultimatum bis Ende Februar (vgl. LN 2/2005, S. 10 ff). Und schließlich bekamen wir noch unerwartete Schützenhilfe durch die Klagen des ÖVP-Abgeordneten Walter Tancsits (siehe Bericht ab S. 8).
Seit Anfang dieses Jahres haben wir mit insgesamt 14 einschlägigen Medienaussendungen unserer Forderung Nachdruck verliehen. Sie war darüber hinaus prominentes Thema bei unserem Gespräch mit Bundespräsident Heinz Fischer am 15. 2. (vgl. LN 2/2005, S. 13), der sich danach hinter den Kulissen ebenfalls für dieses Anliegen einsetzte, sowie Gegenstand der Resolution, die auf der Generalversammlung der HOSI Wien am 9. April 2005 verabschiedet und sowohl dem Bundeskanzler als auch den Klubobleuten der beiden Regierungsparteien übermittelt wurde. Während Wilhelm Molterer (ÖVP) und Herbert Scheibner (FPÖ/BZÖ) nicht einmal den Erhalt unseres Schreibens bestätigten, teilte uns das Bundeskanzleramt nicht nur am 27. April mit, dass Schüssel die Mitglieder der Bundesregierung in der Sitzung des Ministerrats an diesem Tag davon in Kenntnis gesetzt habe, sondern informierte uns am 14. Juni in einem weiteren Schreiben, dass die Regierungsparteien am 12. Mai den – nunmehr beschlossenen – Initiativantrag 614 A im Nationalrat eingebracht haben. Noch am 4. Mai hatte der Bundeskanzler eine entsprechende parlamentarische Anfrage der Grünen vom 4. März 2005 (Nr. 2747/J) pampig mit dem Hinweis abgewimmelt, die Fragen würden „keinen Gegenstand der Vollziehung des Bundeskanzlers“ betreffen (Nr. 2712/AB).
Drohung hat gewirkt
Überhaupt kam dieser Initiativantrag der Regierungsparteien am 12. Mai ziemlich überraschend, denn bekanntlich hatten sie am 2. März den Fristsetzungsantrag zum Antrag der Grünen auf Änderung des OFG noch abgelehnt. Und auch rund um die 60-Jahr-Befreiungsfeier in Mauthausen am 8. Mai war davon noch keine Rede. Beeindruckend, wie führende Politiker der ÖVP – etwa Andreas Khol – diese Novelle dann plötzlich wortreich begrüßten – nachdem sie sich jahrzehntelang dagegen gewehrt hatten!
Ausschlaggebend für den plötzlichen Gesinnungswandel war wohl auch eine andere Drohung der HOSI Wien. Nachdem besagter Fristsetzungsantrag am 2. März gescheitert, unser Schreiben an die zuständige Sozialministerin Ursula Haubner vom 27. Jänner bis dahin unbeantwortet geblieben und unser Ultimatum fruchtlos verstrichen war, schickten wir am 2. März an Jörg Haiders Schwester eine E-Mail, in der es hieß:
Als Organisation, die die Innenpolitik und die Debatten um die Gleichstellung von Lesben und Schwulen seit nunmehr 25 Jahren unmittelbar verfolgt – und natürlich auch mitgeprägt – hat, ist es uns immer ein großes Rätsel geblieben, weshalb bestimmte Parteien auf irrationale, nicht nachvollziehbare Weise Homosexuelle unterdrücken wollen, sich dem europäischen Trend der Gleichberechtigung und Gleichstellung – und auch den Haltungen in der Bevölkerung – mit allen Mitteln und selbst um den Preis der eigenen Lächerlichkeit all die Jahre so vehement widersetzt haben. Da es, wie gesagt, keine rationalen und plausiblen Argumente für die Ungleichbehandlung und Diskriminierung von Lesben und Schwulen gibt, ist für uns immer klarer geworden, dass die Ursachen dafür im höchst persönlichen Bereich der handelnden Personen, also der PolitikerInnen liegen müssen. Es ist auch eine triviale Erkenntnis der Psychologie, dass ausgelebte Homophobie dazu dient, nicht nur – für Außenstehende – von den eigenen homosexuellen Anlagen abzulenken, sondern – meist völlig unbewusst – die gegenüber sich selber nicht eingestandenen homosexuellen Triebanteile abzuwehren. Wenn dieser Mechanismus dazu führt, dass besonders viele Menschen unter den Folgen einer aus solchen Motiven gespeisten homophoben Politik leiden müssen und diskriminiert werden, dann ist es Zeit, diese Mechanismen anzusprechen und aufzuzeigen. Deshalb planen wir, im Rahmen des Gedankenjahres und im Zuge der von der Stadt Wien geplanten Ausstellung über die Verfolgung von Lesben und Schwulen in Österreich während der Nazi-Zeit und in der Zweiten Republik ein wissenschaftliches Fachsymposium im Herbst abzuhalten, wo diese Fragen näher erörtert und ausführlich analysiert werden sollen. In diesem Zusammenhang erlauben wir uns, Sie auch auf unsere Website-Abteilung www.hosiwien.at/haiderouting hinzuweisen, auf der wir viele Berichte über die verkappte Homosexualität Ihres Bruders Jörg Haider zusammengetragen haben. [Vgl. dazu auch die Sektion zum Haider-Outing auf dieser Website]
Viele hatten übrigens ohnehin erwartet, dass Haiders verkappte Homo- bzw. Bisexualität nach den Turbulenzen in der FPÖ und der Abspaltung des BZÖ von gekränkten FPÖ-Politikern thematisiert würde – und ansatzweise ist das ja auch passiert. So meinte der neue FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Zusammenhang mit den Debatten über das Privatleben von PolitikerInnen (Anlass waren Finanzminister Karl-Heinz Grassers Eskapaden) ziemlich unmotiviert im FORMAT # 19 vom 13. Mai, Sexualität sei kein Tabuthema mehr: „Westerwelle ist homosexuell. Wowereit ist homosexuell. Haider ist homosexuell (Alfons, wohlgemerkt).“ – Also wenn das keine Anspielung ist! Sie wurde auch gleich vom KURIER am nächsten Tag apportiert. Und am 14. Juni berichtete diese Tageszeitung, dass Andreas Mölzer in seinem neuen Buch Haider auch durch die Auswahl gewisser Fotos nichts schenke: Da wird die „Finocchio“(= schwul)-Anzeige der ÖVP aus dem Kärntner Wahlkampf ebenso abgedruckt [vgl. auch meinen Beitrag in den LN 2/1999] wie ein Foto von Jörg H. mit dem Kommentar: Er stellt sich wie schönes Freiwild an die Wand, wie die Boys in Herrenmagazinen für Herren.
Was immer letztlich zur Haltungsänderung der Regierungsparteien geführt hat – ob die peinlichen Auftritte des Abgeordneten Tancsits, ob obige „Drohung“, Haiders verkappte Homosexualität wieder zum Thema zu machen, oder ob es der allgemeine Druck der HOSI Wien war: Letztlich ist es in erster Linie ihren Bemühungen zu verdanken, dass das OFG novelliert worden ist. Ein später, aber dennoch wichtiger Erfolg!
Nachträgliche Anmerkung:
Ein Beleg dafür, wie überraschend diese Novelle des OFG kam, ist auch die LN-Kolumne „Aus dem Hohen Haus“ der damaligen grünen Nationalratsabgeordneten ULRIKE LUNACEK, die in der Ausgabe 3/2005 (Erscheinungsdatum: 4. Mai 2005) noch berichtete:
Falls da irgendwer geglaubt hat, die Erwähnung von „Homosexuellen“ als Opfer des Nationalsozialismus durch Kanzler Schüssel bei der Auftaktveranstaltung zum heurigen Gedankenjahr am 14. Jänner im Parlament würde zu einer Anerkennung der homosexuellen und „asozialen“ (darunter u. a. lesbischen Frauen, mit schwarzem Winkel gekennzeichnet) Opfer des NS-Regimes führen, hat sich gründlich getäuscht: Weder beim Fristsetzungsantrag der Grünen am 2. März noch im Sozialausschuss am 19. April zeigten sich ÖVP und FPÖ bereit, endlich – und noch vor den 60-Jahr-Feiern zur Gründung der 2. Republik am 27. April bzw. zur Befreiung Mauthausens am 5. Mai – den seit Jahren geforderten Schritt zu tun.
Die Argumentation war abenteuerlich: Beim Fristsetzungsantrag verwies ÖVP-Sozialsprecher Walter Tancsits darauf, dass man die Gesetze des „heroischen Gesetzgebers“ des Jahres 1945 (das Opferfürsorgegesetz, OFG, wurde 1947 beschlossen) nicht aus heutiger Sicht abändern solle. Als ob das Novellieren von Gesetzen nicht ständig Aufgabe des Parlaments wäre! Auch im Sozialausschuss argumentierte der frühere FPÖ-Sozialminister Herbert Haupt mit der „großen Leistung der Demokratie in diesen Jahren“, die „durch einen solchen Detailantrag verwässert“ würde. Außerdem sei in den letzten sechs Jahren kein einziger Fall ans Sozialministerium herangetragen worden, daher sehe er keinen Handlungsbedarf. Dass es hier auch um die politisch-symbolische Ebene geht, wollte er nicht verstehen. Also wurde der Antrag ein zweites Mal vertagt. Nicht einmal den Mut zur Ablehnung haben die Regierungsparteien!
Aber dann sollte es sehr schnell gehen!