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ILGA bei der KSZE in Budapest

Veröffentlicht am 25. Oktober 1994
Die KSZE-Überprüfungskonferenz in Budapest im Herbst 1994 war die letzte Gelegenheit, ein verbindliches KSZE-Schlussdokument zu verabschieden. Für die ILGA die letzte Chance, dass darin NIchtdiskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung explizit aufgenommen wird. In den LN 4/1994 berichtete ich über die diesbezüglichen Bemühungen.

In Budapest fand die erste KSZE-Überprüfungskonferenz statt – vom 10. Oktober bis 6. Dezember 1994.

ALEXANDRA DUDA und ich vertraten die ILGA auf dieser Konferenz.

Die LAMBDA-Nachrichten haben in der Vergangenheit ausführlich wie keine zweite Lesben- und Schwulenzeitschrift auf der Welt über die Bemühungen der ILGA berichtet, daß Nichtdiskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ausdrücklich als Verpflichtung im Rahmen der KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) anerkannt wird. Dies hängt natürlich mit dem Umstand zusammen, daß HOSI-Wien-Mitarbeiter bei diesen Aktivitäten federführend sind.

Am 10. Oktober 1994 begann in der ungarischen Hauptstadt die erste von alle zwei Jahre stattfindenden Überprüfungskonferenzen, die die früheren Folgetreffen ablösen sollen. Wie aber in Budapest zu hören war, wird dies nicht nur die erste, sondern wahrscheinlich auch die letzte Überprüfungskonferenz sein, denn das Konzept achtwöchiger Tagungen hat sich überlebt. Die Konferenz in Budapest wird ja bis 2. Dezember dauern, anschließend (5. und 6. Dezember) werden die Staats- und Regierungschefs aller 53 Teilnehmerstaaten das Schlußdokument im Rahmen eines Gipfeltreffens unterzeichnen.

In den ersten vier Tagen fanden Plenarsitzungen statt, in denen die Delegationen zu allgemeinen KSZE-Fragen Stellungnahmen abgeben konnten. Die spezifischen Diskussionen über die einzelnen Themenbereiche (früher „Körbe“) der KSZE werden in vier Arbeitsgruppen geführt (Konfliktverhütung; Sicherheitskooperation/Abrüstung; menschliche Dimension; Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Technik und Umwelt). Erstmals waren die Plenarsitzungen für nichtstaatliche Organisationen (NGOs) offen, allerdings durften sie das Wort nicht ergreifen.

Budapest ist das erste „Folgetreffen“, bei dem im Zuge der Vorbereitungen die Möglichkeit angedeutet wurde, daß auch NGOs in den Sitzungen der Arbeitsgruppe III (der menschlichen Dimension) teilnehmen und Statements abgeben könnten. Dies war ja etwa in Helsinki vor zwei Jahren nicht der Fall. Als am Freitag, 14. 10., die Arbeitsgruppe III dann zur ersten Sitzung zusammentreffen sollte, machte die Hiobsbotschaft unter den NGOs die Runde, einige Delegationen, allen voran Frankreich und die Türkei, wollten die Teilnahme der NGOs verhindern. Da die Entscheidungen bei der KSZE im Konsens fallen müssen, können einzelne Staaten theoretisch jede Entscheidung verhindern, allerdings besteht natürlich ein moralischer Zwang, sich auf kein Veto zu kaprizieren, wenn die große Mehrheit der anderen Delegationen anderer Ansicht ist. In der Frage der Teilnahme der NGOs in der Arbeitsgruppe III wurde schließlich ein Kompromiß erzielt: Die NGOs dürfen bei allen Sitzungen mit Ausnahme von jenen zu zwei bestimmten Tagesordnungspunkten teilnehmen. Die für die ILGA relevanten Tagesordnungspunkte werden am 28. Oktober und am 1. November behandelt werden. Die ILGA wird sich bemühen, bei dieser Gelegenheit auf die Rednerliste zu kommen und ein – übrigens von der HOSI Wien vorbereitetes – Statement abzugeben. Die LN werden darüber berichten.

Die erste Woche in Budapest haben die ILGA-Leute ALEXANDRA DUDA von der lesbian and gay liberation front (lglf) in Köln und der Autor dieser Zeilen darauf verwendet, mit einzelnen Delegationen über unsere Anliegen zu sprechen und für unsere Forderung nach Aufnahme eines entsprechenden Passus zur Nichtdiskriminierung von Lesben und Schwulen ins Budapester Schlußdokument Lobbying zu betreiben.

Wir konzentrierten uns dabei auf drei Gruppen von Staaten: Erstens auf die „freundlichen“ Delegationen, von denen wir erwarten, daß sie einen entsprechenden Vorschlag einbringen, dazu gehören die Niederlande (sie haben bereits im Vorfeld der Konferenz angekündigt, dies tun zu wollen; jetzt haben sie diese Absicht eingeschränkt: nur wenn sich einige andere Delegationen der Einbringung des Vorschlags anschließen), Schweden, Norwegen, Kanada und die USA.

Zweitens sprachen wir mit jenen Ländern, die in Helsinki vor zwei Jahren gegen den entsprechenden Vorschlag Norwegens opponiert hatten (vgl. LN 3/1992, S. 48 ff), nämlich Großbritannien, Frankreich und Spanien. An und für sich hätten sie nichts gegen unsere Forderungen, erklärten sie… Man wird sehen, wie sie sich im Fall des Falles diesmal verhalten werden.

Die dritte „Gruppe“, mit denen wir Gespräche führten, waren schließlich jene Länder, die noch immer ein Totalverbot homosexueller Handlungen in ihren Strafgesetzbüchern haben: Vom zypriotischen Delegierten wollten wir wissen, wie der Stand der Dinge in Sachen Strafrechtsreform nach der Verurteilung Zyperns durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gediehen sei (vgl. LN 3/1993, S. 55). Er versprach, sich daheim zu erkundigen und uns darüber zu berichten. Mit den VertreterInnen Moldovas, Georgiens und Mazedoniens sprachen wir ebenfalls über die Aufhebung des Totalverbots. Georgien verwies darauf, daß die neue Verfassung und das neue Strafgesetzbuch sich erst in Ausarbeitung befänden. Der Vertreter Skopjes meinte, daß die Aufhebung des Totalverbots sicherlich im Zuge der großen Strafrechtsreform stattfinden werde, und versprach, die Unterlagen der ILGA an die zuständigen Stellen weiterzuleiten. Dies sagte auch die Vertretern Moldovas zu, die an der Botschaft ihres Landes in Wien tätig ist. Sie schien am kompetentesten und engagiertesten: Nachdem sie in der ILGA-Präsentation gesehen hatte, daß Moldova unter den Ländern mit Totalverbot aufscheint, erkundigte sie sich extra vor unserem Gespräch zu Hause über den Stand der Dinge. Sie bat uns, weiteres relevantes Material zur Verfügung zu stellen, sie werde es mit Diplomatenpost direkt an die für die Strafrechtsreform zuständige Kommission im Parlament in Chișinău weiterleiten. Dies werden wir natürlich tun.

Auch wenn wir nicht sehr optimistisch sind, was die Aufnahme von Nichtdiskriminierung von Lesben und Schwulen ins Budapester Dokument betrifft, so ist die Teilnahme der ILGA als NGO bei diesem Treffen sehr bedeutsam. Die meisten Delegationen, bei denen wir wegen eines Termins anriefen, kannten bereits unsere schriftliche Präsentation, anderen war noch genau das ILGA-Statement beim Implementierungstreffen in Warschau in Erinnerung. Dabei wurde ja bekanntlich unser Anliegen in den Bericht der Tagung aufgenommen (vgl. LN 1/1994, S. 54 f). Das heißt, wir finden Beachtung, und wenn auch nur ein Staat seine Gesetze aufgrund unserer KSZE-Interventionen ändert, haben sich unsere Bemühungen ausgezahlt.