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Nichtdiskriminierung von Lesben und Schwulen – eine KSZE-Verpflichtung

Veröffentlicht am 18. Januar 1994
Zum ersten Mal in der Geschichte des Helsinki-Prozesses haben die 54 Teilnehmerstaaten der KSZE anerkannt, daß sich die von ihnen eingegangenen Verpflichtungen auch auf die Nichtdiskriminierung von Lesben und Schwulen erstrecken. Ich berichtete ausführlich in den LN 1/1994.

ILGA-Generalsekretär HANS HJERPEKJØN hielt eine vielbeachtete Rede...

...auf dem ersten Implementierungstreffen der menschlichen Dimension der KSZE im Herbst 1993 in Warschau.

Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) hat im Vorjahr auf ihrem Folgetreffen in Helsinki beschlossen, in Hinkunft statt der Folgetreffen im jährlichen Wechsel Überprüfungskonferenzen und Implementierungstreffen der menschlichen Dimension abzuhalten (vgl. LN 4/1993, S. 55). Das erste dieser Implementierungstreffen fand vom 27. September bis 14. Oktober 1993 in Warschau statt. Die International Gay and Lesbian Association (ILGA), die seit 1991 als nichtstaatliche Organisation (NGO) an relevanten KSZE-Treffen teilnimmt und um die Anerkennung der Nichtdiskriminierung von Lesben und Schwulen als Verpflichtung im Rahmen der KSZE kämpft, war auf dem Warschauer Treffen durch Generalsekretär HANS HJERPEKJØN [1943–2012] und den Autor dieses Berichts vertreten, allerdings nahm Hans nur am letzten Tag und ich nur an den letzten vier Tagen des Treffens teil.

 

Erwähnung durch die Delegationen

Regierungsunabhängige Organisationen können auf den Implementierungstreffen mündliche Statements abgeben, falls sie zuvor beim Warschauer KSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) eine schriftliche Präsentation eingereicht haben. JOHN CLARK und ich hatten für die ILGA eine derartige Präsentation verfaßt und rechtzeitig nach Warschau geschickt. Das Sekretariat des Treffens hat alle dreizehn NGO-Präsentationen zu einem Dokument zusammengestellt und zu Beginn des Treffens an die Delegationen aller Teilnehmerstaaten verteilt. Das hatte u. a. den Effekt, daß die dänische Delegation in ihrem Statement sogar darauf Bezug nahm.

Das Treffen lief in zwei Arbeitsgruppen ab, die abwechselnd tagten. Es gab nur wenige Plenarsitzungen. Eine Arbeitsgruppe befaßte sich mit der konkreten Überprüfung der eingegangenen Verpflichtungen und mit den Überprüfungsmechanismen, während die andere sich mit Fragen der Menschenrechte auseinandersetzte. Letztere schien den ILGA-Vertretern für ihr Anliegen geeigneter. Als ich jedoch in Warschau eintraf, war die Rednerliste für diese Arbeitsgruppe bereits geschlossen, da nur mehr eine Sitzung auf dem Programm stand. Deshalb trug ich Hans als ILGA-Sprecher gleich auf die Rednerliste für das Schlußplenum ein, das dann nur einen statt zwei Tage dauern sollte, weshalb das ganze Treffen um einen Tag früher endete als geplant.

Einige Delegationen hatten schon in den ersten Wochen des Treffens die Frage der Nichtdiskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung in ihren Erklärungen und Redebeiträgen aufgegriffen. So etwa der norwegische Delegationsleiter, der über die Bemühungen seines Landes um die rechtliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen berichtete. Norwegen habe zu diesem Zweck Antidiskriminierungsbestimmungen erlassen und fordere andere Länder auf, ähnliche Schritte zu setzen.

Der niederländische Delegationsleiter sprach ebenfalls im Plenum über diesen Aspekt. Er erinnerte daran, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mehrmals festgestellt hat, daß ein strafrechtliches Verbot homosexueller Handlungen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Nach Ansicht der niederländischen Delegation machten es auch die KSZE-Dokumente und -Grundsätze deutlich, daß die Diskriminierung von Homosexuellen den Grundfreiheiten und Menschenrechte zuwiderläuft. All jene Staaten, in denen eine solche Diskriminierung noch existiert, wurden aufgefordert, ihre Gesetze entsprechend zu ändern.

Ein Mitglied der dänischen Delegation meinte, daß es zwar nicht möglich war, einen Passus speziell über Lesben und Schwulen in die KSZE-Dokumente aufzunehmen, daß man aber mit der Präsentation der ILGA übereinstimme, in der festgestellt wird, daß sowohl das Kopenhagener Dokument als auch die Pariser Charta den Schutz der Menschenrechte von Lesben und Schwulen abdeckt. Auch die dänische Delegation appellierte an alle Staaten mit anti-homosexueller Sondergesetzgebung, diese abzuschaffen.

Eine Vertreterin der schwedischen Delegation wies auf die berühmte Empfehlung 924 des Europarats aus 1981 hin [vgl. LN 3–4/1991, S. 3] sowie auf die Rede des schwedischen Delegationsleiters auf dem Moskauer Treffen über die menschliche Dimension der KSZE (vgl. LN 4/1991, S. 42 ff), der der Hoffnung Ausdruck verlieh, Diskriminierung von Lesben und Schwulen würde beim nächsten Treffen der menschlichen Dimension der Geschichte angehören.

Mit Genugtuung habe die Delegation zwar zur Kenntnis genommen, daß einige Teilnehmerstaaten diskriminierende Gesetzesbestimmungen aufgehoben haben, aber leider bestünden in anderen immer noch welche. Und so gab sie der Hoffnung Ausdruck, daß es dann beim nächsten Treffen endlich so weit sein werde.

Die Delegationen der USA und Kanadas erwähnten Homosexuelle ebenfalls, allerdings nur im Rahmen von Aufzählungen diskriminierter Gruppen. Es waren also wieder dieselben Staaten, die die Frage der Diskriminierung von Lesben und Schwulen bereits auf den Treffen in Moskau (1991), Helsinki und Warschau (1992) aufgegriffen haben.

 

Anerkennung im Bericht

Am letzten Tag des Treffens wurden schließlich die schriftlichen Berichte aus den beiden Arbeitsgruppen im Plenum präsentiert und diskutiert. Der Bericht der einen Arbeitsgruppe enthielt auch zwei Passagen über Lesben und Schwule:

Die Teilnehmer verwiesen auch auf Gruppen, die keine „nationalen Minderheiten“ sind, aber dennoch unter Diskriminierung leiden, darunter Frauen, Homosexuelle, Wanderarbeiter und Kriegsdienstverweigerer… Es wurde darauf verwiesen, daß sich die KSZE-Verpflichtungen zur Nichtdiskriminierung auch auf Homosexuelle erstrecken. Es wurde die Anregung geäußert, diskriminierende staatliche Maßnahmen gegen Homosexuelle und kriminalisierende Gesetzgebung außer Kraft zu setzen.

In diesem Punkt gab es nur eine negative Äußerung im Plenum, und zwar durch den Vertreter Liechtensteins. Graf Mario von Ledebur war der Auffassung, die KSZE solle sich lieber auf einige wichtige Fragen konzentrieren und sich nicht mit Fragen wie der Homosexualität befassen. Er war ziemlich isoliert mit seiner Wortmeldung. Als ich ihn in der Pause ansprechen wollte, weigerte er sich, meine Hand zu schütteln, sagte bloß, Liechtenstein werde keine Gruppen unterstützen, die steril sind, entschwand und ließ mich leicht verblüfft stehen. Dennoch wurden die Berichte der Arbeitsgruppen einstimmig angenommen.

Diese Berichte sind zwar für die einzelnen Staaten nicht verbindlich, aber dennoch stellt es einen wichtigen Fortschritt für das ILGA-Lobbying bei der KSZE dar, daß sich alle Staaten dazu bekannt haben, daß die KSZE-Verpflichtungen auch die Nichtdiskriminierung von Lesben und Schwulen mit einschließen. Dieser Umstand wird es der ILGA bei der ersten KSZE-Überprüfungskonferenz im November 1994 in Budapest, der nächsten Gelegenheit, bei der die KSZE möglicherweise neue verbindliche „Standards“ setzt, erleichtern, ihre Forderung nach Aufnahme eines entsprechenden Passus in ein KSZE-Dokument durchzusetzen.

 

ILGA gibt Statement ab

Die letzte Plenarsitzung endete mit abschließenden Erklärungen einzelner Delegationen (Norwegen und die USA erwähnten einmal mehr Lesben und Schwule in ihren Statements) sowie zwei Redebeiträgen von NGOs, bevor der polnische Außenminister und der Direktor des Warschauer KSZE-Büros mit ihren Reden das Treffen abschlossen. Einer der beiden NGO-Redner war ILGA-Generalsekretär Hans Hjerpekjøn, der eine vielbeachtete Rede hielt. Es war dies die zweite Erklärung zu Lesben- und Schwulenrechten, die im Rahmen des 1975 begonnenen Helsinki-Prozesses abgegeben wurde [vgl. LN 1/1993, S. 56 ff].

 

Seminar über freie Medien

Bereits zweieinhalb Wochen später hatte die ILGA Gelegenheit, auf einem Treffen der KSZE abermals das Wort zu ergreifen. Vom 2. bis  5. November 1993 fand ebenfalls in Warschau das vierte Seminar der menschlichen Dimension der KSZE statt, und zwar zum Thema „freie Medien“. Die ILGA wurde dabei von TOM LAVELL, einem in Warschau lebenden US-Bürger und Mitarbeiter bei der polnischen Gruppe Lambda Warszawa, vertreten. Er ist Journalist und war prädestiniert, über die Rolle und Verantwortung der Medien bei der Berichterstattung über Homosexualität und homosexuelle Themen zu referieren.