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UNO-Aktivitäten der ILGA jetzt auch in Wien

Veröffentlicht am 19. April 1994
Nachdem der internationale Lesben- und Schwulenverband ILGA im Juli 1993 „beratenden Status“ bei den Vereinten Nationen erhalten hatte (vgl. LN 4/1993, S. 48 ff), nahmen ILGA-AktivistInnen ihre NGO-Arbeit an den Amtssitzen der UNO in New York, Genf und in Wien auf, wie ich in den LN 2/1994 und 3/1994 berichtete.

1994 begann das ILGA-Lobbying bei den am UNO-Amtssitz in Wien beheimateten Unterorganisationen und Behörden.

Nicht nur die zwei Metallschilder mit dem ILGA-Namen für die Sitzungen in der Wiener UNO-City sollten bald ausgedient haben – auch mein Akkreditierungs-Badge –, denn im September 1994 sollte der NGO-Status der ILGA suspendiert werden.

Während die für die ILGA-Arbeit besonders relevanten Organisationen der UNO-Familie (wie etwa jene für Menschrechte, die Weltgesundheitsorganisation WHO oder die Internationale Arbeitsorganisation ILO) in New York und vor allem in Genf konzentriert sind, sind die in Wien angesiedelten UN-Agenturen (Atomenergiebehörde, Drogenbekämpfung etc.) für die Arbeit der ILGA eher ohne Bedeutung.

Eine der wenigen in Wien beheimateten und für die ILGA interessanten UN-Organisatoinen ist die Abteilung für Verbrechensverhütung und Strafrechtspflege (Crime Prevention and Criminal Justice Branch). Mit ihr verbunden ist auch eine gleichnamige „Kommission“, die Teil des Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) der Vereinten Nationen ist. In dieser Kommission sind 40 UN-Mitgliedsstaaten vertreten. Sie tritt jährlich zusammen. Alle fünf Jahre veranstaltet diese UN-Abteilung einen Weltkongreß für Verbrechensverhütung und die Behandlung Straffälliger. Der neunte Kongreß dieser Art wird 1995 stattfinden. Davor werden in allen Weltteilen regionale Vorbereitungskonferenzen abgehalten. Vom 28. Februar bis 4. März 1994 fand das europäische Vorbereitungstreffen, in das auch die USA, Kanada und Israel eingebunden sind und an dem der Autor dieser Zeilen als ILGA-Vertreter teilnahm, in Wien statt. Für die ILGA war es die Premiere in Wien.

Eines der Hauptthemen der Vorbereitungskonferenzen sowie des 9. Weltkongresses ist – neben etwa der Bekämpfung des organisierten Verbrechens und der Umweltkriminalität – die Erörterung von Strategien zur Verhütung von typisch urbaner Jugendkriminalität, wozu nicht zuletzt auch auf Rassismus und Fremdenfeindlichkeit begründete Gewalttätigkeit zu zählen ist. Die Anliegen der ILGA passen besonders zu diesem Schwerpunktthema. Deshalb haben JOHN CLARK und der Autor dieses Beitrags ein schriftliches Statement verfaßt und durch das Konferenzsekretariat an alle Delegationen verteilen lassen. In dieser Stellungnahme betont die ILGA, daß nicht nur AusländerInnen oder Einwanderer immer öfter Opfer von Übergriffen sind, die man im Englischen als „Haßverbrechen“ (hate crimes) bezeichnet, sondern daß Antisemitismus, Rassismus, Xenophobie und Sexismus auch ein Geschwister namens Homophobie haben. Und dies sollte bei der UNO-Konferenz nicht untergehen. Lesben und Schwule sind ebenfalls erklärte Angriffsziele von Skinheads und Neonazi in Westeuropa, Todesschwadronen in Südamerika oder Straßenbanden in Nordamerika. Treffpunkte von Lesben und Schwulen werden mitunter ebenso in Brand gesteckt wie Asylheime.

Die ILGA ging, da sie zum erstenmal im Rahmen dieses UNO-Programms das Wort ergriff, auch auf Grundsätzliches ein. Wir machten darauf aufmerksam, daß die Kriminalisierung und gesellschaftliche Stigmatisierung von Lesben und Schwulen ein Nährboden für ihre Erpreßbarkeit und damit für Kriminalität sind. Vorbeugende Maßnahmen der Verbrechensverhütung wären daher die Schaffung eines freundlichen gesellschaftlichen Klimas sowie – wo eine solche noch besteht – die Entkriminalisierung, die an sich selbst schon Verbrechensverhütung darstellt, zählen doch verbotene einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter Mündigen bzw. Erwachsenen zu den berühmten „Verbrechen ohne Opfer“.

Wir erwähnten in unserem Beitrag auch, daß schwule und lesbische Verbrechensopfer oft von einer Anzeige absehen, weil sie vermeiden wollen, daß ihre Homosexualität bekannt wird. Abhilfe könnten hier spezielle Vertrauenspersonen innerhalb der Polizei schaffen oder gar die spezielle Rekrutierung von offen lebenden Schwulen und Lesben für den Polizeidienst, wie dies in den USA oder in den Niederlanden bereits der Fall ist.

Am 3. März gab ich noch ein mündliches Statement ab, in dem ich kurz die ILGA präsentierte und die wichtigsten Punkte unserer schriftlichen Stellungnahme zusammenfaßte.

Unsere Interventionen fanden dann sowohl im offiziellen Bericht über das Vorbereitungstreffen als auch in der verabschiedeten Resolution an die zuständige Kommission und in der offiziellen Presseaussendung der UNO am 3. März ihren Niederschlag:

Im Schlußbericht der Tagung wurde Homosexualität ein Absatz gewidmet, der – nach einem Abänderungsantrag des Vertreters Deutschlands – wie folgt lautet:
Ein anderer Aspekt von Gewalt ist jene, die sich gegen Homosexuelle richtet, was Ausdruck diskriminierender Haltungen ist. Als Gegenmaßnahme und im Interesse der Menschenrechte wurde vorgeschlagen, daß homosexuelle Handlungen zwischen zustimmenden Erwachsenen entkriminalisiert werden sollen, wo sie noch verboten sind.

In der sehr allgemein gehaltenen Resolution an die Kommission wurde zwar keine konkrete Erwähnung zur Homosexualität gemacht, aber aufgrund meines Vorschlags wurde ein Passus bezüglich der Themenkreise für die Workshops des Weltkongresses dahingehend abgeändert, daß auch „verletzliche Gruppen“ darin aufgenommen wurden. Dieser Passus lautet:

Im Rahmen der Diskussionen in den Workshops sollte auch der xenophoben Gewalt, der Gewalt gegen verletzliche Gruppen und der Gewalt in Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Mit dieser Formulierung ist garantiert, daß der Weltkongreß sich auch mit der Gewalt gegen Lesben und Schwule befassen kann.

Sowohl der Bericht als auch die Resolution wird nun der UNO-Kommission für Verbrechensverhütung und Strafrechtspflege vorgelegt, die vom 26. April bis 6. Mai 1994 in Wien zusammentreten und weitere Vorbereitungen für den 9. Weltkongreß treffen wird. HOSI-Wien-Mitarbeiter werden bei dieser Sitzung die ILGA wieder vertreten und sich bemühen, daß unsere Anliegen dort nicht verlorengehen. In der Kommission sind ja alle Erdteile vertreten und auch unsere Gegner aus den islamischen Ländern…

Im UNO-Amtssitz in Wien scheint man im übrigen auf unsere längerfristige Teilnahme eingestellt zu sein: Zwei Metallschilder mit dem ILGA-Namen wurden bereits angefertigt, um sie vor den Sitzplätzen – wie die Schilder mit den Namen der Länder und anderer Organisationen – aufzustellen.

Auch in Genf, wo im Februar und März jedes Jahres die Menschenrechtskommission der UNO für sechs Wochen tagt, waren die ILGA-VertreterInnen sehr aktiv und gaben insgesamt fünf Statements ab. Ihre Stellungnahme zum Tagesordnungspunkt „Rechte des Kindes“ nützte die ILGA, um ihre Position zur Pädophilie neuerlich klarzustellen und auf die Kontroverse betreffend NAMBLA (vgl. LN 1/1994, S. 59 ff) einzugehen. Weitere ILGA-Statements betrafen u. a. die Tagesordnungspunkte „Internationales Jahr der Familie“ und „Der Übergang zur Demokratie in Südafrika“.

 

Über die Teilnahme an der erwähnten Sitzung der Kommission habe ich in den LN 3/1994, S. 24, folgende Kurznotiz verfasst:

 

UNO-Aktivitäten in Wien gehen weiter

 

Vom 26. April bis 6. Mai 1994 hielt die UNO-Kommission für Verbrechensverhütung und Strafrechtspflege ihre 3. (jährliche) Sitzung in Wien ab. HOSI-Wien-Mitarbeiter PÉTER BAKSY und Kurt Krickler nahmen als Vertreter der International Lesbian and Gay Association (ILGA) daran teil.

Die Kommission nahm sämtliche Berichte der regionalen Vorbereitungskonferenzen für den 9. Weltkongreß für Verbrechensverhütung und die Behandlung Straffälliger, der im Frühjahr 1995 in Tunis stattfinden wird, an, darunter den Bericht der euopäischen Vorbereitungstagung, der dank unserer Intervention den Vorschlag enthält, „einfache“ Homosexualität, also unter zustimmenden Erwachsenen, zu entkriminalisieren.

Im Namen der ILGA verteilten wir schließlich an alle TeilnehmerInnen der Kommissionssitzung ein schriftliches Statement, das von der HOSI-Wien-Auslandsgruppe zu diesem Zweck verfaßt worden war.