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Lesben- und Schwulenrechte auf der KSZE – III. Teil

Veröffentlicht am 16. Juli 1992
Im Juli 1992 ging in Helsinki das 4. Folgetreffen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) mit einem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs zu Ende. Zwar wurden die Menschenrechte von Lesben und Schwulen auf diesem Treffen erstmals von der KSZE diskutiert, ins Schlussdokument des Treffens haben sie leider keinen Eingang gefunden, wie ich in den LN 3/1992 berichtete.

Der Tagungssaal des KSZE-Folgetreffens im Marina-Konferenzzentrum in Helsinki

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Wie bereits in den LN 4/1991, S.42 ff, und 2/1992, S. 49 f, berichtet, hat sich innerhalb der ILGA eine Arbeitsgruppe gebildet, die bei der KSZE Lobbying betreibt, damit diese in einem ihrer Dokumente Lesben- und Schwulenrechte anerkennt bzw. darin ein Diskriminierungsverbot aufgrund sexueller Orientierung formuliert. Die ersten Bemühungen, dies beim Moskauer Treffen der Konferenz über die menschliche Dimension der KSZE zu erreichen, scheiterten vorigen September daran, daß keine KSZE-Delegation bereit war, den entsprechenden ILGA-Vorschlag oder einen ähnlichen eigenen Vorschlag zur Diskussion zu stellen.

Zwischen Moskau und Helsinki haben ILGA-Mitglieder Gespräche mit verschiedenen Delegationen geführt, und die ILGA hat offiziell ihren Text-Vorschlag neuerlich an alle KSZE-Delegationen in Helsinki geschickt, die mittlerweile die stattliche Zahl von 52 erreicht haben.

Im April, als die ILGA ihre Parallelaktivität in Helsinki veranstaltete und AktivistInnen aus mehreren Ländern den Delegationen die ersten Besuche abstatteten, sah es so aus, als ob Norwegen einen entsprechenden Antrag einbringen würde. Die norwegische Lesben- und Schwulenbewegung hatte das Osloer Außenministerium entsprechend intensiv bearbeitet. Und ein erster Indikator war die kurze Erwähnung dieser Frage durch den norwegischen Außenminister Thorvald Stoltenberg in seiner Rede aus Anlaß der Eröffnung des Folgetreffens (vgl. LN 2/1992). Optimistisch stimmte die ILGA-LobbyistInnen auch die Tatsache, daß VertreterInnen einiger Delegationen das Thema in ihren Beiträgen aufs Tapet brachten, so auch der österreichische Vertreter Thomas Buchsbaum in einer Sitzung der Arbeitsgruppe III (Menschliche Dimension) am 21. Mai. Er meinte u. a.:

In einer ähnlichen Art wie nationale Minderheiten haben auch Menschen fremder Staatsbürgerschaft, die sich in unseren Staaten zeitweise oder dauerhaft aufhalten und/oder dort auch einer legalen Beschäftigung nachgehen, Anspruch auf Toleranz seitens der Bevölkerung und auf staatlichen Schutz vor Akten des Fremdenhasses und der Xenophobie. Dieser Anspruch erstreckt sich auch auf die eigenen Staatsbürger, die sich auf irgendeine Art und Weise – Rasse, Religion, Kultur, geschlechtliche Orientierung – von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung unterscheiden. (…)

Menschen sollten auch nicht aufgrund ihrer sexuellen Orientierung staatlicherseits diskriminiert werden. Dies kann Bereiche betreffen wie öffentliche Beschäftigung (public service) und auch den Militärdienst, das Niederlassungsrecht, das Vereins- und Versammlungsrecht, das Informationsrecht sowie auch das Zivil- und Strafrecht…

Eine Vertreterin der USA, Nancy Ely-Raphel, erwähnte in ihrem Statement in der Arbeitsgruppe III am 5. Mai ebenfalls die Lesben und Schwulen. Sie meinte, daß es nicht genüge, daß die Staaten und Regierungen ihre eingegangenen Menschenrechtsverpflichtungen einhalten, also keine BürgerInnen aufgrund von Rasse, Sprache, ethnische Zugehörigkeit, Glauben, Geschlecht oder sexueller Präferenz staatlicherseits diskriminiert werden, sondern daß die Staaten auch dafür zu sorgen haben, daß auch derartige Diskriminierungen und Verletzungen der Menschenrechte einzelner durch andere Mitglieder der Gesellschaft geahndet werden. Sie zeigte sich besorgt über die zunehmenden Akte der Intoleranz gegenüber Gruppen und Einzelpersonen. Später sollte sich aber herausstellen, daß gerade die USA Probleme hatten, daß Gutheißen und das Aufrufen zur Gewalt gegen bestimmte Gruppen oder Personen im Schlußdokument zu ächten (siehe weiter unten).

Trotz dieser Erwähnung brachte niemand die Lesben- und Schwulenrechte offiziell in die Debatte ein. Die norwegische Delegation wartete die längste Zeit auf positive Signale aus den anderen Delegationen. Erst als eine ILGA-Delegation vom 8. bis 12. Juni, bestehend aus ALEXANDRA DUDA vom Aktionssekretariat in Köln, JUKKA LEHTONEN und MIKA TORVINEN von der finnischen Gruppe SETA und der Autor dieser Zeilen von der HOSI Wien, in Helsinki die persönlichen Gespräche mit VertreterInnen der Delegationen fortsetze, kam Bewegung in die Sache. Nachdem im April im Anschluß an die ILGA-Parallelaktivität (vgl. LN 2/1992, S 49 f) ILGA-LobbyistInnen bereits die Delgationen Norwegens, Österreichs, Dänemarks, der USA, der ČSFR, der Niederlande, Kanadas, Islands, Griechenlands, Estlands und Frankreichs zu Gesprächen besucht hatten, wurden in dieser Juni-Woche die Delegationen folgender Länder heimgesucht: Österreich, Finnland, Georgien, Ungarn, Irland, Italien, Litauen, Norwegen, Rumänien, Spanien, Slowenien, Schweiz, Ukraine, Deutschland, Kanada, USA, Niederlande und Belarus.

Dabei stellte sich heraus, daß zwar viele Delegationen grundsätzlich einer Erwähnung von Lesben und Schwulen wohlwollend gegenüberstanden, insbesondere im Gespräch mit den ILGA-LobbyistInnen, der Teufel aber im Detail lag. Es gab Verwirrung über den Begriff „sexuelle Orientierung“, einige Delegationen verwechselten ihn mit „sexueller Präferenz“ und fürchteten wohl, daß damit auch Pädosexuelle, Sadomasochisten und was weiß der Teufel wer aller noch gemeint sein könnten. Später wurde „sexuelle Orientierung“ durch „Homosexuelle“ ersetzt, wogegen sich wiederum Großbritannien aussprechen sollte. Andere Delegationen meinten, der ILGA-Vorschlag sei zu weitreichend und beinhalte letztlich sogar die Homo-Ehe, was indes nicht stimmt. Andere störten wiederum die Worte „grundlegendes Menschenrecht“. Hier nochmals der Wortlaut des ILGA-Vorschlags:

Die Teilnehmerstaaten erachten das Recht jedes Menschen, in Übereinstimmung mit seiner sexuellen Orientierung zu leben, als grundlegendes Menschenrecht und werden Maßnahmen ergreifen, um Diskriminierung von Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zu beseitigen und zu verhindern.

Der Ausdruck „sexuelle Orientierung“ meint die sexuelle Hingezogenheit zu einer Person des gleichen Geschlechts oder des anderen Geschlechts, sei es, daß diese sich in physischer oder emotionaler Form manifestiert.

Im übrigen sind ja Formulierung, Interpretation und Implementierung solcher Menschenrechtsstandards bekanntlich dreierlei Paar Schuh, egal ob das die KSZE betrifft oder den Europarat oder die UNO. Außerdem, so argumentierten wir, wäre das Recht auf die Homo-Ehe (wie alle anderen Lesben- und Schwulenrechte auch) schon aus dem Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts abzuleiten. Denn eine Frau darf ja eine Frau nicht deshalb nicht heiraten, weil sie lesbisch ist, sondern weil sie eine Frau ist. Daß eine Frau keine Frau heiraten darf, während ein Mann das sehr wohl darf, ist daher schlicht eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.

In der Woche, in der die Lobbying-Delegation der ILGA in Helsinki war, mußten die Delegationen dann Farbe bekennen, denn die norwegische Delegation konnte nicht länger warten. Da jedoch zu viele negative Signale bezüglich des ILGA-Textvorschlags kamen, sollten die Norweger schließlich die sogenannte „Komma-Option“ einbringen, das heißt, „sexuelle Orientierung“ sollte nur als eine Nichtdiskriminierungs- bzw. Toleranzkategorie in einer Aufzählung mit anderen erwähnt werden. Als Vehikel dazu bot sich ein Vorschlag Kanadas gegen die Diskriminierung aus rassischen, ethnischen und religiösen Gründen an, der kurz zuvor (am 3. Juni) eingebracht worden war, obwohl vorher viele Delegationen den ILGA-Vorschlag auch mit dem Hinweis abschmettern wollten, man wolle keine neuen Standards in Helsinki setzen, weil ohnehin schon alles in den bisherigen Dokumenten abgedeckt sei.

Die zweite wesentliche Änderung betraf die Tatsache, daß die Sache von der staatlichen Nichtdiskriminierungsebene auf die private, gesellschaftliche Toleranzebene gehievt wurde. Nicht die Regierungen sollten sich verpflichten, (staatliche/gesetzliche) Diskriminierungen von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zu beseitigen, sondern die Teilnehmerstaaten sollten Intoleranz und Hetzte gegen „Lesben und Schwule und ihre Organisationen“ von seiten Dritter bekämpfen.

Durch die Lobbying-Arbeit der ILGA-VertreterInnen vor Ort fühlten sich einige Delegationen wieder bemüßigt, die Frage in ihren Stellungnahmen zu erwähnen. So die Vertreterin Finnlands Päivi Blinnikka in ihrer Intervention in der Arbeitsgruppe III am 12. Juni:

Wir müssen und dessen bewußt sein, daß die Notwendigkeit von Toleranz nicht nur Gruppen wie nationale Minderheiten, Einwanderer oder Gastarbeiter betrifft. Diskussionen inner- und außerhalb dieses Tagungsraums haben gezeigt, daß es auch andere Gruppen gibt, die schlechter behandelt werden als die Allgemeinbevölkerung. Ich möchte besonders jene herausgreifen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden. Die Anliegen dieser Gruppe sollten ebenfalls berücksichtigt werden, wenn über Toleranz und Nichtdiskriminierung gesprochen wird.

Auch der Vertreter Schwedens Bo Petersson ging am 12. Juni in seinem Redebeitrag in der Arbeitsgruppe III auf diese Frage ein:

Beim Moskauer Treffen vergangenen Herbst gab die schwedische Delegation ihrer Hoffnung Ausdruck, daß jegliche Kriminalisierung der Homosexualität in den KSZE-Staaten bald der Vergangenheit angehören würde, sodaß dieser Frage in einem KSZE-Treffen nicht mehr erörtert zu werden brauchte. Leider ist sie keine Sache, die der Vergangenheit angehört, weshalb meine Delegation ihre Besorgnis darüber neuerlich kundtut. Die Gesetzeslage in einer Reihe von Teilnehmerstaaten beinhaltet Diskriminierungen gegen Schwule und Lesben. Es ist unsere feste Überzeugung, daß niemand aufgrund seiner oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden darf.

Nach einer weiteren Woche von Gesprächen und Verhandlungen zwischen den Delegationen hinter den Kulissen war es schließlich soweit: Die norwegische Delegation brachte am 25. Juni einen recht abgemilderten Vorschlag ein:

Die Teilnehmerstaaten … beschließen, … bestehende Gesetze voll auszuschöpfen und Schritte zu setzen, um das Aufrufen zu Haß oder Hetze gegen Homosexuelle und ihre Organisationen zu verbieten, und nationale gesetzliche Verfahren voll auszuschöpfen, um Gesetzesübertretungen zu ahnden, … und jährlich an das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (eine der permanenten Einrichtungen der KSZE mit Sitz in Warschau, Anm. d. V.) über erfolgte Maßnahmen Bericht zu erstatten.

Dieser Vorschlag stieß auf großen Widerstand bei den Delegationen Großbritanniens, der USA, Frankreichs und Spaniens, also jener Staaten, die sich so gerne als mustergültige Demokratien ausgeben und die uns in den Gesprächen ständig vor dem befürchteten Widerstand der osteuropäischen Länder warnten. Die Reformländer Osteuropas hatten aber überhaupt keine Probleme mit dem ILGA-Vorschlag und zeigten auch keinerlei Opposition gegenüber dem norwegischen Vorschlag.

Im Falle der USA kam leider das berühmt-berüchtigte Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 23. Juni 1992 dazwischen, wonach Nazi-Propaganda nicht untersagt werden dürfe, sondern unter das Recht auf freie Meinungsäußerung falle. Davon ist abzuleiten, daß jegliche Propaganda gegen irgendetwas im Sinne der freien Meinungsäußerung erlaubt sein müsse, also auch rassistische, homopobe und sexistische Äußerungen. Dieses Urteil schlug nicht nur in der US-Delegation in Helsinki wie eine Bombe ein. Ab diesem Zeitpunkt wollte die US-Delegation eigentlich gar keinen neuen Verpflichtungen zustimmen, die irgendwie das Recht auf freie Meinungsäußerung – so wie es der Supreme Court auslegt – einschränken könnten. Die USA müssen jetzt nicht nur ihre diesbezüglichen nationalen Gesetze, sondern auch alle bisher eingegangenen KSZE-Verpflichtungen im Lichte dieses Erkenntnisses überprüfen. Der norwegische Vorschlag war jedenfalls damit gestorben. Daß es sich bei diesem Urteil um einen einmaligen Skandal handelt, braucht wohl nicht extra erwähnt zu werden. Wenn die USA hier keinen Ausweg finden, sollten sie am besten aus der KSZE und allen internationalen Organisationen, in deren Rahmen sie Menschenrechtsverpflichtungen einzugehen haben, ausscheiden, denn diese Interpretation des Rechts auf freie Meinungsäußerung wird in Europa nirgendwo geteilt!

Bis zuletzt bemühte sich Norwegen, einen noch abgeschwächteren Vorschlag durchzubringen, doch auch dieser stieß auf die Ablehnung der vier besagten Staaten, obwohl zum Schluß sogar der Vatikan den Vorschlag unterstützte!

Ja, es wäre zu schön gewesen! Dennoch besteht kein Grund zu Traurigkeit. Helsinki war sicherlich ein wichtiger Schritt zur Anerkennung der Rechte von Lesben und Schwulen im KSZE-Prozeß, denn ohne Zweifel wird diese früher oder später erfolgen müssen. In Moskau im Vorjahr wurden die Delegationen zum ersten Mal mit den Anliegen von Lesben und Schwulen konfrontiert, heuer in Helsinki wurden sie erstmals offiziell in der Arbeitsgruppe diskutiert, die Delegationen mußten Farbe bekennen, die Homophobiker sich zu erkennen geben. Vielleicht wird schon beim nächsten Treffen unsere Forderung nach Aufnahme dieser Anerkennung in ein KSZE-Dokument erfüllt. Niemand konnte erwarten, daß der ILGA-Vorschlag sofort akzeptiert werden würde. Der KSZE-Prozeß geht indes weiter, ebenso das ILGA-Lobbying. Folgetreffen werden in Zukunft in zweijährigem Rhythmus stattfinden, es wird auch jährliche Expertenseminare geben. Helsinki war auf alle Fälle ein Erfolg, auch für die ILGA, weil es ein ausgezeichnetes Beispiel für die internationale Zusammenarbeit der Lesben- und Schwulenbewegung darstellt – und die HOSI Wien hat allen Grund, stolz auf ihre Rolle in dieser Kooperation zu sein.