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Erwin Widschwenter – Kontinuität der Verfolgung

Veröffentlicht am 14. Juni 2001
Zu ihrer Ausstellung „Aus dem LebenDie nationalsozialistische Verfolgung der Homosexuellen in Wien 1938-45“ gab die HOSI Wien 2001 auch ein LN-Sonderheft heraus, in dem ich u. a. ein Kurzporträt über Erwin Widschwenter verfasste, einen Linzer Homosexuellen, der die NS-Verfolgung überlebte. Siehe auch das Kapitel über Erwin Widschwenter in der Sektion über den Nationalsozialismus auf dieser Website.

Erwin Widschwenter in jungen Jahren

Erwin Widschwenter 2002

Wer die NS-Verfolgung, Gefängnis und KZ überlebte, für den war die Verfolgung nicht automatisch vorbei. Nicht nur wegen des Umstands, daß auch nach der Befreiung 1945 das Totalverbot weiblicher und männlicher Homosexualität in Österreich weiterbestand und weiterhin angewendet wurde. Viele Häftlinge wurden keineswegs sofort entlassen, sondern mußten ihre von den Nazis verhängten Haftstrafen in den Gefängnissen des befreiten Österreichs bzw. Deutschlands zu Ende verbüßen.

So etwa auch Erwin Widschwenter. Er wurde 1908 geboren und war Finanzbeamter in einer oberösterreichischen Kleinstadt. 1942 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Im Jänner 1944 besuchte er das Esterházy-Bad im 6. Bezirk in Wien, wo an jenem Tag eine Polizeirazzia durchgeführt wurde. Er wurde wegen Teilnahme an homosexuellen Handlungen gemeinsam mit anderen Badegästen festgenommen und ins Gefängnis eingeliefert. Im Mai 1944 wurde ihm der Prozeß gemacht. Da er Soldat war, war für ihn die Außenstelle Wien des Zentralgerichts des Heeres Berlin-Charlottenburg zuständig, das ihn zu fünf Jahren Zuchthaus, Ehrverlust und Wehrunwürdigkeit verurteilte. Einen Teil der Strafe verbüßte Erwin Widschwenter als Häftling Nr. 717 in der Strafanstalt Krems-Stein. Dort kam es am 6. April 1945 angesichts der anrückenden Roten Armee zum sogenannten „blutigen Freitag von Stein“: Die SA rückte ein, um die Häftlinge zu liquidieren. Widschwenter überlebte das Massaker nur, weil ihn ein ihm wohlgesonnener Aufseher während des Blutbads in eine andere Zelle sperrte.

Die Überlebenden, darunter Widschwenter, gingen nicht frei, sondern wurden per Schiff donauaufwärts in bayrische Strafanstalten transportiert. Er kam zuerst nach Straubing, dann nach München-Stadelheim und schließlich nach Bernau am Chiemsee. Dort wurde er von den Amerikanern erst im Mai 1946 entlassen.

Bitter war die Haft, noch bitterer die Folgen, schrieb Erwin 1983 an die HOSI Wien: Körperlich war ich sehr geschwächt und wog bei einer Körpergröße von 1,77 m lediglich 39 Kilo. Eine Rückkehr nach Österreich war damals verkehrstechnisch noch nicht möglich. Um Lebensmittelmarken zu erhalten, arbeitete ich in München als Hilfsarbeiter am Bau. Im Spätherbst 1946 konnte ich nach Österreich einreisen, wo ich bei den Behörden wenig Entgegenkommen fand. Weit schwerer als die harte Strafe in Hitlers Kerkern traf mich aber der Verlust meiner Stellung als Steuerinspektor beim Finanzamt in G. Trotz aller Bemühungen und Tilgung der Strafe durch die Wehrmachtsamnestie konnte ich diese nicht wieder erlangen. Die Wiedereinstellung in den Finanzdienst wurde mir versagt, sodaß ich mich als kleiner Angestellter durchs Leben ringen mußte.

Die Haftzeit wurde mir als Ersatzzeit auf die Pension natürlich nicht angerechnet. Wohl aber bestand in den ersten Nachkriegsjahren gesetzlich die Möglichkeit, fehlende Versicherungszeiten durch Entrichtung von Beiträgen nachzukaufen. Ich machte von dieser Möglichkeit Gebrauch und schloß so die Lücke in meinen Versicherungszeiten.

Ich habe mich auch nie um eine Wiedergutmachung bemüht, da man mir zu verstehen gab, daß es sich hier um ein kriminelles Delikt handle, das auch nach österreichischem Recht strafbar gewesen wäre. (Vgl. LN 2–3/1983, S. 8 f).

1996 stellte Erwin Widschwenter schließlich auf Vermittlung der HOSI Wien einen Antrag auf eine Entschädigung an den 1995 geschaffenen Nationalfond der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, der Anfang 1997 rasch und unbürokratisch erledigt wurde (vgl. LN 3/1997, S. 17). Laut Auskunft des Nationalfonds war sein Antrag der zweite von einem wegen Homosexualität Verfolgten eingereichte und bewilligte Antrag. Bemerkenswert ist, daß Widschwenters Antrag bewilligt wurde, obwohl er nicht im KZ war, sondern eine Gefängnisstrafe verbüßte, wie sie auch in den 50er und 60er Jahren noch über hunderte Homosexuelle verhängt wurde.

Jedenfalls war die Einmalzahlung für Erwin nicht nur eine späte Genugtuung angesichts des ihm angetanen Unrechts, sondern auch eine willkommene Verbesserung seiner finanziellen Lage. Seit 1973 ist Erwin in Pension und muß sein Dasein mit einer bescheidenen Rente und Pflegegeld fristen.