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Eskapismus

Erschienen am 28. April 2017

Es ist zwar alles andere als originell und eigentlich verpönt, aber diesmal muss ich einfach in das allgemeine pessimistische Lamento über den derzeitigen Zustand der Welt einstimmen. Es ist ja wahr: So trist und hoffnungslos ist er mir noch nie vorgekommen in den mehr als 40 Jahren politischen Bewusstseins, auf die ich nun schon zurückblicken kann.

Gut, dass die ÖVP auf einem absoluten Tiefpunkt angelangt ist, ist mir eigentlich eh wurscht, aber erwähnen möchte ich es trotzdem. Dieser Partei ist wirklich nichts zu peinlich – weder ein Klubobmann Lopatka, der als Schnäppchenjäger auf dem Abgeordneten-Wühltisch auch noch den grindigsten Restposten-Ramsch, den die anderen nicht einmal geschenkt haben wollen, einsackelt, noch ein infantiler Innenminister Sobotka, der sich wie der sprichwörtliche Schneebrunzer selber am meisten diebisch über seine billigen Schmähs und primitiven Tricks, die er offenbar für geniale Schachzüge hält, zu freuen scheint; und sich dabei als listenreicher Obertaktierer und gewieftes Politgenie vorkommt. Einfach jenseitig! Genauso wie der Vizekanzler, der sich nach 30 Jahren ununterbrochener ÖVP-Regierungsbeteiligung treuherzig ins Waxing-Studio stellt und überrascht fragt, wer ihm da die ganzen vermeintlich überflüssigen bürokratischen Verordnungen in die Hose geschissen hat. Mitterlehner, geht’s noch!? Ja, die Medien kannst du da in Österreich vergessen. Statt ihm diese Kindesweglegung unter die Nase zu reiben, verbünden sie sich mit ihm – wegen der Quote und Auflage – beim unverhohlenen Aufruf zum Amtsmissbrauch.

Ein ähnliches Schizophrenie-Problem haben ja auch Sobotka und der GRÖOAZ der österreichischen Innenpolitik, Außenminister Kurz, der größte Opportunist aller Zeiten, der ja in der ÖVP als Heilsbringer und Zukunftshoffnung gilt. Das sagt eh schon alles. Ihm scheint auch noch niemand gesteckt zu haben, dass er nicht in Opposition ist, sondern als zuständiger Minister eigentlich dafür bezahlt wird, das umzusetzen, was er ständig als populistische Forderungen an anonyme Adressaten in die Welt hinausbrüllt.

Jenseits der Grenzen ist es leider auch zum Gruseln. Polit-Clowns wie Trump und tobende Psychopathen wie Erdoğan wären vermutlich längst in geschlossene Anstalten eingeliefert, wären sie gewöhnliche Bürger und nicht Staatspräsidenten. Putin verarscht die Welt – Einmarsch in die Ukraine, Unterstützung des syrischen Schlächters Assad, Abschuss von Zivilflugzeugen, Dopingskandale bei jeder größeren Sportveranstaltung, jede Menge Menschenrechtsverletzungen, darunter an Homosexuellen – und das ungestraft. Warum hat man Russland die Lizenz für die Austragung der Fußball-WM 2018 nicht schon längst wieder entzogen? Und wieso kriecht Kurz Putin immer noch bis zum Anschlag in den Arsch, während er gegenüber der Türkei den Scharfmacher gibt?

Aber wenigstens beim Eurovision Song Contest ist man Russland losgeworden. Dank der standhaften Haltung Kiews gegenüber dem skandalösen Druck der Europäischen Rundfunkunion (EBU), die den ESC ausrichtet und die russische Provokation ebenfalls defätistisch mit dem Argument schlucken wollte, der ESC sei eine unpolitische Veranstaltung. Wie naiv ist das denn? Hat den EBU-Verantwortlichen noch niemand erklärt, dass es nichts Politischeres gibt, als bewusst eine unpolitische Haltung einzunehmen? Paradoxer geht es jedenfalls nicht: Will man sich aus dieser korrupten, moralisch verrotteten Politwelt retten, findet man ausgerechnet beim Songcontest (wenn auch gegen den Widerstand der Verantwortlichen) noch letzte Reste politischen Anstands vor!

Jedenfalls kommt man immer öfter in Versuchung, sich aus diesem Weltgeschehen abzumelden, weil’s keinen Spaß mehr macht. Man ist inzwischen tatsächlich geneigt, auch die LSBT-Bewegung für diesen Eskapismus zu nutzen. Dort scheint die politische Welt auf den ersten Blick noch so halbwegs in Ordnung zu sein: Die Ziele und Fronten sind klar, Feind und Freund noch relativ leicht auszumachen. Quasi eine letzte Oase für sinnvolles politisches Engagement.

Wobei: Ein bisschen (Fremd-)Schämen geht auch hier. Man denke bloß daran, mit welch heiliger Inbrunst, luftschnappender Empörung und hyperventilierendem Diskriminierungspathos hierzulande auch noch das winzigste Erste-Welt-Luxusproblem von Teilen der Bewegung und manchen Medien bearbeitet wird – mit Argumenten, für die man sich als stolzer Schwuler in Grund und Boden geniert. Etwa die mittlerweile aufgehobene Unterscheidung in Familien- und Nachname. Ja, das mag schon nicht okay sein, aber der NS-Vergleich und das Argument, man werde dadurch ständig zum Zwangsouting genötigt, waren schon hochgradig absurd. Und überhaupt: Wie krank ist denn das: zuerst eine eingetragene Partnerschaft eingehen, um sie dann geheim halten zu wollen? Und selbst wenn man „verheiratet“ ankreuzen könnte – in den meisten Fällen (Job etc.) wird man dann ohnehin nicht länger als 15 Minuten verheimlichen können, dass man nicht verschieden-, sondern gleichgeschlechtlich verheiratet ist.

Daher: auch in der Bewegung keine falsche Solidarität mit Demagogen! Was uns in der allgemeinen Politik schwer auf die Nerven geht, sollten wir auch in den eigenen Reihen bekämpfen. Denn sonst bleibt uns dann für den Eskapismus wirklich nur mehr der Biobauernhof am Land oder das Aussteigen auf einer einsamen Insel.

Im übrigen bin ich der Meinung, 30 Jahre ÖVP ununterbrochen in der Bundesregierung sind genug!

 

Que(e)rschuss LN 2/2017

Nachträgliche Anmerkungen

Zur Erinnerung, weil es vermutlich die meisten schon wieder vergessen haben: Mit dem Einsackeln von Abgeordneten durch ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka spiele ich auf den Umstand an, dass in jener Legislaturperiode Lopatka vier Abgeordnete vom Team Stronach und einen von den NEOS für die ÖVP abgeworben hatte: Er wollte die ÖVP-Fraktion gegen den Wählerwillen auf diese Art zur stärksten machen, was indes nicht ganz gelang. Unter den abgeworbenen Abgeordneten waren Lichtgestalten wie Marcus Franz, Georg Vetter oder Christoph Vavrik. Franz und Vavrik fielen durch homophobe Äußerungen auf und passten daher sehr gut in den ÖVP-Klub. Franz wurde später aber aus dem ÖVP-Klub wieder ausgeschlossen, weil er Angela Merkel attackiert hatte. Franz trat übrigens 2015 – gemeinsam mit FPÖ-Politikerin Ursula Stenzel – als Redner auf der Demonstration gegen die Regenbogenparade auf.

Marcus Franz hatte 2013 in einem profil-Interview Homosexualität als „amoralisch“ und „genetische Anomalie“ bezeichnet – vgl. meinen Kommentar in der Ausgabe 5/2013.