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Fremdschämen für die blau-orange „Schwuchtelpartie“*

Erschienen am 12. Februar 2010

Dieser Tage, Ende Jänner/Anfang Februar, wurden wir dank der Medien und ihrer ziemlich übertriebenen Manie, Jahrestage breit auszuwalzen, an die Bildung der ersten blau-schwarzen Regierung im Februar 2000 erinnert. Dieser schwärzeste Tag in der jüngeren Geschichte des Landes jährte sich also zum 10. Mal.

Eigentlich wollte ich gar nicht daran erinnert werden – und an die folgende bleierne Zeit, die sieben Jahre dauerte und zumindest in politischer Hinsicht für mich die schlimmsten und schrecklichsten Jahre meines Lebens waren – geprägt u. a. durch Naziverharmlosung, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, hemmungslosen Sozialabbau und Ausplünderung des Volksvermögens, Günstlings- und Misswirtschaft, gigantische Umverteilung von den Armen zu den Reichen und kapitale Anschläge auf die Menschenrechte, insbesondere auf die Meinungsfreiheit durch die unglaubliche Flut an Ehrenbeleidigungsklagen, mit denen blaue PolitikerInnen unliebsame KritikerInnen und JournalistInnen mundtot machen wollten, wobei die Rechtsanwaltskanzlei des FPÖ-Justizministers nicht schlecht dabei verdiente (die FPÖ-MinisterInnen klagten damals sogar eine kleine Zeitschrift, die einen Leserbrief veröffentlicht hatte, in dem von einer „Scheißregierung“ die Rede war – vgl. LN 1/2001, S. 19).

Bis heute – und wahrscheinlich auch noch in Zukunft – brechen ja fast wöchentlich neue Eiterbeulen dieser schamlosen Korruption auf, die das Markenzeichen der Regierungen Schüssel I und II gewesen ist. Immer deutlicher wird jetzt , dass wohl zu keiner Zeit nach 1945 so viele Schlitzohren, Pülcher und Ganoven an Österreichs Schaltstellen der Macht werkten wie in diesen Jahren bis inklusive 2006 – Hans Rauscher bezeichnet sie im Standard (6. 2. 2010) bagatellisierend als „Generation Schnösel“, André Heller nannte sie damals hingegen weitaus zutreffender „seelenhygienisch heruntergekommene Politemporkömmlinge“ – zwei rechtskräftig Verurteilte, einer vom BZÖ, eine von der FPÖ, sitzen ja sogar im Nationalrat.

Und so wurde man bei der Gelegenheit auch wieder ans Fremdschämen erinnert, das damals quasi Volkssport für alle aufrechten patriotischen ÖsterreicherInnen war, die sich für diese Regierung und ihr in jeder Hinsicht letztklassiges Personal in Grund und Boden genierten. Für mich war es aber zugleich wieder ein Moment der Genugtuung, dass damals vor zehn Jahren die HOSI Wien – auch retrospektiv betrachtet – die richtige und weise Entscheidung getroffen hat – wohl eine der wichtigsten in ihrer 30-jährigen Geschichte –, nämlich sich, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, der Widerstandsbewegung gegen Blau-Schwarz anzuschließen.

Während sich alle anderen politischen LSBT-Vereine im Land in Schweigen hüllten bzw. sich bedeckt hielten, war die HOSI Wien auf allen großen Massendemos und bei vielen Donnerstagsdemos mit von der Partie (vgl. auch Bericht ab S. 20) – auch um den Preis, von Blau-Schwarz komplett ignoriert und geschnitten zu werden. In den gesamten sieben Jahren hat ja außer BZÖ-Justizministerin Karin Gastinger kein einziges Regierungsmitglied VertreterInnen der Lesben- und Schwulenbewegung zu einem Gespräch empfangen, wo doch die HOSI Wien schon vor 2000 gewohnt war, regelmäßig Besuchstermine bei MinisterInnen zu erhalten. Aber alles geht vorbei, und so gehen wir seit 2007 in den Ministerien wieder ein und aus.

Die meisten der politischen BZÖ- und FPÖ-ProtagonistInnen von damals sind – Göttin sei Dank – in der politischen Versenkung verschwunden und belästigen uns nicht länger mit ihrer massenmedialen Präsenz. Die jetzt Agierenden sind in erster Linie nur mehr ultrapeinlich, wie die jüngsten Entwicklungen und Parteispaltungen im schon lange geistig kaputten und jetzt auch wirtschaftlich total bankrotten Kärnten zeigen. Wer die noch ernst nimmt oder gar wählt, dem ist einfach nicht mehr zu helfen – und der soll ruhig dafür büßen. Die politischen Überlebenstricks der blauen Saubermänner sind jedenfalls längst zur Genüge analysiert worden, zuletzt so treffend wieder von Florian Klenk im Falter # 5/2010 vom 3. Februar. Aber am besten ist es ohnehin, man nimmt diese Dilettantentruppe als das, was sie ist: trashige Seifenoper, Realsatire, politische Löwinger-Bühne, seichte Unterhaltung, Villacher Fasching eben.

 

Realsatire

Und so eine derartig trashige Realsatire, dass sie schon wieder grenzgenial ist (jeder Kabarettist und jede Aktionskünstlerin muss da echt vor Neid erblassen), lieferte jüngst die traurige Figur Stefan Petzner, Jörg Haiders bizarre solariumsgeschädigte Zweitwitwe. Sie hat den Schriftsteller David Schalko geklagt, weil sie meint, sich im Ich-Erzähler Thomas in Schalkos Roman Weiße Nacht wiederzuerkennen. „Das satirische Werk beschreibt das homophil geprägte Verhältnis eines jungen Mannes zu einem messianischen Politiker, der sich mit merkwürdigen, ihm hündisch ergebenen Gestalten umgibt und im Stil von Groschenromanen bedeutungsschwere Worte von sich gibt“, fasst Ralf Leonhard in der Berliner tageszeitung (taz) am 1. Februar die Handlung des Romans zusammen, der zum Auslöser einer neuen kakanischen Posse geworden ist – und halb Deutschland lacht wieder über Ösireich und seine Zustände (genüsslich etwa der Beitrag am 4. 2. im Kulturmagazin Capriccio des Bayerischen Fernsehens über den am 19. Februar bevorstehenden prozessualen Showdown am Wiener Landesgericht).

Und wieder ertappte ich mich bei einem reflexartigen Rückfall ins Fremdschämen – diesmal als Schwuler, der sich für eine dermaßen peinliche Schwuppe bis unters Hemd schämt – bzw. schämen wollte, aber dann dauerte dieser Impuls doch nur kurz, und ich gab mir einen Ruck: Schluss, aus, basta, es reicht! Kein Fremdschämen mehr für die blau-orange Schwuchtelpartie – wobei ich hier absichtlich und bewusst das Wort „Schwuchtel“ verwenden möchte, das FPÖler in jüngster Zeit in homophober Absicht benutzt haben, um offen Schwule zu beleidigen und herabzusetzen, nämlich GERY KESZLER und zuletzt den grünen Tiroler Landtagsabgeordneten GEBI MAIR* (was ihnen allerdings damit nicht wirklich gelingen kann).

Es ist sicherlich mehr als bedauerlich, dass in der österreichischen Öffentlichkeit das Bild des schwulen Politikers durch halbseidene, humorlose, satire- und kritikresistente, verkappte und verschwitzt verklemmte wehleidige Witzfiguren wie Haider und Petzner geprägt wurde und wird, aber was soll man machen, wenn es (auf Bundesebene) kein alternatives Rollenmodell gibt? In Deutschland gibt es zu Guido Westerwelle – in meinen Augen ebenfalls ein unsympathischer Kotzbrocken – mit Klaus Wowereit immerhin zumindest ein sympathisches Gegenbild – aber bei uns? Es ist wirklich ein Jammer! Daher ist es umso wichtiger, dass möglichst viele „gewöhnliche Homosexuelle“ herauskommen, um das Bild von Schwulen in der Öffentlichkeit entsprechend „umzuprägen“.

 

* Als „Schwuchtelpartie“ bezeichnete übrigens der damalige FPÖ-Generalsekretär Walter Meischberger das Liberale Forum (LiF) in einer Rede auf einem Parteitag der Tiroler FP – laut Standard vom 30. November 1993. Im selben Beitrag von Günter Traxler („Blaues Sittenbild“) stand schon damals zu lesen, dass jener Werner Königshofer (Nationalratsabgeordneter und seit kurzem auch Tiroler Landtagsabgeordneter der FPÖ), der Gebi Mair – wie Anfang Jänner 2010 bekannt wurde – als „Landtagsschwuchtel“ bezeichnet hat, Mitglied der NDP war. Dieser Standard-Artikel fand sich zur Dokumentation der homophoben Hetze der FPÖ auch im 22-seitigen Dossier, das ich als Vertreter der HOSI Wien am 29. August 2000 in Heidelberg den drei von den EU-14 eingesetzten Weisen überreichte. Als Vorstandsvorsitzender des europäischen Lesben- und Schwulenverbands ILGA-Europa und als Vertreter des Leitungsgremiums der Plattform europäischer Sozial-NGOs, auf deren Initiative dieses Zusammentreffen österreichischer NGOs mit den drei Weisen gekommen war, führte ich damals diese NGO-Delegation an. Besagtes Dossier der HOSI Wien steht hier zum Download bereit. 

 

Que(e)rschuss LN 1/2010

Nachträgliche Anmerkungen

Den jüngeren LeserInnen wird der Name Jörg Haider vermutlich nichts mehr sagen. Er war ein populistischer FPÖ-Politiker aus Kärnten. Schon Anfang der 1990er Jahre gab es Gerüchte um seine Bi- bzw. Homosexualität. Im März 2000 wurde er dann „offiziell“ geoutet (vgl. meinen Kommentar in den LN 2/2000). Nach seinem Tod wurde Haiders Homosexualität erneut Thema in den Massenmedien – er hatte ein Klagenfurter Schwulenlokal besucht, bevor er alkoholisiert und mit stark überhöhter Geschwindigkeit in den Tod raste.

Über die Jahre habe ich in den LN etliche Beiträge über den Umgang der Öffentlichkeit mit Jörg Haiders Homosexualität verfasst. Diese Beiträge habe ich in einer eigenen Sektion „Haider-Outing“ zusammengestellt.

Unter den peinlichen Witzfiguren wie Haider und Petzner, die in Österreich das Bild des schwulen Politikers prägten, fehlt in meiner Kolumne noch der unsägliche Gerald Grosz, eine politisch gescheiterte Existenz; er war u. a. Nationalratsabgeordneter und Bündnisobmann des BZÖ.