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EP-Wahl: Ulrike, wen sonst?

Erschienen am 8. Mai 2009

Ja, in der Tat: Wen sonst außer ULRIKE LUNACEK von den Grünen sollte bzw. könnte man bei den Wahlen zum Europäischen Parlament am 7. Juni ernsthafterweise wählen? Mir zumindest fällt beim besten Willen niemand sonst ein. Ulrike ist zweifellos und nachgewiesenermaßen eine der engagiertesten, kompetentesten und integersten unter den österreichischen KandidatInnen, die zur EP-Wahl antreten. Und dass sie offen lesbisch ist, sollte ihr gerade bei Lesben und Schwulen nicht zum Nachteil gereichen, sondern vielmehr ein weiterer Grund sein, sie zu wählen. Und da es bei dieser Wahl nicht darum geht, eine schwarz-grüne (Koalitions-)Mehrheit zu verhindern, spricht auch Ulrikes Parteizugehörigkeit nicht gegen eine Stimmenabgabe für sie.

Die einzige Widersprüchlichkeit, die mir natürlich bei dieser meiner Wahlentscheidung bewusst ist, ist der Umstand, dass ich als bekennender EU-Gegner (vgl. LN 4/2003, Special, S. VI f), der 1994 bei der Volksabstimmung gegen einen EU-Beitritt Österreichs gestimmt hat und der bei einem diesbezüglichen Referendum sofort für den Austritt stimmen würde, eine ausgewiesene Pro-EU-Partei wählen werde, die tatsächlich die EU noch für positiv reformierbar hält. Aber da ist meine Haltung ganz einfach: Die Grünen zu stärken kann auf jeden Fall keinen Schaden anrichten. Früher habe ich ja immer gesagt, in 25 Jahren gibt es diese EU ohnehin nicht mehr – dass es jetzt, so wie es aussieht, vermutlich gar nicht so lange dauern wird, überrascht ja sogar mich. Meine Überlegung ist daher folgende: Geht die EU den Bach runter, werden auch die Grünen das letztlich nicht verhindern können. Wird das Ruder jedoch – wider Erwarten – noch einmal herumgerissen, dann ist es jedenfalls wichtig, dass die Grünen einen festen Griff an diesem Steuer haben.

Außerdem sehe ich weit und breit keine Alternative in Österreich. Die reaktionären Ungustln von FPÖ und BZÖ? Kotz, nein! Den aus der politischen Versenkung zurückgeholten Unsympathler Ernst Strasser von der ÖVP? Nicht wirklich! Außerdem wäre eine Stimme für diese Parteien eine masochistische Selbstbestrafung, denn wie das Abstimmungsverhalten bei wichtigen Berichten und Entschließungen im Europäischen Parlament in der letzten Gesetzgebungsperiode wieder gezeigt hat, haben die Abgeordneten von ÖVP und FPÖ regelmäßig gegen die Anliegen von Lesben und Schwulen votiert (siehe Bericht ab S. 19). Oder den Egomanen Hans-Peter Martin? Nein, danke, wiewohl er in der Regel Lesben- und Schwulenrechte unterstützt hat.

 

Brandstifter, nicht Feuerwehr!

Und die Sozialdemokratie? Gewiss, auch sie hat Lesben- und Schwulenanliegen stets konsequent vertreten. Doch ansonsten konnte man sie in den letzten zwei Jahrzehnten nur mehr als kleineres Übel wählen – aber diese Überlegung fällt ja bei dieser Wahl weg. Und viel schwerer wiegt ja, dass die ideologische Krise der europäischen Linken und Sozialdemokratie ja hauptverantwortlich dafür ist, dass die EU diesen neoliberalen Kurs nehmen konnte, der geradewegs in das nunmehrige wirtschaftliche Desaster geführt hat. Man darf ja nicht vergessen, dass dieser fatale Kurs immerhin unter einer sozialdemokratisch dominierten EU-Kommission zu einer Zeit eingeschlagen wurde, als die Mehrheit der Regierungen in den damals noch 15 Mitgliedsstaaten sozialdemokratisch geführt war! Wenn sich die Sozialdemokratie jetzt als Kämpferin gegen den Neoliberalismus geriert, ist das genauso lachhaft und unglaubwürdig wie die derzeit populäre Darstellung der EU als Bollwerk gegen die Auswirkungen der neoliberalen Katastrophe in Europa – an der die EU ja die Hauptschuld trägt. Hier spielen sich einmal mehr die Brandstifter als Feuerwehr auf. Gehen wir dieser Propaganda also bitte nicht auf den Leim!

Es erfüllt mich übrigens mit großer Genugtuung, dass meine vor fast einem Jahr an dieser Stelle geübte Kritik am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (mein Que(e)rschuss „Auslaufmodell EU?“ in den LN 4/2008, S. 27) mittlerweile auch vom Mainstream geteilt wird. Ich hatte damals geschrieben, der EuGH versuche durch abstruse und willkürliche Entscheidungen immer mehr Zuständigkeiten der Mitgliedsstaaten auf die EU-Ebene zu ziehen. Nicht nur von Hans-Peter Martin tönt es inzwischen ähnlich (er bezeichnete den EuGH im ZiB 2-Interview am 27. April als „Skandal-Gerichtshof“), sondern selbst die Wiener Zeitung, die ja kaum im Verdacht blindwütiger EU-Kritik steht, kommt zum selben Befund. Am 25. April 2009 war dort von den „Brüsseler Tricks zur Komptenzausweitung auf Kosten der Mitgliedsstaaten“ zu lesen – und darüber, wie der EuGH dabei als „willfähriger Erfüllungsgehilfe“ der EU-Kommission agiert. Was die Sache so schlimm macht, ist der Umstand, dass hier die EU-Regeln von einem Haufen demokratisch nicht legitimierter EuGH-RichterInnen bewusst – und in der Tat mit üblen Tricks – gebeugt werden, denn meist ist der Wille der Mitgliedsstaaten und auch des EU-Parlaments in den jeweiligen Fragen eindeutig. Es besteht also auf der EU-Ebene keine Notwendigkeit, den EuGH Politik machen zu lassen. Dort ist das nicht nötig – im Gegensatz zu Österreich, wo man leider die durch und durch verwerfliche Praxis gewöhnt ist, dass die Politik politische Entscheidungen gerne an die Höchstgerichte abschiebt, weil sie selber zu unwillig oder unfähig ist, diese zu treffen.

Natürlich muss man diese inakzeptable Vorgangsweise des EuGH aus prinzipiellen Erwägungen auch dann kritisieren, wenn seine Entscheidungen im Einzelfall für die eigenen Anliegen opportun und positiv sind – wie in den Rechtssachen Maruko oder Metock. Konsequenterweise müssen egoistische Partikularinteressen dann natürlich ebenfalls in den Hintergrund treten. Wie also die einzelnen Mitgliedsstaaten etwa ihre jeweiligen Gesetze über die eingetragene Partnerschaft ausgestalten, muss allein ihnen überlassen bleiben – denn die EU verfügt beim Familienrecht über keinerlei Zuständigkeit. Da sollte sich daher der EuGH völlig raushalten und in keiner – und auch nicht für Lesben und Schwule positiven – Weise einmischen.

 

Konservative Mehrheit

Eine bürgerlich-konservative Mehrheit wird sich wohl auch diesmal im EU-Parlament nicht verhindern lassen, selbst wenn die sozialdemokratische Fraktion die stärkste werden sollte. Für gesellschaftspolitische Anliegen wird es dennoch – wie schon jetzt – immer wieder fortschrittliche Mehrheiten geben dank der großen liberalen Fraktion. In wirtschaftlichen Fragen stimmen die Liberalen jedoch leider meist mit den konservativen Kräften.

Zu befürchten steht allerdings, dass reaktionäre und nationalistische Parteien in vielen Ländern starke Stimmengewinne erzielen und für böse Überraschungen in Brüssel und Straßburg sorgen werden. Ein Hauch von Weimarer Republik könnte also bald durch das Europäische Parlament wehen.

Im übrigen bin ich der Meinung, dass 26 Jahre rechte Mehrheit im Nationalrat und 23 Jahre ÖVP in der Bundesregierung genug sind.

Que(e)rschuss LN 3/2009

Nachträgliche Anmerkungen

Meine scharfe Kritik an der EU ist natürlich auf die Hassliebe zu ihr zurückzuführen, auf die Enttäuschung, dass sie dermaßen versagt. Heute würde ich mich wohl nicht mehr als EU-Gegner, sondern als EU-Kritiker oder EU-Skeptiker bezeichnen, bei einem Austrittsreferendum würde ich auch nicht mehr aktiv für einen Austritt stimmen, aber auch nicht aktiv dagegen, sondern daheim bleiben.

Dass ich Ernst Strasser (ÖVP) schon damals als „Unsympathler“ bezeichnet habe, macht mich stolz. Wir erinnern uns: Der Ex-Innenminister stolperte als MdEP über eine Korruptions- bzw. Lobbyistenaffäre, legte im März 2011 sein EP-Mandat zurück und wurde am 13. Oktober 2014 rechtskräftig zu drei Jahren Haft verurteilt, von denen er aber nur sechs Monate tatsächlich im Gefängnis absitzen musste.

Nicht eingetreten ist meine Befürchtung, ein Hauch von Weimarer Republik könnte bald durch das Europäische Parlament wehen. Und auch nach den Europa-Wahlen im Mai 2019 droht diese Gefahr nicht wirklich.