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(R)echte Bagage

Erschienen am 13. Januar 2006

Eigentlich wollte ich zur Abwechslung keinen Kraftausdruck für meinen Kolumnentitel verwenden, aber nachdem ein Grazer ÖVP-Stadtrat (seinen Namen muss man weder kennen noch sich merken!) all jene als „linke Bagage“ bezeichnet hat, die sich dafür eingesetzt haben, dass das Grazer Stadion nicht länger den Namen eines Mörders trägt, bleibt mir gar keine andere (Wort-)Wahl.

Denn es stellt sich die Frage: Wer ist eher eine Bagage (Pack, Gesindel): Jene, die gegen die Todesstrafe auftreten und sich damit für Menschenrechte einsetzen, oder doch eher jene, die sie verletzen, untergraben und anderen vorenthalten? Sie ist leicht zu beantworten.

Eine Bagage, eine (r)echte nämlich, ist sicherlich in erster Linie die Bundesregierung und die schwarz-orange-blaue Parlamentsmehrheit, die seit Jahr und Tag die Menschenrechte von Lesben und Schwulen mit Füßen treten und z. B. seit über zwei Jahren ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ignorieren – oder beispielsweise Kinder für die sexuelle Orientierung ihrer Eltern bestrafen, indem sie die Stiefkindadoption nicht erlauben.

 

Dilettierende HöchstrichterInnen

Als – (r)echte – Bagage wären da auch noch viel eher Österreichs HöchstrichterInnen zu bezeichnen, die uns seit Jahrzehnten um unsere vollen Grund- und Menschenrechte betrogen haben und immer noch betrügen. Man denke etwa an die diskriminierende Auslegung des Mietrechts durch den Obersten Gerichtshof (OGH), die erst 2003 nach fast zehnjährigem Rechtsstreit durch Straßburg korrigiert wurde. Oder die traurige „Lachnummer“ des Verfassungsgerichtshofs in Sachen § 209 StGB, wo es fünf Beschwerden und 16 Jahre gebraucht hat, um endlich Gleichstellung durchzusetzen. Und auch wenn der VfGH jetzt in der Frage der Mitversicherung seine wenige Jahre alte negative Entscheidung und jene des Verwaltungsgerichtshofs revidiert hat bzw. aufgrund des Drucks aus Straßburg revidieren musste (vgl. Bericht ab S. 6), so bleibt doch der Eindruck von inkompetenten, dilettierenden und böswilligen HöchstrichterInnen, die uns bewusst und absichtlich unsere Menschenrechte so lange vorenthalten wollen, wie dies nur irgendwie geht.

Da die VfGH-RichterInnen offenbar heillos überfordert oder nicht willens sind, die Europäische Menschenrechtskonvention richtig zu interpretieren, bleibt eigentlich nichts anderes übrig, als sie zum Rücktritt aufzufordern. Das betrifft insbesondere jene RichterInnen, die schon an der nun offenkundig gewordenen Fehlentscheidung zur Mitversicherung aus 2000 mitgewirkt haben: Korinek, Berchthold-Ostermann, Heller, Holzinger, Kahr, Lass, Liehr, Müller, Oberndorfer, Ruppe und Spielbüchler.

Wie peinlich diese Bemühungen mittlerweile sind, hat sich einmal mehr am 1. Dezember des Vorjahrs gezeigt, als der Verfassungsgerichtshof Südafrikas die Einschränkung der Ehe auf eine „Verbindung zwischen Mann und Frau“ als verfassungswidrig aufgehoben hat. In Österreich hingegen hatte der VfGH vor zwei Jahren in einem Erkenntnis die Beschränkung der Ehe auf verschiedengeschlechtliche Paare im § 44 ABGB als verfassungskonform qualifiziert! Statt die Menschen im Kampf um Gleichberechtigung und volle Menschenrechte zu unterstützen, blockieren Österreichs HöchstrichterInnen jeden Fortschritt. Man kann ihnen nur dringend anraten, bei ihren südafrikanischen KollegInnen Nachhilfeunterricht zu nehmen. Man wird wohl vergeblich darauf warten, dass sie die Größe und den Anstand haben, ihre Unfähigkeit einzugestehen und die nötigen Konsequenzen – Rücktritt! – zu ziehen. Dabei werden auch an den Bezirksgerichten immer wieder Leute gebraucht…!

 

Que(e)rschuss LN 1/2006

Nachträgliche Anmerkungen

Das erwähnte Grazer Stadion trug den Namen Arnold Schwarzeneggers. Nachdem er als kalifornischer Gouverneur ein Todesurteil vollstrecken lassen hatte, trat eine Initiative zur Umbenennung des Stadions auf den Plan. Dieser kam Schwarzenegger zuvor, indem er der Stadt Graz 2005 das Recht auf die Verwertung seines Namens entzog. Bei der Gelegenheit gab er auch den ihm 1999 verliehenen Ehrenring der Stadt Graz zurück.

Mit dem Ignorieren des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) durch die schwarz-blau-orange Parlamentsmehrheit spiele ich auf den Umstand an, dass seit der richtungsweisenden EGMR-Entscheidung vom Juli 2003 in der Beschwerde Karner gegen Österreich klar gewesen ist, dass jedwede Diskriminierung von gleich- gegenüber verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaften eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) darstellt.

Die Bundesregierung ignorierte dies jedoch mehr als zwei Jahre, und so musste im Oktober 2005 in der erwähnten Sozialversicherungssache erst der VfGH die diskriminierenden Bestimmungen im Sozialversicherungsrecht als verfassungswidrig aufheben, um dieses zu reparieren. Wie in der Kolumne erwähnt, musste der VfGH dabei seine eigene, nur wenige Jahre alt Fehlentscheidung korrigieren.