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Gfrieser & Oaschg’sichter

Erschienen am 4. November 2005

In der letzten Ausgabe habe ich an dieser Stelle geschrieben, Bundeskanzler Schüssel werde auch die herben Wahlschlappen bei den drei Landtagswahlen dieses Herbstes aussitzen, weil er keine Neuwahlen riskieren kann. Das scheint zuzutreffen. Um das vorauszusehen, musste man jedoch kein Hellseher sein. Aber vielleicht macht ihm ja doch sein orange-blauer Koalitionspartner noch einen Strich durch die Rechnung!

In jedem zivilisierten Land wäre jedenfalls eine Bundesregierung, deren Parteien bei einem so wichtigen Wahlgang wie in der Bundeshauptstadt mit Ach und Krach auf 20 Prozent kommen, in der Sekunde zurückgetreten. Aber Schüssel, Haider, Böhmdorfer (übrigens: Erinnert sich eigentlich noch jemand an all die Justizskandale?) und wie sie alle heißen haben Österreich ja in den letzten sechs Jahren zur Vorzeige-Bananenrepublik in der EU gemacht, die nur durch Berlusconis Italien übertroffen wird.

Hauptmotiv für Schüssels Sesselkleben – das habe ich auch letztes Mal schon geschrieben – ist ein ganz persönliches: Er will um jeden Preis noch EU-Ratspräsident im ersten Halbjahr 2006 werden – als Kompensation für die erlittene Schmach durch die von den 14 EU-Partnern über seine blau-schwarze Regierung 2000 verhängten Maßnahmen.

Offenbar hat aber auch Schüssel mittlerweile erkannt, dass sein mögliches Kalkül, er könnte mit der vermeintlichen Würde des Amts als EU-Ratsvorsitzender dann bei den Nationalratswahlen 2006 politisch punkten, angesichts der allgemeinen negativen EU-Stimmung im Land nicht aufgehen wird. Seine neue Strategie scheint jetzt zu sein, auf dieser Stimmungswelle mitschwimmen zu wollen und sich als Kämpfer und Bollwerk gegen die böse EU zu gerieren, wofür Österreichs peinliche Vorstellung „David gegen Goliath“ in der Türkei-Frage auf dem Luxemburger EU-Gipfel schon ein kleiner Vorgeschmack war. Bloß: Hier wird ihm HC Strache das Wasser abgraben, wie der Wiener Wahlkampf schon gezeigt hat. Die FPÖ kann sich einfach „glaubhafter“ als Anti-EU-Kämpferin profilieren – und vor allem kann sie dabei viel hemmungsloser sein. Dasselbe gilt im übrigen für die „Homo-Ehe“: Auch hier hat Strache jetzt bei den Wiener Wahlen die FPÖ als Verteidigerin der Hetero-Familie gegen die böse Homo-Ehe dermaßen massiv in Stellung gebracht, dass die ÖVP mit ihrer rabiaten Abtreibungsgegnerin daneben total abschmierte.

Es war ja herzig, wie die ÖVP ihre 18 Prozent als großen Sieg feierte. Und erst der Triumph von Ursula Stenzel im 1. Bezirk: über 3000 Stimmen für die Abgeordnete zum Europäischen Parlament! Eigentlich ein Armutszeugnis, dass eine Partei eine bekannte EP-Abgeordnete aufbieten musste, um ihre Mehrheit in einem Wiener Bezirk zu retten. Aber was für ein Abstieg für Stenzel: von der ÖVP-Delegationsleiterin im Europäischen Parlament zur Bezirksvorsteherin in Wien-Innere Stadt. Was alles ein Triumph sein kann – man lernt nie aus!

20 Jahre ÖVP in der Regierung sind genug

Bliebe also nur der eigentlich günstige Effekt, während des EU-Ratsvorsitzes ständig medial präsent zu sein, was an und für sich ein Riesenvorteil für kurz danach stattfindende Wahlen wäre. Doch ich denke, auch diese Medienpräsenz wird nach hinten losgehen. Schon jetzt sehnen sich viele nach den „roten Gfriesern“ (© Andreas Khol) zurück, weil die immer gleichen schwarzen und blauen Oaschg’sichter, die man sich seit 20 Jahren in den Medien anschauen muss, einfach nur mehr nerven und einem wirklich unsagbar zum Hals raushängen…

Que(e)rschuss LN 6/2005

Nachträgliche Anmerkungen

Im April 2005 hatte sich das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) von der FPÖ abgespaltet. ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel regierte mit dem BZÖ weiter (schwarz-orange). Wie in meinem Kommentar erwähnt, kamen die beiden Regierungsparteien im Bund bei der Wiener Landtagswahl am 23. Oktober 2005 auf gerade einmal 20 Prozent der Stimmen: ÖVP 18,77 %, BZÖ 1,15 % (die FPÖ erreichte 14,83 %). Die SPÖ, die 2001 ihre Mandatsmehrheit zurückerobert hatte, konnte diese sogar noch ausbauen und weiter allein regieren.

Bei der rabiaten Abtreibungsgegnerin handelte es sich um die ÖVP-Landtagsabgeordnete Gudrun Kugler. 2017 zog sie für die Wiener ÖVP in den Nationalrat ein.