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Beitrag in Stimme von und für Minderheiten Nr. 53

Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!

Veröffentlicht am 1. Januar 2005
Am 1. Juli 2004 trat das neue Gleichbehandlungsgesetz in Kraft, das erstmals Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung unter Strafe stellt. In diesem Beitrag in der STIMME von und für Minderheiten, der Zeitschrift der Initiative Minderheiten, Nr. 53 (Winter 2004), gebe ich ausführliche Hintergrundinformationen, die auch heute noch aktuell sind.

Österreichs Bundesregierung und Parlament haben sich bekanntlich bei der Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien auf die darin enthaltenen Minimalvorgaben beschränkt und kein umfassendes und einheitliches Antidiskriminierungsgesetz geschaffen. Für den Diskriminierungsgrund „sexuelle Orientierung“ sieht das am 1. Juli 2004 in Kraft getretene neue Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) daher nur den Schutz vor Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt vor, nicht jedoch etwa beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen.

Wie nötig indes ein Diskriminierungsverbot in diesem Bereich wäre, haben zwei Beispiele in jüngster Zeit gezeigt. Im Juni 2004 wurde bekannt, dass eine Innsbrucker Tanzschule einem lesbischen Paar die Teilnahme an einem Tanzkurs verwehrt hat. Und als die HOSI Wien zum Fahrplanwechsel 2004/05 aus Anlass ihres 25-jährigen Bestehens die Namenspatronanz über zwei Züge erwerben wollte, wurde das von den ÖBB mit fadenscheinigen Ausreden abgelehnt.

 

Länder vorne

Interessanterweise haben jene Landesgesetzgeber, die die Richtlinien für ihren Bereich mittlerweile umgesetzt haben, keine Hierarchie beim Diskriminierungsschutz etabliert, sondern alle Diskriminierungsgründe horizontal – also in allen Bereichen, wo vor Diskriminierung geschützt wird – gleichbehandelt. Allerdings können Landesgesetzgeber klarerweise nicht die Privatwirtschaft bei der Zurverfügungstellung von Waren und Dienstleistungen in die gesetzliche Pflicht nehmen, sondern nur die eigenen Landesstellen bzw. ausgelagerte Landesbetriebe, die bestimmte Dienstleistungen oder Waren anbieten. Aber immerhin!

Jetzt muss es auf jeden Fall darum gehen, dass Diskriminierungsopfer das neue Gesetz auch in Anspruch nehmen und Diskriminierung in der Arbeitswelt nicht einfach widerstandslos hinnehmen. Hat man sich bisher nicht zur Wehr gesetzt, weil man sich ohnehin keine großen Chancen ausgerechnet hat, so besteht jetzt kein Grund, sich Mobbing oder Ungleichbehandlung einfach gefallen zu lassen. Daher sollte jede/r Arbeitnehmer/in wissen:

Die neuen Gesetze verbieten direkte und indirekte Diskriminierung sowie Belästigung/Mobbing. Sie gelten für den privaten bzw. öffentlichen Sektor, für alle Arten der Beschäftigung, ob unselbständig oder selbständig, unbefristet oder befristet etc. Das Verbot betrifft sämtliche Arbeitsbedingungen, einschließlich Einstellung, Fortbildung, Umschulung, Beförderung, Kündigung, Entgelt usw. sowie die Stellenausschreibung. Die Gesetze sehen ferner eine Beweislasterleichterung für das Opfer vor, ebenso Schadenersatzansprüche, Rechtsschutz sowie ein Benachteiligungsverbot. Dieses bedeutet, dass Opfer, die sich etwa mittels Klage wehren, sowie ZeugInnen, die in Verfahren aussagen, vor Repressalien durch den/die beklagten ArbeitgeberInnen (etwa Entlassung) geschützt sind.

 

Kenne deine Rechte

Zu den nun geltenden Rechten gehören zudem sämtliche arbeitsrechtlichen Ansprüche, die ArbeitnehmerInnen bzw. deren verschiedengeschlechtlichen LebensgefährtInnen gewährt werden, z. B. Pflegefreistellung bzw. Hospizkarenz für die Betreuung kranker bzw. sterbender LebensgefährtInnen. Hier haben vergangenen Sommer im Zusammenhang mir der Diskussion um die „Homo-Ehe“ viele Leute große Verwirrung gestiftet, allen voran der zuständige Wirtschaftsminister Martin Bartenstein, aber auch die SPÖ und die Medien. Die Pflegefreistellung wurde immer wieder als Beispiel einer Benachteiligung für eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft genannt – aber das ist nunmehr mit dem neuen Gleichbehandlungsgesetz erledigt: Auch die Betreuung des gleichgeschlechtlichen Lebensgefährten bzw. der gleichgeschlechtlichen Lebensgefährtin besteht jetzt Anspruch auf Pflegefreistellung.

Weiters fallen unter das neue Gesetz sämtliche freiwilligen betrieblichen Sozialleistungen, die als Teil des Entgelts zu werten sind und auf die heterosexuelle LebensgefährtInnen Anspruch haben. Diese müssen nun auch gleichgeschlechtlichen LebensgefährtInnen gewährt werden, also etwa Freifahrten, Freiflüge, Rabatte für Einkäufe im Unternehmen, freie bzw. ermäßigte Mitbenutzung betrieblicher Einrichtungen oder etwa die ermäßigten Kontoführungskosten, in deren Genuss die LebensgefährtInnen von Bankangestellten bei den meisten Geldinstituten kommen. Hier gibt es eine Fülle möglicher Ansprüche. Ist eine solche Leistung auf EhegattInnen beschränkt, können sie jedoch leider von gleichgeschlechtlichen LebensgefährtInnen nicht eingefordert werden.

 

Coming-out als Voraussetzung

In etlichen Fällen wird die Inanspruchnahme dieser Rechte indes auch bedeuten, sich gegenüber dem Arbeitgeber als lesbisch oder schwul zu outen. Für viele ArbeitnehmerInnen ist das möglicherweise sehr problematisch, dennoch sollte dieser Schritt unbedingt getan werden. Denn einmal muss dieser Teufelskreis durchbrochen werden – und worauf will man noch warten, wo es doch diese neuen rechtlichen Möglichkeiten gibt? Wobei anzuerkennen ist, dass die gesetzlichen Bestimmungen ihre Schwachpunkte haben, etwa die vorgesehenen Sanktionen. Die geringen Strafen bzw. die geringen Entschädigungen für die Opfer sind möglicherweise geeignet, Betroffene davon abzuhalten, gegen Diskriminierung überhaupt etwas zu tun. Es wäre ihnen nicht zu verdenken, stellten sie sich die Frage: Steht das Risiko, danach im Betrieb einen noch schlechteren Stand zu haben oder aus anderen Gründen gekündigt zu werden, oder das Risiko eines möglichen gerichtlichen Verfahrens in einem vertretbaren Verhältnis zum erreichbaren Nutzen?

Es wird sich dabei zeigen, wie reif die Gesellschaft für diese neue Gesetzeslage ist. Es steht durchaus zu befürchten, dass wieder einmal jene, die Hilfestellung und Schutz am nötigsten hätten, weil sie am verletzbarsten sind, am meisten Angst haben, auf die neuen Rechte zu bestehen. Jene, die versteckt leben, die ihr Coming-out nicht wagen, die ohnehin die schlechtesten Jobchancen haben und am Arbeitsmarkt von vornherein benachteiligt sind, werden sich wohl am ehesten davor scheuen, den Kampf um ihre Rechte auf sich zu nehmen. Und leider ist die derzeitige angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt auch nicht dazu angetan, dass man einen Arbeitsplatz aufs Spiel zu setzen wagt – daran wird das im Gesetz vorgesehene Benachteiligungsverbot für KlägerInnen und ZeugInnen wohl wenig ändern.

Jene Lesben und Schwule, die in der privilegierten Lage sind, auch an ihrem Arbeitsplatz offen lesbische bzw. schwul zu leben, haben es da vermutlich von vornherein viel leichter, aber natürlich können sich die Dinge auch in ihrer Arbeitsstelle ändern, können KollegInnen unvermutet ein Mobbing beginnen – oder es kommt anlässlich einer anstehenden Beförderung zum Lackmustest, wie weit her es tatsächlich mit dem offenen Klima ist und ob man plötzlich die Glasdecke spürt.

 

Hilfestellung für Betroffene

Betroffene sollten in diesem Zusammenhang indes auch breitere Überlegungen anstellen: Sich zur Wehr zu setzen und hier juristisches und gesellschaftspolitisches Neuland zu betreten heißt einmal mehr, Pionierarbeit zu leisten, Präzedenzfälle zu schaffen, den Boden aufzubereiten für die Verbesserung der Situation vieler anderer, Bewusstseinsbildung zu betreiben und Haltungen zu verändern – bei Vorgesetzten und unter KollegInnen. Das ist eine allgemeingesellschaftliche Verantwortung, die jede/r Betroffene – wenn es nur irgendwie möglich ist – wahrnehmen sollte.

Und niemand muss auf sich allein gestellt bleiben und ein Verfahren allein durchziehen. Die Arbeiterkammer (AK) hilft bei der gerichtlichen Geltendmachung des Rechts auf Nichtdiskriminierung ebenso wie der 2004 von einigen NGOs zu genau diesem Zweck gegründete „Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern“. Dies ist sogar im Gleichbehandlungsgesetz vorgesehen. Unter der Überschrift „Nebenintervention“ heißt es im § 62 GlBG: „Der Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern kann, wenn es eine/e Betroffene/r verlangt, einem Rechtsstreit zur Duchsetzung von Ansprüchen nach diesem Bundesgesetz als Nebenintervenient (§§ 17 bis 19 ZPO) beitreten.“

Wie bei vielen anderen gesellschaftlichen Fragen können auch bei der Bekämpfung von Diskriminierung Gesetze nur ein Teil der Anstrengungen sein. Um wirklich nachhaltigen Erfolg zu erzielen, müssen darüber hinaus flankierende Maßnahmen zur allgemeinen Aufklärung und Bewusstseinsbildung gesetzt werden. Und zwar nicht nur bei den Betroffenen, sondern auch in der breiten Bevölkerung. Das ist auch im Interesse der Europäischen Kommission, die im Rahmen ihres Arbeitsprogramms zur Bekämpfung von Diskriminierung auch EU-weite Kampagnen zu diesem Zweck unterstützt. Eine davon ist die Kampagne Für Vielfalt – Gegen Diskriminierung, die auf mehrere Jahre hin ausgelegt ist.

Im Rahmen dieser Kampagne wurden auch fünf Broschüren zu den wichtigsten Themenbereichen erstellt:

  • „Ich diskriminiere niemanden … oder doch? Diskriminierungen erkennen“
  • „Was Sie tun können, wenn Sie diskriminiert wurden. Leitfaden für Opfer“
  • „Was Sie über die Anti-Diskriminierungsrichtlinien wissen sollten. Häufig gestellte Fragen“
  • „Umgang mit Vielfalt – wie können Unternehmen davon profitieren? Vorteile der Vielfalt“
  • „Was können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber tun, um Diskriminierungen zu verhindern und Vielfalt zu fördern? Erste Schritte“

Diese Factsheets beschreiben u. a., wie man Diskriminierung am Arbeitsplatz verhindern kann. Dabei geht es weniger um rechtliche Fragen als vielmehr um konkrete Tipps, wie Situationen verbessert werden können. Diskriminierungsopfer erhalten auch Tipps, was bei der Dokumentation diskriminierender Situationen beachtet werden muss und wie diese gegenüber Vorgesetzten angesprochen werden können. ArbeitgeberInnen können nachlesen, welche Schritte sie unternehmen können, um ihr Unternehmen diskriminierungsfrei zu machen.