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Reaktionäre RichterInnen

Erschienen am 16. April 2004

Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Österreichs BürgerInnen müssen sich mit weniger verfassungsmäßig garantierten Grund- und Menschenrechten zufriedengeben als etwa die BürgerInnen Kanadas. Überrascht hat mich die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs in der Beschwerde gegen das österreichische Eherecht allerdings nicht. Spätestens seit ihrem unglaublichen Herumlavieren in Sachen § 209 StGB wissen wir, daß die VerfassungsrichterInnen es als ihre höchste Aufgabe ansehen, Verfassung und Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) möglichst restriktiv auszulegen und den BürgerInnen nur ein international gerade noch vertretbares Mindestmaß an Grund- und Freiheitsrechten zuzugestehen – und ja kein Alzerl mehr!

Es kommt daher auch nicht von ungefähr, daß Österreich unter den 45 Europaratsstaaten zu den am häufigsten vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilten Ländern zählt.

Weniger Grundrechte als in Kanada

Nach seinen unglaublichen Skandalentscheidungen in Sachen § 209 habe ich die VerfassungsrichterInnen in einem Leserbrief ans PRIDE einmal als „reaktionäres Gesindel“ bezeichnet – und diese Einschätzung hat sich jetzt wieder bewahrheitet. Denn natürlich hätte der VfGH hergehen – und mit derselben Begründung wie etwa die Höchstgerichte einiger kanadischer Provinzen – die Beschränkung der Ehe auf verschiedengeschlechtliche Paare wegen einer Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung und vor allem des Geschlechts als verfassungs- bzw. menschenrechtskonventionswidrig aufheben können (und müssen!), anstatt die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der VfGH führt in seiner Entscheidung lapidar aus: „In bezug auf die Eheschließung bestimmt der im Verfassungsrang stehende Art. 12 EMRK: ‚Mit Erreichung des heiratsfähigen Alters haben Männer und Frauen gemäß den einschlägigen nationalen Gesetzen das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen.‘“ Und behauptet dann ganz einfach, ohne das näher zu begründen: „Weder der Gleichheitssatz der österreichischen Bundesverfassung noch die Europäische Menschenrechtskonvention (…) gebieten eine Ausdehnung der auf die grundsätzliche Möglichkeit der Elternschaft ausgerichteten Ehe auf Beziehungen anderer Art. (…) Daß gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit ein Teil des Privatlebens sind und solcherart den Schutz des Art. 8 EMRK genießen – der auch die Benachteiligung nach unsachlichen Merkmalen verbietet (Art. 14 EMRK) –, verpflichtet daher nicht zur Änderung des Eherechts.“

Da hat es sich der Verfassungsgerichtshof sehr leicht gemacht: Zwar gibt es in der Tat kein Urteil des EGMR in Sachen „Homo-Ehe“, aber nichts und niemand hätte den VfGH daran hindern können, wie in Kanada – im Sinne der Weiterentwicklung der Menschenrechte – von sich aus fortschrittlich zu urteilen, daß das nationale österreichische Eherecht sehr wohl gegen das Nichtdiskriminierungsgebot des Artikels 14 EMRK (in Verbindung mit Artikel 12) verstößt. Aber dazu ist er eben zu reaktionär!

Da wartet er lieber, bis Straßburg soweit ist.

Kurts Kommentar LN 2/2004

Nachträgliche Anmerkung

14 Jahre später hat der Verfassungsgerichtshof bekanntlich seine Meinung geändert und im Dezember 2017 das Eheverbot für gleichgeschlechtliche Paare als verfassungswidrig aufgehoben – und ist damit, entgegen meiner Mutmaßung, dem EGMR sogar zuvorgekommen. Allerdings bleibt die Frage offen, warum der VfGH in der Beschwerde Schalk & Kopf 2003 noch keine Verfassungswidrigkeit erkennen wollte oder konnte. Siehe dazu auch meinen Blog-Beitrag.