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Dafür haben wir nicht gekämpft!

Erschienen am 16. Januar 2004

Da hat also wieder ein ÖVP-Politiker erklärt, für ihn sei Homosexualität weniger normal als Heterosexualität, und den Schwulen Abkehr von ihrer Neigung durch Hinwendung zum christlichen Glauben anempfohlen. So weit, so schlecht und blöd – aber wenig überraschend. Erwartet jemand etwas anderes von ÖVP-PolitikerInnen?

Selbstverständlich gehört der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl für diese Aussagen verbal geprügelt – aber bitte unaufgeregt und ohne den Anschein zu geben, man nehme ihn wirklich wichtig und ernst! Und bitte nicht zum hunderttausendsten Mal dieselbe theologische, philosophische oder sexualwissenschaftliche Diskussion und Rechtfertigung! Einen Typen dieses geistigen Kalibers kann man doch höchstens verarschen!

Aber das war noch nicht alles! Gleichzeitig wurde bekannt, daß Nagl es abgelehnt hatte, den Ehrenschutz über ein Treffen der Gruppe Homosexualität und Glaube (HUG) in Graz vergangenen Oktober zu übernehmen. „Gott sei Dank!“ kann man da nur gen Himmel rufen! Darf denn das wahr sein? Gibt es tatsächlich immer noch Schwulenfunktionäre, die dem „Segen“ der ÖVP nachlaufen? Haben die keinen Funken Selbstachtung im Leib? Oder sind sie masochistisch veranlagt, daß sie ihren Peinigern auch noch die Stiefel lecken und sich stets aufs neue ihre Watschen abholen? Das mit „die andere Wange hinhalten“ muß man im religiösen Eifer ja auch nicht übertreiben!

Haben diese Leute immer noch nicht kapiert, daß die Zeiten, da eine lesbisch/schwule Veranstaltung durch den Ehrenschutz irgendwelcher PolitikerInnen geadelt wird, längst vorbei sind? Daß es heutzutage andersrum ist – daß es nämlich eine Auszeichnung für eine/n Politiker/in ist, den Ehrenschutz über eine lesbisch/schwule Veranstaltung übernehmen zu dürfen? Eine Auszeichnung, die nicht so einfach jedem homophoben Bürgermeister oder jeder dahergelaufenen Landeshauptfrau nachgeschmissen, sondern nur jenen zuteil wird bzw. werden sollte, die sich wahrhaftig um die les/bi/schwule Sache verdient gemacht, also schon etwas dafür geleistet haben.

Da reicht es nicht, bloß Lippenbekenntnisse abzugeben – wie persönlich glaubwürdig sie auch immer sein mögen –, sondern da geht es um konkrete Taten. Da reicht es daher nicht, sich bloß daheim in der Steiermark gegen die Diskriminierung auszusprechen, aber im ÖVP-Bundesparteivorstand, wo Waltraud Klasnic Sitz und Stimme hat, den Mund in dieser Frage nicht aufzumachen. Okay, sie kann sich dort allein nicht durchsetzen – too bad! Aber: mitgehangen, mitgefangen!

Wenn wir es den PolitikerInnen derart leicht machen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn sie sich nicht mehr anstrengen. Geschickt schmieren sie den nach Anerkennung lechzenden Schwulen ein bißchen Honig ums Maul, denn die blöden Tunten lassen sich so billig abspeisen – für die nächsten Wahlen bleibt man jedenfalls in guter Erinnerung. So reiben sich die PolitikerInnen die Hände – politisch kostet’s ja nichts.

Im Berliner Homo-Magazin Siegessäule gibt es die Rubrik „Dafür haben wir nicht gekämpft!“, in der die peinlichsten Entgleisungen und bizarrsten Abirrungen der LSBT-Szene angeprangert werden. Die hündische Anbiederung an ÖVP-PolitikerInnen durch manche Schwulenfunktionäre und Gruppierungen wäre ein Fall für diesen medialen Schandpfahl. Man möchte ihnen nach einem Vierteljahrhundert LSBT-Bewegung in Österreich am liebsten laut zurufen: „Aufwachen! Wir sind im 3. Jahrtausend angekommen! Schwule und Lesben haben es nicht mehr nötig, PolitikerInnen in den Arsch zu kriechen! Werdet endlich selbstbewußt!“

Kurts Kommentar LN 1/2004