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Kommentar in der Online-Zeitschrift Glocalist Review NR. 14/2004

Wenn’s bloß wahr wäre!

Veröffentlicht am 12. Januar 2004
Im Februar 2003 waren die Koalitionsverhandlungen zwischen den Grünen und der ÖVP im Bund – nach den vorgezogenen Neuwahlen 2002 – gescheitert (vgl. LN 2/2003, S. 11 ff). Im Zuge ihrer nachfolgenden politischen Kurssuche meinte Alexander van der Bellen, damals grüner Bundessprecher, die Grünen sollten sich stärker „linksliberal“ positionieren, was ich in der digitalen Online-Zeitschrift Glocalist Review (Nr. 14/2004) kommentierte.

Die Ankündigung* Alexander van der Bellens, die Grünen in Zukunft stärker als „linksliberale“ Partei positionieren zu wollen, halte ich für sehr erfreulich. Allein schon deshalb, weil „links“ – nicht zuletzt dank der dominierenden bürgerlichen Presse in Österreich – zum Schimpfwort geworden ist und man immer mehr den Eindruck hat, daß selbst die SPÖ den Ausdruck möglichst vermeiden will. Aus meiner Erfahrung mit dem Wort „schwul“, das früher ebenfalls als Schimpfwort verwendet und inzwischen in ein Wort des Stolzes umgewandelt worden ist, bewerte ich es daher als äußerst positiv, wenn sich eine Partei stolz und offensiv als „links“ bezeichnet.

Allerdings stellt sich sofort die Frage nach der Definition der Begriffe „links“ und „liberal“. Beide haben natürlich in ihrer Bedeutung für die einzelnen Menschen eine denkbar große Brandbreite, denn was für die einen schon links ist, mag für andere noch ziemlich reaktionär anmuten. Noch unkonkreter ist in Österreich der Begriff „liberal“. Welche Kriterien soll man also anlegen, um zu bestimmen, ob eine bestimmte Politik der Grünen nun „links“ bzw. als „liberal“ durchgehen kann? Und: Widersprechen sich die beiden Begriffe nicht mitunter – etwa in der Wirtschaftspolitik?

Von ihren Programmen und Ansprüchen her kann man die Grünen im österreichischen Spektrum sicherlich als links einordnen (was indes noch nicht viel heißen will), ebenso in ihrer Oppositionspolitik. Die Familien-, Frauen-, Minderheiten-, Menschenrechts- und Sozialpolitik der Grünen ist sicherlich in diesem Rahmen als fortschrittlich zu bewerten, wobei in Hinblick auf letztere nach der jüngsten market-Umfrage über die Kernkompetenzen der einzelnen Parteien in der Grün-Partei die Alarmglocken schrillen müßten: Nur mehr 17 Prozent der Befragten trauen den Grünen hier eine wesentliche Kompetenz zu!

Leider werden diese Ansprüche in der Praxis immer wieder durch Ausrutscher konterkariert, etwa wenn die oö Grünen das nicht gerade „linke“ Projekt einer Zusammenarbeit mit der ÖVP durchziehen, wenn Eva Glawischnig plötzlich den Wahlbetrüger George Bush als „demokratisch gewählten“ Präsidenten vor Jörg Haider in Schutz nimmt, wenn sich die Grünen gegen den Schutz Jugendlicher vor Ausbeutung durch Pornographie aussprechen – hier liegt wohl ein Fall von falsch verstandenem „Liberalismus“ vor – oder wenn es Johannes Voggenhuber, den ich als EU-Politiker ansonsten sehr schätze, vorbehalten bleibt, die GlobalisierungsgegnerInnen von ATTAC in die Nähe jener Leute zu rücken, die jüngst Briefbomben an hochrangige EU-Vertreter verschickt haben.

Stichwort Europa: Hier würde man sich auch eine etwas kritischere – linke – Haltung der Grünen wünschen. Wohl aus Furcht davor, sich in die Reihe mit der FPÖ zu stellen, überlassen die Grünen Kritik an den Entwicklungen in der EU der FPÖ. Dabei gibt es wohl auch aus linker Sicht mehr als genug an der EU zu kritisieren.

Stärkeres Engagement erhoffe ich mir nach van der Bellens Ankündigung auch in Sachen Trennung von Kirche und Staat, etwa bei der kategorischen Zurückweisung des bizarren Versuchs, einen Gottesbezug in die Bundesverfassung aufzunehmen. Mag sein, daß die Grünen ihre Positionen hier ohnehin als bekannt voraussetzen, und ich weiß selber als Aktivist der Lesben- und Schwulenbewegung, wie öd es ist, immer wieder auf denselben lächerlichen Schmarrn der römisch-katholischen Kirche zu reagieren (wie oft will man ihn einfach „net amål“ ignorieren!), aber dennoch: Hier gilt es wohl, konsequent die eigenen Positionen immer wieder zu vertreten.

Es wird sich ja insgesamt zeigten, wie die Schärfung ihres „linksliberalen“ Profils letztlich aussehen wird – wie und ob die Grünen tatsächlich linke und liberale Positionen deutlich und glaubwürdig herausarbeiten oder ob sie letztlich nicht doch eher pragmatisch und auf die Wählerstimmen schielend Allerweltspositionen der Mitte hervorstreichen werden.

 

Nachträgliche Anmerkungen:

* Das genaue Zitat bzw. die Quelle dieser Ankündigung konnte ich leider nicht mehr finden. Das Internet vergisst offenkundig doch auch Dinge! Die Aussage ist wohl rund um den 23. bzw. 24. Bundeskongress gefallen – diese Parteitage fanden im November 2003 bzw. Jänner 2004 statt. Auf letzterem wurde van der Bellen als grüner Bundessprecher wiedergewählt.

Die schwarz-grüne Koalition auf Landesebene in Oberösterreich habe ich in der Glocalist Review vom 3. November 2003 kommentiert. Dass sich die Grünen gegen den Schutz Jugendlicher vor Ausbeutung durch Pornographie aussprachen, habe ich auch in einem Kommentar im Standard vom 17. Dezember 2003 kritisiert.