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Schweden: Trauer um Anna Lindh

Veröffentlicht am 17. Oktober 2003
Am 10. September 2003 wurde die schwedische Außenministerin Anna Lindh in einem Stockholmer Einkaufszentrum niedergestochen. Am nächsten Tag erlag sie ihren schweren Verletzungen. Lindh war eine große Unterstützerin im Kampf um LSBT-Rechte, auch als Außenministerin und auch im Kampf gegen § 209 StGB in Österreich, wie ich in meinem Nachruf in den LN 4/2003 berichtete.

Anna Lindh (1957–2003)

Schwedens offen lesbischer Rockstar Eva Dahlgren, eine von Anna Lindhs Lieblingssängerinnen, sang bei den Trauerfeiern für die schwedische Außenministerin.

Auch Schwedens Lesben und Schwule trauern um die im September ermordete Außenministerin, die als engagierte Sozialdemokratin und stolze Feministin gerade für viele, nicht zuletzt junge Schwedinnen ein großes Vorbild war. Anna Lindh war eine wichtige Verbündete der Lesben- und Schwulenbewegung im internationalen Kampf um die Menschenrechte. Im Jahr 2000 war sie Ehrengast auf der Jahresversammlung des schwedischen Lesben- und Schwulenverbands RFSL in Västerås, auf der sie eine vielbejubelte Rede hielt. Dabei erzählte sie eine Anekdote, wie Homosexualität bei ihren beiden Söhnen, heute 9 und 13 Jahre alt, entdramatisiert wurde. Ihr jüngster hatte erklärt, er sei in einen Kameraden verliebt. Darauf hatte der ältere gemeint: „Das geht ja gar nicht, dann wärst du ja ein Mädchen!“ Worauf der jüngere antwortete: „Doch, dann bin ich schwul!“

Håkan Andersson, Vorsitzender von Homosexuella Socialdemokrater, der von 1991 bis 1994 ihr Sekretär war, als sie Stadträtin in Stockholm war, berichtet in der RFSL-Zeitschrift Kom ut von ihrer großen Unterstützung, als er 1992 durch künstliche Befruchtung gemeinsam mit einem lesbischen Paar ein Kind bekam. Er verweist aber auch auf den großen Einsatz Lindhs für Lesben- und Schwulenrechte als Außenministerin. Die meisten würden gar nicht ahnen, wie groß dieser gewesen sei. Sie war die erste schwedische Außenministerin, die diese Frage auf internationaler Ebene zur Sprache gebracht hat. Nicht zuletzt ihr sei es zu verdanken, daß heute an etlichen schwedischen Botschaften im Ausland eingetragene Partnerschaften geschlossen werden können.

Und in QX, einer schwedischen LSBT-Monatszeitschrift, berichtet Sverker Åström, ehemaliger Spitzendiplomat des schwedischen Außenamts, für das er zwischen 1939 und 1982 tätig war, und der jetzt mit 87 Jahren als homosexuell herausgekommen ist, über seine letzte Begegnung mit Lindh zwei Tage vor dem Attentat. Er traf sie im Außenministerium und erzählte ihr, daß er sich in Svenska Dagbladet offiziell als Schwuler outen werde. Lindh habe ihn daraufhin umarmt und bestärkt. Anlaß für Åströms öffentliches Coming-out war die Herausgabe seiner Memoiren, Ögonblick, in dem er über bedeutende Ereignisse aus einem halben Jahrhundert schwedischer Diplomatie berichtete, vom Zweiten Weltkrieg, vom ebenfalls homosexuellen UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, der bei einem mysteriösen, bis heute ungeklärten Flugzeugabsturz im Kongo ums Leben kam, und von den Spionageaffären mit der Sowjetunion. Den größten Spionageschaden für Schweden durch den Spion Wennerström konnte er im übrigen nicht verhindern, weil der schwedische Geheimdienst ihn nicht in den Verdacht gegen Wennerström einweihte. Wäre er darüber informiert gewesen, hätte er verhindert, daß Wennerström Einblick in die geheimsten Akten des Außenministeriums bekam. Der Geheimdienst hegte nämlich großen Argwohn gegen Åström wegen dessen Homosexualität, die intern bereits damals bekannt war.

Anna Lindh hat die Diskriminierung von Lesben und Schwulen auch bei Staatsbesuchen thematisiert, und erst vergangenes Frühjahr sprach sie sich in der UNO-Menschenrechtskommission wieder für die Achtung der Rechte von homo- und bisexuellen Menschen aus und stellte klar, daß Schweden die Diskriminierung keiner Gruppe akzeptieren werde. Zur Zeit der EU-14-Maßnahmen gegen die blau-schwarze Regierung in Österreich unterschrieb sie ihre Briefe an die HOSI Wien selbst. Und am 9. Februar 2001 antwortete Lindh auf eine schriftliche Anfrage im schwedischen Reichstag, welche Maßnahmen Schweden während seines EU-Ratsvorsitzes im ersten Halbjahr 2001 zu setzen gedenke, um Österreich zur Aufhebung des § 209 zu bewegen: Diskriminierung und Bestrafung von Menschen ausschließlich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung stehen im Widerspruch zum grundlegenden Prinzip der Gleichheit und Gleichberechtigung aller Menschen. (…) Gesetze, die Homosexuelle diskriminieren, sind klarerweise inakzeptabel. (…) Selbstverständlich muß die gleiche Altersgrenze für homosexuelle, lesbische und heterosexuelle Beziehungen gelten (Übersetzung durch den Autor dieser Zeilen). Schweden werde weiterhin in jenen Zusammenhängen, wo es aktuell und der Sache am besten dienlich ist, z. B. im Rahmen des Europarats, Diskriminierungen, wie sie beispielsweise im österreichischen Strafgesetz bestehen, zur Sprache bringen [vgl. LN 2/2001, S. 11 ff].

Anna Lindh war überzeugt, daß sie mit ihrem Eintreten für die Menschenrechte zu Veränderungen beitragen könnte. Im Interview mit Kom ut meinte sie: „Ich glaube, daß es etwas bringt, unablässig zu reagieren. Man kann die Veränderungen sehen, auch wenn es eine Zeit dauert.“

Eine von Lindhs Lieblingssängerinnen war übrigens Schwedens offen lesbischer Rockstar Eva Dahlgren, die wir im letzten LN special (S. XII) vorgestellt haben. Sie sang dann auch auf der Großdemonstration am Stockholmer Sergels torg am 12. September und eine Woche später bei der offiziellen Trauerfeier im Rathaus ihr wunderschönes und berührendes Lied Ängeln i rummet, der Engel im Zimmer, für die ermordete Außenministerin.

 

Neonazi-Problem

Im Zuge der Fahndung nach dem Täter und der massenmedialen Berichterstattung darüber rückte das massive Problem ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, das Schweden mit seiner Neonazi-Szene hat. Dieses war übrigens beim Stockholm Pride im Juli/August wieder virulent geworden, wo es zwei Zwischenfälle gab. Am 30. Juli wurde Mike Anderson, 31, vor der Stockholmer Oper von fünf bis sechs jungen Männern überfallen, als er gerade die erste seiner schwul/lesbischen Stadtführungen im Rahmen des Pride-Programms vorbereitete. Zuerst fragten sie ihn, ob er der schwule Fremdenführer sei. Als er bejahte, schlugen sie ihn brutal nieder. Er mußte zur Behandlung ins Spital gebracht werden.

Bei der Parade am 2. August attackierten dann rund 30 Skinheads TeilnehmerInnen mit Steinen und Flaschen. Ein Teilnehmer wurde am Kopf verletzt und mußte ebenfalls ins Krankenhaus gebracht werden.