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In die Winde gereimt: Koffer stellt Koffer ab

Veröffentlicht am 15. Januar 2002
Wolf Martin, alias Wolfgang Martinek (1948–2012), war als Reime-Autor der Kronen-Zeitung („In den Wind gereimt“) bekannt und berüchtigt. 2001 gab er einen Sammelband heraus, und mehrere Wochenmagazine veröffentlichten aus diesem Anlass Interviews, in denen er seine frühe Verbindung zur HOSI Wien erwähnte. Ich nahm dazu in den LN 1/2002 korrigierend Stellung.

Wolfgang Martinek (2. v. r.) besuchte gelegentlich die Treffen der HOSI Wien, die 1979/80 – bis zur Eröffnung des HOSI-Zentrums – noch im damaligen Treibhaus im 5. Bezirk stattfanden. Dieses Foto erschien erstmals in profil vom 31.12.1979, das damals über die Gründung der HOSI Wien berichtete. Mit auf dem Foto: HORST KREUZAHLER (1954–2021), FLORIAN SOMMER (sitzend), WOLFGANG FÖRSTER, REINHARDT BRANDSTÄTTER (1952–1992) und ganz rechts DIETER SCHMUTZER.

Wolf Martin hat vor kurzem seine gereimten Winde, die sogar der Kronenzeitung zu scharf für eine Veröffentlichung waren, unter dem Sammelband Diabolische Verse herausgegeben. Anlaß genug für die Wochenmagazine Falter, FORMAT und profil, Hans Dichands Haus- und Hof-Reimer zu porträtieren. Der Falter (# 48 vom 28. 11. 2001) versuchte, sich dem Phänomen gleich auf drei vollen Seiten anzunähern: Als Schwuler kämpfte er gegen Diskriminierung. Heute hetzt Wolf Martin in der „Krone“ gegen jene, deren Lebensentwürfe er nicht verstehen will. Was ist da passiert? wollte die Stadtzeitung der Wandlung Wolf Martins vom Linken (er schrieb früher auch fürs FORVM) zum Parade-Rechten auf den Grund gehen.

 

Von der HOSI abgewendet

Aufschluß sollte ein Interview geben. Wolf Martin wurde auch zu seinem Verhältnis zur HOSI Wien befragt. Bei der HOSI war ich aufgrund meiner nach wie vor bestehenden Überzeugung, daß gegen die Kriminalisierung der Homosexualität etwas gemacht werden müsse, gab er zu Protokoll. Abgewandt hätte er sich von der HOSI dann, weil die Organisation zu wenig transparent war und AIDS von leitenden Personen in Gesprächen verharmlost wurde. Solange es nur irgendwie ging, wurden die Meldungen über diese Seuche als „schwulenfeindliche Hysterie“ der Medien abgetan und danach getrachtet, das, was nicht mehr abzustreiten war, politisch zu instrumentalisieren. Dies hatte zur Folge, daß viele nicht zeitgerecht Schutzmaßnahmen ergriffen und so der Krankheit zum Opfer fielen. Kein Wort über Kondome, obwohl dies nahegelegen wäre.

Diese Vorwürfe konnten wir natürlich nicht auf uns sitzen lassen – ein entsprechender Leserbrief erschien in der folgenden Ausgabe des Falters. Denn genau das Gegenteil trifft zu: Die HOSI Wien hat Anfang der 1980er Jahre die AIDS-Politik in Österreich ganz entscheidend mitgeprägt und dabei höchste Verantwortung gezeigt. Unter den vielen Dingen, auf die wir als HOSI Wien stolz sein können, gehört wohl unser Reagieren auf das „Phänomen“ AIDS zu jenen, auf die wir ganz besonders stolz sein können.

 

AIDS-Politik entscheidend mitgeprägt

Die HOSI Wien hat 1983 gemeinsam mit der Wiener Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundheit die erste AIDS-Informationsbroschüre über AIDS in ganz Europa herausgegeben. Ende 1984/Anfang 1985 war die HOSI Wien maßgeblich an der ersten größeren HIV-Durchseuchungsstudie in Europa mit Ko-Faktoren-Erhebung unter schwulen Männern beteiligt. 1985 wurde dann unter tatkräftiger Unterstützung der HOSI Wien und insbesondere unter Beteiligung von drei HOSI-Mitarbeitern die Österreichische AIDS-Hilfe gegründet. Diese Pionierarbeit ist bestens dokumentiert, und niemand, der damals mit dem Thema zu tun hatte, wird wohl die führende und wichtige Rolle der HOSI Wien daran bestreiten. Dieser verantwortungsbewußte gesundheitspolitische Einsatz der Schwulen- und Lesbenbewegung blieb bis heute indes von der Politik und zum Teil auch von der Gesellschaft unbedankt (man braucht sich ja nur die rechtliche Situation anschauen). Keine andere Gruppe, die soviel für die Gesellschaft geleistet hat, hätte man so zu behandeln gewagt wie uns Homosexuelle. Umso ärgerlicher sind daher Wolf Martins Vorwürfe, wobei zu vermuten ist, daß er Schuldige für seine eigene Krankheit, ja für sein patschertes mieselsüchtiges Leben insgesamt sucht. So leid er uns tut – wir können uns unsere Verdienste von ihm nicht schmälern lassen.

Mit heutigem Wissensstand ist es natürlich leicht, im nachhinein klug zu sein. Damals gab es eine unglaubliche, heute unvorstellbare Medienhysterie zu AIDS (Stichwort: „Schwulenseuche“). Die HOSI Wien hat immer gegen diese Hysterie angekämpft und angeschrieben, aber dabei AIDS und die Problematik nie geleugnet. Wir haben allerdings, das stimmt, die Dimensionen immer zurechtgerückt – zwei an AIDS Verstorbene in Österreich 1983 machten eben keine Epidemie. Das ist aber keine Verharmlosung der Krankheit! Das AIDS hervorrufende Virus wurde erst im Mai 1983 gefunden, aber noch Jahre danach wurde die Virus-Ursache in Frage gestellt. Mit der Entdeckung des Virus waren auch keineswegs die Übertragungswege sofort geklärt. Daher lautete die Präventionsbotschaft ganz zu Anfang „weniger Sexualpartner“, von Kondomen war erst später die Rede. Es war in der Tat kein einfacher Spagat zwischen Aufklärung und Warnung und dem Zurückdrängen homophober Anwandlungen von Scharfmachern.

Zudem ist es hochgradig naiv, anzunehmen, die Leute hätten sofort ganz rational entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen, hätte die HOSI Wien oder sonst jemand bloß dazu aufgefordert. Das tun ja viele nicht einmal heute noch! Gott sei Dank hatten wir in der HOSI Wien nie so weltfremde Vorstellungen darüber, wie AIDS-Prävention funktionieren kann.

Was Wolf Martin damit meint, wir hätten das, was nicht mehr abzustreiten war, politisch zu instrumentalisieren versucht, ist nicht ganz klar. Wenn er meint, wir hätten AIDS schamlos dazu mißbraucht, die gesellschaftliche Lage von Schwulen zu verbessern und Homosexualität zu enttabuisieren, dann hat er allerdings recht – und diese beabsichtigte Nebenwirkung ist ja fast genial gewesen. Hätten wir uns lieber tatenlos von der homophoben Hysteriewelle überrollen lassen sollen – inklusive Zwangsmaßnahmen, Zwangstests, Tätowierung, Isolierung, Weg- und Einsperren?

 

Zu wenig transparent

Nicht minder merkwürdig ist Wolf Martins Bemerkung, die HOSI Wien sei „zu wenig transparent“ gewesen. Die HOSI Wien war und ist ein Verein mit ganz herkömmlichen Strukturen, keine Geheimloge. Niemand macht ihm einen Vorwurf, daß er nicht mehr zu den Treffen gekommen ist (aktiv engagiert im Sinne von harter Knochenarbeit hat er sich eh nie, und Mitglied war er auch nie, Beiträge sind uns dadurch also auch nicht entgangen) – er muß sich dafür doch um Gottes willen nicht rechtfertigen! Viele kommen nicht mehr in die HOSI, nachdem sie ihr Coming-out beendet oder bei uns den Traumprinzen gefunden bzw. (auch) bei uns vergeblich gesucht haben.

Im FORMAT-Interview (# 48 vom 26. 11. 2001) kam Wolf Martins Gastspiel in der HOSI Wien nicht zur Sprache, in der Bild-Unterschrift wurde er jedoch sogar als Mitbegründer der HOSI Wien vorgestellt. Auch das mußten wir dementieren (der Leserbrief erschien in der Ausgabe # 50 vom 10. 12. 2001). Wolf Martin war weder Proponent noch Mitbegründer und auch nie Funktionsträger der HOSI Wien. Er hat in den Anfangszeiten des Vereins gelegentlich die wöchentlichen, für jedermann zugänglichen Treffen im damaligen Treibhaus im 5. Bezirk besucht, war aber in keine regelmäßigen Vereinstätigkeiten involviert. Für die LAMBDA-Nachrichten verfaßte er eine Art „Homoskop“: Er stellte die einzelnen Sternzeichen aus „schwuler Perspektive“ vor. Da die LN auch damals nur vierteljährlich (1980, 1981 und 1983 auch nur dreimal) erschienen und Wolf Martin die Kolumne nicht immer rechtzeitig ablieferte, dauerte es von der Ausgabe 1/1980 bis zur Ausgabe 1/1984, bis alle zwölf Sternbilder abgehandelt waren. Auch bei den LN war er sonst nicht aktiv.

 

Nach Martineks Tod im April 2012 stellten wir in einer Kurzmeldung in den LN 2/2012, S. 19, die Dinge abermals klar, um einer Legendenbildung entgegenzuwirken:

 

Wolfgang Martinek gestorben

 

Krone-Reimer Wolf Martin ist am 12. April verstorben. In den medialen Nachrufen bzw. Berichten über sein Ableben wurde einmal mehr seine „Vergangenheit“ in der HOSI Wien erwähnt, meist allerdings in nicht ganz korrekter Form. Daher hier noch einmal eine Klarstellung: Ja, Martinek hat in der Tat in den LN von 1980 bis 1984 eine Sternbild-Kolumne betreut. Allerdings war er nie Redakteur der LN. Martinek war auch nie Mitglied der HOSI Wien, ja man kann ihn wohl nicht einmal als Aktivisten bezeichnen. Er nahm zwar an den ersten Treffen der Gruppe, die dann später die HOSI Wien gründete, teil, hatte aber nie eine Funktion inne.

Es stimmt auch nicht, wie vielfach behauptet wird (z. B. auf Wikipedia), dass wir ihn erst 1995 als Schwulen geoutet hätten, nachdem er auch Gedichte mit homophobem Inhalt veröffentlich hatte. Wir haben angesichts seiner damals schon reaktionären bis faschistoiden (aber bis dahin noch nie homophoben!) Reime in der Kronen-Zeitung Martineks publizistische LN-Vergangenheit vielmehr bereits in der LN-Ausgabe 3/1990 (S. 36) erwähnt.