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§ 209: Verfassungsgerichtshof setzt auf Zeitgewinn

Veröffentlicht am 15. Januar 2002
Der Antrag des Oberlandesgerichts Innsbruck auf Aufhebung des § 209 wurde im November 2001 zurückgewiesen. Der VfGH steckte in der Tat in einem veritablen Dilemma – immerhin hatte er 1989 die Verfassungsmäßigkeit des § 209 festgestellt –, wie ich in diesem Beitrag in den LN 1/2002 neuerlich im Detail ausführte.

Am 4. Dezember 2001 gab der Verfassungsgerichtshof seine am 29. November getroffene Entscheidung in Sachen § 209 bekannt: Der Antrag des Oberlandesgerichts Innsbruck auf Aufhebung des § 209 wurde zurückgewiesen.

 

Veritables Dilemma

Wie wir in den letzten LN ausführlich dargelegt haben (S. 6 ff), befindet sich der VfGH in einem riesigen Dilemma, denn bereits 1989 hatte er in einer von der HOSI Wien unterstützten Individualbeschwerde auf Verfassungskonformität des § 209 erkannt. Entschiede der VfGH jetzt anders, würde er sich selbst desavouieren und sein damaliges Erkenntnis als Fehlurteil klassifizieren. Andererseits ist es völlig undenkbar, daß er heute die Verfassungsmäßigkeit des § 209 bestätigte, ohne sich international lächerlich zu machen. Und überdies besteht die Gefahr, dann in ein paar Monaten vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, wo mehrere 209er-Verfahren bereits anhängig sind, erst recht korrigiert zu werden.

Die VerfassungsrichterInnen haben es daher also vorgezogen, sich mit einem formalistischen Trick vor einer neuerlichen inhaltlichen Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 209 zu drücken und sich – vorerst – auf diese Art aus der Affäre zu ziehen. Das OLG Innsbruck habe, heißt es im Beschluß des VfGH, in seinem Antrag nicht im einzelnen dargelegt, daß sich jene „maßgebenden Expertenmeinungen“ und „Erfahrungstatsachen“, auf die sich der Gesetzgeber bei seiner Regelung gestützt hat, derart geändert hätten, daß der Gesetzgeber dadurch, daß er den § 209 StGB unverändert in Geltung belassen hat, nunmehr die Grenzen jenes Spielraums überschritten hätte, der ihm nach dem erwähnten Vorerkenntnis bei Festlegung eines höheren Schutzalters für homosexuelle Kontakte männlicher Jugendlicher (…) zukommt. (Der volle Wortlaut des Beschlusses mit der Aktenzahl G 190/01 findet sich hier.)

 

Juristische Spitzfindigkeiten

Aus dem Juristendeutsch übersetzt: Das OLG hat gepfuscht und seinen Antrag schlampig begründet. Hätte der VfGH indes inhaltlich prüfen wollen, hätte er sich aus dem vielleicht nicht gerade optimal formulierten Antrag des OLG natürlich durchaus auch Argumente für eine Annahme und Prüfung des Antrags zurechtzimmern können. Und selbst wenn es ein wenig konstruiert gewesen wäre – kein Hahn hätte danach gekräht, immerhin geht es hier um menschlich Schicksale und nicht um juristische I-Tüpferl-Reiterei! Aber offenbar war die Zurückweisung in mehrfacher Hinsicht die angenehmere Lösung für den VfGH: Zum einen kann er damit Zeit schinden. Möglicherweise dachten sich die HöchstrichterInnen auch, eine Zurückweisung würde das OLG entmutigen und dieses würde keinen neuerlichen Antrag einbringen, womit sie die Sache dann überhaupt vom Hals hätten. Und wenn Straßburg ein Erkenntnis aus 1989 aufhebt, ist das den RichterInnen sicherlich weniger peinlich, als wenn es ein ganz aktuelles wäre. Dann könnten sie immer noch sagen: Naja, die Zeiten haben sich halt geändert… Das wäre zweifellos die angenehmste Variante für den VfGH, aus besagtem Dilemma herauszukommen.

Zum anderen mag wohl eine profane, praktische Überlegung der VerfassungsrichterInnen eine Rolle gespielt haben: Sie waren offenbar zu faul, die Begründungen für eine mögliche Korrektur ihres Fehlurteils aus 1989 auch noch selber zu verfassen, und spielten den Ball deshalb zurück ans OLG: Dieses sollte gefälligst zitierfähige fertige Begründungen liefern, die der VfGH einfach nur mehr im Cut-and-paste-Verfahren in sein Erkenntnis zu übernehmen bräuchte, wenn er sein Fehlurteil aus 1989 schon über den Haufen werfen sollte!

 

Charakterlose Menschenverachtung

Die Vorgangsweise des VfGH hat jedenfalls seinen Ruf als reaktionäre Einrichtung aufs neue bestätigt. Österreichs Höchstgerichte gehören bekanntlich ja zu jenen, die am häufigsten in Straßburg korrigiert werden, weil sie immer schon die Menschenrechtskonventionen äußerst restriktiv ausgelegt haben und den Menschen offenbar nur das absolute Mindestmaß an Menschenrechten gewähren wollen. Im Falle des § 209 geht es aber nicht nur um mangelnde Großzügigkeit in der Auslegung der Konventionen, sondern um pure Menschenverachtung und damit um Charakterlosigkeit. Denn nichts anderes ist es, wenn sich die VerfassungsrichterInnen, denen natürlich selbst längst klar ist und die es am allerbesten wissen, daß diese Bestimmung nicht mehr zu halten ist, mit solchen läppischen Mätzchen gegen eine sofortige Aufhebung des menschenrechtswidrigen Paragraphen stellen. Sie kümmert es offenbar nicht im geringsten, wie viele Menschen noch ins Gefängnis geworfen werden und wie vielen ihre bürgerliche Existenz damit noch beeinträchtigt und mitunter vernichtet wird, bis § 209 endlich aufgehoben wird, was in der Tat nur mehr eine Frage der Zeit sein kann. Diese Leute würden wahrscheinlich auch über Leichen gehen.

 

Kein Respekt

Derartiges Verhalten nötigt einem jedenfalls nicht die geringste Achtung für die VerfassungsrichterInnen ab. Entsprechend kritisch fielen auch ein Kommentar der anderen vom Autor dieser Zeilen, der zwei Tage nach Bekanntwerden der Antragsablehnung im Standard vom 6. Dezember erschien, sowie seine Replik auf einen Leserbrief dazu (Der Standard vom 13. bzw. 10. 12.) aus. Die berechtigte Kritik am VfGH wurde leider kurz darauf durch die unhaltbaren Angriffe Jörg Haiders auf die VerfassungsrichterInnen nach deren Erkenntnis in Sachen zweisprachige Ortstafeln in Kärnten untergraben. Viele solidarisierten sich mit den RichterInnen, manche erklärten deren Entscheidungen gar für „sakrosankt“. Jörg Haider ist natürlich eine schlechte Gesellschaft, und seine Angriffe in dieser Sache sind klarerweise jenseits von gut und böse, aber das sollte dennoch nicht den Blick darauf verstellen, daß der VfGH eben eine konservativ bis reaktionäre Spruchpraxis hat, die sich keinem umfassenden und weiten Begriff der Menschenrechte verpflichtet fühlt. Haider hat sich in dieser Frage mit seiner kindisch-trotzigen, jedoch eindeutig rechtswidrigen Forderung, Kärntner Wegweiser nach slowenischen Orten nur mehr mit den deutschen Ortsnamen zu beschriften, aber ohnehin endgültig als durchgeknallte schrille Polit-Tunte ins Abseits manövriert.

Die HOSI Wien jedenfalls wird dennoch nicht in ihrer Kritik am VfGH in Sachen § 209 nachlassen und ihrer Forderung nach sofortiger Aufhebung vor der nächsten Session des VfGH im März 2002, bei der vermutlich der neu einzubringende Antrag des OLG Innsbruck auf der Tagesordnung stehen wird, entsprechend Nachdruck verleihen. Dazu planen wir, international angesehene Persönlichkeiten aus dem Bereich der Menschenrechte dafür zu gewinnen, sich vor dieser neuerlichen Entscheidung in einem Appell an die VerfassungsrichterInnen zu wenden und die Aufhebung des § 209 zu fordern.