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ILGA-Europa: „Botschaft“ in Brüssel eröffnet

Veröffentlicht am 31. Juli 2001
Im Juni 2001 eröffnete der europäische Lesben- und Schwulenverband ILGA-Europa offiziell sein Büro in Brüssel. Claudia Roth bezeichnete es als die „Botschaft von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen“. Ein weiterer Meilenstein in der Erfolgsgeschichte der jungen NGO. Ich berichtete über das Event in den LN 3/2001.

Das neue Logo der ILGA-Europa, gestaltet von CHRISTIAN HÖGL

Viel Polit-Prominenz bei der Eröffnung der schwul/lesbischen Botschaft in Brüssel: in der Mitte die beiden sozialdemokratischen MdEP MICHAEL CASHMAN (Vereinigtes Königreich) und JOKE SWIEBEL (Niederlande), links ILGA-Europa-Mitarbeiterin METTE VADSTRUP

Die grüne Bundestags- und ehemalige EU-Abgeordnete Claudia Roth schaute auch bei der Büroeröffnung vorbei – vorne rechts Michael Cashman, in der Mitte PIERRE NOËL, Aktivist aus Belgien.

ALECOS MODINOS aus Zypern

Die Fahne mit dem neuen Logo hing vom Balkon des Büros in der Brüsseler Tervurenlaan 94.

Bericht über die Situation von Lesben und Schwulen in den EU-Kandidatenländern, die 2004 bzw. 2007 schließlich beigetreten sind

Cover der ersten Ausgabe des „ILGA-Europe Newsletter“

Wie berichtet (vgl. LN 4/2000, S. 36 ff), erhält der europäische Lesben- und Schwulenverband ILGA-Europa seit 1. Dezember 2000 Basisfinanzierung von der Europäischen Kommission. Die budgetierte Inbetriebnahme eines Büros in Brüssel und die Anstellung zweier MitarbeiterInnen wurde daher noch im Vorjahr in Angriff genommen. Da sich speziell die Aufnahme eines Normalbetriebs in den angemieteten Räumlichkeiten in der vornehmen Avenue de Tervueren Nr. 94 – übrigens nur ein paar Meter vom Wien-Haus in Brüssel entfernt gelegen – aufgrund von Renovierungsarbeiten im Gebäude (die Handwerker kappten zwischendurch schon mal die Telefonleitungen) immer wieder verzögerte, beschloß der Vorstand, die offizielle Eröffnung des Büros, in dem die beiden Angestellten bereits seit Mitte Februar arbeiteten, gleich auf den Juni zu verschieben: Da gab’s mit dem 27. Juni ein passendes Datum – Christopher Street Day –, und außerdem fand am 28. Juni im Europa-Parlament eine von der Intergruppe für die Gleichstellung von Lesben und Schwulen organisierte Anhörung zum Thema EU-Erweiterung aus lesbisch/schwuler Perspektive statt. Aus diesem Anlaß waren je zwei VertreterInnen der Bewegung aus den Beitrittsländern, inklusive aus Malta und Zypern, in der Stadt und konnten an der Eröffnung gleich teilnehmen.

In den drei Räumen des rund 70 m2 großen Büros drängten sich dann die Gäste am Höhepunkt der Party. Rund 80 waren wohl gekommen – VertreterInnen der Kommission, insbesondere aus der für die Antidiskriminierungsarbeit zuständigen Generaldirektion Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, aber auch aus der GD Erweiterung; Abgeordnete des Europäischen Parlaments: JOKE SWIEBEL aus den Niederlanden und MICHAEL CASHMAN aus dem Vereinigten Königreich, beide SP und Vorsitzende der genannten Intergruppe, Cashman hielt auch eine kurze Ansprache, sowie Lousewies van der Laan, niederländische Liberale. Auch einige AssistentInnen von EP-Abgeordneten waren gekommen, etwa HEIN VERKERK von den niederländischen Grünen, ein ILGA-Pionier, oder jene der österreichischen SP-Abgeordneten Christa Prets.

 

Schwul/lesbische Botschaft

Zufällig in Brüssel weilte an diesem Tag auch Claudia Roth, Bundesvorsitzende der deutschen Grünen und ehemalige EP-Abgeordnete, auf deren Bericht die bahnbrechende Entschließung des Europa-Parlaments vom Februar 1994 zurückgeht (vgl. LN 2/1994, S. ff). Sie ließ es sich nicht nehmen, zur Eröffnung zu kommen, was für viele natürlich eine große und erfreuliche Überraschung war. Roth hielt ebenfalls eine kurze Ansprache und freute sich, daß nach all den Jahren des Kampfes und Lobbying endlich dieser Meilenstein erreicht werden konnte. Sie bezeichnete das neue Büro als Botschaft von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans-Gender-Personen in Brüssel, was natürlich sofort ein geflügeltes Wort wurde. Auch der ILGA-Europa-Vorstand redet jetzt nur mehr von „der Botschaft“, wenn er das Büro meint.

Gekommen waren auch viele VertreterInnen anderer in Brüssel beheimateter NGOs, mit denen ILGA-Europa in den letzten Jahren speziell im Rahmen der Plattform europäischer Sozial-NGOs zusammengearbeitet hat, sowie auch etliche frühere ILGA-AktivistInnen, etwa aus England, die schon bei der Gründung 1978 dabei waren und zufrieden diese Entwicklung beobachteten – mit von der Partie war aber auch die frühere ILGA-Generalsekretärin INGE WALLAERT aus Belgien, TOM HOEMIG, der das Büro der ILGA-Welt in Brüssel leitet, und ERNST STROHMEYER, ILGA-Veteran aus der HOSI Linz, der extra angereist war und Geschenke überbrachte.

 

Hearing im Parlament

Dem Erweiterungshearing ging am 27. Juni eine Pressekonferenz im EP-Pressezentrum voraus. Joke Swiebel und Michael Cashman sowie drei Vorstandsmitglieder der ILGA-Europa – NIGEL WARNER, ADRIAN COMAN und TATJANA GREIF, die beiden letzteren aus Slowenien und Rumänien, zwei Beitrittsländern – referierten über den Zweck der Anhörung am nächsten Tag und die Situation von Lesben und Schwulen in den Kandidatenländern. ILGA-Europa hatte im März 2001 nicht nur einen 100seitigen Bericht zu diesem Thema verfaßt, sondern davon eigens für das Hearing eine Zusammenfassung erstellt. Darüber hinaus wurden Berichte über Untersuchungen des Ausmaßes von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung in vier Ländern – Polen, Rumänien, Slowenien und Ungarn – präsentiert. Diese Fragenbogen-Untersuchungen unter Lesben und Schwulen wurden ebenfalls mit Unterstützung des Open Society Institute, Budapest, durchgeführt und ausgewertet. Zum Teil kamen erschreckende Ergebnisse zu Tage.

Das ganztägige Hearing am 28. Juni selbst war ein voller Erfolg. Auf mehreren Podien wurde die Frage der Achtung der Menschenrechte von Lesben und Schwulen im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung erörtert. Neben EP-Abgeordneten, den beiden ILGA-Europa-VertreterInnen Tatjana Greif und Adrian Coman und den Lesben- und SchwulenvertreterInnen aus den Kandidatenländern sprachen auch eine Vertreterin des Erweiterungskommissars Günter Verheugen sowie die für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten zuständige Kommissarin Anna Diamantopoulou, die der ILGA-Europa ausdrücklich für ihre Arbeit in Zusammenhang mit der Informationszusammenstellung dankte.

Die genannten ILGA-Berichte wurden u. a. auch an die Vertretungen der Kandidatenländer in Brüssel, die Delegation der Kommission in diesen Ländern, an die maßgeblichen Stellen in der GD Erweiterung, den BerichterstatterInnen zu den einzelnen Ländern im EP und an den belgischen Ratsvorsitz übermittelt. Verheugen dankte der ILGA-Europa in einem Schreiben und versicherte, daß dieser Frage im Erweiterungsprozeß „volle Aufmerksamkeit“ beigemessen werde.

 

Neue Möglichkeiten

Wie sehr sich die Arbeit der beiden Angestellten – im übrigen: METTE VADSTRUP, eine dänische Juristin, die die Funktion des Information Officer wahrnimmt, und OLIVIER COLLET, ein Belgier, der als Administration Officer fungiert – auf den Output niederschlägt, wurde bereits in den ersten Monaten deutlich, obwohl noch viel Zeit und Energie für die Er- und Einrichtung des Büros draufging. Die Kontakte zur oben erwähnten Plattform, insbesondere aber zu EP-Abgeordneten und ihren MitarbeiterInnen sind jetzt viel systematischer und konsequenter, ebenso zur Kommission. Das hat sich etwa bei der Resolution über die Grundrechte in der EU vom 5. Juli gezeigt (vgl. Bericht ab S. 28) oder auch bei den logistischen und inhaltlichen Vorbereitungen für das neue EU-Netzwerk der ILGA-Europa: VertreterInnen von Mitgliedsorganisationen aus jedem EU-Staat haben sich bereit erklärt, mit ILGA-Europa bei spezifischen EU-Aktivitäten zusammenzuarbeiten und das Lobbying auf nationaler Ebene mit dem Lobbying in Brüssel zu koordinieren. Beides ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit, denn letztlich sind es ja die Regierungen der Mitgliedsstaaten, die die meisten Entscheidungen treffen.

Ein erstes Seminar dieses neuen Netzwerks, in dem die HOSI Wien durch den Autor dieser Zeilen vertreten ist, fand am 14. und 15. Juli 2001 in Brüssel statt. Dabei wurden die anstehenden großen gemeinsamen Lobbying-Projekte erörtert: die Implementierung der Beschäftigungsrichtlinie 2000/78/EG in allen Mitgliedsstaaten (vgl. zuletzt LN 1/2001, S. 36 ff), die Teilnahme am Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierung 2001–2006 sowie das Lobbying hinsichtlich etlicher Vorschläge der Kommission zur Freizügigkeit und Familienzusammenführung sowie zu Asylfragen, die gerade erörtert werden und wo es gilt, die lesbisch/schwulen Anliegen möglichst durchzusetzen. In diesem Zusammenhang hatte ILGA-Europa am 16. Juli auch einen Gesprächstermin im Kabinett von Kommissar António Vitorino, der für Justiz und Inneres zuständig ist. Übrigens wurde das Seminar von der den deutschen Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung mit DM 20.000,– unterstützt.

Was diese offiziellen Termine betrifft, müssen diese nach wie vor von den Vorstandsmitgliedern wahrgenommen werden, etwa auch jener mit Vertretern der belgischen EU-Ratspräsidentschaft am 8. Juni – zum erstenmal ist es der ILGA-Europa gelungen, Vertreter des Vorsitzlandes noch vor der Übernahme der Präsidentschaft zu treffen; je früher ein solches Gespräch stattfindet, desto größer die Chancen, daß unsere Anliegen dann berücksichtigt werden. Insbesondere für die beiden Vorstandsvorsitzenden – JACKIE LEWIS aus London und den Autor dieser Zeilen – bedeutet das weiterhin, immer wieder nach Brüssel zu reisen. Für letzteren summierten sich die Brüssel-Flüge heuer bereits wieder auf neun.

 

Neue Publikationen

Der vermehrte Arbeitsoutput hat sich in den letzten Monaten vor allem an neuen Publikationen manifestiert. Im Mai erschien die erste Ausgabe des neuen vierteljährlichen ILGA-Europe Newsletter in englischer Sprache. Im Juni, rechtzeitig zur Eröffnung, wurde neben den genannten Berichten über die Beitrittsländer auch das neue Faltblatt über die Organisation in fünf Sprachen gedruckt (deutsch, englisch, französisch, italienisch und spanisch). Eine rumänische Version gibt es nur in elektronischer Form auf dem Website, eine portugiesische ist in Vorbereitung.

Alles in allem ein höchst erfolgreicher Start also in die neue Ära für ILGA-Europa. Als nächstes stehen die Vorbereitungen für die Jahreskonferenz im Oktober 2001 in Rotterdam an – und die völlige Überarbeitung des Website. Dieser ist in den letzten Jahren ziemlich unübersichtlich geworden und hat eine Generalüberholung dringend nötig. Leider mußte ILGA-Europa aufgrund von Personal- und Geldmangel bisher die Wartung des Website vernachlässigen – aber in ein paar Monaten wird er komplett runderneuert sein.