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Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen: Europa-Parlament verurteilt Österreich

Veröffentlicht am 18. April 2000
Im März 2000, mitten in der heißen Phase der Sanktionen der EU-14 gegen Österreich, „verurteilt“ das Europäische Parlament Österreich abermals und fordert zum bereits fünften Mal die Aufhebung des § 209 StGB. Ich war wieder an vorderster Front in das Lobbying in Straßburg und Brüssel involviert, wie ich in den LN 2/2000 ausführlich berichtete.

Das neue Louise-Weiss-Gebäude des Europäischen Parlaments in Straßburg, das 1999 in Betrieb genommen wurde.

Am 16. März 2000 verabschiedete das Europäische Parlament seinen Bericht und seine Entschließung zur Achtung der Menschenrechte in der EU für die Jahre 1998 und 1999. Österreich wurde einmal mehr aufgefordert, § 209 StGB aufzuheben und alle aufgrund dieser Bestimmung inhaftierten Personen unverzüglich aus den Gefängnissen zu entlassen. Die ÖVP-Abgeordneten stimmten – irrtümlich – der Forderung nach Aufhebung unterschiedlicher Mindestaltersgrenzen zu.

Die Entschließung des Europa-Parlaments über die Achtung der Menschenrechte in den Mitgliedsstaaten kam gerade rechtzeitig zu den europaweiten Debatten über die Sanktionen der EU-Staaten gegen Österreich und die Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen in diesem Land, immerhin hatte die HOSI Wien ihren Widerstand gegen die neue Regierung vor allem auf die europäische Ebene verlagert (siehe dazu den ausführlichen Bericht ab Seite 6 in diesem Heft).

Gerade deshalb war der Autor dieser Zeilen in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender des europäischen Lesben- und Schwulenverbands ILGA-Europa auch äußerst aktiv, um eine neuerliche Verurteilung Österreichs in diesem Bericht zu erwirken. Schon in der Phase der Berichtserstellung durch den liberalen dänischen Abgeordneten Bertel Haarder trat die ILGA-Europa mit ihm in Verbindung, um ihn speziell auch über die massiven Menschenrechtsverletzungen an Schwulen in Österreich zu informieren. Haarders ursprünglicher Entwurf enthielt nämlich nur zwei allgemein gehaltene Absätze zur Lesben- und Schwulendiskriminierung. Ich formulierte daher umfangreiche Verbesserungsvorschläge, die die ILGA-Europa auch an alle befreundeten Fraktionen und Abgeordneten für die Debatte und Abstimmung im EP-Ausschuß für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten am 24. Februar übermittelte. Sie wurden ersucht, entsprechende Abänderungsanträge im Ausschuß einzubringen, falls Haarder seinen Berichtsentwurf nicht entsprechend verbesserte.

 

Umfangreiche Verbesserungen

Dies geschah dann auch. Abgeordnete der Grünen, der SP-Fraktion und der Lista Bonino griffen praktisch alle Änderungsvorschläge auf und stellten Zusatzanträge, in denen Österreich nicht nur aufgefordert wurde, § 209 aufzuheben und alle deswegen Inhaftierten freizulassen, sondern in denen die Mitgliedsstaaten auch aufgerufen wurden, wegen § 209 verfolgten österreichischen Schwulen Asyl zu gewähren und gegen jene Mitgliedsstaaten, die menschenrechtswidrige unterschiedliche Mindestaltersgrenzen sowie Berufsverbote gegen Homosexuelle in der Armee weiterhin aufrechterhalten, Verfahren nach Artikel 7 EU-Vertrag (Suspendierung bestimmter Rechte der betroffenen Mitgliedsstaaten) einzuleiten. Im Ausschuß fielen diese Anträge aber Kompromissen zum Opfer, sodaß im endgültigen Entschließungsentwurf des Ausschusses Österreich nicht mehr namentlich erwähnt wurde. Auch die Forderungen in Hinblick auf Asyl und Artikel-7-Verfahren fanden keinen Eingang in den vom Ausschuß verabschiedeten Resolutionsentwurf.

Im Bericht selber steht unter der Überschrift Sexuelle Minderheiten im Kapitel II (Darstellung der Lage der Menschenrechte in der Union 1998 und 1999) folgende Passage:

In der gesamten Union gibt es immer noch eine Diskriminierung sexueller Ausrichtungen. Sie äußert sich in den Strafgesetzen, der Diskriminierung bei der Arbeitsplatzsuche und Gewalt gegen Homosexuelle. Homosexuelle Paare sind beispielsweise hinsichtlich des Erbrechts, der Steuererklärung und der Wohnbestimmungen benachteiligt. Von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat gibt es auch erhebliche Unterschiede in der Situation für diese Paare. Dies wirft Probleme hinsichtlich der gegenseitigen Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Paaren und ihrer Rechte in den einzelnen Mitgliedstaaten auf, es ist diskriminierend und behindert die Freizügigkeit innerhalb der Union. In einer Fußnote wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf Österreich hingewiesen (Aufforderung des UNO-Menschenrechtsausschusses vom November 1998). Das direkte Lobbying beim Berichterstatter und seine Versorgung mit Informationen waren also nicht umsonst.

 

Intensives Lobbying der ILGA-Europa

Mit den Kompromissen im Ausschuß jedoch keinesfalls zufrieden, wandte sich die ILGA-Europa nochmals an befreundete Abgeordnete und Fraktionen und ersuchte sie, für die Debatte im Plenum am 16. März 2000 neuerlich entsprechende Änderungsanträge einzubringen, was auch geschah. In der schließlich vom EP verabschiedeten Entschließung wurden zwar Asyl und Artikel-7-Verfahren nicht berücksichtigt, aber Österreich immerhin namentlich erwähnt und zum nunmehr fünften Mal aufgefordert, den menschenrechtswidrigen § 209 aufzuheben, und zum zweiten Mal, alle aufgrund dieser Bestimmung Inhaftierten unverzüglich zu begnadigen und aus den Gefängnissen freizulassen. Außerdem wurde die Aufforderung an die betroffenen Beitrittskandidatenländer, alle lesben- und schwulendiskriminierenden Strafrechtsbestimmungen aufzuheben, in die Resolution aufgenommen. Der genaue Wortlaut der für Lesben und Schwule relevanten Passagen der Entschließung findet sich in nebenstehendem Kasten [Anm.: hier im Anhang untenstehend].

 

Interessantes Abstimmungsverhalten

Einige Teile der Resolution sowie einige Abänderungsanträge wurden übrigens namentlich abgestimmt. Aus den Abstimmungsprotokollen ist ersichtlich, daß ein Großteil der Fraktion der Europäischen Volkspartei inklusive aller sechs anwesenden ÖVP-Abgeordneten – Marilies Flemming, Othmar Karas, Hubert Pirker, Paul Rübig, Agnes Schierhuber und Ursula Stenzel (Reinhard Rack fehlte offenbar während der gesamten Abstimmung) – für die Ziffer 59 im angenommenen Text (Ziffer 56 im Entwurf) stimmte (die Numerierung der Absätze im Entwurf ändert sich natürlich im verabschiedeten Text, da durch Änderungsanträge Absätze hinzugefügt bzw. gestrichen werden). Die Abgeordneten der SPÖ (Maria Berger, Herbert Bösch, Harald Ettl, Hans-Peter Martin, Christa Prets und Karin Scheele – Hannes Swoboda fehlte bei dieser einen Abstimmung) sowie Mercedes Echerer von den Grünen (Johannes Voggenhuber fehlte ebenfalls) stimmten diesem Passus ebenfalls zu. Von der FPÖ stimmte Gerhard Hager dagegen, Hans Kronberger und Daniela Raschhofer enthielten sich, Wolfgang Ilgenfritz und Peter Sichrovsky schwänzten die Abstimmung. Daß die ÖVP-Abgeordneten plötzlich für die Aufhebung unterschiedlicher Altersgrenzen und von Berufsverboten für Lesben und Schwule eintreten würden, konnten wir indes nicht glauben. Auf Anfrage der LAMBDA-Nachrichten teilte Hubert Pirker im Namen der ÖVP-Delegation mit, daß es sich dabei um ein Versehen handelte: Aufgrund eines Fehlers in der Abstimmungsliste des zuständigen Schattenberichterstatters habe ein Großteil der EVP-Abgeordneten irrtümlich für diesen Absatz gestimmt. Hätte uns ja wirklich gewundert… Durch dieses Versehen wurde die Ziffer mit einer überwältigenden Mehrheit von 355 Ja- gegen 57 Nein-Stimmen bei 12 Enthaltungen angenommen!

Beim Abänderungsantrag, der die Einfügung der späteren Ziffer 60 vorsah (Aufforderung an Österreich, § 209 zu streichen), war die Abstimmungsmaschinerie in der EVP wieder auf Schiene. Fast alle anwesenden EVP-Abgeordneten stimmten gegen den Antrag, fünf enthielten sich, zwei stimmten sogar zu: Bartho Pronk aus den Niederlanden und – siehe da – Paul Rübig! Er hat sein Abstimmungsverhalten im Protokoll nicht berichtigen lassen. Von der SPÖ stimmten alle sieben dafür (Swoboda war diesmal anwesend), ebenso Echerer von den Grünen, die drei FPÖlerInnen stimmten dagegen. Der Antrag wurde jedenfalls mit 252 Ja- gegen 167 Nein-Stimmen bei 16 Enthaltungen angenommen. Eingebracht hatte ihn JOKE SWIEBEL, eine offen lesbische Abgeordnete der niederländischen Arbeiterpartei, im Namen der SPE-Fraktion. Der Autor dieser Zeilen hatte im übrigen als ILGA-Europa-Vorsitzender am 10. Februar ein Gespräch mit Swiebel in Brüssel geführt, bei dem ihr auch ausführlich die Menschenrechtssituation in Österreich dargelegt wurde. Sechs Abgeordnete der Grünen hatten im Namen ihrer Fraktion einen ähnlichen Abänderungsantrag (Nr. 61) eingebracht, dieser war aber dann hinfällig und wurde nicht mehr abgestimmt. Swiebel brachte einen weiteren Antrag (Nr. 59) betreffend die Kandidatenländer ein – er wurde ohne namentliche Abstimmung angenommen (spätere Ziffer 76; siehe Kasten).

Als die gesamte Entschließung zur endgültigen Verabschiedung anstand, stimmte die Mehrheit der EVP dagegen, allerdings konnte sie – obwohl die größte Fraktion – die Annahme der Entschließung nicht verhindern. 265 Abgeordnete stimmten dafür, 125 dagegen, 33 enthielten sich. Unter den Neinstimmen auch alle anwesenden ÖVP- und FPÖ-Abgeordneten. Dafür stimmten alle sieben SPÖ-Abgeordneten sowie Mercedes Echerer.

 

Medienecho

Die Entschließung fand relativ breites Medienecho in Europa, was in erster Linie dem Vatikan und der orthodoxen Kirche Griechenlands zu verdanken ist. Der Vatikan erregte sich einmal mehr über die Aufforderung des Europa-Parlaments an die Mitgliedsstaaten, nicht verheirateten Paaren, darunter auch gleichgeschlechtlichen, dieselben Rechte einzuräumen wie Ehepaaren. Da das eigentlich seit 1994 Beschlußlage ist und in fast jedem jährlichen Menschenrechtsbericht des EP wiederholt wird, hielt sich das Medieninteresse daran in den letzten Jahren in Grenzen. Doch dank der diesjährigen negativen Reaktion des Vatikans wurde die Entschließung und ihr Inhalt diesmal wieder einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Etwas verspätet reagierte die orthodoxe Kirche in Griechenland. Erzbischof Christodoulos sprach sich am 25. März gegen die EP-Forderung aus: Gleichgeschlechtlichen Paaren Ehe-Status zu gewähren hieße, eine Sünde zu legalisieren. In den Berichten der internationalen Nachrichtenagenturen – etwa von Reuters – fand sich übrigens auch der Hinweis, daß Österreich vom EP aufgefordert wurde, § 209 StGB zu streichen.

 

„Lob“ für Österreich

Im Zusammenhang mit dem Haarder-Bericht haben sich österreichische Medien wieder einmal ein Armutszeugnis der Sonderklasse ausgestellt und einmal mehr unter Beweis gestellt, daß es ihnen an jeglichem Bewußtsein für die Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen mangelt. Bertel Haarder hat seinen Bericht Anfang März in Kopenhagen vorgestellt, und angesichts der internationalen Beobachtung Österreichs interessierten sich offenbar auch die Nachrichtenagenturen besonders dafür, wie Österreich darin abschneidet. Laut Haarder-Bericht, so Reuters, sei die Menschenrechtssituation in Österreich „nahezu tadellos“ [sic!]. „Lediglich [sic!] in zwei Punkten bestehe Anlaß zur Kritik“, hieß es da: Österreich habe die Charta für Regional- und Minderheitensprachen nicht unterzeichnet, und außerdem würden Homosexuelle in gesetzlichen Regelungen diskriminiert. Sowohl der Kurier (9. 3.) als auch der Standard und die Wiener Zeitung (vom 10. 3.) übernahmen die Agenturmeldung fast wortident, ohne sich offenbar dabei etwas zu denken. Die Wiener Zeitung verpaßte dem ganzen sogar noch die Überschrift „EP: Lob für Menschenrechte in Österreich“ – tolles Lob! Österreich tritt „eh nur“ die Menschenrechte von Homosexuellen mit Füßen – na, wenn’s weiter nichts ist. Tadellos! Immerhin: In Ruanda ist die Lage ja noch viel schlimmer!

 

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union 1998-1999 (Dokument A5-0050/2000)

Das Europäische Parlament,…

[Lebensformen und Beziehungsverhältnisse]

  1. fordert die Mitgliedstaaten auf, Familien mit einem Elternteil, nicht verheirateten Paaren und gleichgeschlechtlichen Paaren gleiches Recht wie traditionellen Paaren und Familien zu gewähren, was insbesondere das Steuerrecht, die Vermögensregelung, die sozialen Rechte usw. anbelangt;
  2. stellt mit Genugtuung fest, daß in sehr vielen Mitgliedstaaten eine rechtliche Anerkennung von nicht ehelichen Lebensgemeinschaften – unabhängig vom Geschlecht – üblich wird; fordert die Mitgliedstaaten auf, sofern sie dies noch nicht getan haben, ihre Rechtsvorschriften dergestalt anzupassen, daß registrierte gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften anerkannt werden und dieselben Rechte und Pflichten erhalten wie die registrierten Mann-Frau-Lebensgemeinschaften; fordert jene Staaten, in denen eine solche rechtliche Anerkennung noch nicht gegeben ist, dazu auf, ihre Gesetze dahingehend zu ändern, daß eine rechtliche Anerkennung von nicht ehelichen Lebensgemeinschaften – unabhängig vom Geschlecht – gegeben ist; hält es daher für erforderlich, rasche Fortschritte bei der gegenseitigen Anerkennung dieser verschiedenen gesetzlich anerkannten nicht ehelichen Formen des Zusammenlebens und der legalen ehelichen Beziehungen zwischen gleichgeschlechtlichen Personen in der Europäischen Union zu machen;
  3. stellt jedoch fest, daß europäische Bürger in ihrem Privat- und Berufsleben weiterhin unter Diskriminierungen und Benachteiligungen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung leiden; fordert daher die betroffenen Mitgliedstaaten wie auch die europäischen Institutionen auf, rasch Abhilfe zu schaffen;
  4. bedauert, daß es in einigen Mitgliedstaaten nach wie vor diskriminierende Bestimmungen bezüglich des Mindestalters für homosexuelle Beziehungen im Strafrecht gibt, insbesondere beim Militär, wenngleich diverse einschlägige Menschenrechtsorgane und das Europäische Parlament diese Bestimmungen verurteilt haben, und wiederholt seine Forderung nach einer Aufhebung dieser Klauseln;
  5. stellt mit Befriedigung fest, daß das Vereinigte Königreich sich anschickt, die einschlägigen Rechtsvorschriften abzuändern, stellt jedoch mit großer Besorgnis fest, daß Österreich nach wie vor Artikel 209 seines Strafgesetzbuches bei der strafrechtlichen Verfolgung von Homosexuellen anwendet; fordert Österreich erneut auf, diese diskriminierende Bestimmung abzuschaffen und alle Personen, die aufgrund dieser Bestimmung inhaftiert sind, zu amnestieren und freizulassen;

[Die Lage der Menschenrechte in den Bewerberländern]

  1. fordert die Bewerberländer auf, alle Menschenrechtsübereinkommen des Europarats zu ratifizieren, und fordert Bulgarien, Zypern, Estland, Ungarn, Litauen und Rumänien auf, alle Rechtsvorschriften, die eine Diskriminierung homosexueller Männer und Frauen nach sich ziehen, aus ihren Strafgesetzbüchern zu streichen.