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Nationalratswahl ’94: Zurück an den Start

Erschienen am 25. Oktober 1994

Wieder einmal kann sich die HOSI Wien zu ihrer Arbeit gratulieren: Unsere Wahlempfehlung hat – wie schon vor vier Jahren – voll eingeschlagen: Das Liberale Forum und die Grünen waren die großen Gewinner dieser Wahl. Wermutstropfen ist leider, daß die FPÖ ordentlich dazugewonnen hat, was indes nichts mit unserer Wahlempfehlung zu tun hat. Speziell das hervorragende Ergebnis des LIF und der Grünen in Wien ist wohl auf das rosa-lila Votum zurückzuführen: In Wien kam das LIF bis auf sechs Prozent an die ÖVP heran, die Grünen wurden überholt, was wohl nur heißen kann, daß die Grünen sich in schwul/lesbischen Dingen mehr anstrengen sollten.

Die Regierungs- und Parlamentszusammensetzung ist wieder auf den Stand von 1990: Es gibt eine rechte, konservative Mehrheit in Österreich – das ist leider eine Tatsache! 1990 hatten ja FPÖ und ÖVP bekanntlich 93 Mandate, während SPÖ und Grüne nur auf 90 kamen. Hauptgrund, warum sich damals die ÖVP nicht mit Haider ins Bett legte, war der Umstand, daß die ÖVP siebzehn Mandate verlor (nicht zuletzt aufgrund unserer Empfehlung, ausdrücklich nicht ÖVP zu wählen!) und es daher keine gute Optik ergeben hätte, wenn ausgerechnet die am stärksten gerupfte Partei den Bundeskanzler gestellt hätte, noch dazu von Jörgs Gnaden. Im übrigen spielten in der ÖVP sicherlich auch damals dieselben Überlegungen wie heute eine Rolle, warum man nicht mit der FPÖ koalieren will. Heute hat die ÖVP allerdings gegenüber der SPÖ einen besseren Koalitions-Stand, weil die SPÖ als zerzausteste Partei aus den Wahlen hervorging.

Die Möglichkeit einer – nennen wir es „fortschrittlichen“ – Mehrheit (denn „links“ oder „nichtbürgerlich“ passen wohl noch schlechter) von SPÖ, Grünen und LIF gegenüber ÖVP und FPÖ gab es ja bekanntlich erst seit Anfang 1993, als Heide Schmidt und vier weitere Abgeordnete die FPÖ verließen und das Liberale Forum gründeten. Der SPÖ muß man daher wegen des Wahlausgangs doppelt grollen: Erstens hat sie durch ihre schlechte Politik eine Viertelmillion WählerInnen direkt an die FPÖ verloren (und das hat, wie gesagt, nichts mit unserer Wahlempfehlung zu tun) und damit auch die nötigen Mandate für das Fortbestehen einer „fortschrittlichen“ Mehrheit jenseits des Zwangs der großen Koalition. Zweitens muß man es der SPÖ anlasten, daß sie die Zeit dieser alternativen Mehrheit in der vergangenen Legislaturperiode nicht genutzt hat, etwa für die Abschaffung der §§ 209, 200 und 221, der Strafbarkeit des Ehebruchs, der Reform des Namensrechts, des Pornographiegesetzes etc. Heute, da diese Option nicht mehr besteht, haben wir nichts davon, wenn die SPÖ zerknirscht ist und die große Koalition jetzt viel demokratisch reifer agieren und das Parlament, aufgewertet, viel freier – weg vom Klub- und Koalitionszwang – abstimmen wird können. Das heißt ja unter den neuen Bedingungen in erster Linie, daß sich vermehrt ÖVP-FPÖ-Mehrheiten außerhalb der Koalition finden werden.

Für die drei Strafrechtsparagraphen ist Pessimismus dennoch nicht angesagt: Teile der FPÖ, allen voran Harald Ofner, haben ja erklärt, für die Streichung der Paragraphen einzutreten. Jetzt kann die FPÖ auch gleich zwei Versprechen auf einmal einlösen: Zum einen, daß sie die Paragraphen abschaffen will, und zum anderen, daß auch sie ihren Abgeordneten mehr Spielraum und freie Abstimmungen gestatten will, um das Parlament lebendiger zu machen. Für die eingetragene Partnerschaft muß man allerdings wohl schwarz sehen, denn da haben sich ja bereits etliche FPÖ-PolitikerInnen, nicht zuletzt der jüngste Zuwachs an QuereinsteigerInnen, ziemlich negativ geäußert. Wir werden trotzdem diese Frage unverzüglich weiterverfolgen.

Flop

Einen ziemlichen Flop landete die Wahlplattform für schwul-lesbische Menschenrechte „Vote Pink ’94“ mit ihrer Aktion. Noch nie wurde wohl für eine so erfolglose schwul/lesbische Aktion soviel Aufwand eingesetzt und Geld verschwendet. Und wieder mußte die HOSI Wien bei allen möglichen Gelegenheiten mühsam erklären, nichts damit zu tun zu haben. Die Idee an sich war ja gut und hat Aufmerksamkeit erregt – was die Initiatoren indes davon abgehalten hat, eine explizite Wahlempfehlung abzugeben, ist und bleibt deren Geheimnis. Vielleicht wollte man der SPÖ nicht wehtun. Die Selbstkastration war jedenfalls überflüssig – und man fragt sich, wozu dann eigentlich die ganze Aktion, die unter solchen Bedingungen auch niemals evaluierbar sein konnte. Bei der HOSI-Wien-Wahlempfehlung konnte man den Erfolg unmittelbar am Wahlergebnis ablesen. Wenn man sich an den/die mündige/n Bürger/in wendet und meint, diese/r wüßte ohnehin, wie er/sie sich anhand der gegebenen Information zu entscheiden hätte, dann hätte man das ja auch laut sagen können.

Denn war waren die wählbaren Alternativen?

  • Eine Partei wie die FPÖ, die im Wahlkampf mit „schwul/lesbischer Denunziation“ (gegen Scholten und Dohnal) Stimmung macht und auf Stimmenfang geht? Wohl nicht!
  • Eine Partei, wie die ÖVP, die acht Jahre lang aktiv jede echte Reform verhindert hat? Wohl nicht!
  • Eine Partei wie die SPÖ, die seit 24 Jahren den Bundeskanzler stellt, aber seit 23 Jahren nichts mehr für Lesben und Schwule getan und sich in Geiselhaft der ÖVP befunden hat? Wohl nicht!
  • Eine Partei wie die Grünen, die in der Vergangenheit nicht nur in verbalen Versprechen, sondern auch in ihrer parlamentarischen Arbeit stets für die Anliegen von Lesben und Schwulen eingetreten sind? Wohl schon!
  • Eine Partei wie das Liberale Forum, die die Forderungen ihres Parteiprogramms nach Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften auch gegen heftige Polemik verteidigt und sich davon nicht distanziert hat? Wohl schon!

So schwierig ist es also nicht! Die einzige berechtigte Kritik an unserer Wahlempfehlung war jene, daß der rosa-lila Blick aufs Detail Homosexuellenehe den politischen Zusammenhang vermissen lasse, wie sie Bärbel Danneberg in einer Glosse in der Volksstimme # 40 vom 6. 10. äußerte. Wobei sie kritisierte, daß für die HOSI Wien LIF und Grüne gleich wählbar seien, als ob es da nicht – und nicht nur kleine – Unterschiede gäbe. Natürlich gibt es noch andere Anliegen als schwul/lesbische, aber warum man die diesmal außer Acht lassen sollte, habe ich in meinem Kommentar in den LN 3/1994 schon erklärt.

So kam also der Aufruf „Vote pink!“ höchstens als Verstärkung für unsere Wahlempfehlung zum Tragen – wir danken herzlichst für diese Ergänzung. Lobend kann man auch die Mühe erwähnen, daß man etliche in diesem Zusammenhang relevante, wenn auch schon längst bekannte Informationen zusammengetragen hat und sie über einen kostenpflichtigen Tonbanddienst den interessierten AnruferInnen zugänglich machte. Ohne oder mit Neid – je nachdem – muß man auch die Geschäftstüchtigkeit anerkennen. Auch wir sollten uns öfter für unsere Dienstleistungen in der schwul/lesbischen Bewegung bezahlen lassen. Ganz ohne Kammer-Zwangsmitgliedschaft. Die Informationen auf dem Tonband waren sicherlich objektiv und neutral zusammengestellt, einige wichtige Dinge zuungunsten der SPÖ fehlten, auch konnten sie nicht aktuell auf die FPÖ-Untergriffe gegen Scholten und Dohnal eingehen. Sie waren sicherlich etwas zu langatmig, irrelevant (wer was wann gesagt hat, als ob das bei PolitikerInnen eine Rolle spielte – was zählt, sind doch die Taten!) und zum Teil nicht parteienbezogen (Aussagen diverser Fachleute), sodaß man den Eindruck hat, man wollte absichtlich Zeit und damit Geld schinden. Teilweise hatte man den Eindruck, die Information sei unverändert schon anderweitig eingesetzt worden, nämlich in der Überzeugungsarbeit, wofür die AnruferInnen jedoch das falsche Zielpublikum waren.

Kein Bluff

Könnte man über den merkwürdigen Vote-Pink-Aufruf noch verständnislos bis mitleidig mit den Achseln zucken, so muß man über die erfolgte Auswertung der Aktion im höchsten Maß entsetzt sein: Offenbar im verzweifelten und krampfhaften Versuch, einer Aktion, die gar nicht evaluierbar sein kann, irgendwelche Ergebnisse abzupressen, hat man am Wahlnachmittag die Zahl der AnruferInnen, die dem Aufruf gefolgt sind, und das Wahlverhalten derjenigen AnruferInnen bekannt gegeben, die anonym mitteilten, welche Partei sie wählen wollten.

Von den anvisierten 25 Prozent der WählerInnen (Lesben, Schwule und Bisexuelle – gerade Leute, die in der Schwulenbewegung arbeiten, sollten den Unterschied zwischen Verhalten und Identität kennen) – also 1,4 Millionen Menschen – haben läppische 8.000 den Wahlinformationsdienst in Anspruch genommen, wobei wohl sicherlich zahlreiche Neugierige aus den anderen 75 Prozent der Bevölkerung angerufen haben. Eine derartige, noch dazu freiwillige „Minderheitenfeststellung“ hat es bisher in der österreichischen Lesben- und Schwulenbewegung noch nie gegeben. Niemals haben wir uns in die Karten schauen lassen, wie viele Leute wir hinter uns haben, wie viele Menschen wir mobilisieren können. Der Bluff ist ein wichtiges Mittel in der politischen Arbeit von Minderheiten. Diesen Bluff haben nun diese Dilettanten von der Wahlplattform aus reiner Mediengeilheit (Möcht’ mich so gern im Wochenblättchen lesen) zerplatzen lassen. Nie wieder wird ein Politiker vor den Schwulen und Lesben Angst  haben, wenn er jetzt schwarz auf weiß hat, daß sich selbst mit einem derartigen Aufwand (angeblich stand der Vote-Pink-Aktion eine Viertelmillion Schilling für diesen Mega-Flop zur Verfügung) nicht mehr als 8.000 Menschen mobilisieren lassen.

Von welchen Teufeln die Initiatoren geritten wurden, daß sie zudem noch die Ergebnisse des bekanntgegebenen Wahlverhaltens veröffentlichten, ist ebenfalls ein Rätsel. Unter den über 8.000 AnruferInnen waren 2.165, die anonym ihr Wahlverhalten offengelegt haben: Ergebnis: SPÖ 35 %, ÖVP 18 %, FPÖ 10 %, Grüne 19 %, LIF 17 % und andere 1 %. Abgesehen davon, daß ich dieses Ergebnis nicht glaube (in meinem Bekanntenkreis gibt’s kaum jemand, der/die noch SPÖ wählt, 35 % für die SPÖ scheinen mir übertrieben, aber vielleicht sind meine Bekannten nicht so repräsentativ., was ich aber auch bei den AnruferInnen bezweifle), sind diese Resultate so, daß sie besser nicht veröffentlicht worden wären: Wenn trotz Aufrufs und Wahlinfo nur 36 Prozent rosa gewählt haben (nämlich LIF und Grüne), ist das wohl ein ziemlicher Flop für die ganze Vote-Pink-Aktion einzustufen! Das hätte man nicht so prominent an die Medien hinausposaunen müssen. Und hier tut sich ein weiterer Mangel der ganzen Sache auf: Haben die AnruferInnen ihr Wahlverhalten nach Abhören des Infobandes abgegeben? Interessant wäre sicher auch gewesen, wie viele AnruferInnen durch das Wahlinfo ihre Meinung geändert oder – bei Unentschlossenheit – in bestimmter Richtung gefestigt haben. Aber das sah das Setting der Aktion gar nicht vor.

Die Sache ist gottseidank halb so schlimm, da wir die geringe Resonanz für diese Aktion einfach den Initiatoren und dem kostenpflichtigen Infotelefon zuschreiben können bzw. dem Umstand, daß dank der Wahlempfehlung der HOSI Wien sich für die meisten der 500.000 Lesben und Schwulen in Österreich eine Inanspruchnahme des Wahlinformationsdienstes der Vote-Pink-Aktion ohnehin erübrigt hat.

Für die Zukunft kann man indes nur hoffen, daß diese Leute sich von derart politischen Aktionen fernhalten und der Lesben- und Schwulenbewegung mit solchen dilettantischen, kontraproduktiven Aktionen nicht weiter schaden werden. Schade ums Geld auch, was hätte man damit nicht alles machen können.

Kurts Kommentar LN 4/1994

Nachträgliche Anmerkungen

Zur Ergänzung: Insgesamt hat sich bei diesen Wahlen 1994 nur ein Mandat zwischen den beiden Blöcken verschoben. Der rechte Block (ÖVP + FPÖ) kam auf 94 Mandate (1990: 93), der „linke“ Block (zählt man das erstmals antretende LiF dazu) errang 89 Mandate (1990 kamen SPÖ und Grüne allein auf 90).

Ein ausführlicher Hintergrundbericht über die Nationalratswahl 1994 und die Wahlempfehlung der HOSI Wien findet sich in den LN 4/1994, S. 12 ff.