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Nationalratswahl 1994: Keine Qual der Wahl

Erschienen am 26. Juli 1994

Bei früheren Nationalratswahlen hat die HOSI Wien stets die politischen Parteien zu lesbisch/schwulen Themen befragt und die Stellungnahmen in den LN veröffentlicht. Das können wir uns diesmal sparen, da die Haltungen der einzelnen Parteien mittlerweile ohnehin sattsam bekannt sind. Nichtsdestotrotz wollen wir uns aber in dieser letzten LN-Ausgabe vor der Wahl ganz wertend und ganz lesbisch/schwul subjektiv mit dem Urnengang beschäftigen.

Für mich besteht bei diesem Urnengang keine Qual der Wahl. Ich werde meine Stimme dem Liberalen Forum geben, wenn nicht bis zum 9. Oktober irgendetwas ganz Gravierendes mit dieser Partei geschieht oder sich eine andere dazu entschließt, schwul/lesbische Forderungen in ihr Wahlprogramm aufzunehmen, was mir indes eher unwahrscheinlich erscheint.

Keine schwule und lesbische Stimme für FPÖ, ÖVP und SPÖ

FPÖ und ÖVP kommen für mich als politisch bewußten Schwulen nicht in Frage. Die FPÖ ist sowieso indiskutabel, und die ÖVP hat in den letzten acht Jahren jegliche Verbesserung der rechtlichen und sozialen Lage von Lesben und Schwulen blockiert. In der letzten und in dieser Legislaturperiode hat sie die Behandlung der von SPÖ und Grünen eingebrachten Anträge über die Aufhebung der §§ 209, 220 und 221 StGB verhindert. Sie ist es, die unsere Menschenrechte mit Füßen tritt und den Fortbestand unserer massiven Diskriminierung zu verantworten hat.

Auch die SPÖ ist für mich diesmal nicht mehr wählbar. Sie hat sich acht Jahre lang mit ihren uns betreffenden Forderungen nicht durchsetzen können – oder wollen: Denn wäre der SPÖ die Abschaffung der Paragraphen wirklich ein echtes Anliegen, hätte ihr diese wohl in zwei Legislaturperioden gelingen müssen. Gerade in einer Koalition, wo man sich ständig gegenseitig ein Anliegen oder ein Ziel abkaufen läßt – wofür man die österreichischen Wörter „Junktim“ und „Junktimierung“ kreiert hat. Wäre der SPÖ die Nichtdiskriminierung von Lesben und Schwulen tatsächlich wichtig, hätte sie die Aufhebung der §§ 209, 220 und 221 ja auf diesem Weg ins politische Spiel bringen können. Oder vielleicht hätte die höchste Parteispitze ein Machtwort sprechen müssen – aber nichts Dergleichen ist geschehen. Es kann mir niemand einreden, daß ÖVP-Justizsprecher Graff tatsächlich die stimmenstärkste Partei und die Regierung acht Jahre lang mit seinem Widerstand terrorisieren kann, wenn die SPÖ sich das nicht freiwillig gefallen läßt! Und wenn dem nicht so ist, dann sollte die SPÖ schleunigst eine Bankrotterklärung abgeben und von der politischen Bühne abtreten! Die letzten acht Jahre haben uns nur allzu deutlich gemacht, daß die Beseitigung der strafrechtlichen Diskriminierung für die SPÖ ohne jegliche Bedeutung ist. Sie hat versagt und ihren Kredit damit endgültig verspielt und sollte diesmal keine schwul/lesbische Stimme bekommen.

Überdies hat sich die SPÖ bereits auf eine große Koalition festgelegt – jede Stimme für die SPÖ ist daher eine Stimme für die Fortsetzung des jetzigen, schon acht Jahre andauernden Zustands. Konkret: keine Strafrechtsreform, kein Eintrittsrecht für gleichgeschlechtliche PartnerInnen bei der Mietrechtsreform, keine Novellierung des Pornographiegesetzes aus den 50er (!) Jahren, das lesben- und schwulendiskriminierend ausgelegt werden kann, usw. usw. Es gibt nicht die geringste Garantie, daß sich die SPÖ mit schwulen- und lesbenpolitischen Anliegen in den nächsten vier Jahren besser durchsetzen kann als in den vergangenen acht. Lassen wir uns nicht länger vertrösten! Vergessen wir nicht: Dieser Koalition verdanken wir, daß AIDS-Broschüren beschlagnahmt werden, sie hat sich mitschuldig gemacht an der weiteren Ausbreitung von HIV und AIDS und damit am Tod vieler Schwuler.

Nicht das Geringste für Lesben und Schwule getan

Die SPÖ unter Vranitzky ist völlig entideologisiert. Ihre fortschrittlichen Ansprüche von einst sind dahin. Wir müssen Christian Broda ewig dankbar sein, daß unter seiner Ministerschaft 1971 das Totalverbot homosexueller Handlungen aufgehoben worden ist. Wir sollten ihn dafür posthum heiligsprechen.

Eine SPÖ unter Vranitzky würde heute höchstwahrscheinlich nicht einmal die Abschaffung eines Totalverbots gegen den Widerstand der ÖVP durchsetzen! Obwohl die SPÖ seit damals den Bundeskanzler stellt, hat sie in diesen 23 Jahren für die Verbesserung der rechtlichen und sozialen Lage der Lesben und Schwulen in Österreich nichts, aber auch schon gar nichts getan!

Die SPÖ hat sich in den letzten vier Jahren als die schwächere Koalitionspartnerin erwiesen und wird trotz ihrer doch beträchtlich höheren Mandatsstärke von der ÖVP dominiert, insbesondere im weltanschaulichen Bereich. Die SPÖ hat sich nicht nur in den oben erwähnten Punkten nicht durchgesetzt, sondern u. a. auch nicht beim Namensrecht, bei der Aufhebung der Strafbarkeit des Ehebruchs (schade, daß dies ein Privatanklagedelikt ist – sonst hätte man Bundespräsident Klestil vor Gericht bringen können, um die heuchlerische Doppelmoral dieses Landes einmal ordentlich bloßzustellen) oder bei der Promillegrenze im Straßenverkehr. Bei letzterer Entscheidung fügten die SPÖ-Abgeordneten sogar dem eigenen Minister eine gewaltige Schlappe zu: Bekanntlich wurde über die Promillegrenze in geheimer Abstimmung abgestimmt – zum drittenmal seit 1945! Das verheißt nichts Gutes für die die in der Vergangenheit lancierte Idee, die Abgeordneten sollten über den § 209 ohne Klubzwang abstimmen! Ob das gut ausgehen würde? Ich bezweifle es stark!

Die SPÖ mußte – wie erinnerlich – auch Niederlagen bei der Bestellung des Rechnungshofpräsidenten und bei der Wahl des Kärntner Landeshauptmannes hinnehmen. Noch frisch ist uns in Erinnerung, daß Staatssekretärin Ederer ihre Unterschrift nicht unter den EU-Vertrag setzen durfte. Am 16. Juli, dem letzten Sitzungstag dieser Legislaturperiode, stimmte die ÖVP in Sachen Rechnungshofausschuss schließlich sogar mit der Opposition gegen die SPÖ. Fälle, daß sich die SPÖ mit ihren Anschauungen einmal gegen die ÖVP durchgesetzt hätte, sind mir nicht erinnerlich. Die SPÖ kommt mir vor wie ein braves Schoßhündchen, das von der ÖVP am Gängelband geführt wird.

Eine Stimme für die SPÖ und damit für große Koalition bedeutet daher: Die Strafrechtsreform wird, wenn überhaupt, ausschließlich nach den von Dr. Graff verordneten homöopathischen Dosen stattfinden: In der nächsten Legislaturperiode kommt es vielleicht gnädigerweise zur Aufhebung der §§ 220 und 221, der § 209 fällt vielleicht in der übernächsten Gesetzgebungsperiode im nächsten Jahrtausend, zur eingetragenen Partnerschaft wird es wohl erst dann kommen, wenn in Europa neben Österreich nur mehr Moldawien und der Vatikan dieses Rechtsinstitut noch nicht eingeführt haben. Was das Pornographiegesetz betrifft, wird uns auch die nächsten Jahre der frische Wind der 50er Jahre um die Ohren blasen.

Wir können diese Wahl entscheiden

Dieser Alptraum darf nicht wahr werden! Wir Lesben und Schwule in diesem Land können diese Wahl entscheiden! Wir haben mehrere hunderttausend Stimmen. Mobilisieren wir sie! Da die Parteienbindung der WählerInnen allgemein abnimmt, sollten sich doch auch Lesben, Schwule und Bisexuelle flexibler verhalten können! Es geht in erster Linie darum, die große Koalition zu verhindern und die ÖVP wenigstens für vier Jahre in die Opposition zu schicken, damit Österreich zumindest im Strafrecht europäischen Standard erreichen kann. 1998 können die MasochistInnen unter uns, die gerne die Hand küssen, die sie schlägt, dann ja wieder unsere Unterdrücker wählen. Selbst die ÖVP wird die Paragraphen nicht wiedereinführen, wenn sie später wieder zu Regierungsehren kommen sollte. Also: nur dieses eine Mal wenigstens – bitte!

Und den überzeugten SozialdemokratInnen sie die Entscheidung, diesmal nicht SPÖ zu wählen, mit dem Hinweis erleichtert, daß die SPÖ sowieso in die nächste Regierung kommen wird, weil sie die stärkste Partei bleiben und es keine Mandatsmehrheit für eine Koalition ohne sie (etwa FP/VP) geben wird. Und jenen WählerInnen unter uns, die die SPÖ ohnehin nur als das kleinere Übel unter den beiden Großparteien wählen würden, sei nochmals gesagt: Eine Stimme für die SPÖ ist zugleich eine Stimme für die ÖVP. Es gibt Alternativen: die Grünen und das Liberale Forum. Man muß diese beiden Parteien stärken, damit der SPÖ eine andere Koalitionsoption eröffnet wird, nämlich mit einer dieser beiden Parteien, was sich rechnerisch indes kaum ausgehen wird, oder – eher – mit beiden gemeinsam. Natürlcih ist es nicht gesagt, daß die SPÖ diese Option wahrnimmt, selbst wenn das Wahlergebnis dies möglich machte. Aber zumindest hätte die SPÖ ein viel stärkere Position in den Koalitionsverhandlungen, sie könnte vieles mehr von vornherein vereinbaren, weil es eben zur Not noch andere Koalitionspartner gäbe. Natürlich hege auch ich Befürchtungen, daß die Vranitzky-SPÖ die problemlosere Packelei-Koalition mit der ÖVP von vornherein einer zweifellos aufreibenderen und an Kreativität und politische Haltung höhere Anforderungen stellenden Koalition mit Grünen und LF vorziehen könnte.

Natürlich sollte man bei dieser SPÖ angesichts der Erfahrungen der letzten acht Jahre nicht allzu viel Verhandlungsgeschick bei den Koalitionsgesprächen erwarten. Trotzdem: Dies ist unsere einzige Hoffnung. Wenn wir die nicht hätten, müßten wir ja gleich auswandern.

Mut soll sich auszahlen

Warum ich diesmal nicht die Grünen, sondern das LF wählen werde, hat im übrigen folgenden Grund: Ich finde, soviel Courage und Engagement, wie das LF in Zusammenhang mit seinem Parteiprogramm (Stichwort: Absicherung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften) bewiesen hat, gehört ganz einfach belohnt. Die Grünen haben sich da in den letzten Jahren nicht so prominent hervorgetan. Das ist aber meine ganz persönliche Meinung. Für die Absicht, eine große Koalition zu verhindern, ist es egal, ob man grün oder LF wählt.

Am 9. Oktober sollte es für uns Lesben und Schwule nicht um Weltanschauungen, nicht um Klassenkampf oder andere allgemeine politische Ziele gehen, sondern um unsere ureigensten Anliegen. Und zu diesem Zweck muß eine große Koalition bzw. eine ÖVP-Regierungsbeteiligung verhindert werden. Um das zu erreichen, sollten wir Lesben und Schwule die Grünen oder das Liberale Forum wählen.

Lesben und Schwule, so Ihr nicht ohnehin grün oder LF wählen werdet, springt einmal über Euren Schatten. Die Wahl ist geheim, niemand braucht zu erfahren, welche Partei Ihr gewählt habt. Lesben und Schwule – ob Ihr versteckt oder offen lebt – rafft Euch auf: Stimmt für Eure Befreiung! Es liegt in Eurer Hand! Es geht um unsere Menschenwürde und unsere Menschenrechte! Es geht nicht um einen Denkzettel an ÖVP oder SPÖ. Es geht darum zu versuchen, die Umsetzung von für uns grundlegend wichtigen Veränderungen zu ermöglichen.

Wenn wir nicht aufhören, jene Parteien zu wählen, die ohnehin nichts für uns tun, brauchen wir uns über unsere benachteiligte Lage nicht zu wundern! Die ÖVP und die SPÖ nicht zu wählen ist aufgrund der hier dargelegten Umstände ein Akt der Selbstachtung.

Kurts Kommentar LN 3/1994