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  2. Kurts Kommentar LN 2/1994

Wir wollen kein Mitleid und keine Almosen

Erschienen am 19. April 1994

Künstlerische Ereignisse drängen sich förmlich dazu auf, in ihrem Kielwasser auch Gutes zu tun. Und erfreulicherweise sind es nicht immer nur die krebskranken Kinder, die mittlerweile angeblich ohnehin schon im Geld schwimmen, denen die Erlöse solcher Wohltätigkeitsveranstaltungen zugute kommen, sondern immer öfter auch die AIDS-Hilfe-Organisationen. Und wenn das künstlerische Event auch noch AIDS zum Thema hat, liegt ja nichts näher als das. Und so waren die Österreich-Premieren des Films „Philadelphia“ und des Theaterstücks „Angels in America“ von Benefizaktionen begleitet.

Leider mußte man dabei wieder einmal feststellen, daß gut gemeint nicht immer gut ist. Obwohl auch ich ein vehementer Gegner der gerade in jüngster Zeit so wichtig gewordenen „politischen Korrektheit“ bin – sie ja wirklich langweilig! –, finde ich doch, daß einige Grundsätze beachtet werden müssen. Ich werfe den wohlmeinenden OrganisatorInnen dieser Benefizveranstaltungen keineswegs böse Absicht, sondern nur unglaubliche Gedankenlosigkeit vor. 

Die Gala-Premiere von „Philadelphia“ im Wiener Apollo-Kino war als Benefizveranstaltung für das Österreichische AIDS-Komitee angelegt. Die Eintrittskarte kostete S 500,–, den Ehrenschutz übernahm ÖVP-Obmann Erhard Busek! Der Vorsitzende jener Partei also, die Lesben- und Schwulenunterdrückung und damit die AIDS-Ausbreitung zu ihrem Programm gemacht hat. Jener Partei, die – wie es scheint – auch weiterhin möchte, daß AIDS-Informationsbroschüren beschlagnahmt und AIDS-Helfer mit Gefängnisstrafen bedroht werden. Eine solche – wenn auch gedankenlose – Provokation schrie natürlich nach einer Aktion. Leider erfuhr ich vom Umstand, daß hier Busek die Gelegenheit geboten wurde, sich als AIDS-Wohltäter aufzuspielen, erst am Tag der Filmpremiere, dem 24. Februar, und hatte keine Zeit mehr, ein Flugblatt zu basteln. Aber dann entdeckte ich noch einen Stoß alter „Die ÖVP hat Blut an den Händen!“-Flugblätter, die wir seinerzeit bei der Präsentation der Studie „Jugendsexualität und AIDS“ am 22. Mai 1992 verteilt hatten (vgl. LN 2/1992, S. 31 ff). Diese Ladenhüter teilte ich dann ans Premierenpublikum aus.

Dessen Reaktion schockierte mich. Viele schienen pikiert, viele machten den Eindruck, als empfänden sie das Flugblatt und seine Inhalte als Belästigung. Die meisten Leute schienen politisch völlig bewußtlos zu sein. Ich fragte mich ernsthaft, warum sie eigentlich zu diesem Film gekommen waren, dessen – für mich – wichtigste Botschaft doch ist, als Schwuler und AIDS-Kranker für seine Rechte und gegen seine Diskriminierung zu kämpfen – bis zuletzt! Wegen der „Seitenblicke“? Um sich und anderen die eigene Liberalität und Toleranz zu zeigen? Es gab aber auch positive Ausnahmen. ALFONS HAIDER riß mir noch ein zweites Flugblatt aus der Hand, um es Busek, falls er noch auftauchen sollte, persönlich zu überreichen. Ex-Familienministerin Marilies Flemming war auch da, und nachdem sie einen Blick auf das Flugblatt geworfen hatte, erkannte sie mich als einen derjenigen wieder, die am Welt-AIDS-Tag 1988 ihr Ministerbüro besetzt hatten (vgl. LN 1/1989, S. 13 ff), woraufhin wir noch ein paar verbale Nettigkeiten austauschten.

Im Wiener Schauspielhaus gab man „Angels in America“, ein Stück, das mich bei weitem nicht so begeistert hat wie „Philadelphia“. Sicherlich werden darin zeitlose Problematiken aufgegriffen, aber es ist dennoch ein Stück über die Zeit der Reagan-Regierung in den USA, spielt Mitte der 80er Jahre, also eher im Jurassic-Park-Zeitalter der AIDS-Zeitrechnung – es gibt aktuellere Themenstellungen bei AIDS. Und davon, daß es auch schwule Ratten gibt, können wir auch in Österreich ein Lied singen.

Im Schauspielhaus hatte man jedenfalls die nette Idee, 654 prominente ÖsterreicherInnen einzuladen, ebenso viele Engel zu zeichnen. Man hat nämlich ausgerechnet, daß jeder 654. Österreicher HIV-positiv ist. Nicht alle Eingeladenen zeichneten, aber der Engel-Rücklauf belief sich immerhin auf mehr als 200 Stück. Sie wurden am 7. April 1994 im Schauspielhaus zugunsten von AIDS-Hilfe-Organisationen versteigert. Abgesehen davon, daß eine solche Aktion unpolitischer nicht sein kann, waren die OrganisatorInnen der Engel-Aktion offenbar von allen guten Geistern verlassen. Sie luden nicht nur ÖVP-Politiker zum Engerl-Zeichnen ein, sondern auch den Salzburger Erzbischof Eder, für den Homosexualität Mißbrauch der Natur und AIDS die Strafe Gottes dafür ist. Auch diese Provokation konnte nicht hingenommen werden, und so trat am 7. April ACT UP Wien in Aktion, um bei der Engel-Versteigerung Flugblätter (siehe Faksimile) zu verteilen.

Obwohl mir auf Anhieb mehrere „politische“ Aktionen als Rahmenprogramm für eine Stück wie „Angels in America“ einfielen, erwarte und verlange ich ja ohnehin keine „politischen“ Aktionen von KünstlerInnen, die offenbar wieder in einen Elfenbeinturm zurückgekehrt sind. Man will doch das politische Bewußtsein der KünstlerInnen nicht über Gebühr strapazieren, schließlich ist ja politisches Engagement längst aus der Mode gekommen – sieht man von ein paar Altvorderen ab. Man muß sich heutzutage offenbar damit abfinden, daß künstlerisches Engagement sich maximal in Symptombekämpfung erschöpft – um eine medizinische Metapher zu verwenden. Das Grundübel, die Krankheitsursache – Homophobie und Schwulen- und Lesbenunterdrückung – wird jedoch nicht bekämpft. Es ist wirklich ein Glanzleistung, wie es dem Schauspielhaus durch diesen Engerl-Kitsch gelungen ist, jegliche potentielle politische Auseinandersetzung, zu der das Stück vielleicht auch in Österreich Anlaß geben hätte können, im Keim zu ersticken.

Homosexuelle und HIV-Betroffene wollen kein Mitleid und keine Almosen, sondern Gleichstellung und Gleichberechtigung. Wir wollen uns nicht mit Kosmetik zufriedengeben, sondern wollen gleiche Rechte. Das Motto „Nur ein toter Schwuler ist ein guter Schwuler“ ist nicht unser Motto. Mir gehen auch die ewigen Beteuerungen auf die Nerven – speziell, wenn sie von Schwulen kommen –, AIDS gehe jeden an, es sei längst keine Randgruppenseuche mehr. Stimmt, ist wahr! Niemand will AIDS exklusiv zur Schwulenkrankheit machen, aber dennoch darf man nicht übersehen, daß 40 Prozent der AIDS-Fälle in Österreich schwule Männer betreffen. Sie sind also die am stärksten betroffene Gruppe, und daher ist es nur legitim, wenn sich AIDS-Präventionsaktivitäten auch am stärksten an diese Gruppe richten. Ich kann keinen Fortschritt darin sehen, daß schwule HIV-Positive und AIDS-Kranke plötzlich weniger diskriminiert werden, weil die Gesellschaft endlich zur Kenntnis genommen hat, daß AIDS nicht nur Schwule und Drogenabhängige betrifft. Die Gesellschaft hätte HIV- und AIDS-Betroffene verdammt noch mal auch dann nicht zu diskriminieren, wenn es sich dabei tatsächlich ausschließlich um Schwule und Junkies handelte!

Als HIV-positiver Schwuler muß man es jedenfalls als unerträgliche Verhöhnung, als Zumutung empfinden, daß Leute wie Bischof Eder und heuchlerische ÖVP-PolitikerInnen in Benefizaktionen für HIV-Betroffene eingebunden werden. Dies zeugt für mich nicht nur von ungeheurer politischer Bewußtlosigkeit, sondern auch von menschlicher Erbärmlichkeit. Die Empfänger solcher Benefizerlöse sind aufgefordert, wegen des schnöden Mammons nicht gleich all ihre Prinzipien – so sie welche haben – über Bord zu werfen und sich damit ihre politische Schneid – so vorhanden – abkaufen zu lassen.

Kurts Kommentar LN 2/1994