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HOSI Wien von der Stasi überwacht

Veröffentlicht am 18. Januar 1994
Im Auftrag der International Lesbian and Gay Association (ILGA) betreute die HOSI Wien von 1982 bis 1990  den Eastern Europe Information Pool (EEIP) und hatte daher in jenen Jahren viele Kontakte zu den ersten einschlägigen Gruppen in Osteuropa. Das blieb speziell der Stasi, dem DDR-Geheimdienst, nicht verborgen. Nach der Wende wurde dann das Ausmaß der Bespitzelung bekannt, wie ich in den LN 1/1994 und später in den LN 4/2015 berichtete.

Exponate in der Ausstellung „Homosexualität_en“ in Berlin 2015: „S“ wie Stasi" – Akten, die die Überwachung der DDR-Schwulenbewegung und ihrer Kontakte zur HOSI Wien dokumentieren.

Kontaktaufnahme zur Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien und „KRICKLER, Kurt (...), welcher auch im Juni 1985 an einer Zusammenkunft des Arbeitskreises ,Schwule in der Kirche’ Berlin teilnahm“.

Plakat zur Ausstellung „Homosexualität_en“ im Zeughaus Berlin, Juni–Dezember 2015.

Zwar wird in Deutschland noch heftig darüber diskutiert, ob und inwieweit die Stasi-Akten überhaupt veröffentlicht werden sollen, aber die HOSI Wien hat sich jene bis heute geheimen Unterlagen, aus denen hervorgeht, daß die HOSI Wien und ihre Osteuropa-Aktivitäten von der DDR-Staatssicherheit überwacht und bespitzelt wurden, bereits über Kanäle, die wir hier natürlich nicht verraten können, besorgt.

Dabei handelt es sich um keine (personenbezogenen) „Akten“, sondern um interne Berichte zur Information anderer Stasi-MitarbeiterInnen. Sie betreffen eigentlich den DDR-Staatsbürger und frühen Schwulenaktivisten Eduard Stapel, im folgenden „St.“ Abgekürzt.

Wir drucken die betreffenden Passagen (es handelt sich um Auszüge) im Original-Wortlaut mit allen orthographischen Fehlern ab:

St. hat umfangreiche Verbindungen zu Personen und Organisationen Homosexueller in und außerhalb der DDR, besonders in der BRD, Westberlin, Österreich, Schweden und die Niederlande. Als wesentlichste dieser Verbindungen sind anzuführen

Homosexuelle Initiative (Hosi Wien),

Homosexuelle und Kirche (HuK) in der BRD und WB,

Homosexuelle Zeitschriften, wie „Du und ich“ oder „Lambdanachrichten“.

Wesentliche Personen sind

K., Kurt – Wien, „Hosi und Lambdanachrichten“

von W., Hartmut – BRD, HuK

G., Herbert – BRD – HuK

M., Hans-Jürgen

B., Klaus (beide wurden wegen Homosexualität von ihren zuständigen Kirchenleitungen von der Tätigkeit als Pfarrer suspendiert); (…)

– Informationen an K. für den DDR-Teil in dem Buch „Rosa Liebe unterm roten Stern“ zur Lage der Lesben und Schwulen in Osteuropa „Frühlings Erwachen 7“ und den Artikel in der Schwulenzeitschrift „Du und ich“ Nr. 13 des Jahres 1984 von Manfred P. unter der Überschrift „Schwuler Alltag in der DDR, nur nicht auffallen“.

Des weiteren versendet St. ständig Informationen und Mitteilungen an die aufgeführten und weitere Personen in der BRD und im übrigen NSW (nichtsozialistischen Westen, Anm. d. V.). Ein Teil dieser übermittelten Informationen berechtigt die Prüfung strafbarer Handlungen gemäß § 219, Abs. 2, Ziffer 1 StGB;

Im Zusammenhang mit den Aktivitäten des St. sei für den AKHS-M (Arbeitskreis Homosexualität Magdeburg, Anm. d. V.) von besonderer Bedeutung, die Verbindung zu dem Redakteur der „Lambdanachrichten“ K., Kurt. Dieser ist Jahrgang 1939 (Verleumdung!, Anm. d. V.), besitzt ein abgeschlossenes Studium als Diplomübersetzer für spanisch, französisch, englisch und dänisch. Seine Diplomarbeit befaßte sich mit der Schwulensprache im deutschen und französischen. Zur Zeit arbeitet er an seiner Dissertation, die sich ebenfalls mit Homosexualität im Lichte der Schwulenbewegung befaßt. K. ist außer Redakteur noch Gestalter der „Lambdanachrichten“. Die „Lambdanachrichten“ sind eng liiert mit der EEIP (Eastern Europe Information Pool), d. h. also, es besteht eine Osteuropainformationspool, der wiederum eng verknüpft ist, mit der Hosi-Auslandsgruppe. Diese Institutionen führen, wie sie sich selbst darstellen, Recherchen in den osteuropäischen Ländern. Diese Recherchen wurden vorerst in Artikeln in den „Lambdanachrichten“ und danach in den bereits erwähnten Buch „Rosa Liebe unterm roten Stern“ veröffentlicht. Es wurde bekannt, daß besagter K. innerhalb diese Ostinformationspools ebenfalls tätig ist, was u. a. aus einer inoffiziellen Information hervorgeht, wonach er den St. aus Budapest benachrichtigte.

Obwohl bisher keinerlei Informationen vorliegen, daß diese Zentren, welche im Zusammenhang mit der IGA betrachtet werden müssen, Verbindungen zu feindlichen Geheimdiensten unterhalten, sind jedoch versionsmäßig solche Möglichkeiten keineswegs auszuschließen. Die weitere operative Bearbeitung in dieser Richtung muß daher mit der HA XX erfolgen.

Soweit die nicht gerade überwältigenden Ergebnisse der Bespitzelung durch die Stasi-Möchtegern-James-Bonds. Das war ja alles in unseren Publikationen nachzulesen. In einem Punkt wollen wir indes alle beruhigen: Unsere „Zentren“ haben zu keiner Zeit irgendwelche Verbindungen zu irgendwelchen Geheimdiensten unterhalten!

 

Nachträgliche Anmerkungen:

Eduard Stapel hat später 8.500 Seiten Stasi-Akten über sich und die DDR-Schwulenbewegung durchgeackert und im Dezember 1999 ein 140 Seiten starkes Bändchen darüber herausgegeben: „Warme Brüder gegen Kalte Krieger“. Über die Aufarbeitung seiner Stasi-Akten verfasste Stapel auch einen Artikel in den LN 1/2001. Die DDR-Bewegung ist dank dieser Stasi-Aktivitäten die wohl bestdokumentierte der Welt. Von den 200 „Informellen Mitarbeitern“, die der Stasi die Informationen zugetragen haben, waren 150 selbst schwul und zum Teil in der Bewegung aktiv.

Dokumente aus den Stasi-Akten wurden später auch in der Ausstellung „Homosexualität_en“ gezeigt, die vom 26. Juni bis 1. Dezember 2015 im Zeughaus Berlin zu sehen war. Nach einem Besuch der Ausstellung verfasste ich für die LN 4/2015, S. 27 ff, einen Fotobericht, in dem ich u. a. schrieb:

In der Abteilung über die Bewegungsgeschichte kann man unter anderem Video-Interviews mit ZeitzeugInnen ansehen und anhören. Verschiedene Themen und Aspekte werden zudem alphabetisch von A bis Z anhand unterschiedlicher Exponate behandelt. Es gibt übrigens einige Verbindungen zur österreichischen Bewegungsgeschichte, so etwa unter „S“ – wie Stasi – Akten der DDR-Staatssicherheit, aus denen die Überwachung der Mitte der 1980er Jahre aufkeimenden Schwulen- und Lesbengruppen innerhalb der Evangelischen Kirche der DDR sowie der Aktivitäten der HOSI Wien, die darin penibel dokumentiert werden, hervorgeht. Die HOSI Wien hatte im Rahmen des von ihr 1982 bis 1990 im Auftrag der International Lesbian and Gay Association (ILGA) betriebenen Eastern Europe Information Pool (EEIP) damals viele Kontakte zu den ersten Gruppen in Osteuropa (vgl. auch Bericht auf S. 24). Den in der Ausstellung präsentierten Stasi-Informationen ist u. a. zu entnehmen, dass die HOSI Wien 1984 das Taschenbuch Rosa Liebe unterm roten Stern herausgegeben und der Autor dieser Zeilen im Juni 1985 an einem Treffen des Ostberliner Arbeitskreises „Schwule in der Kirche“ teilgenommen hatte…