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Ideelle Wiedergutmachung für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus

Veröffentlicht am 22. Oktober 1991
In seiner vielbeachteten Rede vor dem Nationalrat am 8. Juli 1991 erwähnte Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) u. a. auch die homosexuellen NS-Opfer. Das war das erste Mal in der Geschichte des Landes, dass diese Opfergruppe so prominente Erwähnung fand. Ich ging in einem Beitrag in den LN 4/1991 der Frage nach, ob das schon als ideelle Wiedergutmachung durchgehen könne.

Franz Vranitzky (SPÖ) war der erste Bundeskanzler, der die homosexuellen NS-Opfer in einer wichtigen Rede vor dem Nationalrat erwähnte.

Seit Jahren fordert die HOSI Wien die ideelle und materielle Wiedergutmachung der Lesben und Schwulen, die Opfer des Nationalsozialismus waren. Während sich eine etwaige finanzielle Wiedergutmachung ganz konkret erfassen ließe, ist es weitaus schwieriger, festzustellen, ob und wann eine ideelle Wiedergutmachung erfolgt ist. Reicht es für letztere, daß der Bundeskanzler Homosexuelle in der Aufzählung der Opfergruppen in einer Grundsatzrede im Parlament erwähnt?

Am 8. Juli 1991 ist Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) im Rahmen seiner Erklärung zur Jugoslawienkrise auch auf Österreichs Rolle im Dritten Reich eingegangen. In dieser Rede vor dem Nationalrat sagte er u. a.:

Es ist unbestritten, daß Österreich im März 1938 Opfer einer militärischen Aggression mit furchtbaren Konsequenzen geworden war: Die unmittelbar einsetzende Verfolgung brachte hunderttausende Menschen unseres Landes in Gefängnisse und Konzentrationslager, lieferte sie der Tötungsmaschinerie des Nazi-Regimes aus, zwang sie zu Flucht und Emigration. Hunderttausende fielen an den Fronten oder wurden von den Bomben erschlagen. Juden, Zigeuner, körperlich oder geistig Behinderte, Homosexuelle, Angehörige von Minderheiten, politisch oder religiös Andersdenkende – sie alle wurden Opfer einer entarteten Ideologie und eines damit verbundenen totalitären Machtanspruchs.

Diese Passage war dann auch abends in der Zeit im Bild zu hören und anderntags in vielen Zeitungen zu lesen. Zuvor hatte schon Wiens Bürgermeister Helmut Zilk bei der endgültigen Enthüllung des Alfred-Hrdlicka-Denkmals gegen Krieg und Faschismus am Wiener Albertinaplatz am 21. Juni 1991 in seiner Ansprache bei der Aufzählung der Verfolgtengruppen auch die Homosexuellen erwähnt (vgl. LN 3/1991, S. 19).

Soll die Lesben- und Schwulenbewegung die Rede Vranitzkys als ideelle Wiedergutmachung der homosexuellen NS-Opfer akzeptieren? Wie sollen wir diese ideelle Wiedergutmachung definieren? Wann liegt sie vor? Was kann man mehr erwarten, als daß der Bundeskanzler im Namen der Bundesregierung in einer Rede vor dem Parlament Schwule und Lesben als NS-Opfer anerkennt? Andererseits ist es nicht viel Aufwand, daß Wort Homosexuelle immer einzuflechten, wenn die Opfergruppen aufgezählt werden. Lippenbekenntnisse und nicht ernstgemeinte Rhetorik kennen wir ja zur Genüge. Die HOSI Wien hat sich daher entschlossen, diese Erwähnungen nur dann als ideelle Wiedergutmachung zu akzeptieren, wenn diesen schönen Worten auch Taten, nämlich die materielle Wiedergutmachung folgen. Und diese haben wir in einem an Vranitzky gerichteten Brief, den wir sofort am Tag nach seiner Rede im Parlament abgeschickt haben, auch eingefordert. Antwort gab es noch keine, auch auf ein Urgenzschreiben der HOSI Wien im September nicht. In einem Telefonat mit der zuständigen Mitarbeiterin im Büro des Bundeskanzlers teilte uns diese mit, man müsse erst die Stellungnahme des Sozialministers einholen, bevor man uns eine Antwort geben könne.

Übrigens bemühen wir uns schon seit März 1991, bei Sozialminister Josef Hesoun (SPÖ) [1930–2003] einen Termin zu bekommen, um die Wiedergutmachungsfrage zu erörtern. Bekanntlich hat sich ja das Sozialministerium schon zu Alfred Dallingers [1926–1989] und auch zu Walter Gepperts Zeiten [beide SPÖ] vehement gesträubt, Homosexuelle ins Opferfürsorgegesetz aufzunehmen oder analoge Bestimmungen für diese Gruppe zu schaffen (vgl. LN 2/1988, S. 12 ff, 4/1988, S. 10 f, 1/1989, S. 24 f und S. 32 f, 2/1989, S. 8, und 3/1990, S. 13 ff). [Siehe auch Beitrag auf dieser Website]

Schützenhilfe für unsere Forderungen bekamen wir von Wiens Bürgermeister Helmut Zilk, der uns im Rahmen des Briefwechsels zur leidigen Albertinaplatz-Geschichte in einem Schreiben am 2. August u. a. folgendes mitteilte:

Ich habe sicher als einer der ersten jener Handvoll Politiker, die überhaupt über dieses Thema reden, bei unzähligen Gelegenheiten auf die Verfolgung der Homosexuellen durch die Nazi-Diktatur hingewiesen. Ich stimme auch völlig mit Ihnen überein, daß es nicht zwei Kategorien von Opfern des Nationalsozialismus geben darf. Das gilt für Homosexuelle, für Volksgruppen wie die Sinti oder Roma und genauso für die fast immer vergessenen Personen, die heute noch an den Folgen medizinischer Eingriffe während der Nazi-Diktatur leiden.

Ich bin auch durchaus dafür, daß eine entsprechende Wiedergutmachung (wenn das überhaupt noch möglich ist…) nicht erst im Wege eines umständlichen Lobbyismus durchgesetzt werden dürfte, sondern von der Bundesregierung gesetzlich geregelt werden soll.

Die HOSI Wien wird auch dieses Projekt konsequent weiterverfolgen – und die LN werden weiter berichten.