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Amnesty International anerkennt homosexuelle Gewissensgefangene

Veröffentlicht am 22. Oktober 1991
Nach langen internen Diskussionen und intensiver Lobbyarbeit der internationalen Lesben- und Schwulenbewegung, darunter an ganz vorderster Front der HOSI Wien, hat amnesty international im September 1991 endlich offiziell beschlossen, wegen ihrer Homosexualität inhaftierte Personen als Gewissensgefangene in das Mandat der Organisation aufzunehmen. Ich berichtete darüber in den LN 4/1991.

Am Rande der Internationalen Ratstagung von Amnesty International in Jokohama forderten AktivistInnen der japanischen LSBT-Organisation „OCCUR“...

...mit einer Aktion die Gefangenenhilfeorganisation auf, in ihr Mandat auch wegen Homosexualität verfolgte Menschen aufzunehmen.

Seit 1974 hat sich die internationale Schwulen- und Lesbenbewegung bemüht, Amnesty International davon zu überzeugen, daß die Nichtbetreuung von Personen, die aufgrund ihrer Homosexualität im Gefängnis sitzen, eine inakzeptable Diskriminierung von Lesben und Schwulen darstellt. Anfang September 1991 hat Amnesty International beschlossen, homosexuelle Gefangene als Gewissensgefangene zu adoptieren.

Und so lautet jener Antrag, der nach fünftägiger Debatte am 6. September bei der Internationalen Ratstagung von Amnesty International in Jokohama, Japan, im Konsens – also ohne Abstimmung – verabschiedet worden ist:

Die Internationale Ratstagung (IRT),

in Erinnerung rufend den Beschluß # 7 der IRT 1979, der u. a. festhält, daß „die Verfolgung von Personen wegen ihrer Homosexualität eine Verletzung ihrer grundlegenden Rechte ist“,

beschließt, zur Adoptierung als Gewissensgefangene Personen in Betracht zu ziehen, die ausschließlich wegen ihrer Homosexualität, einschließlich der Praktizierung homosexueller Handlungen zwischen zustimmenden Erwachsenen im Privaten, inhaftiert sind;

sich völlig dessen bewußt seiend, daß diese Entscheidung die Schwierigkeiten bei der Entwicklung unserer Bewegung in vielen Teilen der Welt erhöht,

beauftragt das Internationale Exekutivkomitee, in Zusammenarbeit mit Sektionen Richtlinien bezüglich AI-Aktionen für homosexuelle Gefangene auszuarbeiten, wobei der kulturelle Hintergrund verschiedener Regionen, in denen wir Sektionen und Gruppen haben, und Länder, in denen Amnesty International sich zu entwickeln verspricht, zu berücksichtigen ist;

beauftragt weiters das IEK, als Dringlichkeitssache einen Entwurf für eine vorläufige Fragen- und Antwortbroschüre über dieses Thema vor Ende dieser IRT zu erstellen.

Dieser Beschluß bedeutet, daß es sich um eine nunmehr festgeschriebene Interpretation der AI-Satzungen handelt, jedoch um keine Erweiterung des Mandats, also um keine explizite Ergänzung der im AI-Statut aufgezählten Schutzkategorien um die Kategorie „sexuelle Orientierung“. Jetzt heißt es, auf die Ausarbeitung besagter Richtlinien durch das Exekutivkomitee in London zu warten, denn zuvor kann mit einer Betreuung konkreter Fälle nicht gerechnet werden. Mit Neugierde und Spannung werden diese Richtlinien erwartet. Vor allem die Frage, ob auch Personen, die aufgrund diskriminierender Schutzaltersgesetze eingesperrt werden, als Gewissensgefangene anerkannt werden, ist von brennendem Interesse, besonders auch für Österreich. Berichte aus Jokohama besagen, daß in den Diskussionen auf der IRT in Japan von einzelnen RednerInnen ausdrücklich betont worden sei, daß diskriminierende Mindestaltersgrenzen in dieser Frage sehr wohl von Belang sein müssen. Genaueres wird man jedoch erst wissen, wenn die Richtlinien bekannt sind.

Die HOSI Wien hat die österreichische Sektion von AI in einem Schreiben zur besagten Beschlußfassung beglückwünscht und ihr Unterstützung bei der Betreuung konkreter Fälle angeboten. In einem Antwortbrief informierte uns die österreichische Sektion auch, daß die IRT überdies eine weltweite Studie in Auftrag gegeben hat, die u. a. die Mandatserweiterung um „sexuelle Orientierung“ untersuchen soll.

Diese historische Entscheidung von AI ist auch ein großer Erfolg für die gemeinsamen Bemühungen der internationalen Lesben- und Schwulenbewegung, denn dutzende Organisationen in vielen Ländern haben ihre nationalen AI-Sektionen kontaktiert und bei diesen oft über Jahre hinweg Überzeugungsarbeit geleistet. Die ILGA hat darüber hinaus eine eigene Arbeitsgruppe, das AI-Projekt, eingerichtet, der folgende europäische Gruppen angehören: COC (Niederlande), Tupilak (Schweden), GLEN (Irland), DNF/FHO (Norwegen), COGAM (Spanien) sowie die HOSI Wien. Die Hauptlast der Arbeit haben ohne Zweifel HANS VONK vom COC und BILL SCHILLER von Tupilak getragen, die dieses ILGA-Projekt auch koordiniert haben. In jüngster Zeit haben sich Gruppen in den USA sehr stark in dieser Sache engagiert, und in der Endspurtphase haben die beiden japanischen Organisationen OCCUR und JILGA tapfer und erfolgreich die Stellung gehalten.

Die HOSI Wien (und der Rosa Stachel – vgl. LN 1/1989, S. 25 ff) darf ruhig einen Teil der Lorbeeren für sich in Anspruch nehmen, da auch wir über viele Jahre hinweg immer wieder brieflichen und persönlichen Kontakt mit der österreichischen Sektion gepflegt und unseren Beitrag zu diesem weltweiten Lobbying geleistet haben. Diese jahrelangen Bemühungen sind im übrigen in den LN ausführlich dokumentiert worden (2/1982, S. 10; 3/1982, S. 27 f; 4/1982, S. 28; 3/1984, S.12; 1/1985, S. 19; 4/1985, S. 12 ff; 1/1987, S. 11; 2/1987, S. 17; 1/1988, S. 51 f; 1/1989, S. 25 ff sowie 2/1991, S. 14).