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Rosa Wirbel gegen Amnesty International

Veröffentlicht am 10. Januar 1989
Es dauerte fast 20 Jahre, die Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International dazu zu bewegen, homosexuelle Verfolgte in ihr Mandat aufzunehmen. Die HOSI Wien beteiligte sich sowohl national als auch international an den entsprechenden Lobbying-Bemühungen. Unterstützt wurde sie dabei von der Aktionsgruppe Rosa Wirbel, die im Herbst 1988 zweimal auf den Plan trat, um die österreichische AI-Sektion diesbezüglich zu piesacken, wie ich in den LN 1/1989 berichtete.

Arik Brauer stellte sein Gemälde „Wo bleiben die Menschenrechte?“ fürs Fundraising zugunsten von Amnesty International zur Verfügung.

Flugblatt des Rosa Stachels, das bei der Veranstaltung für AI am 31. Oktober 1988 verteilt wurde.

FRIEDL NUSSBAUMER und MICHAEL HANDL „erinnern“ die TeilnehmerInnen der Gedenkveranstaltung in Ebensee daran, dass verfolgte Lesben und Schwule keine Hilfe von AI erwarten können.

Auch mit einem Flugblatt

RUDOLF KATZER und AIMÉE KLEIN

Mein Leserbrief im „Falter" Nr. 41 vom 14. Oktober 1988

Der Rosa Wirbel hatte vorigen Herbst kaum eine Verschnaufpause, galt es doch, Amnesty International zu zwicken, um dort einen Bewußtseinsprozeß, daß Lesben- und Schwulenrechte auch Menschenrechte sind, in Gang zu setzen. Bekanntlich weigert sich AI standhaft, Personen, die wegen ihrer homosexuellen Orientierung inhaftiert sind, als Gewissensgefangene anzuerkennen. Eine diskriminierende und nicht gerade imagefördernde Haltung, die aber der breiten Öffentlichkeit viel zuwenig bekannt ist. Dem will der Rosa Wirbel abhelfen (vgl. LN 4/1985, S. 12 ff).

Am Weltspartag, 31. 10., präsentierte Arik Brauer sein Bild „Wo bleiben die Menschenrechte?“. Der Erlös aus dem Verkauf der Drucke dieses Gemäldes sollte zum Teil AI zugute kommen. Die Veranstaltung fand in der Hauptanstalt des Österreichischen Credit-Instituts (ÖCI) in der Wiener City statt. Von Finanzminister Ferdinand Lacina (SPÖ) abwärts war die ganze Bankenprominenz gekommen, Timna Brauer sang – ganz hervorragend. Nach einer kurzen Ansprache des Künstlers stellte ein Besucher [der Autor dieser Zeilen] – wie sich herausstellte von der Unterabteilung des Rosa Wirbels namens Rosa Stachel – Fragen an ihn: ob und wie er es denn mit seinem Gewissen vereinbare, eine Organisation zu unterstützen, die Schwule und Lesben diskriminiert.

Es entspann sich eine nette Diskussion, Brauer zeigte sich nach einer anfänglichen Reflex-Abwehrhaltung verständnisvoll, nahm aber AI in Schutz. Auch Franz Schneider, Vorsitzender der österreichischen AI-Sektion, dem der Zwischenfall höchst peinlich war – schließlich war die ganze Veranstaltung geschmissen –, mischte sich in die Diskussion ein. Und als Lacina sich von Brauer verabschieden wollte, drückte ihm der Rosa Stachel eines der vorbereiteten und in der ganzen Schalterhalle ausgelegten Anti-AI-Flugblätter in die Hand (siehe Faksimile).

 

AI in Ebensee

Am Tag der Menschenrechte, dem 10. Dezember, trat der Rosa Wirbel abermals in Aktion. Die Gefangenenhilfsorganisation hatte zu einer Großkundgebung am KZ-Friedhof von Ebensee, eines der größten Nebenlager Mauthausens, aufgerufen. Gekommen sind aber nur einige hundert, unter den Gedenkrednern auch Landeshauptmann Josef Ratzenböck. Der Rosa Wirbel scheute die 550 Kilometer Fahrt nach Ebensee und zurück nicht. Auch das saumäßige Wetter konnte ihn nicht ab- bzw. aufhalten. Mit zwei Transparenten ausgerüstet („ai: keine Hilfe für verfolgte Lesben und Schwule“ und „Homosexuelle – Totgeschlagen – Totgeschwiegen“) und mit einem großen Packen Flugblätter ausgestattet, trafen fünf ROWI-AktivistInnen in Ebensee ein.

Der Großteil der TeilnehmerInnen waren AI-AktivistInnen, die mit organisierten Bussen gekommen waren. Ohne Zweifel wurde unser Erscheinen diskutiert, auch unsere Flugblätter (siehe Faksimile), aber wahrscheinlich lag es am Wetter, daß kaum Debatten mit den Leuten vom Rosa Wirbel aufkamen. Alles in allem eine friedliche, aber sicherlich wichtige Aktion, um der AI-Basis Denkanstöße zu geben, um ihre eigene Haltung einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

Die Diskussion über Amnestys Haltung in dieser Frage flammte kurz auch im Falter Nr. 41 vom 14. 10. 1988 durch einen Leserbrief des HOSI-Wien-Auslandssekretärs auf. In derselben Ausgabe hatte ein Redakteur das Thema bereits aufgegriffen und dem Vorsitzenden der österreichischen Sektion von AI die Frage gestellt, warum seine Organisation sich noch immer weigert, inhaftierte Homosexuelle als Adoptionsfälle aufzunehmen: „Für die Amnesty-Sektionen im Iran und in vielen Ländern der Dritten Welt wäre dieses Thema abschreckend – wir würden möglicherweise ihre Mitarbeit verlieren“.

Diese Ausrede ist natürlich höchst fadenscheinig. Dies meinte im übrigen auch Christoph Burtscher, ein ehemaliges aktives AI-Mitglied, in einer Zuschrift an den Falter, veröffentlicht in der Nummer 44 vom 4. 11. 1988: Diese Aussage zeige einmal mehr die Unfähigkeit der österreichischen Sektion, sich mit diesem Thema konstruktiv zu befassen und einen eigenen Standpunkt zu vertreten, wie dies die Sektion der Niederlande tue. Franz Schneiders „billige“ Aussage, daß dieses Thema auf viele Dritte-Welt-Länder zu abschreckend wirke, ziele darauf ab, eine Legitimation zu finden, sich der Diskussion in den eigenen Reihen nicht stellen zu müssen.

 

Nachträgliche Anmerkung:

1991 war es dann soweit: AI beschloss auf ihrer Internationalen Ratstagung (IRT) in Jokohama die entsprechende Mandatserweiterung – vgl. LN 4/1991, S. 48.